GERMANIA | Melissa Khalaj
Ich glaube, es war mir immer bewusst, dass ich nicht Deutsch bin,
dass ich anders bin als meine Mitschüler,
als meine Freunde.
Und ich wollte eigentlich auch immer gerne sein wie die.
Ich glaube, man möchte als Kind dem Mainstream angehören.
Man will nicht anders sein.
(Musik "Stille Nacht")
(Bellen)
Mein Name ist Melissa Kahlaj, ich bin 1989 in Dachau geboren.
Meine Eltern sind 1986 aus dem Iran geflohen.
Ich arbeite seit 2013 als Moderatorin
für verschiedene TV-Sender.
(Musik)
Wenn du in einem Vorort groß wirst, wo es, auch zu so der Zeit,
d.h. Anfang der 1990er, als es noch nicht so viele Ausländer gab.
Und ich war auch noch in einem katholischen Kindergarten.
Das war alles sehr, sehr schwierig.
Ich wollte als Kind auch Deutsch sein. Das war ganz komisch.
Du hattest eigentlich nur deutsche Freunde.
Du hast 'ne andere Sprache gesprochen.
Du hattest ein anderes Pausenbrot.
Deine Eltern konnten kein Deutsch.
Es war sehr schwierig für mich als Kind,
in so einer Kleinstadt unter deutschen Freunden zu sein.
(Vogelzwitschern)
Das erste Mal war ich mit 13 im Iran.
Weil wir im Jahr 2000 alle unseren deutschen Pass bekommen haben.
Und das war ein überwältigendes Erlebnis:
Du lebst 13, 14 Jahre in einem Land, das eigentlich nicht dein Land ist.
Also klar, du bist geboren, du bist da aufgewachsen,
aber du spürst ja, dass du irgendwo anders her kommst.
Dass deine Eltern ihr ganzes Leben woanders verbracht haben.
Und dann bist du da das erste Mal.
Und dann lernst du erst mal deine ganze Familie kennen!
Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Cousins und Cousinen
und Onkel und Tanten habe!
Und dann kann mich da an, am Flughafen, mit 13,
und dann standen da 20 Leute, die dich herzlichst umarmten!
Und die geweint haben und so glücklich waren,
dich das aller erste Mal zu sehen.
Und kam dann die Deutsche aus mir raus.
Weil ich dann so: "Huch, Mutti, ich kenn' die aber nicht.
Wer sind die denn?" Du hast halt schon die deutsche Mentalität,
wenn du da einfach aufgewachsen bist.
Und dann kommt da plötzlich dieser Überschwall an Emotionen
auf dich zu, den du eigentlich gar nicht gewohnt bist.
Ich habe das erste Mal richtig gespürt, wo meine Wurzeln sind,
wo ich herkomme.
Ich wusste plötzlich die Dinge ganz anders zu schätzen.
Das Essen war plötzlich so anders, die Musik, die Leute!
Ich hab das alles ganz anders plötzlich wahrgenommen!
Als ich dann zurück war in Deutschland, habe ich erst gemerkt:
Ok, wow, das ist eigentlich das, wo du herkommst.
Und plötzlich fand ich das total cool.
Und alles, was denn hier war, fand ich nicht mehr so cool.
Ich wollte genauso aufgeschminkt sein
wie die persischen Mädchen, hab' nur noch persische Musik gehört.
Und fand das alles total witzig!
Und fand Deutschland an sich plötzlich so uninteressant!
Der Iran, Persien an sich, das ist alles sehr, sehr viel.
Das ist alles sehr prunkvoll.
Das ist bunt, das hat viel Kultur, das hat viel Geschichte.
Und dann hast du im Gegenzug das Deutsche: clean, straight!
Alles hat irgendwie so, in meinem Kopf, eine Farbe.
Und dann finde ich für mich persönlich genau die Mitte da durch.
Und bin sehr zufrieden damit.
(Musik "Stille Nacht")
(Bellen)
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2017)
(Vogelzwitschern)
(Vogelzwitschern)