Wahlkampf in Weißrussland - Der Widerstand gegen Lukaschenko wächst
Der weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko will eine weitere Amtszeit. Noch vor Ablauf der Frist für die Unterschriftensammlungen der Kandidaten wurden die zwei wichtigsten Herausforderer, die ihm diese Mal vielleicht wirklich gefährlich geworden wären, festgesetzt. Dagegen regt sich Protest.
Solidarität für Viktor Babariko. Einen Tag vor Ende der Unterschriftensammlung war er verhaftet worden. Gerade hatte er den neuesten Stand vermeldet: 435.000 Unterschriften. Seitdem sitzt der ehemalige Bankdirektor im KGB-Untersuchungsgefängnis in Minsk. Ebenso sein Sohn, der Babarikos Wahlkampf leitete. Tage zuvor waren rund 20 Personen ihres Teams festgenommen worden.
Weißrussland in der Coronakrise – Lukaschenkos Macht erodiert
Weißrusslands Präsident Lukaschenko spielt in der Coronakrise den starken Mann. Quarantäne mussten sich die Bürger selbst auferlegen. Doch dieses Gebaren lässt vor der Wahl die Zustimmung sinken. Es zeichnet sich ab: Das Volk will den Wandel.
Babariko machte sich große Sorgen. „Ich habe nicht erwartet, dass sie gegen meine Freunde vorgehen, deren Schuld lediglich darin besteht, dass sie mich kennen. Das ist für mich der größte Schock überhaupt.“
Der seit 26 Jahren amtierende Lukaschenko, der in der Coronakrise keine gute Figur macht, ordnete das Vorgehen gegen seinen ärgsten Herausforderer an, als die Nachrichten noch 365.000 Unterschriften für ihn als Präsidenten, aber 70.000 mehr für Babariko meldeten. Von einem Tag auf den anderen sprang die Zahl der Unterschriften für Lukaschenko auf zwei Millionen, bei neun Millionen Einwohnern im Land.
Proteste und Razzia
In der Hauptstadt Minsk und anderen Städten, auch in Berlin, protestierten am Wochenende stundenlang bis tief in die Nacht Menschen, die auf den Straßen langen Ketten bildeten. Der Verhaftung ging eine Razzia in der Belgazprombank voraus, wo Babariko bis zu seiner Kandidatur zwanzig Jahre lang Direktor war. Unter dem beschlagnahmten Material befanden sich 150 Kunstwerke, eine ganze Galerie wurde leergeräumt. Deswegen tragen jetzt viele Babariko-Anhänger T-Shirts mit einem aufgedruckten Frauenporträt – der „Eva“ von Haim Sutin.
Es ist eines der Gemälde, die Babariko noch als Bankdirektor gekauft hat. Er ließ weißrussische Kunst in aller Welt aufspüren und brachte sie zurück in die Heimat, wo sie erstmals zu sehen waren. In der Belarus Art Galerie. Kurator Alexander Simenko erklärt den Wert der einzigartigen Sammlung.
„Werke von Chagall gab es bislang in Weißrussland nicht. Ebenso wenig welche von Haim Sutin. Ossip Zadkine, Wankowitsch, Bakst und viele andere wurden bei uns zum allerersten Mal überhaupt in Weißrussland ausgestellt. In den staatlichen Einrichtungen wurden sie noch nie gezeigt. Die Belgazprombank kauft seit neun Jahren Werke in den führenden Auktionshäusern: Sotheby's, Christies, MacDougall, auch von Galerien und Privatpersonen, die etwas Interessantes anzubieten haben.“
Bankdirektor Babariko hat damit nicht nur das Kapital des Geldhauses erhöht, er machte vor allem seinem Land ein wertvolles Geschenk. Dass weißrussische Künstler weltberühmt sind, war vielen Landsleuten bis dahin nicht bewusst. Entsprechend groß fiel ihre Unterstützung für ihn aus. Aber auch für den Blogger Sergej Tichanowskij standen viele Schlange bei der Unterschriftensammlung. 100.000 brauchte jeder Kandidat, um bei der Wahl am 9. August antreten zu können.
Aus dem Verkehr gezogen
Blogger Tichanowkij wurde noch früher als Babariko aus dem Verkehr gezogen. Er hatte in seinem Videokanal dem Volk eine Stimme gegeben, Personen aus den Regionen erzählen lassen, wo sie der Schuh drückt. So entstand ein Bild ihres Landes, das sie – anders als in den staatlichen Medien – wiedererkannten. Tichanowskij wurde schon Ende Mai verhaftet. Seine Frau Swetlana setzte seinen Kampf fort. Es folgten Einschüchterungen und Drohungen.
„Ich habe einen Anruf von der Administration bekommen, der eine Drohung war. Gegen mich und an die Adresse meiner Kinder. Ich solle mit der Unterschriftensammlung aufhören. Ich stehe jetzt vor der Wahl: meine Kinder oder weiterkämpfen. Ich denke, es ist klar, wie ich mich entscheide. Ich bitte um Verständnis. Wenn Sergej frei wäre, würde er Ihnen sagen: Gebt nicht auf.“
Bei den fünf Wahlen bisher ist keiner der Kandidaten der jahrelang geknebelten Opposition Lukaschenko wirklich gefährlich geworden, jetzt sitzen die zwei wichtigsten hinter Gittern. Babariko hat mit seiner Bank, die mit der russischen Gazprom-Bank verbunden ist, schon seit langem soziale Projekte und Kultur gefördert. Kunstinteressierte in der Belarus Art Gallery trauten vorige Woche ihren Augen nicht.
Anstelle von Gemälden – leere Wände. Nur noch gerahmte weiße Blätter mit einem QR-Code in der Mitte. Alexander Simenko, der Kurator der Galerie, machte aus der Not eine Tugend, wie viele in Corona-Zeiten. „Die Galerie ist immerhin noch virtuell geöffnet, mit QR Code und Audio-Guide kann man die Arbeiten sehen.“
Die Bilder erscheinen nur noch auf den Handys. Alle Kunstwerke der Bank, der Galerie und einige sogar in Witebsk, wo Marc Chagall geboren wurde, hat die Finanzaufsicht einkassiert. Babariko habe weißrussische Kunst ins Ausland verkaufen wollen. Dass er das Gegenteil tat – geschenkt. Mit diesem Lied hatten sich Babariko und sein Sohn immer Mut gemacht, der Wahlkampf dürfte für sie vorbei sein.