tagesthemen 14.10.2021, 22:15 Uhr - Einspruch gegen Berliner Wahlergebnis: Landeswahlleitung stellt bedenkliche Unregelm
Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den tagesthemen.
Diese Sendung wurde vom NDR live untertitelt (14.10.2021)
Heute im Studio: Ingo Zamperoni
Guten Abend.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Das wissen die Bewohner unserer Hauptstadt am besten.
Stichwort: Flughafen BER.
Oder die Pannenserie am Tag der Bundestagswahl.
Da wurde in Berlin auch ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.
Diese Serie trug nicht gerade zur Image-Korrektur bei.
Doch neben der Häme etwa über fehlende oder vertauschte Wahlzettel
oder Warteschlangen an Wahllokalen steht ein Fragezeichen im Raum.
Die Landeswahlleitung stellte bedenkliche Unregelmäßigkeiten fest.
Sie will in zwei Wahlkreisen Einspruch
beim Berliner Verfassungsgerichtshof einlegen.
Nur ein kleines juristisches Nachspiel?
Oder muss die gesamte Wahl dort wiederholt werden?
Robert Holm.
Sie hat viele Papiere vor sich:
Die noch-Landeswahlleiterin in Berlin.
Viele Zahlen - viele davon schlecht.
Wir haben eine Summe von 1608 falsch ausgegebenen Stimmzetteln.
In 56 Wahllokalen wurden teils
keine Erst- oder Zweitstimmzettel für die Wahl ausgegeben.
Für 22 Wahllokale ist nicht bekannt,
wann sie geschlossen und wieder geöffnet wurden.
Ihr letzter Auftritt als Landeswahlleiterin.
Sie wird zurücktreten.
Heute wird wieder klar, warum.
Bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 sind Unregelmäßigkeiten
in 207 Wahllokalen aufgetreten.
Wenn ich sage 207, dann ist es eine Zahl,
die uns alle erschreckt und ärgert.
207 Wahllokale mit Pannen.
Bleiben über 2000 Wahllokale ohne Pannen, relativiert sie noch.
Doch es ist zu spät.
Die Schlangen wartender Menschen. Volle Flure, fehlende Wahlzettel.
Diese Bilder bleiben.
Zu den Gründen dafür heute nicht viel Neues.
Mehrere Wahlen auf einmal,
überforderte Wahlhelfer, Lieferprobleme mit Wahlzetteln.
In zwei Bezirken könnte es sogar Neuwahlen geben.
In Marzahn-Hellersdorf und Schalottenburg-Wilmersdorf
war das Ergebnis zwischen den Direktkandidaten besonders knapp.
Zu knapp angesichts der Pannen.
findet die Landeswahlleiterin und kündigt Einspruch gegen ihre Wahl an.
Durch das enge Ergebnis
in Verbindung mit falsch ausgegebenen Stimmzetteln.
Oder Schließung von Wahllokalen.
Wir sind zu dem Schluss gekommen,
dass mandatsrelevante Fehler passiert sein könnten.
An den Mehrheitsverhältnissen im Abgeordnetenhaus
würde sich durch Neuwahlen nichts ändern.
Dennoch formiert sich Protest:
Die AfD und Die Partei wollen die Wahl anfechten.
Wir fechten an, dass es strukturelle Unzulänglichkeiten gab,
die eines Rechtsstaats nicht würdig sind.
Für Petra Michaelis ist es nach elf Jahren heute der letzte Tag.
Mit dieser Pannenbilanz auch einer der schlechtesten.
Über den Einspruch gegen die Wahlpannen in Berlin
sprach ich mit Timm Beichelt von der Europa-Universität Viadrina.
Guten Abend, Herr Beichelt. Guten Abend.
Sie waren als Wahlbeobachter in Russland oder der Ukraine aktiv.
Wenn Sie auf Berlin schauen: Was wäre Ihr Urteil?
Die Wahlen hatten Pannen.
Die sind bekannt.
Der Unterschied zu Russland und der Ukraine besteht darin,
dass es eine Aufarbeitung gibt.
Und dass 'ne Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof
unvoreingenommen möglich sein wird.
War es nicht ein wenig vermessen, drei Wahlen und einen Volksentscheid
an einem Tag zu veranstalten, an dem auch noch ein Marathon ist?
Ja, im Nachhinein ist man immer schlauer.
Als Politologe würde ich sagen, es ist schön,
wenn Wahlen eine hohe Wahlbeteiligung haben.
Das erreicht man damit, dass Wahlen zusammengelegt werden.
Das war bestimmt eines der Kalküle, das dazu geführt hat,
alles zusammen stattfinden zu lassen.
Nun ist die Rede von zwei Wahlkreisen,
die problematisch sind.
Würden Sie sagen,
das gehört zum Klischee der Pannenhauptstadt Berlin dazu?
Oder ist es ein ernsthaftes Problem?
Ich habe heute Morgen mal spaßeshalber nachgeschaut:
Bis Weihnachten ungefähr kriegt man in Berlin
keinen Personalausweis oder Pass ausgestellt.
Insofern passt das ins Bild.
Aber es hat hier eine andere Dimension.
Dazu hat das die Landeswahlleiterin bei den zwei Wahlkreisen eingeräumt,
wo der Verfassungsgerichtshof sowieso drauf schauen werden muss.
Es gibt aber auch mindestens noch zwei weitere,
in denen dann zusätzliche Probleme auftauchen würden.
Das lässt sich in den Unterlagen der Landeswahlleiterin ablesen.
Müsste man dann nicht Neuwahlen ansetzen,
um diese Zweifel in weiteren Wahlkreisen auszuräumen?
Ja, das ist nur noch 'ne Abwägungssache.
Man kann sicher so argumentieren.
Und das neue Parlament hätte da nicht das Problem,
dass einige Abgeordnete nachgewählt würden.
Andererseits hat man die hohe Wahlbeteiligung.
Es sind Kosten.
Es ist ein allgemeiner Zweifel in die Funktionsfähigkeit
der Demokratie, der aufkommt, wenn Wahlen wiederholt werden.
Diese Dinge müssen abgewogen werden gegeneinander.
Da kann man im Nachhinein nur sagen:
Man hätte aufpassen müssen, dass diese Probleme nicht eintreten.
Sind diese Probleme ein Versagen der Berliner Verwaltung?
Oder liegt die Verantwortung da bei der Berliner Regierung?
Die schieben sich die Bälle gut zu.
Die Probleme sind auf Bezirksebene aufgetreten.
Die sind für die Wahllokale im Einzelnen zuständig.
Wenn das nicht klappt, kann da kein Innensenator was dafür.
Aber der Innensenator, der Senator für Inneres und Sport,
hat zugelassen, dass ein Marathon am selben Tag stattfindet.
Das ist schon mal eine Verantwortung.
Die Landeswahlleiterin hat die Verantwortung übernommen.
Aber auch sie spricht von vermeintlichen Fehlern.
Sie war heute stolz,
dass in über 2000 Wahlkreisen alles gut abgelaufen ist.
Ich würde mir etwas mehr Demut wünschen.
Es ist nun mal ein Riesenproblem entstanden.
Und die Berliner Regierung, die das Ganze mitverantwortet,
will so weitermachen, wie heute bekannt geworden ist.
Ist das ein Problem?
Oder ist das der richtige Weg?
Das sind zwei parallel laufende Dinge.
Es hat fast was Realsatirisches.
Dieselben Parteien, die dafür irgendwo verantwortlich sind,
dass die Stadt so schlecht regiert ist, sagen heute:
"Wir machen weiter. Er soll alles anders werden."
Und parallel muss die Landeswahlleiterin zugeben,
dass mindestens in zwei Wahlkreisen nachgewählt wird.
Das ist eine seltsame Konstellation.
Vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Gerne.
Das Motiv ist am Tag danach weiter unklar.
Aber die Ermittler
stufen die erschütternde Tat als Terrorakt ein.
Möglicherweise mit islamistischem Hintergrund.
Ein Mann schoss gestern Abend mitten im Zentrum von Kongsberg,
südlich von Oslo, mit Pfeil und Bogen um sich.
Er tötete fünf Menschen.
Der tatverdächtige 37-jährige Däne war der Polizei offenbar bekannt
und hatte sich möglicherweise als konvertierter Muslim radikalisiert.
Einzelheiten von Andreas Hilmer.
Die sonst so idyllische Ortschaft Kongsberg am Abend.
Trauer über eine Tat, die sich keiner erklären kann.
Gestern der Mordanschlag auf wehrlose Bürger.
Ein Mann schoss mit Pfeil und Bogen auf Anwohner.
Vier Frauen und ein Mann starben, drei weitere wurden verletzt.
In einem gutbürgerlichen Ort ohne größere Probleme.
Die Anwohner sind verstört.
Ich hörte etwas wie einen Schuss.
Oder etwas, was einem Schuss ähnlich war.
Das kann doch nicht sein, dachte ich.
Wir dachten sofort an unseren Enkel, er war ganz in der Nähe des Tatorts,
vielleicht 60 oder 70 Meter entfernt.
Ich war in der Nähe und hörte Warnschüsse der Polizei.
Das machte mir Angst.
Dann sah ich diese Pfeile, den Schützen sah ich nicht.
Nur seine Pfeile.
Ein Anschlag aus heiterem Himmel.
Es ist eine Tat nicht ohne Vorgeschichte.
Laut Polizei war der Täter aktenkundig,
sei zum Islam konvertiert, psychisch auffällig und vorbestraft.
Die Polizei befürchtete, dass er sich radikalisiert habe,
hatte 2020 sogar Kontakt, aber keinen Grund einzugreifen.
Experten halten es trotz solcher Anzeichen für schwierig,
in einer offenen Gesellschaft Anschläge ganz zu verhindern.
Psychologische Probleme plus Pfeil und Bogen als Waffe
kann die Polizei nur schwer als Gefahr erkennen.
Wir müssen uns wohl damit abfinden,
mit einem gewissen Maß an Risiko zu leben.
Die nehmen zu, wenn in Gesellschaften
Polarisierung, Radikalisierung Misstrauen und Wut zunehmen.
Bei der als Terror eingestuften Tat
sucht die Polizei weiter nach einem Motiv.
Das Ganze sieht zwar aus wie ein Terrorakt,
aber wir wissen nicht, was genau die Motivation des Täters ist.
Pfeil und Bogen kann jeder besitzen.
Und die Polizei im Land ist normalerweise unbewaffnet.
Das wurde heute vorübergehend geändert.
In der norwegischen Kleinstadt
müssen die Bürger erst den Schock überwinden.
Sie waren wachsam
und dennoch passierte ein Anschlag aus ihrer Mitte.
Sophie Donges in Stockholm.
Es gibt jetzt erst mal ein psychiatrisches Gutachten.
Gleichzeitig ist die Rede von einem Terrorhintergrund.
Wie begründen die Ermittler das?
Das Gutachten benötigen sie nicht nur,
um die Schuldfähigkeit festzustellen.
Sondern auch, um ein Motiv zu erkennen.
Was den terroristischen Hintergrund betrifft:
Der Sicherheitsdienst gab heute eine Pressekonferenz.
Dort wurde erläutert, wie es zu der Einschätzung kam.
Es handelt sich um einen Einzeltäter,
der mit einer einfachen Waffe wahllos Menschen tötete.
Dass seien Kennzeichen für einen Terrorakt.
Es sei bekannt, dass der Mann sich radikalisiert habe.
Er sei zum Islam konvertiert.
Medien berichten von mehreren Videos des Täters,
in denen er eine Handlung ankündigte.
Die Echtheit konnte noch nicht bestätigt werden,
es sei aber wahrscheinlich,
dass es sich bei den Videos um den Verdächtigen handelt.
Diesen Sommer erst gedachten die Norweger
der Opfer des Terroranschlags auf der Insel Utoya vor zehn Jahren.
Werden da Parallelen gezogen?
Diese Bilder der Anschläge hatten die Menschen wieder im Kopf.
Das ist eine präsente Tat, auch heute, zehn Jahre danach.
Auch der neue Ministerpräsident sagte,
es sei schwer, keine Parallelen zu ziehen.
Es müsse geklärt werden, wie es zu dieser Tat kommen konnte.
Die Ermittler kannten den Täter.
Warum schritt niemand ein?
Es ist aber noch zu früh, darüber zu reden.
Gerade heute fand der Regierungswechsel statt.
Die konservative Regierungspräsidentin gab ihr Amt ab
an den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten.
Er fährt morgen an seinen ersten Tag nach Kongsberg,
um sich einen Eindruck von der Lage zu machen.
Vielen Dank, Sophie Donges in Stockholm.
Diese zehn Menschen sind dem rechtsterroristischen NSU
zwischen 2000 und 2007 zum Opfer gefallen.
Doch es hat lange gedauert, bis Sicherheitsbehörden erkannten,
dass es sich um eine Mordserie handelte.
Mit Tätern aus der rechtsextremistischen Szene.
Aus ihr zogen sie die Motivation für ihr tödliches Treiben.
2011, vor einem Jahrzehnt, flog das NSU-Trio dann auf.
Doch der Terror von Rechts gehört nicht der Vergangenheit an.
Michael Stempfle.
Eisenach vor knapp zehn Jahren.
In einem Wohnwagen fallen Schüsse, Feuer bricht aus.
Die Polizei findet die Leichen
der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Beate Zschäpe lässt kurz darauf die gemeinsame Wohnung des Mordtrios
in Zwickau in die Luft gehen, um Spuren zu vernichten.
Der Nationalsozialistische Untergrund ist enttarnt.
September 2000.
Das erste von zehn Mordopfern: der Blumenhändler Enver Simsek.
Die Täter strecken ihn mit acht Schüssen nieder.
Warum ihn?
Für die Familie bleibt bis heute viel ungeklärt.
Wir als Opferfamilien haben die gleichen Fragen:
Wir wissen nicht, warum unsere Väter sterben mussten.
War das Zufall?
Gab es Mithelfer? Gab es keine Mithelfer?
Dabei hatte die Kanzlerin Aufklärung versprochen.
Bei der Gedenkveranstaltung 2012 äußert Simseks Tochter die Hoffnung,
dass weitere rechtsextremistische Morde verhindert werden könnten.
Ich habe meinen Vater verloren,
wir haben unsere Familienangehörigen verloren.
Lasst uns verhindern, dass das auch anderen Familien passiert.
Der Staat reagiert.
Der Verfassungsschutz, der als Frühwarnsystem versagt hat,
bekommt einen neuen Chef, Hans-Georg Maaßen.
Dessen Schwerpunkt wird aber nicht der Kampf gegen Rechtsextremismus,
sondern gegen Islamismus.
Experte Matthias Quent warnt vor zu hohen Erwartungen:
Rechtsextremistische Täter sind vorab oft nicht erkennbar.
Oft gelingt das nicht, weil im Rechtsextremismus,
anders als im Islamismus, das Tätertyp-Spektrum zu groß ist.
Es sind auch Beamte, die Brandanschläge begehen,
es sind Rentnerinnen, die Anschläge begehen, bei denen Menschen sterben.
Tatsächlich können die Behörden
weitere rechtsextremistische Anschläge nicht verhindern.
Wie etwa Anfang 2020, in Hanau.
Für die Angehörigen der NSU-Opfer kehrt das Trauma zurück.
In Hanau hab ich mein Abitur gemacht.
Ich kenne die Gegend, wo das Attentat passiert ist.
Es hätte mich treffen können.
Damals hatte der Verfassungsschutz wieder einen neuen Präsidenten:
Thomas Haldenwang.
Vorrang habe jetzt die Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Zukünftig werden wir nicht nur
über die Gefahren von Rechtsterrorismus reden.
Wir werden handeln und gegen die Szene vorgehen.
Opferfamilien sollen Vertrauen in die Sicherheitsbehörden haben.
Jedoch tauchen bei der Polizei
immer wieder rechtsextremistische Chats auf.
Die Opfer-Anwältin Basay-Yildiz fordert rigorosere Maßnahmen.
Wer ein Problem
mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat:
Der darf kein Polizist und kein Beamter sein.
Wenn man das nicht mit Nachdruck und Härte verfolgt,
geht viel Vertrauen in die Behörden verloren.
So geht es auch Semiya Simsek.
Mit dem Mord an ihrem Vater kann sie nicht abschließen.
Dazu hat Monika Wagner vom WDR folgende Meinung:
Als 2011 der NSU aufflog und das Unfassbare zutage trat,
schien die Republik stillzustehen.
Nie wieder sollte sich so etwas wiederholen
und Rechtsextreme so skrupellos morden können.
Nie wieder dürften Sicherheitsbehörden
so lange im Dunkeln tappen und wegsehen.
Das hat man den Angehörigen versprochen.
Einiges hat sich getan.
Die Bundesanwaltschaft zieht Ermittlungen schneller an sich.
Polizei und Verfassungsschutz haben aufgerüstet.
Wenn auch entscheidend erst nach dem Mord an Walter Lübcke.
Könnten die Angehörigen der NSU-Opfer nicht aufatmen?
Nein.
Denn sie mussten zusehen, wie die Bedrohung nie verschwand.
Immer mehr rechtsextreme Gruppen fliegen auf.
Die Gruppe Freital, Revolution Chemnitz ...
Sie mussten die Anschläge von Hanau und Halle miterleben.
Es gab Drohbriefe von einem NSU 2.0.
In rechtsextremen Kreisen
scheint man sich eher ermutigt zu fühlen.
Vielleicht weil das Umfeld der Unterstützer nie ganz aufflog.
Helfer des Mordtrios kamen mit recht milden Urteilen davon.
Es mag aber auch an einer gefühlten Ermutigung der Täter
durch Chatgruppen liegen, in denen Hass verbreitet wird.
Sogar von Polizisten und Politikern.
Zehn Jahre nach den Morden des NSU ist klar:
Die Gefahr wächst beständig.
Nur wenn noch entschiedener dagegen vorgegangen wird,
können die Angehörigen vielleicht irgendwann aufatmen.
Die Meinung von Monika Wagener.
Bei uns wird noch heiß diskutiert, welche Regelungen Arbeitgeber
ihren Beschäftigten in der Pandemie vorschreiben können.
Im zu Beginn der Pandemie hart getroffenen Italien
gilt ab morgen eine klare Linie:
Die Corona-Pass-Pflicht am Arbeitsplatz:
Zur Arbeit darf nur noch erscheinen, wer mit dem Greenpass nachweist,
geimpft, genesen oder getestet zu sein.
Sonst drohen Bußgelder oder Lohnausfall.
Wer sich nicht impfen lassen will, muss alle zwei Tage
auf eigene Kosten einen neuen Test machen.
Wie kommt das an?
Aus Rom: Anja Miller.
Die Abendvorstellung im kleinen Theater Manzoni in Rom
ist mittelmäßig besucht, aber es gibt eine Warteschlange.
Am Einlass muss jeder seinen Greenpass vorzeigen,
den Nachweis, dass man geimpft, genesen oder getestet ist.
Schon nach kurzer Zeit: großes Durcheinander.
Ich hab ein Problem.
Ich habe meinen Greenpass zu Hause vergessen.
"Heute vergessen alle den Greenpass", sagt der Mitarbeiter.
Er kann nichts nichts machen - das sind die Regeln.
Hält sich das Theater nicht daran, zahlt es hohe Strafen.
Dieses Ehepaar muss wieder nach Hause gehen.
Ab morgen ist das Zertifikat verpflichtend für alle,
die das Theater betreten, auch die Mitarbeiter.
Der Direktor muss kontrollieren, ob seine Kollegen den Nachweis haben.
Andernfalls muss er sie freistellen.
Der Pass ist notwendig, weil er uns die Möglichkeit gibt,
zu arbeiten und dabei uns und andere zu schützen.
Alle sind froh, dass es weitergeht.
Die Schauspieler wollen zurück auf die Bühne, ohne Angst vor Ansteckung.
Sie nehmen in Kauf, dass sie den Greenpass vorlegen müssen.
Ich bin geimpft und mache noch Tests.
Die Entscheidung haben wir gemeinsam getroffen,
um gelassener sein zu können.
Für ihn kommt eine Impfung nicht infrage:
Carlo di Fabio ist der Beleuchter.
Sein Arbeitsplatz: ein Kabuff im Theater.
Er muss sich nun immer vor der Arbeit testen lassen.
Bei mir ist die Angst vor Wirkungen des Impfstoffs so groß,
dass ich so entschieden habe.
Viele Ältere haben große Angst vor Ansteckung.
Das sitzt tief -
seit den Bildern der vielen Toten von Bergamo.
Dann der harte Lockdown.
Jetzt kommen Normalität und Lebensfreude zurück.
So sehen es die meisten Italiener.
Die Impfquote liegt bei 80 %.
Jan Weiler ist Autor und lebt in Umbrien und München.
Die Geschichten
über seine angeheiratete italienische Großfamilie wurden zum Bestseller.
Gerade stellt er fest:
Das lässige Italien erweist sich in der Pandemie oft als pragmatischer
als das disziplinierte Deutschland.
Die Italiener sind anderes gewohnt.
Das ist ein sehr krisenerfahrenes Land.
Der italienische Pragmatismus laufe in der Krise zu Höchstformen auf.
Der Deutsche diskutiert endlos darüber:
Wer darf ins Restaurant?
Wie viele dürfen ins Restaurant?
Warum dürfen sie ins Restaurant?
Was muss man tun, um zu dürfen?
Der Italiener will einfach essen gehen.
Die Spiele sollen weitergehen, die Lebensfreude zurückkehren.
Deswegen nehmen die meisten Menschen strengere Corona-Regeln in Kauf.
Eigentlich ist der Herbst die Jahreszeit der Ernte:
Die Früchte der vorherigen Mühen und Leistungen werden eingefahren.
Doch das heute vorgestellte Herbstgutachten
der Wirtschaftsforschungsinstitute klingt nicht nach saisonaler Fülle.
Die deutsche Wirtschaft wächst deutlich langsamer als erwartet.
Schuld daran sind weiterhin auch Corona-Folgen.
Manchmal auch einzelne Teile, die einfach fehlen
und das große Ganze zum Erliegen bringen.
Andre Kartschall und Karla Kallenbach.
Teile wie diese Platine bremsen die deutsche Wirtschaft aus.
Der weltweite Mangel an Halbleitern
ist auch beim Solartechnikhersteller SMA in Hessen angekommen.
Die Folge: Produktionsausfälle.
Gerade jetzt fehlt viel.
Wir hatten das erste Halbjahr gedacht,
dass es im zweiten Halbjahr besser wird.
Es ist noch mal schlimmer geworden.
Wir könnten derzeit 10, 15 % mehr liefern.
Die Unterbrechung der globalisierten Lieferketten
behindert das Wachstum des Unternehmens.
3500 Mitarbeiter sind bei SMA beschäftigt.
Bislang kann das Unternehmen sie halten.
Wir leben von der Hand in den Mund.
Wir glauben, dass diese Situation mindestens bis Mitte 2022 anhält.
Das ist aber schwer einzuschätzen.
Das mussten auch die Experten
der führenden deutschen Wirtschaftsinstitute erfahren.
In ihrem Frühjahrsgutachten
gingen sie von 3,9 % Wachstum in diesem Jahr aus.
Nun, im Herbstgutachten, sind es nur noch 2,4 %.
Dann muss man zugestehen, dass wir im Frühjahr
das zweite Quartal falsch eingeschätzt haben.
Wir waren im Frühjahr, was insbesondere
die Lieferkettenprobleme betrifft, zu optimistisch.
Die große Erholung der Wirtschaft soll nun 2022 stattfinden -
mit einem Wachstum von 4,8 %, so die Prognose.
Langfristig müsse sich Deutschland auf geringeres Wachstum einstellen -
wegen der alternden Bevölkerung.
Die trendmäßige Entwicklung der Wirtschaft wird künftig
weniger wachsen als wir das von der Vergangenheit gewohnt waren.
Das hängt mit der Demografie zusammen.
Wir haben eine sinkende Erwerbsbevölkerung.
Die müssen aber das Einkommen für einen größeren Anteil Älterer
mit erwirtschaften.
Der SMA-Vorstand ist zuversichtlich, dass ihnen auch dann etwas einfällt,
wenn der Fachkräftemangel voll durchschlägt.
Dann werden wir schauen:
Wie können wir unsere Effizienz weiter erhöhen
und mit der gleichen Anzahl an Leuten die Leistung erhöhen?
Das gehört zu unserem Geschäft.
Möglich, dass das hier weiterhin gelingt.
Die Wirtschaftsinstitute befürchten jedoch insgesamt,
dass die alternde Gesellschaft ein Hemmschub für das Wachstum wird.
Ein Jahr nach der Explosion im Hafen von Beirut
eskalieren die Spannungen im Libanon wegen dessen Aufarbeitung.
Mehr dazu in weiteren Nachrichten mit Thorsten Schröder.
Bei gewaltsamen Protesten in Libanons Hauptstadt Beirut
wurden mindestens sechs Menschen getötet und viele weitere verletzt.
Ministerpräsident Mikati mahnte die Bevölkerung,
sich nicht in einen Bürgerkrieg hineinziehen zu lassen.
Augenzeugen berichten,
die Demonstranten seien von Dächern aus beschossen worden.
Sie hatten gegen den Ermittlungsrichter protestiert,
der den Fall der Explosion im Beiruter Hafen untersucht.
Die Hisbollah hatte zu den Protesten aufgerufen.
Sie wirft dem Richter mangelnde Neutralität
bei den Ermittlungen vor und fordert seine Ablösung.
Kriege und Klimawandel lassen Hungersnöte weltweit zunehmen.
Mehr als 800 Millionen Menschen weltweit hätten nicht genug zu essen,
heißt es im Index der Welthungerhilfe.
Die Pandemie und bewaffnete Konflikte verschärften die Lage.
Das Ziel der UN, den Hunger bis 2030 weltweit besiegt zu haben,
drohe zu scheitern.
Die Türkische Lira ist auf ein Rekordtief gefallen.
Auslöser ist die Entlassung dreier Notenbanker durch Präsident Erdogan.
Mehr von Samir Ibrahim aus der Frankfurter Börse.
Zum dritten Mal in zweieinhalb Jahren mischt sich Präsident Erdogan
in die Personalpolitik der eigentlich unabhängigen Zentralbank ein.
Gehen mussten stets Mitarbeiter,
die die Zinsen anheben wollten, um die Inflation zu bekämpfen.
Der türkische Präsident möchte Zinsanhebungen aber vermeiden.
Diese Eingriffe in die Unabhängigkeit der Notenbank
kommen am Finanzmarkt schlecht an.
Seit Oktober 2018 büßte die Lira mehr als ein Drittel ihres Wertes ein.
Erdogan möchte die Zinsen niedrig halten,
um die Wirtschaft weiter anzutreiben.
Gleichzeitig steigen seit Jahren die Preise.
Für die Menschen bedeutet das jetzt schon steigende Lebenshaltungskosten.
Der Einkauf ausländischer Waren wird zusätzlich verteuert.
Industrieanlagen so weit das Augen reicht,
Hochöfen und eine Bahnstrecke.
Es gehört guter Wille dazu, das als gute Lage zu bezeichnen.
Doch mit diesen Aussichten
leben 350 Menschen in Salzgitter-Watenstedt.
Hier geht scheinbar beides nebeneinander.
Idylle für die Menschen und Platz für die Industrie.
Doch der Schein trügt:
Die Wirtschaft wächst und will mehr von dem Raum,
den die Watenstedter bewohnen.
Claudia Gorille war mittendrin im niedersächsischen Salzgitter.
Sie hat Bewohner getroffen, die gebeten werden, wegzuziehen,
sich damit aber schwertun.
Salzgitter-Watenstedt - ein Ort der Gegensätze:
Gepflegte Einfamilienhäuser, liebevoll gestaltete Gärten ...
... und Ruinen.
Der ehemalige Edeka-Laden verfällt.
Das einst schöne Anwesen: verrammelt.
Aber auch das gibt es hier: große Grundstücke und Tiere.
Das kleine Tier-Paradies der Familie Geißler-Roski.
Vater und Tochter: echte Watenstedter.
Wir haben hier 4000 Quadratmeter mitten im Dorf.
Wir fühlen uns wohl hier.
Tochter Martina lebte ein paar Jahre in anderen Stadtteilen Salzgitters,
aber irgendwann gemerkt:
Nirgends ist es so schön wie in Watenstedt.
Viel Platz, nette Nachbarn ...
Es ist immer was los.
Meine Tochter hat 'nen großen Freundeskreis.
Es sind immer Kinder hier.
Gerade als Kind hat man hier ein ganzes Stück Freiheit.
So habe ich es als Kind auch erlebt.
Diese Freiheit möchten sie weiter genießen.
Zurzeit wollen sie nicht verkaufen.
Heute sind Vertreter
der Projektgesellschaft Salzgitter-Watenstedt zu Besuch.
Sie erklären, warum die Familie wegziehen sollte.
Im Umfeld haben wir Industrien, die dazu führen,
dass wir keine gesunden Wohn- und Lebensverhältnisse mehr haben.
1998 wurde im Stadtrat der Beschluss gefasst,
dass Watenstedt als Gewerbegebiet überplant wird.
Damit hat man die Grundlage dafür gegeben,
dass hier eine Wohnnutzung nicht dauerhaft Bestand haben kann.
Ungesunde Lebensverhältnisse?
Die Watenstedter beurteilen die Situation weniger gefährlich.
Die Werke sind ja auch viel sauberer geworden.
Ich kann mich als Kind an Zeiten erinnern:
Wenn meine Oma die Bettwäsche draußen hängen hatte,
hatten wir je nach Wind Rußflecken drauf.
Und das weiß ich als Kind noch.
Das hast du heute nicht mehr.
Niemand muss sein Haus verkaufen.
Das Projekt beruht auf Freiwilligkeit.
Viele wollen nicht weg.
Bei dem, was gezahlt wird:
Wir werden nicht so viel kriegen,
dass wir irgendwo noch mal neu anfangen können.
Ich 50, er 56, unsere Tochter 15 -
wir kriegen auch gar kein Geld mehr von jemandem.
Da brauchen wir uns nichts vormachen.
Die Preise ermittelt ein Gutachterausschuss.
35 Euro pro Quadratmeter gibt es in Watenstedt.
In den umliegenden Stadtteilen kostet Bauland 45 bis 60 Euro und mehr.
Es wurde immer gesagt, dass der volle Wert gezahlt werden kann.
Aber wir können nicht eins zu eins ein Grundstück
in derselben Größenordnung in einem anderen Stadtteil bieten.
Viele Watenstedter sind enttäuscht.
Die Projektgesellschaft konnte bislang 15 Grundstücke kaufen.
68 sind noch im Besitz der Watenstedter.
Monika Grande wohnt in der Mitte des Ortes.
Sie schätzt am meisten die Gemeinschaft.
Sie will auch nicht weg.
Wir sind jung hergekommen, sind hier alt geworden
und wollten auch gerne bleiben.
Was aber passiert, wenn die Projektgesellschaft bis 2031
nicht alle Grundstücke in Watenstedt kaufen konnte?
Es ist zumindest nicht ausgeschlossen,
dass das Ankaufsprogramm dann noch mal verlängert wird:
Bis alle Grundstücke erworben werden konnten.
Aber noch gibt es Watenstedter, die verkaufen wollen.
Vor die Kamera möchten sie nicht.
Ortsbürgermeister Marco Kreit weiß: Die meisten belastet der Verkauf.
Vielleicht haben einige Ängste, dass sie schief angeguckt werden,
wenn sie sagen, dass sie zum Gehen bereit sind.
Gemeinschaft - noch immer wird sie gepflegt.
Einmal im Monat organisiert der Feuerwehr- und Traditionsverein
ein Treffen im einstigen Gerätehaus der Feuerwehr.
Heute sind nicht so viele gekommen wie sonst.
Vielleicht weil das Fernsehen da ist.
Bei Brötchen und Bier von sich erzählen,
Kontakt halten, miteinander lachen ...
Salzgitter-Watenstedt:
Ein Ort mit Kontrasten und viel Gemeinschaftssinn.
So lange es ihn noch gibt.
Für viele war das heute ein grauer Herbsttag.
Carsten, wann gibt es wieder mehr Farbe?
Es gibt in den nächsten Tagen für alle Religionen ab und zu Farbe.
Heute wehrte sich der gesamte Südwesten gegen die Wolken.
Als Beweis dieses Foto vom Bodensee.
Die sonnigsten Orte hatten übrigens über zehn Stunden Sonnenschein.
Wie sieht es in den nächsten Tagen aus?
Wir werfen einen Blick in den Norden, die Mitte und den Süden.
Morgen Nachmittag kann es im Norden sonnig werden,
dann wird's wieder grau.
In Erfurt ist die Tendenz umgekehrt.
Schauen wir aufs Wetter:
Heute Nacht ist es im Norden stark bewölkt.
Dann kommt eine Regenfront.
Die Kaltfront zieht weiter landeinwärts.
Nachmittags wird es sonnig.
Die Temperaturen:
Das Wochenende:
Im Norden bleibt es bewölkt.
Vor allem am Sonntag fällt Regen.
Ab und zu gibt es ein paar Lücken für Farben und goldenen Oktober.
Das waren die tagesthemen.
Hier im Ersten erwartet Sie jetzt Lisa Feller mit der Ladies Night.
Das nachtmagazin gibt's um 0.35 Uhr.
Wir sind morgen wieder für Sie da.
Tschüss - und bleiben Sie zuversichtlich.
Copyright Untertitel: NDR 2021