3 Konflikte in Europa nach 1945 | Terra X - YouTube (1)
Kriege und bewaffnete Konflikte hat es in den vergangenen Jahrzehnten in Europa immer wieder gegeben. Nicht nur in russischen Einflussgebieten in Osteuropa.
Ihre Wurzeln liegen in der Vergangenheit des dicht besiedelten Kontinents und wirken bis heute nach. Hier sind drei ungelöste Konflikte Europas.
Im Nordwesten des Kontinents liegt der Schauplatz eines blutigen Konfliktes: In Nordirland tobt über Jahrzehnte ein Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten.
Dreißigster Januar 1972: In Londonderry demonstrieren Katholiken für Gleichberechtigung im protestantisch dominierten Staat.
Die Stimmung heizt sich im Laufe des Tages auf, es kommt zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Ordnungskräften im Bezirk Bogside.
Um kurz nach sechzehn Uhr eskaliert die Lage. Britische Fallschirmjäger eröffnen das Feuer auf Protestteilnehmer.
„Vater, wie viele Tote haben Sie in Bogside gesehen?“ - „Da drüben sind drei. Da drüben zwei, hier noch einer der sehr nah am Tode ist.“
Am Bloody Sunday sterben dreizehn Demonstranten, ein weiterer erliegt später seinen Verletzungen. Dieser Tag verschärft einen Konflikt, der Nordirland seit seiner Gründung begleitet.
Nach einem Krieg gegen die Kolonialmacht England erklärt Irland 1921 seine Unabhängigkeit. Sechs Grafschaften verbleiben jedoch als Nordirland unter Kontrolle Londons.
Dort leben primär Protestanten. Im neuen Staat werden katholische Iren zur diskriminierten Minderheit.
„Es gibt eben zwischen dem protestantischen und dem katholischen einen Riesenunterschied in Nordirland, es sind die Identitäten,
die aufeinanderprallen und dann in einer bestimmten Situation auch die Bereitschaft von Radikalen zu Kämpfen, das mit Gewalt zu tun.“
Mit der „Provisional Irish Republican Army“, kurz PIRA kämpft ab Ende der 1960er Jahre eine paramilitärische Organisation auf Seiten des katholischen Lagers.
Auch auf protestantischer Seite bilden sich militante Gruppen, die auf Gewalt und Terror setzen. Beide Seiten lassen Waffen statt Worte sprechen.
Die britische Regierung schickt Soldaten in ihre Unruhe-Provinz. Sie sollen sich neutral verhalten und helfen, den Konflikt zu beruhigen.
Ein Konflikt, der die Spaltung der nordirischen Gesellschaft immer weiter zementiert, auch unter den Jüngsten.
„Anfangs begrüßten die Katholiken britische Streitkräfte als Beschützer vor den protestantischen Milizen.
Das kippte aber sehr schnell, weil sich zeigte, dass die britische Armee auch rabiat gegen die katholische Minderheit vorging.“
Die PIRA setzt auf Terror mit Bomben. Ihr Ziel: die Vertreibung britischer Truppen von der Insel und die Wiedervereinigung eines freien Irlands.
Das protestantische Lager antwortet mit Brutalität. Eine Spirale der Gewalt.
„Ich würde es als eine Art Bürgerkrieg einordnen, wenn wir auf die Toten-Zahlen schauen von über 3.000 in drei Jahrzehnten ist das schon eine erhebliche Zahl.“
Trotz anhaltenden Terrors gibt es seit den 1980er Jahren verstärkt Versuche, den Konflikt politisch zu lösen.
Neben der britischen und irischen Regierung beteiligen sich daran auch die Konfliktparteien Nordirlands.
„Eine wichtige Ursache ist sicher, dass die bewaffneten Gruppen und insbesondere die Bevölkerungsgruppen müde wurden, diese Gewalt ständig über sich ergehen zu lassen.“
Die gemeinsame Bemühung um Frieden dauert Jahre. Im April 1998 unterzeichnen britische, irische und nordirische Politiker das Karfreitagsabkommen.
„Das Karfreitagsabkommen sah unter anderem vor, dass die bewaffneten Gruppen nicht mehr kämpfen.
Es sah ein sogenanntes Power Sharing vor, das heißt die Beteiligung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Katholiken und Protestanten an der nordirischen Regierung.“
Danach endet der Terror weitgehend, doch bis heute ist die Gesellschaft Nordirlands gespalten. Das zeigt sich auch in der Hauptstadt Belfast:
Mauern und Stacheldraht trennen Katholiken und Protestanten. Auch die Erinnerungskultur beider Konfessionen verdeutlicht die Gegensätze.
So gedenken Katholiken bis heute der Opfer des Bloody Sunday, wie hier bei einem Trauermarsch in Londonderry im Januar 2022.
Der Brexit droht den Konflikt weiter anzuheizen: Durch ihn ist zwischen Irland und Nordirland offiziell eine EU-Außengrenze entstanden.
„Wir sehen ja heute, die Angst, die Sorge, dass sich die Katholiken in Nordirland abgeschnitten fühlen von der Republik Irland und dass es wieder zu Gewalttätigkeiten kommen kann.“
Auch auf einer anderen europäischen Insel sorgt ein Konflikt bis heute für eine stacheldrahtbewehrte Grenze: auf Zypern putschen am fünfzehnten Juli 1974 rechtsnationale Militärs.
Die Republik, seit Jahrhunderten sowohl von Türken als auch Griechen bewohnt, soll griechisch werden.
Die Türkei, eine der Garantiemächte für die Unabhängigkeit Zyperns, bereitet eine militärische Intervention vor.
Der Konflikt bekommt eine globale Dimension, denn der Kalte Krieg ist noch nicht zu Ende.
„Wir leben im Ost-West-Konflikt und die große Bedrohung geht für alle von der Sowjetunion aus.
Und jetzt fangen dann 74 diese beiden Staaten an, nachdem es vorher schon diese Konflikte gab, sogar noch Krieg gegeneinander zu führen.
Und es zeigt, dass es eben Konfliktpotenziale gibt, die sich nicht einfach durch Reden, durch Verhandlungen lösen lassen.“
Im Morgengrauen des 20. Juli 1974 landen türkische Truppen auf Zypern.
Mehr als 40.000 Soldaten bilden eine massive Drohkulisse, um den Anschluss der Insel an Griechenland zu verhindern. Es droht ein Krieg zwischen zwei NATO-Staaten.
In aller Eile werden Touristen und Ausländer von der Insel evakuiert. Zum Teil bringt man sie direkt vom Strand zum Flughafen.
Nach drei Tagen geben die Putschisten auf – angesichts der türkischen Übermacht sind die Griechen zu einem Waffenstillstand bereit.
Doch die Türkei weigert sich, ihre Truppen abzuziehen und besetzt nun ihrerseits völkerrechtswidrig den Norden der Insel.
In der Folge kommt es zu massiven Flucht- und Vertreibungsbewegungen auf Zypern. Mehr als 160.000 Menschen werden zwangsumgesiedelt. Die UN soll nun den fragilen Frieden sichern.
„Man versucht, die Streithähne zu trennen, mit Blauhelmsoldaten dazwischen. Das ist dann die Lösung, die man bis heute gefunden hat.
Eine richtige Lösung ist es nicht, weil man wird ja erst eine Lösung haben, wenn auf Zypern die griechischen Zyprioten
und die türkischen eine neue Identität als Zyprioten entwickeln würden und sagen es ist ganz egal, ob ich griechisch oder türkisch bin, es ist unsere Insel.“
Bis heute ist Zypern durch eine Pufferzone getrennt. Hier wacht die UNO. Der Süden ist seit 2004 Teil der EU.
Die türkische Republik Nordzypern ist international nicht anerkannt. Der Konflikt - ungelöst.
„Das ist ein ganz großes Problem: Wie löse ich ethnische Konflikte, wenn die Narrative dieser beiden Ethnien in einem Staat so groß sind, dass sie eben sich nicht vereinigen lassen,
in einem Gemeinsamen vielleicht, in einer neuen Erzählung, einer neuen Identität, sondern wenn die Identitäten, die alten Konflikt-Identitäten so bleiben wie sie vielleicht seit Jahrhunderten waren.“
Anfang der 1990er Jahre verschärfen sich auch auf dem Gebiet der Volksrepublik Jugoslawien eine Reihe ethnischer Konflikte. Die Folge: Jahre voller Krieg, Tod und Zerstörung.
Ende Juni 1991: Panzer der jugoslawischen Volksarmee bahnen sich brutal ihren Weg durch Slowenien.
Wenige Tage zuvor hatte das Parlament der Teilrepublik seine Unabhängigkeit vom Mutterstaat erklärt.
Auch in dem kleinen Ort Gornja Radgona, nahe der österreichischen Grenze, walzen jugoslawische Panzer Autoblockaden nieder und zerstören mehrere Wohnhäuser, bevor sie sich wieder zurückziehen.
Die Bevölkerung steht am Tag danach noch unter Schock.
„Das muss einmal vorbeisein, das was das jugoslawische Bundesheer mit den Slowenen gemacht hat, das findest Du sonst nur unten im Irak, haben sie es so gemacht mit den Kurden, das ist eine Schande für die ganze Welt.“
„Der Zerfall von Imperien setzt oft Gewalt frei, weil die Grenzen neu gezogen werden müssen.
Es gibt Staaten, die wollen sich lossagen, Völkergruppen, Gesellschaftsgruppen wollen sich lossagen, andere wollen das nicht.
Und in dieser Situation gibt es eigentlich keinen Kompromiss, das ist eine Bürgerkriegssituation, wenn man so will.“
Die Republik Jugoslawien entstand 1945 aus dem ehemaligen Königreich mit den Teilen Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Slowenien.
Staatsoberhaupt wird Josip Broz Tito.
Ihm gelingt es über Jahrzehnte, die Differenzen zwischen den Teilrepubliken in Zaum zu halten, deren Bewohner unterschiedlichen Ethnien und Religionen angehören. Im Mai 1980 stirbt Tito.
„Als Tito starb, verschwand die wichtigste Integrationsfigur Jugoslawiens. Sein Tod fiel zusammen mit einer schweren Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit, die Verschuldung.
Die Inflation erreichte Rekordwerte und damit verschärften sich auch bestehende Interessenkonflikte.“
Im Juni 1991 erklärt auch das kroatische Parlament seine Unabhängigkeit. Anders als in Slowenien, in dem der Konflikt mit Belgrad binnen weniger Tage beendet ist, gibt es dabei ein zentrales Problem:
In Kroatien lebt eine große serbische Minderheit, die die Unabhängigkeit ablehnt.
„Die kroatischen Serben begannen Vorbereitungen zu treffen, um einen eigenen Staat zu gründen auf kroatischem Territorium
und sie haben gleichzeitig auch militärische Verbände aufgestellt mit dem sie dieses Territorium sichern würden, bzw. auch nichtserbische Bevölkerung vertreiben würden.“
In vielen Städten lebten Kroaten und Serben zuvor jahrelang friedlich nebeneinander. Nun setzen sie ihre Häuser gegenseitig in Brand und massakrieren einander.
So auch im ostkroatischen Borovo. Nach heftigen Gefechten kommt der Ort im Herbst 1991 unter serbische Kontrolle.
Ein Serbe trauert um seinen beinamputierten Vater. Den hätten kurz zuvor Kroaten erschossen, behauptet der Mann.
„Werden sie ihren Vater rächen?“ – „Ich habe ihn schon gerächt.“ – „Wie?“ –
„Ich habe sie umgebracht. Ich habe sie sofort getötet. Das ist die Pistole meines Vaters, die war vier Monate vergraben, damit habe ich Kroaten getötet.“ –
„Glauben Sie, es waren es genug? Nein, nicht genug, nicht genug.“
Die jugoslawische Volksarmee greift auf Seite der kroatischen Serben in die Kämpfe ein. Zu Beginn des Jahres 1992 hat die serbische Allianz die Oberhand.
„Zu dem Zeitpunkt hatten die serbischen Streitkräfte mithilfe der Jugoslawischen Volksarmee ihre Kriegsziele in Kroatien praktisch erreicht.
Sie hielten ein Drittel vom kroatischen Territorium und hatten dort einen Para Staat errichtet.“
Doch der Staat namens „Republik Serbische Krajina“ ist nicht von Dauer.
Rund drei Jahre später erobert die wiedererstarkte kroatische Armee die Gebiete zurück. Sie vertreibt serbische Soldaten und Zivilisten aus der Region.
In der Zwischenzeit dominiert der Kriegsausbruch in einer anderen Teilrepublik Jugoslawiens die Schlagzeilen.
Im Frühjahr 1992 erklärt sich Bosnien-Herzegowina für unabhängig.
Die Bevölkerungsstruktur der Republik trägt dazu bei, dass das Land und seine Bewohner rasch im Chaos versinken.
„Bosnien-Herzegowina war der Staat von drei Staatsvölkern: den muslimischen Bosniaken, den Serben und Kroaten, die in dieser Republik gleichberechtigt waren.
Es gab in Bosnien-Herzegowina keine einzige Gemeinde, die ethnisch homogen war, wo also nur ein einziges Volk zuhause war.
Und das bedeutete natürlich, dass in dem Moment, als Jugoslawien auseinanderfiel, die Frage aufkam, wie könnte man diesen Staat nach ethnischen Gesichtspunkten aufteilen?
Die Antwort lautet: Gar nicht.“
Die kroatische und die serbische Minderheit rufen Republiken aus und stellen Streitkräfte auf. Jetzt kämpft gefühlt jeder gegen jeden – und alle gegen die Armee Bosnien-Herzegowinas.
Auch die jugos-lawische Volksarmee und kroatische Streitkräfte greifen ein. Dabei kommt es auf Seiten aller Parteien zu Kriegsverbrechen und sogenannten „ethnischen Säuberungen“.
Ihren Höhepunkt erreicht die Gewalt im ostbosnischen Srebrenica. Die UNO ist hier zum Schutz der muslimischen Zivilbevölkerung mit Blauhelm-Soldaten vor Ort.
Nach langer Belagerung beginnen Truppen bosnischer Serben im Juli 1995 die Stadt zu erobern.
Die Bosniaken suchen Schutz bei den UN-Soldaten. Vergeblich: die Blauhelme haben kein ausreichendes Mandat.
„Die Blauhelmsoldaten waren auch nur leicht bewaffnet und durften ihre Waffen nur zur Selbstverteidigung einsetzen.
Das Konzept war irreführend, denn es suggerierte, dass die Bevölkerung dort tatsächlich militärisch geschützt würde, das war aber nicht der Fall.“
Nach der Eroberung werden tausende muslimische Männer und Jungen aus der Stadt getrieben, von Einheiten bosnischer Serben ermordet und in Massengräbern verscharrt.
Das ganze Ausmaß der Gewalt zeigt sich erst Jahre später.
„Das Massaker von Srebrenica, bei dem achttausend vorwiegend muslimische Männer und Jungen ermordet wurden, gehört zu den schlimmsten Fällen von Völkermord in der Weltgeschichte, es ist ein Völkermord in Europa 50 Jahre nach 1945.“
„Srebrenica wirkte als Weckruf. Es wurde klar, dass man mit Friedenstruppen in einem aktiven Kriegsgebiet nicht viel ausrichten konnte, sondern vielleicht sogar zu Schlimmerem einlud.“
Ende August 1995 startet die NATO ihre Operation Deliberate Force und zerstört aus der Luft Einrichtungen der bosnischen Serben.
Damit greift sie entscheidend in den Bosnienkrieg ein. Ende des Jahres kommt es zum Abkommen von Dayton. Das große Sterben ist vorbei. Doch viele Fragen sind noch offen.
„Man hat ja mit dem Friedensvertrag von Dayton 95 das Problem in Bosnien erst mal gelöst, nicht gelöst war die Frage des Kosovo.
Die Kosovaren, die unabhängig werden wollten, die Serben, die das nicht wollten.“
Das Kosovo war in Jugoslawien Autonome Provinz und zählt Ende der 90er Jahre zum serbisch dominierten Rest des Landes.
Die mehrheitlich albanische Bevölkerung drängt auf mehr Eigenständigkeit.
Mit der Befrei-ungsarmee des Kosovo, kurz UCK, entsteht eine para-militärische Organisation, die für ein freies Kosovo kämpft.
„Serbische Spezial-Polizei und Armee ist mit großer Gewalt gegen diese sogenannte Kosovo-Befreiungsarmee vorgegangen und daraus entwickelte sich ein größerer Krieg.
Die Lage ist eskaliert. Tausende, zehntausende, hunderttausende waren auf der Flucht.“