16. Kapitel - 02
Ein frischer Wind kam aus dem nächtlichen Walde und zerstreute die Wolken, die am Himmel hingen. Ich ergriff einen trockenen Ast, zündete ihn an und tanzte dann wie ein Toller um das dem Verderben geweihte Haus. Immer wieder blickte ich nach dem westlichen Horizont, hinter dem der Mond schon zum Teil versunken war. Und als der glutrote Ball gänzlich untergetaucht war, warf ich mit lautem Schrei den Brand in die aufgehäufte Streu. Prasselnd schlugen die Flammen auf, umfluteten bald das ganze Gebäude und leckten, gepeitscht vom rauschenden Winde, mit ihren spitzen, zerstörenden Zungen an den Wänden hinauf.
Ich wartete nur so lange, bis ich erkannt hatte, daß keine Macht der Erde auch nur das Geringste noch zu retten vermochte, und verkroch mich dann in den Tiefen des Waldes.
Die weite Welt lag nun wieder vor mir, aber wohin sollte ich meine Schritte lenken? Jedenfalls wollte ich weit, weit fort von der Stätte meines Mißgeschickes, denn für mich, den Ausgestoßenen und Gehaßten, war es ja gleich, welches Land mich aufnahm. Schließlich aber dachte ich an dich. Ich wußte aus deinen Papieren, daß du mein Erzeuger, mein Schöpfer seist, und wem konnte ich mich wohl mit mehr Vertrauen nähern als dem, der mir das Leben gegeben? Der Unterricht, den Felix an Safie erteilt hatte, hatte sich auch auf Geographie erstreckt, und so hatte ich erfahren, welche Lage die Länder der Erde zu einander einnahmen. Ich hatte in deinen Aufzeichnungen gelesen, daß deine Heimatstadt Genf sei, und beschloß, zunächst dorthin die Wanderung anzutreten.
Es war sehr schwer für mich, mich zurechtzufinden. Ich kannte weder die Namen der Städte und Ortschaften, die ich zu passieren hatte, und durfte auch nicht damit rechnen, von einem menschlichen Wesen unterwegs Auskunft zu erhalten. Aber ich wußte ja, daß ich immer nach Südwesten zu gehen hätte, und die Sonne war meine Führerin. Du warst der Einzige, von dem ich noch Hülfe erwarten konnte, wenn ich auch gegen dich nichts empfand als den bittersten Haß. Herzloser! Grausamer! Du hast mich mit Gefühlen und Empfindungen ausgestattet und dann warfst du mich auf die Straße, jedermann zum Spott und Entsetzen. Von dir allein hatte ich Mitleid und Hülfe zu erwarten und du allein konntest mir das geben, was ich von jedem anderen Wesen in Menschengestalt umsonst gefordert hätte.
Meine Reise war lang und Schweres hatte ich zu erdulden. Die Jahreszeit war schon weit fortgeschritten, als ich dem Erdenfleck, wo ich so lange gehaust, den Rücken wandte. Ich wanderte nur zur Nachtzeit, um keinem Menschen zu begegnen. Die Natur hatte sich schon zur Ruhe begeben und die Sonne hatte keine Kraft mehr. Regen und Schnee fielen nieder und die Bäche waren zu Eis erstarrt. Die Erde war hart, kalt und nackt und bot nichts, um mein müdes Haupt hinzulegen. O Erde, wie oft habe ich dir geflucht und dem, der mich schuf! Meine natürliche Gutmütigkeit war dahin und hatte sich in Gift und Galle verwandelt. Je näher ich deiner Heimat kam, desto heißer erwachte die Sehnsucht nach furchtbarer Rache. Schnee und Eis hielten meinen Schritt nicht auf. Im großen und ganzen war es wohl nur Zufall, daß ich mich zurechtfand. Mein Wunsch, dir gegenüberzutreten, ward immer heftiger und beschleunigte meine Schritte, und jedes Hindernis, das sich mir in den Weg stellte, gab meiner Wut und meinem Zorn nur noch mehr Nahrung. Und ein Abenteuer, das ich erlebte, als ich die Schweizer Grenze erreichte – es war schon wieder warm geworden und die Erde hatte ihr grünes Kleid angelegt – war besonders geeignet, meine Bitterkeit und meine Wut aufs höchste zu steigern.
Wie ich schon erwähnte, pflegte ich nur des Nachts zu wandern und des Tages zu ruhen, um ungesehen zu bleiben. Eines Morgens aber entschloß ich mich doch, meinen Weg weiter fortzusetzen, da er, wie ich bemerkte, durch dichtes Holz führte, so daß ich das Antlitz des Tages nicht zu scheuen hatte. Es war ein herrlicher Frühlingstag und selbst ich empfand wohltuend den warmen Sonnenschein und die milde Luft. Und ich fühlte sogar Freude und Behagen, die ich in mir vollkommen gestorben wähnte. Halb überrascht davon, gab ich mich ihrem Zauber hin und wagte es, meine Einsamkeit und Häßlichkeit vergessend, glücklich zu sein. Lindernde Tränen rannen mir die Wangen herab und ich erhob dankend meinen Blick zu der lachenden Sonne, die das Wunder in mir gewirkt hatte.
Ich wand mich vorsichtig auf den Waldwegen dahin, bis ich an eine Schlucht kam, durch die ein wilder Bach dahinbrauste. Die Uferbäume hingen ihre sprossenden Zweige in die klare, frische Flut. Ich blieb einen Augenblick stehen, um mir zu überlegen, wie ich weiter käme als ich Stimmen vernahm. Rasch verbarg ich mich unter einem dichten Baum. Kaum war das geschehen, als ein junges Mädchen in vollem Laufe dahereilte. Sie lachte laut und herzlich, als spotte sie eines Verfolgers. Sie lief dann am Ufer entlang. Plötzlich glitt sie aus und stürzte in die Fluten. Ich sprang aus meinem Versteck ihr nach und brachte sie mit großer Mühe aufs Trockene. Sie war bewußtlos und ich bemühte mich, sie wieder ins Leben zurückzurufen, als sich ein Landmann näherte, wahrscheinlich der, vor dem sie geflohen war. Kaum hatte er mich erblickt, so drang er schon auf mich ein, riß das Mädchen aus meinen Armen und zog sich eilig mir ihr tiefer ins Gehölz zurück. Ich rannte ihm nach, warum weiß ich heute noch nicht. Als der Mann bemerkte, daß ich ihm folgte, riß er seine Flinte von der Schulter, zielte auf mich und schoß. Ich sank zu Boden und sah meinen Gegner gerade noch im dichten Walde verschwinden.
Das also war der Lohn für das Gute, was ich getan! Ich hatte einen Menschen vor dem sicheren Tode gerettet; dafür hatte ein Geschoß mein Fleisch durchbohrt und einen Knochen zerschmettert. Die Schmerzen, die meine Wunde verursachte, ließen mich rasch die frohen Gefühle vergessen, die ich noch kurz vorher gehegt, und in mir erwachte wieder eine höllische Wut, die meine Zähne knirschend aufeinanderpreßte. Gepeinigt von gräßlichen Schmerzen schwor ich dem ganzen verhaßten Geschlecht der Menschen ewige Rache.