Vierzehntes Kapitel.
»Wir befanden uns in einer sonderbaren Lage. Alle vier schleppten wir die Ketten am Bein und hatten blutwenig Aussicht, jemals wieder los zu kommen, und doch waren wir im Besitz eines Geheimnisses, das jedem von uns Wohnung in einem Palast verschafft hätte, nur konnten wir leider keinen Gebrauch davon machen. Während die herrlichsten Glücksgüter für uns bereit lagen und nur darauf warteten, von uns aufgehoben zu werden, wußten wir uns Puff und Tritt von dem jüngsten Laffen gefallen lassen, mußten Reis essen, Wasser trinken und harte Arbeit thun. Es fraß mir das Herz ab und hätte mich toll machen können; aber ich war immer ziemlich standhaft, und so bezwang ich mich und wartete auf eine günstige Gelegenheit.
»Endlich schien sie mir gekommen. Ich wurde von Agra nach Madras transportiert, und von da nach der Blair-Insel in den Andamanen. Dort waren nur wenige weiße Sträflinge, und da ich wich von Anfang an gut aufgeführt hatte, erhielt ich bald eine bevorzugte Stellung. Mir wurde eine Hütte in Hope-Town angewiesen und ich war so ziemlich mir selbst überlassen. Es ist ein elender, vom Fieber heimgesuchter Ort am Abhang des Mount Harriet. Wo das Stück Land aufhörte, das wir gelichtet hatten, hausten die wilden, eingeborenen Kannibalen, die bei der ersten besten Gelegenheit bereit waren, einen von ihren vergifteten Pfeilen auf uns abzuschießen. Wir waren bei den Erdarbeiten, Grabenleitungen, Yam-Pflanzungen und einem Dutzend anderer Dinge den Tag über hinreichend beschäftigt, aber am Abend hatten wir etwas Zeit für uns frei. Unter anderm lernte ich auch für den Doktor Arzeneien bereiten, und schnappte dies und jenes von seinen Kenntnissen auf. Dabei paßte ich immer auf eine Gelegenheit zur Flucht; allein die Insel ist viele hundert Meilen von jedem andern Land entfernt, und in jenen Meeren weht so gut wie gar kein Wind; da war's fast ein Ding der Unmöglichkeit, fortzukommen. »Der Arzt, Doktor Sommerton, war ein flotter, junger Bursche, und die andern Offiziere pflegten abends in seiner Wohnung zusammenzukommen und Karten zu spielen. Die Apotheke, in der ich meine Arzeneien bereitete, stieß an das Wohnzimmer; durch ein kleines Fenster sah man hinein. Oft, wenn mir einsam zu Mute war, löschte ich die Lampe in der Apotheke aus, und konnte dann das Gespräch hören und dem Kartenspiel, an dem kleinen Fenster stehend, zusehen. Das machte mir Vergnügen; denn ich spielte selbst gerne Karten. Die Spieler waren Major Scholto, Hauptmann Morstan und Leutnant Bromby Brown, die das Kommando über die eingeborenen Truppen hatten, ferner der Doktor selbst und zwei oder drei Gefängnisbeamte; eine sehr gemütliche, kleine Gesellschaft. Etwas fiel mir aber dabei auf: nämlich die Offiziere verloren immer und die Zivilisten gewannen. Das soll durchaus nicht heißen, daß irgend etwas Ungehöriges geschah; ich erwähne nur die Thatsache. Die alten Gefängnisinspektoren hatten, seit sie in den Andamanen waren, wenig anderes gethan, als Karten gespielt, und ›Uebung macht den Meister‹. Die andern aber spielten nur zum Zeitvertreib, und warfen ihre Karten gleichgültig hin, wie es gerade kam. Einen Abend nach dem andern standen die Offiziere als ärmere Leute vom Spieltisch auf und je ärmer sie wurden, desto begieriger waren sie auf das Spiel. Major Scholto erging es am schlimmsten. Er pflegte zuerst in Banknoten und Gold zu zahlen, aber bald stellte er Wechsel aus, und zwar auf große Summen. Manchmal gewann er eine Weile, wie um ihm Mut zu machen, und dann kehrte das Glück sich wieder mehr als je gegen ihn. Den ganzen Tag irrte er umher, finster wie eine Gewitterwolke und legte sich weit mehr aufs Trinken, als ihm gut war.
»Eines Abends verlor er noch mehr als sonst. Ich saß gerade in meiner Hütte, als er mit Hauptmann Morstan auf dem Wege nach ihrem Quartier daherkam. Die beiden waren Busenfreunde und unzertrennlich. Der Major schien ganz rasend über seine Verluste.
»›Es ist aus mit mir, Morstan,‹ sagte er. ›Ich muß den Abschied nehmen; ich bin zu Grunde gerichtet.‹
»›Unsinn, alter Kamerad,‹ sagte der andere, ihm auf die Schulter klopfend. ›Ich habe auch einen bösen Hieb bekommen, aber –‹
»Das war alles, was ich hören konnte; aber es ging mir im Kopf herum.
»Ein paar Tage später schlenderte Major Scholto an der Bucht entlang. Da nahm ich die Gelegenheit wahr, ihn anzureden.
»›Ich möchte Sie um Ihren Rat ersuchen, Herr Major,‹ sagte ich.
»›Was giebt's, Small?‹ fragte er, die Zigarre aus dem Munde nehmend. »›Ich wollte Sie etwas fragen, Herr Major. Wer ist wohl die richtige Person, an die ein versteckter Schatz übergeben werden sollte? Ich weiß, wo eine halbe Million verborgen liegt, und da ich selbst keinen Gebrauch davon machen kann, so dachte ich, es wäre eigentlich das beste, den Schatz der betreffenden Behörde zu übergeben; es wäre doch möglich, daß man mir meine Strafzeit dafür abkürzt.‹
»›Eine halbe Million, Small?‹ – stieß er mit offenem Munde hervor. Dabei sah er mich scharf an, ob das mein Ernst sein könnte.
»›Gewiß, Herr – die Juwelen und Perlen liegen da, bereit für jedermann. Das Merkwürdigste dabei ist noch, daß der wirkliche Eigentümer ausgewiesen und geächtet ist, und kein Besitzrecht mehr geltend machen kann, so daß der Schatz dem gehört, welcher zuerst kommt.‹
»›Der Regierung, Small, der Regierung,‹ stammelte er. Aber es wollte ihm schwer über die Lippen, und mir war's so gut wie gewiß, daß ich ihn in Händen hatte. »›Sie meinen also, Herr Major, daß ich dem General-Gouverneur Anzeige machen sollte?‹ sagte ich ganz ruhig.
»›Vor allem müßt Ihr's nicht übereilt thun, was Euch gereuen könnte, Small. Laßt mich erst das Nähere hören. Teilt mir den Sachverhalt mit.‹
»Ich erzählte ihm die ganze Geschichte mit kleinen Abänderungen, so daß er den Versteck nicht ausfindig machen konnte. Als ich fertig war, blieb er stockstill und stand in tiefen Gedanken da. Ich konnte am Zucken seiner Lippen sehen, wie es in ihm arbeitete.
»›Das ist eine sehr wichtige Sache, Small,‹ sagte er endlich. ›Ihr müßt nicht ein Wort davon gegen irgend jemand äußern; wir sprechen bald weiter davon.‹
»Zwei Abende nachher kamen er und sein Freund, Hauptmann Morstan, in der Stille der Nacht mit einer Laterne in meine Hütte.
»›Ich möchte, Small, daß Hauptmann Morstan hier die Geschichte aus Eurem eigenen Munde hörte,‹ sagte er.
»Ich wiederholte, was ich ihm berichtet hatte.
»›Mir klingt es nicht ganz unwahrscheinlich,‹ bemerkte er. ›Was meinst du, Morstan, soll man der Sache näher treten?‹
»Der Hauptmann nickte.
»›Hört einmal, Small,‹ sagte der Major, ›mein Freund hier und ich haben es miteinander besprochen und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß Euer Geheimnis die Regierung im Grunde gar nichts angeht, sondern Eure Privatangelegenheit ist, bei der Ihr natürlich das Recht habt, nach Eurem Ermessen zu handeln. Die Frage ist nun, welchen Preis Ihr dafür verlangen würdet. Wir wären nicht abgeneigt, uns mit der Sache zu befassen, wenn wir über die Bedingungen einig werden können.‹ Er bemühte sich in kühlem, gleichgültigem Ton zu sprechen, aber seine Augen glänzten vor Aufregung und Begierde.
»›Je nun, was das anbetrifft, meine Herren,‹ erwiderte ich, äußerlich ruhig, aber innerlich nicht weniger erregt als sie, ›es giebt nur einen Vertrag, den ein Mann in meiner Lage machen kann. Ich verlange von Ihnen, daß Sie uns zur Freiheit verhelfen, meinen drei Kameraden und mir. Dann werden wir Sie in unsern Bund aufnehmen und Ihnen ein Fünftel zusprechen, das Sie unter sich teilen können.
»›Hm!‹ sagte er. ›Ein Fünftel! Das ist nicht sehr verlockend.‹
»›Es würden fünfzigtausend Pfund auf jeden von Ihnen kommen.‹
»›Aber wie sollen wir Euch frei machen? Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, was Ihr verlangt.‹
»›Ganz und gar nicht,‹ erwiderte ich. ›Ich habe es mir bis auf die kleinsten Einzelheiten ausgedacht. Das einzige Hindernis unserer Flucht ist, daß wir kein passendes Boot für die Reise erlangen können und keinen Mundvorrat, der lange genug ausreicht. In Kalkutta oder Madras giebt es kleine Segelboote und Schaluppen in Menge, die sehr gut für unsern Zweck passen würden. Schaffen Sie uns ein Fahrzeug, wie wir es brauchen, hierher; lassen Sie uns bei Nacht an Bord gehen und setzen Sie uns irgendwo an der indischen Küste ab. Dann ist Ihr Teil des Vertrags erfüllt.‹
»›Wenn es sich nur um einen handelte –‹ sagte er.
»›Keiner oder alle,‹ antwortete ich. ›Wir haben's geschworen. Wir vier müssen immer zusammenhandeln.‹
»›Du siehst, Morstan,‹ sagte er, ›Small ist ein Mann von Wort. Er läßt nicht von seinen Freunden. Ich denke, wir können ihm trauen.‹
»›Es ist ein unsauberes Geschäft,‹ erwiderte der andere, ›aber du hast ganz recht, das Geld kommt uns sehr gelegen, um unser Offizierspatent zu retten.‹
»›Nun gut, Small,‹ sagte der Major, ›wir wollen Euch so viel wie möglich entgegenkommen. Vor allem müssen wir aber natürlich die Wahrheit Eurer Geschichte prüfen. Sagt mir, wo der Kasten versteckt ist, ich werde Urlaub nehmen und bei der nächsten monatlichen Ablösung nach Indien hinüberfahren, um die Sache zu untersuchen.‹
»›Nicht so schnell,‹ versetzte ich und wurde kühler, je mehr er sich erhitzte. ›Ich muß erst die Zustimmung meiner drei Kameraden haben. Ich sage Ihnen, daß es bei uns heißt: vier oder keiner.‹
»›Unsinn,‹ platzte er heraus. ›Was haben die drei schwarzen Kerle mit unserem Uebereinkommen zu thun?‹
»›Schwarz oder weiß,‹ sagte ich, ›sie gehören zu mir und wir halten fest zusammen.‹
»Kurz und gut, es kam zu einer zweiten Zusammenkunft, bei welcher Mahomet Singh, Abdullah Khan und Dost Akbar alle zugegen waren. Die ganze Sache wurde nochmals durchgesprochen und schließlich gelangten wir zu einem Einverständnis. Jeder der beiden Offiziere sollte einen Plan der Festung erhalten, in welcher der Platz in der Mauer bezeichnet war, wo der Schatz verborgen lag. Major Scholto sollte nach Indien gehen, um unsere Angaben zu prüfen, den Kasten aber an Ort und Stelle lassen. Nachdem er dann eine kleine Schaluppe mit dem nötigen Reisebedarf versehen hatte, sollte er sie nach der Rutland-Insel schicken, wo wir an Bord gehen würden. Er selbst sollte hierauf wieder seinen Dienst antreten, Hauptmann Morstan dagegen um Urlaub bitten. Mit ihm wollten wir in Agra zusammentreffen, die schließliche Teilung des Schatzes vornehmen und ihm des Majors Anteil zugleich mit dem seinigen übergeben. Alles dieses besiegelten wir mit den feierlichsten Schwüren, die der Menschengeist erdenken und die Lippen aussprechen können. Ich saß die ganze Nacht auf, mit Tinte und Papier, und als es tagte, hatte ich zwei Pläne fertig, unterschrieben mit dem Zeichen der Vier und Abdullahs, Akbars, Mahomets und meinem Namen.
»Aber meine lange Geschichte ermüdet Sie gewiß, meine Herren, und Sie brennen darauf, mich sicher hinter Schloß und Riegel zu haben. Ich will's so kurz machen, wie ich kann. Der Schurke Scholto machte sich nach Indien auf, kam aber niemals zurück. Hauptmann Morstan zeigte mir sehr bald nachher seinen Namen auf der Passagierliste eines Postdampfers. Sein Onkel war gestorben und hatte ihm ein Vermögen hinterlassen; trotzdem konnte er so niederträchtig sein, fünf Männer auf schändliche Weise zu betrügen. Morstan ging kurz darauf nach Agra und fand, wie wir erwarteten, daß der Schatz wirklich fort war. Der Spitzbube hatte alles gestohlen, ohne eine einzige der Bedingungen zu erfüllen, unter welchen wir ihm das Geheimnis anvertraut hatten. – Von dem Tage an lebte ich nur noch um Rache zu nehmen. Ich dachte daran bei Tage und zehrte davon bei Nacht. Es wurde bei mir zu einer Leidenschaft, die alles andere überwältigte und verschlang. Ich fragte nichts nach dem Gesetz, nichts nach dem Galgen. Mein einziger Gedanke war zu entkommen, Scholto aufzuspüren, die Hand an seiner Kehle zu haben. Selbst der Agra-Schatz trat bei mir in den Hintergrund gegen den Durst, mich an Scholto zu rächen. Was ich mir im Leben vornehme, habe ich noch immer durchgesetzt. Aber diesmal vergingen mühselige Jahre, ehe meine Zeit kam. Ich habe vorhin erwähnt, daß ich einige medizinische Kenntnisse gesammelt habe. Eines Tages nun, als Doktor Sommerton gerade am Fieber darnieder lag, fanden Sträflinge einen kleinen, eingeborenen Andamanen im Walde liegen, der todkrank war und sich nach einem einsamen Platz geschleppt hatte, um zu sterben. Er war zwar giftig wie eine junge Schlange, aber ich machte mich doch ans Werk, und nach ein paar Monaten hatte ich ihn richtig wieder auf die Beine gebracht. Seitdem faßte er eine Art Zuneigung zu mir; er wollte nicht in seine Wälder zurück, sondern lungerte immer um meine Hütte herum. Ich hatte etwas von seinem Kauderwälsch gelernt und das machte mich ihm nur um so lieber.
Tonga, – so hieß er – war ein tüchtiger Ruderer und besaß ein eigenes, großes Kanoe. Als ich sah, daß er mir ergeben war, und alles thun würde mir zu dienen, schien mir die Gelegenheit zur Flucht gekommen. Ich verabredete alles mit ihm. In einer bestimmten Nacht sollte er sein Boot an eine alte Werft bringen, die längst nicht mehr bewacht wurde, und mich dort aufnehmen. Auch trug ich ihm auf, mehrere Kürbisflaschen mit Wasser, eine gute Menge Yams, Kokosnüsse und süße Kartoffeln einzuladen. Der kleine Tonga war zuverlässig und treu. Einen ergebeneren Genossen hat kein Mensch je gehabt. Er traf zur bestimmten Zeit mit seinem Boot ein und ehe eine Stunde verging, waren wir weit draußen im Meer. Tonga hatte seine ganze irdische Habe mitgenommen, seine Waffen und seine Götzen, Aus dem langen Spieß von Bambusrohr, den er bei sich führte, und seinen Kokosnußmatten verfertigte ich eine Art Segel. Zehn Tage schwammen wir aufs Geratewohl umher; am elften Tage endlich war uns das Glück günstig. Wir wurden von einem Handelsschiff aufgenommen, das mit einer Ladung malayischer Pilger von Singapore nach Jiddah fuhr. Es war eine wunderliche Gesellschaft und wir fanden uns bald unter ihnen zurecht, Tonga und ich. Eine sehr gute Eigenschaft hatten sie: Sie ließen uns zufrieden und stellten keine Fragen.
»Wenn ich Ihnen alle Abenteuer erzählen sollte, die mein kleiner Kamerad und ich durchgemacht haben, so würden Sie mir's nicht danken, denn ich würde kein Ende finden, bis die Sonne wieder aufgeht. Wir schweiften weit in der Welt umher; immer kam etwas dazwischen, was uns hinderte, London zu erreichen. Die ganze Zeit über habe ich aber meinen Zweck nie aus den Augen verloren. In jeder Nacht träumte ich von Scholto. Wohl hundertmal habe ich ihn im Schlaf umgebracht. Endlich, vor etwa drei bis vier Jahren, gelangten wir nach England. Ich fand Scholtos Aufenthaltsort ohne große Schwierigkeit und machte mich sogleich daran, zu entdecken, ob er den Schatz zu Gelde gemacht hätte oder nicht. Ich befreundete mich mit einem Manne, der mir helfen konnte – seinen Namen nenne ich nicht, denn ich will niemand ins Unglück bringen. Von ihm erfuhr ich, daß Scholto die Juwelen noch hatte, und versuchte nun auf mancherlei Weise in des Majors Nähe zu gelangen; aber er war schlau und hielt immer zwei Boxer zu seiner Bewachung, außer seinen beiden Söhnen und dem indischen Diener.
»Eines Tages aber wurde mir gemeldet, daß er im Sterben läge. Sogleich eilte ich nach dem Garten in der Hoffnung, doch noch Vergeltung an ihm üben zu können. Ich schlich mich ans Fenster und sah ihn auf dem Bette liegen, neben dem seine beiden Söhne standen. Schon wollte ich in das Zimmer einsteigen und es mit allen Dreien aufnehmen, als ich sah, wie seine Kinnlade herunterfiel; nun wußte ich, daß es aus mit ihm war. Noch in derselben Nacht drang ich jedoch in sein Zimmer und durchsuchte seine Papiere, um irgend einen Nachweis zu finden, wo er den Schatz verborgen habe. Aber alles Forschen war umsonst und voll Haß und Bitterkeit im Herzen ging ich wieder davon. Vorher aber schrieb ich noch das Zeichen der Vier auf ein Blatt, wie es auf dem Plan gewesen war und steckte es ihm an die Brust, damit er es mit ins Grab nehmen sollte, dies Zeichen der vier Männer, die er bestohlen und betrogen hatte.
»Eine Zeit lang gewannen wir unsern Unterhalt dadurch, daß ich den armen kleinen Tonga auf Messen und in Schaubuden als schwarzen Kannibalen sehen ließ. Er pflegte rohes Fleisch zu essen und tanzte seinen Kriegstanz. So hatten wir immer einen Hut voll Kupferstücke nach jeder Tagesarbeit. Was sich unterdessen in Pondicherry-Lodge zutrug, wurde mir getreulich berichtet. Ein paar Jahre lang geschah nichts Neues, außer, daß überall nach dem Schatz gesucht wurde. Endlich aber kam die Nachricht, auf die ich so lange gewartet hatte. Der Schatz war gefunden. Er war im Giebel des Hauses, im chemischen Laboratorium des Herrn Bartholomäus Scholto. Aber wie sollte ich mit meinem hölzernen Bein da hinaufkommen? Es schien unmöglich, bis ich von einer Fallthür im Dach hörte und zugleich erfuhr, um welche Stunde Bartholomäus Scholto zur Nacht speiste. Da konnte mir Tonga behülflich sein. Er mußte sich einen langen Strick um den Leib winden und da er klettern konnte wie eine Katze, war für ihn der Weg über das Dach eine Leichtigkeit. Herr Scholto war aber leider noch in dem Zimmer – zu seinem Unheil. Tonga dachte, er hätte etwas Kluges gethan, daß er seinen Bolzen auf ihn abschoß; denn als ich am Seil emporkam, fand ich ihn wie einen Pfau umherstolzieren. Er war auch höchlich verwundert, als ich mit dem Tauende über ihn herfiel und grimmig auf den kleinen, blutdürstigen Kobold fluchte. Ich ließ nun zuerst den Juwelenkasten am Seil hinunter und glitt dann selbst hinab, nachdem ich das Zeichen der Vier auf den Tisch gelegt zum Beweis, daß die Juwelen endlich in die Hände ihrer rechtmäßigen Besitzer zurückgelangt seien. Tonga zog den Strick wieder in die Höhe, verschloß das Fenster und machte sich auf demselben Wege davon, den er gekommen war.
»Wie es uns weiter erging, wissen Sie bereits. Ich hatte die Bootsleute über die Geschwindigkeit von Smiths Dampfboot ›Aurora‹ sprechen hören und dachte, dies Fahrzeug bei unserer Flucht zu benützen. Dem alten Smith versprach ich eine ansehnliche Summe, wenn er uns sicher zu unserem Schiff brachte; von dem Geheimnis erfuhr er jedoch nichts. Ich erzähle Ihnen das alles, meine Herren, nicht zu Ihrer Kurzweil – denn Sie verdienen meinen Dank nicht – sondern damit die ganze Welt erfährt, wie schlecht Major Scholto uns mitgespielt hat und wie unschuldig ich an dem Tode seines Sohnes bin.«
»Ein sehr merkwürdiger Bericht,« sagte Sherlock Holmes. »Also ihr hattet ein eigenes Seil mitgebracht? Das wußte ich nicht. – Sagt mir nur, wie es kam, daß Tonga noch einen Bolzen aus dem Boot nach uns hat schießen können; ich hoffte doch, er hätte sie alle verloren.«
»Freilich, Herr, alle bis auf einen, der gerade in seinem Blasrohr steckte.«
»Aha, natürlich,« rief mein Gefährte, »daran hatte ich nicht gedacht.«
Jetzt wurde Athelney Jones ungeduldig. »Ich habe Ihnen den Willen gethan, Holmes,« sagte er, »es ist aber hohe Zeit, daß wir unsern Erzähler in sicheres Gewahrsam bringen. Die Droschke wartet noch, und unten sind zwei Polizisten. Vielen Dank für Ihren Beistand. Natürlich werden Sie beide im Verhör zugegen sein müssen. Einstweilen gute Nacht.«
»Gute Nacht, meine Herren,« sagte Jonathan Small.
»Geht nur voraus, Small, daß ich Euch im Auge behalten kann.« Das waren die letzten Worte des vorsichtigen Jones, als sie das Zimmer verließen.