Markus Beckedahl: Geht das Internet jetzt kaputt?
Ich glaube nicht, dass es eine gesellschaftliche Mehrheit dafür geben würde, dem Staat zu erlauben,
einfach so in unsere Gehirne reinzukommen. Aber über den Umweg über Technik, die keiner
so wirklich versteht, könnte es möglicherweise aus Unwissenheit eine Mehrheit dafür geben.
Diese Diskrepanz zwischen: Wir bewegen uns auf eine Welt zu, wo durch Maßnahmen wie
die Vorratsdatenspeicherung auf einmal alles getrackt wird, wo einfach nachvollziehbar ist,
wo wir waren und wen wir dabei getroffen haben. In der analogen Welt würde das doch
keiner akzeptieren, da würde selbst unsere Elterngeneration auf die Straße gehen und
dagegen demonstrieren, wenn auf einmal klar werden würde: Es wird für Wochen gespeichert:
Wann hat man wen beim Einkaufen getroffen? Mit wem hat man beim Kaffeekränzchen zusammengesessen?
Da war allen klar: Das geht aber nicht! Das wollen wir nicht! In der digitalen Welt lassen
wir es zu. Und es gibt noch die anderen Debatten darüber, gerade aktuell über den Staatstrojaner
oder Apple versus FBI, wo halt staatliche Sicherheitsbehörden Zugriff haben wollen
auf ein Device, und im Moment reden wir über so ein Handy, wo ein Chip drauf ist.
Aber was ist, wenn wir in fünf oder zehn Jahren diese Chips einfach in Form von Hörgeräten,
Herzschrittmachern eingebaut haben? Was, wenn unser Gehirn daran angeschlossen wird?
Wenn wir auf einmal irgendwie bessere Sehhilfen bekommen mit einem Anschluss? Und wenn quasi
diese Regeln, die jetzt für dieses Handy gemacht werden, damit man jetzt auf dieses
Handy draufkann auf einmal, dann in zehn Jahren Sicherheitsbehörden ermöglichen, in unsere
Gehirn reinzugucken? Wollen wir das oder wollen wir das nicht?
Sagen wir mal, es gibt halt so zwei große mögliche Szenarien, auf der einen Seite diese
Dystopie, dass immer weniger immer größer werdende Unternehmen alle Bereiche unseres
digitalen Lebens dominieren, wir quasi in einer Google- oder Facebook- oder Apple-Welt
nur noch total agieren, ohne wirklich die Möglichkeit zu haben, da raus zu kommen.
Total getackt zu sein, was auch wiederum zu Symbiosen führen könnte zwischen staatlichen
Akteuren und privaten Akteuren. Das heißt, wir leben dann in einer total überwachten Welt,
wo wir einfach nicht mehr souverän sind, wo wir eigentlich nur noch als Konsumenten
agieren, aber nicht mehr als freie Bürger. Ich hoffe, dass wir diese Welt nicht bekommen
werden. Ich hoffe, dass wir eine andere Welt haben werden, wo Kommunikation weiterhin dezentral
und offen stattfinden kann, wo jeder eigentlich die Möglichkeiten hat, selbstbestimmt quasi
an einem gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, wo Innovationen ermöglicht werden, wo Wissen
jedem frei zur Verfügung steht, wo eigentlich ja unsere demokratischen Werte quasi auch
in der digitalen Gesellschaft so durchgesetzt sind und so geschützt werden, wie wir es
im analogen Leben erwarten würden und auch erwarten.
Also, in den 90er-Jahren hatten wir die Utopie, dass das Netz zu Dezentralität, Offenheit
und Gleichheit führt. Und die meisten haben unterschätzt, dass diese Netzwerk-Effekte,
die wir so toll fanden, zu einer krassen Monopolisierung führen können, vor allen Dingen durch die
Verbindung mit einem sehr liberalisierten Kapitalismus, wo es massiv um Geld geht.
Und, ja, auf einmal sind wir in der Situation, dass es zwar auf der einen Seite so diese
Gegenbewegung gibt, die Linux-, Wikipedia-, Firefox-, all diese Open-source-Systeme haben
groß werden lassen durch Kollaboration, Zusammenarbeit, durch Dezentralität. Auf der anderen Seite
haben wir riesige Konzerne, die massiv unsere Kommunikation als Gesellschaften dominieren,
die Regeln auch immer mehr selbst festlegen, wie wir darüber kommunizieren, und die sich
natürlich dann auch dieser offenen Systeme bedienen, um ihre Macht und Einfluss auszuweiten.
Wir stehen gerade so ein bisschen vor der Herausforderung, dass die ganzen Gesetze,
die ganzen Regularien für die nächsten zehn, zwanzig Jahre jetzt geschaffen werden, wo
ein Teil der Gesellschaft noch nicht verstanden hat, dass sie davon auch betroffen sind, weil
von den Gesetzen, die jetzt geschaffen werden, werden alle in der Zukunft betroffen sein.
Das heißt, auch wenn viele Gesetzgebungsprozesse eigentlich zu spät kommen, weil bestimmte
Phänomene viel früher aufgetreten sind, die Politik viel später darauf reagiert,
so ist dann manchnal die gesellschaftliche Debatte noch weiter zurück, dass sie halt nur von
einem Teil der Gesellschaft geführt wird, aber der Rest gar nicht so mitbekommen hat,
dass sie betroffen sind. Also, es ist vielleicht ein bisschen auch vergleichbar mit der Umweltbewegung.
Also, die Klimakatastrophe fing schon an, als die ersten Umweltschützer quasi auf die
Straße gingen, dagegen demonstrierten, während der große Teil sich noch nicht betroffen fühlte.
Jetzt, 40 Jahre später, ist quasi Klimawandel oder Klimaschutz Staatsziel geworden.
Es gibt kaum noch Leute, die dagegen sind. Aber vor demselben Phänomen oder Herausforderung
steht das Internet, stehen wir als digitale Gesellschaft. Und es gibt da eine ganze Menge
Gesetzgebung, wo wir eigentlich viel mehr Stimmen brauchen würden, um da eine zukunftssichere
Gesetzgebung hinzubekommen. Ein Beispiel ist die Netzneutralität. Netzneutralität bescheibt
eigentlich den Zustand, wie das Internet groß geworden ist über das sogenannte Ende-zu-Ende-Prinzip.
Dass sich halt, sagen wir mal, die Urväter des Internets vor über 30 Jahren Gedanken
gemacht haben und eine radikale Design-Entscheidung getroffen haben, die das Internet erst hat
groß werden lassen, nämlich dass die Intelligenz an den Enden der Netze stattfinden soll, also
dass halt nicht in der Mitte der Netzwerke entschieden wird, was läuft schneller oder
langsamer, sondern dass wir an den Enden entscheiden an unseren Geräten, unsere Geräte selbstständig
entscheiden, mit wem sie wie kommunizieren, mit welcher Hardware, mit welcher Software,
mit welchen Protokollen. Und keiner in der Mitte sagt: Das geht, das geht nicht.
Und auf einmal gibt es aber Technologien und eine zunehmende Konzentration auf dem Telekommunikationsmarkt,
die Begehrlichkeiten bei Telekommunikationsanbietern wecken, dass sie nämlich auf einmal an den
zentralen Kontenpunkten in eine neue Machtposition kommen, entscheiden zu können: Das geht schneller,
das geht langsamer, hier können wir Mautgebühren oder Mautstationen errichten.
Und das geht zu Lasten dieses Netzes.
Also, was ich bei dem Forschungsgipfel versuche rüberzubringen, ist: Innovation funktioniert
nicht mehr so wie früher. Innovation, digitale Innovation kann bei mir zuhause im Wohnzimmer
passieren. Innovation kann dadurch passieren, dass sich Menschen mit Leidenschaft ohne eine
Geldmotivation, aus Spiel und Spaß übers Internet verbinden, um etwas Neues zu schaffen,
einfach aus reiner Neugierde. Und ich glaube, unsere Forschungslandschaft ist auf diese
Phänomene, auch wenn sie nicht mehr so neu sind, auch wenn wir sie seit 20, 30 Jahren
beobachten können, noch nicht darauf ausgerichtet. Ich glaube, es ist immer noch einfacher, wenn
man als Unternehmen, als Entität mit einem Unternehmen dahinter eine Million irgendwo
an Forschungsgeldern beantragt, als wenn Sie eine Mailingliste mit den 50 besten Programmierern
der Welt haben, die sich nur darum kümmern, dass sie einmal im Jahr irgendwie an einem
Wochenende zusammenkommen wollen und jemand ihnen die Fahrtkosten finanziert, um dann
im Rest der Zeit ein großartiges Software-Projekt zu machen. Also, wie schaffen wir es, so quasi
Forschung und Innovation auch zu demokratisieren und an diese neuen Zeiten anzupassen? Wo Innovation
nicht mehr nur top-down stattfindet mit ganz viel Geldeinsatz, sondern von 15-Jährigen
quasi nach der Schule in ihrem Kinderzimmer gemacht werden kann, die dann möglicherweise
durch eine gute Idee und das richtige Momentum und ein bisschen Leidenschaft
auf einmal Technologie revolutionieren können.