Selbst ist die Frau
Sie schmeißt den Haushalt, kümmert sich liebevoll um Mann und Kinder, hat dabei stets ihre Karriere im Blick und sieht obendrein bestens aus. Das Heimchen am Herd gehört der Vergangenheit an. So oder so.
Eine schicke Penthouse-Wohnung irgendwo in Hamburg. Hier klingelt jeden Morgen um halb sechs der Wecker von Yvonne – Mitte 30, Single und Karrierefrau. Yvonne kurbelt schon seit mehr als fünf Jahren als Managerin bei einem großen Automobil-Konzern dessen Umsätze an. Über die Frauenquote kann sie nur milde lächeln. Die braucht sie für ihre Karriere nun wirklich nicht, Yvonne punktet mit Leistung.
Chicago, Tokio, Delhi
Natürlich ist Yvonne ganz Frau von Welt. Wenn sie mal nicht im Meeting sitzt, dann trifft sie sich gern mit Freunden zum Essen – meist irgendwo zwischen Chicago, Tokio und Delhi. Zeit für Männergeschichten bleibt da nicht. Tja, bis auf die kleine Affäre mit Stefan, dem Abteilungsleiter der IT letztes Jahr. Da hatten die neidischen Kolleginnen endlich mal was zum Reden. Diese alten Waschweiber haben keine Kaffeepause ungenutzt gelassen, um ordentlich zu lästern. Dabei hätte Yvonne wissen sollen, dass Stefan schon mindestens jede zweite Frau in der Firma gehabt hat. Schwamm drüber! Für Liebesschmerz fehlt Yvonne auch einfach die Zeit.
Dienstag, 17 Uhr, Yvonne sitzt im Auto auf dem Weg zwischen den Niederlassungen ihrer Firma. Ein Anruf aus Hongkong. Ein Großkunde. Yvonne macht den Deal klar. 1,2 Millionen Umsatz eingefahren, mal eben beim Rückwärtseinparken. Vom Geschlechterklischee „Frauen können nicht Autofahren“ keine Spur.
Sie steht Tag für Tag ihre Frau
Im Gegenteil: Als Frau in einer Männerbranche steht Yvonne täglich ihre Frau. In ihrer Abteilung hat sie die Hosen an, immerhin arbeiten 58 Leute unter ihr. Und wenn sie doch mal nicht weiterkommt, dann kämpft sie eben mit den Waffen einer Frau. Und was ist mit Familienplanung? Kinderkriegen kommt für Yvonne nicht infrage. Manchmal träumt sie eher von einem kleinen Hund, der abends schwanzwedelnd an der Tür steht, wenn Frauchen nach Hause kommt.
Kein Spagat zwischen Karriere und Familie
Personenwechsel: Anna braucht keinen Wecker. Ihr morgendliches Weckkommando besteht aus Lasse (4), Juri (2) und Taya (1). Anna hat sich gegen den Spagat zwischen Familie und Karriere entschieden. Sie geht ganz in ihrer Mutterrolle auf. Heimchen am Herd? Weit gefehlt! Reinste Erfüllung verspürt Anna mit ihren Aufgaben. Zwar freut sie sich darüber, dass ihr Mann Till sich auch um die Kinder kümmert; im Grunde lebt Anna aber nach dem Motto „Selbst ist die Frau“ und zieht es vor, sich nicht abhängig zu machen.
Die Diskussion um Vereinbarkeit von Familie und Karriere, Kita-Ausbau und so weiter schert sie kein bisschen. Sie kocht mit Hingabe den Pastinakenbrei für ihre Kinder und genießt es jeden Tag, Mutter zu sein, schmeißt den Haushalt voller Inbrunst. Ihre Erfahrungen als leidenschaftliche Hausfrau und Mutter teilt Anna wöchentlich in ihrem Mama-Blog. Und um sich nicht ganz zu verlieren in ihrer Mama-Welt, hat Anna vor einigen Wochen eine Frauengruppe gegründet. Einmal die Woche sitzt sie mit bekannten und unbekannten Frauen zusammen. Sie tauschen sich über diese und jene Frauenthemen aus. Gesprächsstoff gibt es genug.
Höhlenhüterin oder Großwildjägerin?
Aber welche der beiden Frauen ist jetzt eigentlich eine „typische Frau“? Wo hat die „klassische“ Rollenverteilung, dass der Mann arbeiten respektive jagen geht, während die Frau die Höhle hütet und sich um Haushalt und Kinder kümmert, eigentlich ihren Ursprung? Darüber ist sich die Wissenschaft nicht ganz einig.
Während sich lange Jahre der Glaube hielt, dass die klassische Rollenverteilung einen urzeitlichen Ursprung hätte, zeigt die neuere Geschlechterforschung, dass Frauen in Frühzeiten durchaus als Bergarbeiterinnen, Werkzeugmacherinnen, Künstlerinnen und Großwildjägerinnen unterwegs waren. Archäologische Funde wie Werkzeuge, Grabbeigaben, bestimmte Verschleißerscheinungen an Knochen von Frauen sowie Höhlenmalereien, die jagende Frauen darstellen, weisen darauf hin. Die Geschlechterrollen haben sich also anscheinend erst später im Bürgertum herausgebildet.
Frauenrechte in Deutschland
Dank der Frauenbewegung schließlich wurden die Vorstellungen, was „Frau“ zu tun und zu lassen habe, kräftig durchgerüttelt. Und so durften Frauen in Deutschland seit 1900 endlich studieren – wenn auch nur an den beiden Universitäten Heidelberg und Freiburg. Wählen durften sie dann seit 1918. Ohne Erlaubnis ihres Ehemannes konnten sie sogar erst seit 1958 den Führerschein machen, und 1977 haben sie endlich die Erlaubnis bekommen, ohne Einwilligung ihres Gatten arbeiten zu gehen.
Dass auch Deutschland in Sachen Frauenrechte teilweise noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt auch, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 als Straftat behandelt wird. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sich ganz neue Frauenbilder etablieren. Solange füttert Anna fleißig Pastinaken-Brei, während Yvonne im Dienste der Gewinnsteigerung um die Erdkugel jettet.