nachtmagazin Sendung vom 24.02.2022, 00:16 Uhr
Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit dem nachtmagazin.
Diese Sendung wurde vom NDR live untertitelt (24.02.2022)
Licht an! Das Brandenburger Tor erstrahlt in Blau und Gelb.
Die Farben der ukrainischen Flagge.
So setzt Berlin am Abend ein Zeichen der Solidarität
mit dem Land, das eine russische Invasion fürchtet.
Herzlich willkommen zum nachtmagazin.
Wie muss es sich gerade anfühlen, in der Ukraine zu leben?
Nicht zu wissen, was mit der eigenen Familie geschieht
im Falle eines russischen Angriffs?
Eine russische Großoffensive könnte offenbar jederzeit beginnen,
warnten die USA am Abend erneut.
Die Ukraine hat alle Menschen mit Kampferfahrung
zwischen 18 und 60 Jahren einberufen.
Wie hier in Kiew lassen sich überall im Land
Freiwillige an Waffen ausbilden.
Selbst Schulklassen üben Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Der Kreml bestätigte am Abend, dass die Separatisten in Luhansk
und Donezk Russland offiziell um Hilfe gebeten hätten.
Sind russische Truppen schon im Donbass?
Die Frage treibt heute viele um.
Dies haben Journalisten letzte Nacht bei Donezk fotografiert.
Separatistenvertreter sagen,
es gebe noch keine russischen Truppen dort.
Dabei gibt es Hinweise auf russische Soldaten seit Jahren.
Russische Truppen sind hier möglich.
Das hängt davon ab, wie sich die Lage entwickelt,
und von der Position der Ukraine.
In Moskau wird heute der Tag des Vaterlandsverteidigers gefeiert.
Präsident Putin signalisiert weiter Gesprächsbereitschaft,
aber nicht endlos.
Die Interessen Russlands und die Sicherheit unseres Volkes
sind unverhandelbar.
Daher werden wir unsere Armee und die Marine weiter stärken.
Zu den gegen Russland verhängten Sanktionen - von Putin kein Wort.
Seine Vertrauten versuchen,
beim Thema Sanktionen Gelassenheit zu zeigen.
Außenminister Lawrow nennt sie erwartbar,
der Co-Chef des Sicherheitsrats Medwedjew sagt:
Es werde hart für Russland,
aber man habe mit Sanktionen Erfahrungen.
Seit der Krim-Annexion 2014 ist Russland mit Sanktionen belegt.
Auch jetzt hat die Führung damit gerechnet.
Sie dürfte an Gegenmaßnahmen arbeiten.
Die Ukraine trifft Vorkehrungen für eine drohende Eskalation.
Beschuss im Örtchen Schtschastja an der Frontlinie.
Ein ukrainischer Soldat wird laut Armee getötet.
Der Nationale Sicherheitsrat hat angekündigt,
den Ausnahmezustand für die ganze Ukraine einzuführen.
Selenskyj hat Reservisten einberufen.
Wir verteidigen uns selbst - mit Hilfe unserer Partner.
Aber sterben werden Ukrainer.
Deshalb braucht die Ukraine klare Sicherheitsgarantien - sofort.
Russische Truppen haben an drei Seiten der Grenzen Stellung bezogen,
auch in Belarus und auf der Krim:
Weit weg von den von Russland anerkannten Separatistengebieten
im Osten.
Die diplomatischen Beziehungen sind auf ein Minimum gesunken.
Die russische Botschaft in Kiew - evakuiert.
Die ukrainische Regierung wiederum
fordert ihre Staatsbürger in Russland auf, das Land zu verlassen.
Der Westen reagiert auf die Lage mit weiteren Sanktionen.
Am Abend wurde bekannt:
Die USA wollen selbige auch gegen die Betreibergesellschaft
und Top-Manager von Nord Stream 2 verhängen.
Bisher hatte US-Präsident Biden auf diesen Schritt verzichtet,
aus Rücksicht auf Deutschland.
Jessica Briegmann.
Was bedeutet das für diejenigen, die davon betroffen sind
und wer ist das überhaupt?
Genau.
Es ist die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG.
Das ist eine Tochtergesellschaft der Gazprom.
Der deutsche Geschäftsführer der AG ist auch von den Sanktionen
betroffen, wurde gesagt.
Gerhard Schröder ist nicht betroffen.
Der hatte 2005 die Pipeline initiiert und hat einige Posten.
Es sind finanzielle Sanktionen.
Die Manager werden von westlichen Banken abgeschnitten.
Warum jetzt doch dieser Schritt?
Deutschland hatte die Inbetriebnahme
der fertigen Pipeline gestern vorläufig gestoppt.
Biden hat angekündigt, dass es weitere Sanktionen geben wird,
wenn es weiter eskaliert.
Darum ist man den Schritt gegangen.
Es gab Druck aus dem Kongress.
Vor allem von den Republikanern.
Zum Beispiel von Ted Cruz.
Aber auch von den Demokraten, dass man schärfere Sanktionen
verhängen soll.
Aus diplomatischen Gründen wurde das nicht gemacht.
Jetzt hat sich die Lage total verändert.
Seitdem Scholz gesagt hat, Nord Stream 2 läge aufweist.
Es heißt, dieser Schritt sei mit Kanzler Scholz abgestimmt.
Und jetzt ist womöglich von einem endgültigen Aus die Rede?
Ja, Biden hat sich bedankt.
Für die gute Partnerschaft mit Olaf Scholz.
Der Sprecher des Außenministeriums hat gesagt:
Man habe mit Deutschland eng verhandelt.
Deshalb sei Nord Stream 2 nur noch ein Stück Stahl auf dem Meeresboden.
Die Pipeline ist wohl tot.
Das war wohl eng abgesprochen.
Für die USA wäre es unmöglich, dass es zu Unstimmigkeiten
mit engen Verbündeten käme.
Vielen Dank, Jessica Briegmann.
So sieht sie an Land in Lubmin aus -
die nun erst einmal auf Eis gelegte Gaspipeline Nord Stream 2.
1230 km lang schlängelt sie sich vom russischen Ust-Luga
durch die Ostsee bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.
Durch die Leitung sollten 55 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr
nach Deutschland fließen.
Laut der Betreibergesellschaft
hätten damit 26 Mio. Haushalte versorgt werden können.
Ein Mega-Projekt, in das auch viele Menschen in Lubmin
große Hoffnungen gesetzt hatten.
Was sagen sie zum drohenden Aus?
Es ist kein Morgen wie jeder andere in Lubmin.
Es ist passiert, womit der Bürgermeister rechnen konnte,
aber bislang nicht wollte:
Das Zulassungsverfahren der fertigen Pipeline Nord Stream 2
wurde auf Eis gelegt.
An der Trasse, die Gas liefern könnte,
fährt Axel Vogt vorbei, auf dem Weg ins Büro.
Was heißt das für den Ort?
Dass wir sehr besorgt sind, was die Eskalation in der Ukraine anbelangt.
Es stehen die Früchte jahrelanger Arbeit jetzt in Frage,
was die Nord Stream 2 betrifft.
In Lubmin landen Nord Stream 1 und 2 an.
Die erste Pipeline spült seit elf Jahren zwischen 1,5 und 2 Mio. Euro
jährlich Gewerbesteuereinnahmen in die Kasse des Seebades.
Seit gestern bröckelt die prorussische Einstellung hier.
Jegliche Form von Gewalt, die zu einer Verletzung von Völker-,
Staats- oder Menschenrechten führt, ist niemals akzeptabel.
Es müssen diplomatische Lösungen gesucht werden.
1200 km Erdgastrassen kommen an –
eine echte Größenordnung für so einen kleinen Ort.
Wir haben uns alle drüber gefreut, ich finde es schade.
Ich hoffe, dass man sich noch einigt.
Man sollte nicht alles aus der Hand geben.
Man kann auch eigene Sachen produzieren oder entwickeln.
Ein Druckmittel muss es geben, aber die Gelackmeierten sind wir.
Wir haben das alles zu bezahlen.
Was meinen Sie, was wir jetzt aufgeschlagen wird,
wie teuer wir Gas bezahlen müssen?
Der ehrenamtliche Bürgermeister, im Hauptberuf Anwalt,
ist angekommen im Gemeindebüro.
Auf der Gemeindevertretersitzung steht der Haushalt an.
Aus Nord Stream 2 hat er keine Einnahmen eingeplant.
Nord Stream 1 hält er nun auch nicht mehr für sicher.
Wir müssen darüber reden, ob wir Projekte verschieben,
überdenken, kleiner planen.
Damit uns für den Fall von energiewirtschaftlichen Sanktionen
nicht Geld für die Finanzierung der Projekte fehlt.
Das kleine Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern:
Plötzlich mittendrin im Säbelrasseln
zwischen Moskau, Kiew, Berlin und Washington.
Die Angst, dass wir uns das Gas zum Heizen nicht mehr leisten können,
und wir durch Sanktionen am Ende in eiskalten Wohnungen sitzen:
Sie treibt derzeit nicht wenige um.
Haben sich die Gaspreise innerhalb von nur einem Jahr
zum Teil verfünffacht!
Haben wir ohne das Gas aus Russland überhaupt genug,
um durch den Winter zu kommen?
Die Bundesregierung sagt: ja.
Aber das sehen nicht alle so.
Es sind riesige Anlagen:
47 Untertagespeicher als Reserven für die Erdgasversorgung.
Sie ergänzen den laufenden Gasfluss durch die Pipelines.
Diese Reserve wurde zuletzt ziemlich knapp,
am Sonntag lag ihr Füllstand bei 31 %.
Die Abhängigkeit von russischen Gas - unübersehbar.
Die milden Temperaturen hätten die Lage entspannt,
heißt es aus der Branche.
Selbst im Fall eines Ausfalls aller russischen Gaslieferungen:
Wir könnten die Gasversorgung vollumfänglich aufrecht erhalten
bei genug verfügbarem Flüssigerdgas und milden Temperaturen.
Milde Temperaturen, zusätzliches Flüssiggas:
Klingt einfach.
Doch LNG als Alternative zu beschaffen ist kompliziert.
Dabei handelt es sich um Erdgas, das in den USA gewonnen, verflüssigt
und nach Deutschland verschifft würde.
Noch gibt es in deutschen Häfen kein LNG-Terminal,
das dieses Flüssiggas entgegennehmen könnte.
Es ist auch kein Problem der Terminals,
es ist eine Frage der physischen Verfügbarkeit.
So viel LNG wird nicht produziert, dass wir das ersetzen können.
2021 hat Deutschland etwa 1664 Mrd. Kilowattstunden Erdgas importiert.
55 % davon kommen aus Russland, gefolgt von Norwegen
und den Niederlanden.
Die große Abhängigkeit von Russland könnte den Erdgaspreis
weiter in die Höhe treiben.
Besonders, wenn der Ukraine-Konflikt weiter eskaliert.
Deutschlands Energieversorgung muss unabhängiger werden.
Das scheint eine der Lehren aus der Ukrainekrise zu sein.
Ein wichtiges Momentum ist, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren
und der heimischen Stromversorgung vorankommen.
Wirtschaftsminister Habeck kündigte an,
Deutschland unabhängiger von russischem Gas machen zu wollen.
Um die Menschen angesichts der hohen Energiepreise zu entlasten,
hat die Ampelkoalition beschlossen:
Die EEG-Umlage, die den Strom bisher teurer macht,
wird schon im Juli gestrichen, fünf Monate früher als geplant.
Und die Pendlerpauschale wird angehoben.
Aber reicht das?
Auch ein höherer Mindestlohn dürfte etwas helfen.
Auf 12 Euro pro Stunde soll der ab Oktober steigen.
Heute gab's im Kabinett für den Gesetzentwurf grünes Licht,
nun muss noch der Bundestag Ja sagen.
Der Mindestlohn liegt bei 9,82 Euro.
Im Juli soll es eine erste Erhöhung auf 10,45 Euro geben.
Dringend nötig, sagen viele, aber es gibt auch Kritik.
Eines können sie hier nicht backen: Mitarbeiter.
Die Filialleiterin setzt auf den höheren Mindestlohn.
Statt zehn Euro müsste ihr Arbeitgeber
ab Oktober allen zwölf Euro zahlen.
Wir brauchen die Anerkennung auch,
gerade wenn es um die soziale Absicherung geht.
Am Nachmittag ist Arbeitsminister Heil zu Besuch in der Bäckerei.
Am Vormittag brachte er die Erhöhung des Mindestlohns mit auf den Weg.
Davon werden mehr als 6 Mio. Menschen in Deutschland profitieren,
vor allem Frauen und viele Beschäftigte in Ostdeutschland.
Sein wichtigstes Vorhaben nannte Kanzler Scholz
den Mindestlohn im Wahlkampf.
Doch die SPD musste Kompromisse eingehen.
Sie wollte eine elektronische Arbeitszeiterfassung,
um Arbeitgebern Betrug zu erschweren.
Zu aufwendig, meinte die FDP.
Es wurde jetzt im Gesetz gestrichen.
Es ist zu kritisieren, dass die Arbeitgeber-Lobby
nun wieder die Arbeitszeiterfassung torpediert.
Dem Mindestlohn-Betrug ist damit Tür und Tor geöffnet.
Die Mindestlohnanhebung per Gesetz ist neu
und laut Koalition eine Ausnahme.
Bisher legte eine Kommission aus Arbeitgebern und -nehmern
die Höhe fest.
Es ist ein Systembruch,
den Mindestlohn politisch festzusetzen.
Es birgt die Gefahr, dass man jetzt immer vor Wahlen
einen Überbietungswettbewerb startet.
Jetzt grätscht die Politik rein.
Es ist ein Vertrauensbruch
und ein Angriff auf die Tarifvertragsautonomie.
Die Arbeitgeber fordern mehr Zeit, um den Mindestlohn einzuführen.
Sie schließen eine Klage nicht aus.
Was macht es mit Kindern,
wenn aus netten Nachbarn plötzlich Feinde werden?
Wenn die Nachbarskinder nicht mehr fröhlich zum Spielen rüberkommen,
sondern voller Hass beleidigen, drohen oder sogar zuschlagen?
Kinder sind Konflikten meist auch emotional
wesentlich schutzloser ausgeliefert als Erwachsene.
Wie schnell die vertraute Welt völlig aus den Fugen geraten kann,
zeigt der nordirische Regisseur Kenneth Branagh:
Im mehrfach Oscar-nominierten Film Belfast.
Als Kind erlebte er, wie der Hass zwischen Protestanten
und Katholiken in seiner Heimatstadt immer weiter wächst.
1969 schlägt er in schiere Gewalt um.
Morgen kommt dieser besondere Film,
in dem trotz allem auch für Humor Platz ist, in unsere Kinos.
Eine Stadt mit bewegter Vergangenheit,
Schauplatz historischer Ereignisse:
Belfast.
Der gleichnamige Film erzählt die Geschichte des neunjährigen Buddy
Ende der 60er.
Es sind unruhige Zeiten.
Du willst hier nicht der Ausgestoßene sein.
Rühr meine Familie an und ich töte dich.
Der Nordirland-Konflikt überschattet Buddys Kindheit
und die von Regisseur Kenneth Branagh.
Er wuchs in Belfast auf.
Es gibt viel Autobiografisches im Film.
Anderes habe ich hinzugedichtet.
Die entspringen der Fantasie eines Kindes und der Tatsache,
dass ich meine Vergangenheit rekonstruiere.
Es ist mein Versuch, zu verstehen, was passiert ist.
Durch Buddys Augen schaut Branagh auf die eigene Kindheit.
Baut im Studio jene Straße in einem Arbeiterviertel nach,
in der er aufwuchs.
Wo Protestanten und Katholiken friedlich Tür an Tür lebten.
Ab 1969 nahmen die Ausschreitungen zu,
mündeten in kriegsähnlichen Unruhen.
Branaghs Familie verließ Nordirland.
Auch Buddys Familie will weggehen, fürchtet Gewalt und Armut.
Wir ertrinken in Schulden. Ich kenne nichts außer Belfast.
Genau, eine ganze Welt wartet da draußen.
So bieten wir den Jungs bessere Chance.
Er habe damals seine Unbeschwertheit verloren, so der Regisseur.
Kann man da auch Fußball spielen? Klar.
In solchen Momenten ziehen plötzlich Sorgen ins Leben eines Kindes ein.
Mit dem Film wollte ich mein unbeschwertes Ich wiederentdecken.
Der Film will in dunklen Momenten humorvoll sein.
Das ist typisch für mich.
So hat Buddy eigentlich ganz andere Dinge im Kopf.
Bevor ich einschlafe, wenn ich mein Gebet sage,
erinnere ich Gott an meine Bitte:
Dass er mich am Morgen zum weltbesten Fußballer gemacht hat.
Und dass Catherine mich, wenn ich groß bin, heiratet,
auch wenn sie Ronnie Boid lieb hat.
Es ist Branaghs persönlichster Film.
Im Mittelpunkt: die Menschen.
Nicht Gewalt und Ideologien des Konfliktes,
der bis in die Gegenwart hineinreicht.
Es ist ein anfälliger Frieden, aber die Menschen dort wollen ihn.
Es war niemals einfach in diesem Teil der Welt.
Aber ich bin hoffnungsvoll, dass Belfast ein Ort der Hoffnung ist.
Belfast ist auch ein unbeschwerter, ein zuversichtlicher Film,
der mit sieben Nominierungen ins Rennen um die Oscars geht.
Ein strahlendes Stück Zuversicht in diesem Februar-Grau gab's heute
wie an vielen Orten in Deutschland auch hier am Zwischenahner Meer.
Morgen dürfte das Stimmungshoch bei vielen einen Dämpfer bekommen.
Die Aussichten.
Heute Nacht ist es teilweise noch sternenklar.
Von Westen breiten sich Wolken aus.
Der Tag beginnt im Südosten überwiegend freundlich.
Vom Westen bis in die Mitte nieselt es ab und zu.
Am Nachmittag kommt von Nordwesten Regen.
Im Bergland teils Schnee.
Von der Nordsee bis zum Emsland einzelne Graupelgewitter.
Der Wind lädt deutlich auf.
Das war das nachtmagazin.
Auf den aktuellen Stand bringen wir Sie um 2.15 Uhr in der tagesschau.
Ich wünsche Ihnen eine gute und hoffentlich friedliche Nacht.
Bis bald!
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