Namibia
Der arme Andreas lag einige Wochen im Krankenhaus, bis seine Brandwunden so weit verheilt waren, dass er wieder nach Hause durfte.
Die ersten Wochen waren unglaublich schmerzhaft und er brauchte Tag und Nacht starke Schmerzmittel.Allmählich jedoch wurden die Schmerzen weniger stark, bis er keine Schmerzmittel mehr brauchte.Er bereute es natürlich bitterlich, mit Feuer gespielt zu haben, aber es war zu spät.Reue mag manchmal vor künftigen Gefahren schützen, doch auf die Vergangenheit hat sie nie einen Einfluss.
In der Zwischenzeit waren seine Eltern damit beschäftigt, ein großes Unterfangen vorzubereiten: Ihre Auswanderung nach Namibia.
Warum sollte eine deutsche Familie in ein afrikanisches Land auswandern wollen?Hatte Herr Schmidt recht, als er seiner Frau sagte, die Familie Weisser hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank?
Einige Fakten: Namibia war von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie Auch heute leben viele Nachfahren der deutschen Siedler von damals in Namibia Viele Afrikaner in Namibia sprechen Deutsch Teile der Medien sind auf deutsch wie z.B.
(zum Beispiel) die Allgemeine Zeitung www.az.com.na
Nun gut, die Familie Weisser muss keine neue Sprache lernen, um in Namibia zu leben, aber warum will Herr Weisser dorthin?
Erstens behagt ihm das Klima in Deutschland nicht und er würde gerne in einem Land mit warmem, trockenem Klima leben.Ferner will er nicht in einer großen Stadt wohnen, da ihm der Verkehrslärm und die Luftverschmutzung missfallen.
Außerdem hat er viel Geld gespart und möchte selbstständig werden.
Nur leider ist Herr Weisser sehr schlecht beim Lernen von Fremdsprachen.Insofern gibt es nicht viele Länder, wo er hinkann.Namibia ist das einzige Land der Welt, das seinen Anforderungen genügt.
Hinzu kommt, dass er entfernte Verwandte in Namibia hat, die ihm behilflich sein werden.
Seine Verwandten wohnen in der Stadt Swakopmund.Dort gibt es viele deutschsprachige Menschen, das Klima ist angenehm warm, und die Stadt ist ein beliebtes Reiseziel.
Das ist sehr wichtig für Herrn Weisser, da er ein kleines Hotel eröffnen möchte, in das vor allem Besucher aus Deutschland und Österreich kommen sollen.
Wenn Herr Schmidt also meint, dass Herr Weisser nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, so ist das wohl eine nicht gerechtfertigte Meinung.
Erwin und Klaudia Weisser wollen während der Weihnachtsferien nach Namibia umziehen.
Andreas ist so weit genesen, dass er wieder gehen kann und die Ferienzeit scheint seinen Eltern geeignet zu sein, die Schule zu wechseln.Erwin hat zwar seit November nicht mehr gearbeitet, er hatte aber trotzdem viel zu erledigen.Er hat einen Käufer für das Haus gefunden und es verkauft.
Dann haben seine Frau und er all ihr Hab und Gut in Kisten verpackt.
Zuletzt kam der Laster eines Speditionsunternehmens.Arbeiter luden alle Möbel und Kisten auf den Laster, der dann nach Hamburg fuhr.In Hamburg wurden die Sachen auf ein Schiff verladen, das alles nach Namibia bringt.Das wird circa zwei Monate dauern.
Eines der wichtigsten Dinge, die zu erledigen waren, hat er im Namibischen Konsulat gemacht: Er hat für die Familie ein Visum beantragt und es auch erhalten.
Jetzt dürfen sie legal nach Namibia reisen und dort wohnen und arbeiten.Dann ist der große Moment gekommen.Erwin bestellt ein Taxi und die ganze Familie fährt zum Flughafen.
Von München aus gibt es keine Direktflüge nach Swakopmund.
Sie müssen in Johannesburg zwischenlanden und von dort nach Windhoek, der Hauptstadt Namibias, fliegen.Die Flugdauer beträgt vierzehn Stunden und dreißig Minuten.Es ist ein sehr langer Flug.In Windhoek werden sie von Albrecht Lothar, einem entfernten Verwandten, abgeholt und im Auto nach Swakopmund gefahren.
Wie verläuft die Reise?
Zuerst gehen sie zum Check-in-Schalter.Jeder von ihnen darf dreiundzwanzig Kilo Gepäck einchecken und bis zu zehn Kilo Handgepäck mitnehmen.Ihre Koffer und Taschen werden gewogen, dann bekommen sie die Bordkarten.
„Grüß Gott!
Wohin geht die Reise?“, sagt eine freundliche Polizistin bei der Passkontrolle.„Nach Namibia, wir wandern aus!“, ruft Andreas aufgeregt, ehe seine Eltern antworten können.
„So, dann haben Sie eine weite Reise vor sich“, schmunzelt die Polizistin, während sie die Pässe im Computer überprüft.
Dann macht sie die Pässe zu und gibt sie zurück.„Gute Reise!“, wünscht sie allen.„Danke!“, sagen die Weissers.Sie gehen erst durch die Sicherheitskontrolle und dann zum Flugsteig.
Es ist ein sehr langer und auch langweiliger Flug.
Als sie in Windhoek ankommen, sind sie todmüde. Albrecht und Erwin haben sich noch nie zuvor getroffen, aber sie wissen von Fotos, wie sie aussehen und erkennen einander sofort.
,,Erwin!“, ruft Albrecht begeistert, als die Familie Weisser aus dem Sicherheitsbereich kommt.
Die beiden umarmen sich glücklich.
,,Darf ich vorstellen“, sagt Erwin, ,,meine Frau Klaudia und unser Sohn Andreas.“
Albrecht gibt Klaudia einen Kuss auf die Wange und schüttelt Andreas die Hand.
Dann hilft er ihnen mit dem Gepäck.
,,So, nun kommt mal mit", sagt Albrecht.
,,Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns nach Swakopmund. Da brauchen wir drei bis vier Stunden, bis wir ankommen.“
Es ist bereits dunkel und sie sehen nichts von der Savanne, aber das macht nichts.
Klaudia und Andreas sind nach kurzer Zeit eingeschlafen.
Der folgende Morgen ist für die Familie Weisser der Auftakt zu einem aufregenden Abenteuer: Es ist der erste Tag ihres neuen Lebens in Swakopmund.
Swakopmund ist eine kleine Stadt, die knapp fünfzigtausend Einwohner zählt.
Die gemütlichen Fachwerkhauser und die Strandpromenade im Kolonialstil wähnen Besucher in einem deutschen Seebad an der Nord— oder Ostsee, und nicht am Rande der Namib—Wuste.
Einheimische bezeichnen Swakopmund humorvoll als ,"südlichstes Nordseebad‘.
Swakopmund ist heute ein beliebtes Seebad mit vielen touristischen Attraktionen.Das Klima ist besonders im Sommer angenehmer als sonstwo in Namibia.Morgens ist der Ort am Rande der Wüste haufig in Nebel gehüllt, was die Temperaturen niedriger hält.
,,Guten Morgen!
", sagt Albrecht, als Erwin, Klaudia und Andreas ins Esszimmer kommen.,,Ich habe euer Frühstück schon zubereitet.Setzt euch einfach.“
Kurz darauf sitzen sie alle zusammen und frühstücken.
,,So, Erwin“, sagt Albrecht.
,,Ich habe alles vorbereitet für dich.Schau dir die Papiere an und wenn alles in Ordnung ist, kannst du den Makler nachher anbellen.“
,,Warum soll Papa den Makler anbellen?“ fragt Andreas und lacht.
,,Papa ist doch kein Hund, der bellt!“
Da lacht Albrecht.
,,Bei uns in Namibia bedeutet ,anbellen‘ jemand anrufen.Es gibt im Namibiadeutsch einige Wörter, die anders sind als in Deutschland.“
,,Ach so", sagt Erwin.
,,Gut, dann werde ich ihn anbellen, aber ich verspreche, dabei ganz freundlich zu sein.“ Dann grinst er und alle lachen.
Während Erwin nach dem Frühstück mit Albrecht zusammen die Papiere über den Hotelkauf durchsieht und dann den Makler ,anbellt', bzw. (beziehungsweise) anruft, gehen Klaudia und Andreas zu Fuß durch die Stadt. Es sind noch viele andere Touristen in der Stadt, über die Weihnachtsfeiertage sind die Hotels ausgebucht, denn Swakopmund ist nicht nur bei deutschen Besuchern beliebt, es ist das beliebteste Seebad in Namibia.
Zuerst kommen Klaudia und Andreas am Woermann Haus vorbei, das aus dem Jahre 1905 stammt.
Das ehemalige Handelshaus in der Bismarck—Straße mit seinem 25 Meter hohen Damara—Turm und seinem von Arkaden gesäumten Innenhof beherbergt heute die städtische Bibliothek und eine Kunstgalerie.Sie werfen zwar einen Blick ins Gebäude, aber sie wollen dort keine Zeit verbringen, denn bevor sie den Rest der Stadt erkundet haben, sind weder eine Bücherei noch eine Kunstgalerie von Interesse.
Sie gehen weiter, bis sie ans Meer kommen.
Dort steht ein weiteres Wahrzeichen Swakopmunds, der alte Leuchtturm.Er ist 21 Meter hoch und wurde im Jahre 1910 in Betrieb genommen.Unweit des Leuchtturms kommen sie zur Jetty.Die Jetty (Landungsbrucke) ist vor allem wegen ihrer Geschichte interessant.
Wegen der unzugänglichen Küste wurde dieser über 300 Meter lange Steg gebaut, um ,,Deutsch—Südwest“ mit Waren aus der Heimat zu versorgen und ,,Kolonialwaren“ per Schiff abtransportieren zu können.
Heute gibt es am Ende der Jetty ein gutes Lokal, das oft von Nebel umhüllt und romantisch ist.
Klaudia merkt sich das Lokal vor, für einen romantischen Abend mit Erwin.
Andreas jedoch ist weniger am Lokal als am Strand interessiert. Der Strand ist riesengroß und die Wellen lassen ihn wild und fast unberührt erscheinen.
,,Mama, wann können wir an den Strand gehen?“
Klaudia lacht.
Sie weiß nur zu gut von der fast magischen Anziehungskraft, die so ein wunderbarer Strand auf Kinder hat, und auch sie wurde gerne dort etwas Zeit verbringen.
,,Nicht heute, Andreas.
Wir wollen uns erst einmal die Stadt anschauen und dann wollen wir noch mit Papa sprechen.Ich hoffe, es geht jetzt alles gut mit dem Kauf des Hotels.
Aber mach dir wegen dem Strand keine Sorgen, der Strand ist jeden Tag hier und wir werden auch jeden Tag hier sein.
Du wirst also reichlich Zeit am Strand verbringen können. Nur in einem Punkt muss ich dich vorwarnen: Baden gehen werden wir im Meer nicht sehr oft, denn der Meeresstrom bringt sehr kaltes Wasser aus der Antarktis hierher.Es ist selten warmer als fünfzehn Grad.“
Andreas nickt und folgt seiner Mutter zurück in die Stadt, wobei er manch sehnsüchtigen Blick zum fabelhaften Strand zurückwirft.
Er kann es noch kaum glauben, dass er jetzt in Afrika an einem so tollen Strand lebt.
Als sie wieder zu Albrechts Haus zurückkommen, sehen sie Erwin.
Er strahlt über beide Ohren und es ist offensichtlich, dass er einen außerst erfolgreichen Vormittag hatte.
,,Die Sache ist gebongt!“, ruft er ihnen entgegen, sobald er sie sieht.
,,Ist dann alles in Ordnung?“, Klaudia.
fragt ,,Mehr als nur das.
Wir haben das Hotel zu einem Spottpreis gekriegt.Da bleibt uns noch genug Geld für eventuelle Umbauten oder Renovierungen, sobald die Besucher nach den Weihnachtsferien wieder abgereist sind.“
,,Sind viele Gaste im Hotel?“
,,Es ist ausgebucht.
Das ist das Beste, was mir je passiert ist“, sagt Erwin und strahlt überglücklich.
,,Gratuliere!“, sagt Klaudia.
,,Dann können wir uns ja wirklich auf unser neues Leben in Swakopmund einstellen.Andreas will unbedingt an den Strand gehen, nicht wahr, Andreas?“
Andreas nickt und seine Augen leuchten.
,,Dann darf ich auch gratulieren", sagt Albrecht und schüttelt Erwin die Hand.,,Ich freue mich sehr, dass ihr jetzt hier wohnt.“
Da sieht Albrecht den Briefträger, der etwas in den Briefkasten wirft, und er geht hin, um den Briefkasten zu leeren.
Während er draußen ist, klingelt das Telefon.
,,Albrecht!“, ruft Erwin laut.
,,Du wirst angebellt.“
Als Albrecht ins Zimmer läuft, Andreas: ,,Wau wau“, und alle lachen.