Markus Beckedahl: Kulturkampf um das Internet
Wir befinden uns eigentlich in so einer Art Kulturkampf, ...
... wo quasi neue Werte, die durch das Internet populär geworden sind, Werte wie Transparenz,
wie Offenheit, Zusammenarbeit quasi wie in so einem Kulturkampf oder clash of cultures
mit alten Werten, wie früher Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert hat, zusammenknallen.
Das finde ich halt eine sehr spannende Zeit, weil es einfach vollkommen unklar ist, was
die Zukunft bringen wird und welche Werte, welche Formen von Zusammenarbeit sich durchsetzen werden.
Wie gehen wir damit um, dass wir als Gesellschaft es zulassen, dass wir quasi privatisierte
Öffentlichkeiten erhalten, wo einfach Unternehmen quasi durch eigene Regelsetzung, aber auch
durch Technik quasi für uns die Regeln vorschreiben, wie wir zukünftig kommunizieren und in einer
Öffentlichkeit agieren. Und wo eigentlich jeden Tag an unterschiedlichsten Fronten quasi
dieses Wechselspiel noch austariert wird und wo quasi ja eine neue Generation mit diesen
neuen Werten alles in Frage stellt, was den Status quo irgendwie ergibt.
Also, ein gutes Beispiel ist die Geschichte um Aaron Swartz, einem jungen Entwickler,
der quasi im Teenageralter mit großen Koryphäen, die seine Eltern oder Großeltern sein konnten,
zusammengearbeitet hat, Webstandards mitentwickelt hat und der zunehmend politischer wurde
und sich dann irgendwann diesem Bereich Informationsbefreiung zugewandt hatte, um
auch quasi durch eine Art von zivilem Ungehorsam dieses System, wie wissenschaftliches Wissen
privatisiert wird, zurückgehalten wird, quasi auf den Kopf zu stellen bzw. dadurch, dass
er riesige wissenschaftliche Datenbanken quasi abgegrast hat, sie heruntergeladen hat mit
dem Ziel, sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, weil eigentlich waren diese wissenschaftlichen
Ergebnisse von der Öffentlichkeit finanziert, aber dann durch den traditionellen Wissenschaftsbetrieb
quasi privatisiert und verschlossen, also dass er dann quasi deswegen vor Gericht gestellt wurde.
Man wollte ein Exempel an ihm statuieren. Es war von mehreren Jahrzehnten Gefängnis
die Rede. Und er hat sich auch wahrscheinlich durch diesen Druck dann selbst umgebracht,
also da ist eine menschliche Tragödie reingekommen, dass halt quasi für einen jungen Menschen
Mitte der 20er einfach das zu groß wurde. Dabei wollte er eigentlich nur, ja, Wissen
öffentlich zugänglich machen, damit mehr Menschen quasi auf diesem Wissen aufbauen
können und noch viel mehr Wissen für alle schaffen können.
Das SOPA/PIPA war so eine der größten netzpolitischen Debatten der USA, wo es halt darum ging, dass
irgendwie um 2011, 2012 herum sich Hollywood, die Entertainment-Lobby massiv durchgesetzt
hatte im politischen Washington, um neue Regeln fürs Netz zu schaffen, die halt so Mechanismen
wie Netzsperren und eine zunehmende Überwachung des Netzes als Teil der Durchsetzung eines
veralteten Urheberrechts durchzubringen, was halt massiv an der offenen Architektur des
Internets oder die offene Architektur des Internets verändert hätte. Es ging eigentlich
um so einen Kulturkampf, ob wir das Internet zu so einer Art Kabelfernsehen 2.0 machen
können, also quasi zurück zu: "Das hat aber früher anders funktioniert! Das muss wieder
genauso funktionieren!" Oder ob man akzeptierte, dass das Internet einfach alle Regeln auf
den Kopf stellt und neuen Raum schafft. Und bei SOPA/PIPA gab es halt diesen Kulturkampf,
dass auf der einen Seite halt die mächtigen alten großen Lobbys der Entertainment-Industrie
standen, auf der anderen Seite sich quasi eine digitale Zivilgesellschaft mit großen
Netzunternehmen von Facebook oder von Google bis Mozilla vernetzte, die damals das Lobbying
in Washington noch gar nicht so ernst genommen hatten, die aber durch massive gemeinsame
Aktionen wie einem Blackout Day, also dass große Webseiten in den USA für einen Tag
geschwärzt waren, um auf eine gemeinsame Petition hinzuweisen, wo man Millionen von
Menschen versammelt hatte, die quasi ihre Stimme auch in Richtung politisches Washington
erhoben haben, um quasi, ja, diese Gesetze zu verhindern.
Das ist aber ein sehr amerikanisches Ding gewesen, einerseits diese Verbindung zwischen
Zivilgesellschaft und Unternehmen, die, sagen wir mal, in Deutschland so nicht funktionieren
würde, wenn, sagen wir mal, die digitale Zivilgesellschaft sich hier mit Google verbünden
würde für irgendwelche Sachen, dann wäre man für immer verbrannt als von Google gekauft.
Deswegen hält man hier mehr den Abstand. Aber wir haben ganz andere Auseinandersetzungen
gehabt. Ein Beispiel: 2009, die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz, die Netzsperren,
die damals Ursula von der Leyen als Familienministerin einführen wollte und die es auch eigentlich
durch die damalige Große Koalition in Gesetzesform geschafft hatte, aber nie wirklich in Kraft
getreten ist, weil sich auf einmal in diesen neuen Öffentlichkeiten, im Netz, eine riesige
Opposition gebildet hatte, die politisch gar nicht abgebildet wurde, weil im Wahlkampf
wollte sich keiner von den traditionellen Parteien irgendwie hinstellen und als kinderpornografiefreundlich
darstellen, weil man leicht in die Ecke gerückt werden konnte, weil das war ja das Ziel, man
wollte doch nur was gegen Kinderpornografie tun, und alle, die dagegen waren, die wären
halt Fans von Kinderpornografie. Aber trotzdem hat sich massiv etwas durchgesetzt, was wir
vorher so nicht kannten, nämlich dass sich viele Leute zusammengeschlossen haben und
das auch für die Politik nicht greifbar war, weil es war zum ersten Mal keine große Organisation dabei.
Es waren keine große Unternehmen, sondern es war eine riesige vernetzte Zivilgesellschaft
von Einzelbürgern, die damals die größte Petition beim Deutschen Bundestag gemacht
hatte, wo 140.000 Leute sagten: Wir sind auch gegen Kinderpornografie, aber diese Netzsperren
sind eine große Gefahr für unsere Demokratie! Das war sozusagen der eine Teil. Der andere
Teil war dann 2012, als ACTA, dieser internationale Handelsvertrag zum Stopp der Piraterie, quasi
SOPA/PIPA auf internationaler Ebene in Europa, vor allen Dingen in Deutschland gestoppt wurde,
indem halt auch sich auf einmal adhoc viele Leute zusammengetan hatten ohne Organisationsinfrastruktur
dahinter, die über das Netz dann auf einmal in Deutschland an einem Aktionstag bei minus
10 Grad im Februar in 60 Städten 100.000 junge Menschen auf die Straße gebracht haben,
die einfach mal sagten: So, es reicht uns mit diesen ständigen Grundrechtseingriffen,
um halt so ein altes System, nämlich dieses System, dass das veraltete Urheberrecht auch
radikal durchgesetzt werden muss, ohne Reform und koste es, was es wolle, dass das eigentlich
mal ein Ende haben muss. Und das hat ACTA halt gestoppt, ohne dass halt eine Zivilgesellschaft
mit Google & Co. dagegen vorgehen konnte, das war ja für viele unvorstellbar. Bei uns klingelten die ganze Zeit Journalisten und versuchten investigativ herauszufinden, wie
uns da Google unterstützt hat, weil Google in den USA da auch irgendwie bei SOPA/PIPA
dagegen war und das muss ja bei uns auch sein, sonst würde ja keiner auf die Idee kommen,
gegen ACTA vorzugehen. Aber wir hatten halt sehr gute Gründe, weil wir der Meinung waren:
Das ist ein weiterer Schritt, der zementiert diese alten Regeln. Und das führt dazu, dass
darum dann wiederum Netzsperren, aber auch viele andere Grundrechtseinschränkungen in
der digitalen Welt legitimiert werden. Und wenn wir das nicht verhindern, dann zementieren
wir quasi die alten Strukturen, während aber noch vollkommen ungeklärt ist, ob nicht irgendwie
diese neuen Strukturen viel zukunftsgewandter und viel besser für unsere Gesellschaft sind.
Wir versuchen auch immer mehr Menschen zu ermuntern, selbst in dieser Demokratie als
Bürger, einfach nur als auch Unternehmen mit Bürgerinteressen teilzuhaben, die eigene
Stimme zu erheben, weil es geht ja letztendlich um unsere digitale Gesellschaft. Es geht ja darum,
in welcher digitalen Gesellschaft wollen wir leben? Welche Regeln geben wir uns?
Und da gibt es natürlich die einen, die halt dann irgendwann resigniert zurückgehen, große
Teile der Piratenpartei waren mal hochmotiviert und haben sich die ganze Zeit nur bekriegt.
Da ist halt leider uns auch in Deutschland ein Teil weggebrochen an motivierten Menschen,
und wir versuchen trotzdem dieses Gefühl zu vermitteln, dass halt Einmischen in einer
Demokratie etwas bringt und dass man halt nicht aufgeben sollte, dass man einen langen
Atem haben sollte, weil diese Debatten, die wir führen, die müssen wir auch teilweise
immer wieder führen, weil alle zwei Jahre sind die Probleme teilweise immer noch nicht
gelöst, aber es gibt auf einmal ganz viele neue Player, die mitdiskutieren wollen, die
dann aber wieder von vorne anfangen. Und dann ist natürlich unsere Herausforderung immer,
den Leuten zu erklären: Ja, natürlich, haben wir das vor zehn Jahren schon diskutiert.
Es hat sich aber noch nix verändert. Wir müssen das weiterdiskutieren! Auf der anderen
Seite sitzen viele Leute in Unternehmen, die sitzen einfach ihre Zeit ab und wissen halt,
irgendwie ihre Zeit wird kommen, weil sie haben das ganze Geld
und können Leute beschäftigen, die sich da einmischen für ihre Interessen.
Aber eigentlich sollte sich jeder einmischen in einer Demokratie.