Alles per App - Wie weit ist China uns voraus? | WDR Doku
Das ist Thomas Derksen.
Er war mal Bankkaufmann einer Sparkasse.
In seiner neuen Heimat China ist er ein Star.
Wie oft passiert es, dass Sie auf der Straße erkannt werden?
Schon so 6-, 7-mal täglich, ja.
Thomas Derksen ist Influencer.
Er wirbt in China für deutsche Firmen im Netz.
Seit 4 Jahren erlebt er in Shanghai,
wie das digitale China Deutschland überholt.
Z.B. beim Bezahlen: Ein Scan und der Kaffee ist gekauft.
Aber nicht nur der:
Thomas Derksen organisiert sein ganzes Leben per App.
City Service z.B., wo man nachgucken kann,
wie viel Rente ich bekomme, Krankenversicherung, Strafzettel.
Man kann seine Stromrechnung bezahlen,
seine Arztrechnung.
Man kann alles machen,
und das alles in einer einfachen App.
Ich hab mein Portemonnaie nicht dabei,
ich hab nur mein Handy dabei.
Weil das inzwischen bei den meisten Menschen in China so ist,
haben sogar die Ärmsten auf Mobile Payment umgestellt.
Er trägt den Code für die Bezahl-App um den Hals.
Die Digitalisierung ist ja eine Revolution.
Da kann man sich nicht aussuchen, ob man das möchte oder nicht,
sondern man muss mitmachen.
Die Digitalisierung:
Keine Innovation brachte so viel Veränderung in so kurzer Zeit.
Ist der Blick nach China einer in unsere eigene Zukunft?
In der digitalen Welt verschieben sich gerade die Machtverhältnisse.
Gigantische Digital-Unternehmen dominieren die globale Wirtschaft.
Deutschland scheint abgehängt.
Der Modehändler Zalando will den Kampf aufnehmen.
Dieser Film wird dabei sein.
Wir glauben schon, dass es im Markt
zu einer Konzentration der Player führen wird.
Und die verantwortlichen Politiker?
(Angela Merkel) Das Internet ist für uns alle Neuland.
Haben sie eine Vision für Deutschlands digitale Zukunft?
Dieser Film begleitet Digital- Staatsministerin Dorothee Bär.
Bei mir ist nicht mobile first, sondern mobile only.
Experten beobachten auf der Welt ein Rennen
zwischen Politik und Wirtschaft um die Macht im Neuland.
Ganz sicher stecken wir in einem gesellschaftlichen Umbruch.
Wer wird diesen Kampf zwischen beiden Systemen gewinnen?
Politik und Technologie.
Europa läuft im digitalen Bereich hinterher.
Deutsche Politiker haben mindestens ein Jahrzehnt verschwendet.
Große Tech-Firmen wissen mehr über uns als die Stasi.
Die Frage ist: Wer hat die Macht im Internet?
Herzlich willkommen im Neuland.
Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR
Die Kleinstadt Marienheide in NRW.
Das ist die alte Heimat von Thomas Derksen aus Shanghai.
Hier wohnen seine Eltern.
Für diese Sparkasse hat er gearbeitet,
bevor er Influencer wurde.
Die Werbevideos für deutsche Firmen
produziert er mit seiner Frau Liping zusammen.
In China folgen Derksen inzwischen 10 Mio. Menschen online.
Viele schauen seine Videos wie dieses,
in dem er für die Schulranzenmarke ergobag wirbt.
In China ist er unter dem Namen Afu bekannt geworden.
Und was bedeutet Afu?
Afu bedeutet: der Glückliche. So grob übersetzt.
Weil viele Follower sagen:
Meine Figur erinnert die an einen glücklichen Buddha.
Und deswegen: Afu passt sehr gut zu mir.
An diesem Tag hat Thomas Derksen einen Termin bei ergobag in Köln.
Für sie hat er sein bislang erfolgreichstes Video gemacht.
Gordon Ebert, dem China-Verantwortlichen von ergobag,
war länger klar, dass die Marke auch auf den chinesischen Markt muss.
Wenn wir in Deutschland ungefähr 700.000 Einschulungen
pro Jahr haben, sind es in China ungefähr 16 Mio.
Jetzt werden sich nicht alle 16 Mio. Kinder oder Eltern
einen ergobag leisten können.
Aber wenn wir davon 10% erreichen, haben wir mehr als das Doppelte,
was wir in Deutschland am Markt haben.
Influencer Derksen sollte dabei helfen.
Die Idee: Er filmt, wie ergobag
der Familie eines Taxifahrers Schulranzen schenkt.
Und Geld für den Schulbesuch des Sohnes,
umgerechnet 2.500 Euro dazu.
(Derksen) Da ist das Video richtig abgegangen.
Das Video ist, glaub ich, am 13.08. live gegangen.
Ab dem 13.08. hatten wir so 2,5-, 3-fache Umsatzzahlen pro Tag.
Durchgehend bis zum Einschulungstag in China.
Deswegen konnten wir sehr genau sagen,
dass der Traffic uns hilft.
Von den Videoplattformen werden die Zuschauer in der Regel
direkt zu den Online-Shops von Alibaba weitergeleitet.
Eines der größten Plattform-Unternehmen der Welt.
Wer als Deutscher in China Waren verkaufen will, muss dorthin.
Weil alles sich dort tummelt.
Es ist Suchmaschine, es ist alles in einem Paket.
Wenn der Kunde irgendwas sucht, sucht er dort,
findet dort ein Ergebnis und kann dort kaufen.
Mit Alibaba hat sich in China eines
der 1. Megaplattform-Unternehmen der Welt gebildet.
Die Firma ist in allen Lebensbereichen präsent.
Mit Alipay können die Kunden zahlen.
Auf der Verkaufsplattform Tmall shoppen.
Oder auf Taobao, dem chinesischen Ebay, Dinge versteigern.
Sie können per AMAP navigieren.
Sich per ELEME Lebensmittel liefern lassen.
AliCloud gehören riesige Speicherfarmen,
die Infrastruktur des Internets.
Und Alibaba Pictures produziert und vermarktet Hollywood-Filme.
Nur ein kleiner Ausschnitt der großen Alibaba-Welt.
Eine Entwicklung, die der britische Technologie-Experte Jamie Bartlett
auch bei den US-amerikanischen Plattformen beobachtet.
Google und Facebook und all die, von denen Sie ständig hören,
sind nicht mehr nur Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen
oder Video-Sharing-Plattformen.
Sie verzweigen sich zunehmend in andere Bereiche.
Amazon ist nicht mehr nur ein Verkäufer von Produkten.
Es ist auch ein Anbieter
von erstaunlichen Mengen von Internetservern.
Die wertvollsten Unternehmen der Welt
sind längst Plattform-Unternehmen.
Auf den vorderen Plätzen nur Firmen aus den USA und China.
Microsoft, Apple, Amazon, Google, Facebook.
Aus China dabei: Alibaba und Tencent.
Einziges deutsches Unternehmen in den Top 100: SAP auf Platz 58.
Aber einige deutsche Unternehmen versuchen, aufzuholen.
Im Sommer 2019 hat der Modehändler Zalando
in Berlin sein neues Headquarter eröffnet.
2-mal im Monat ist "Onboarding Day".
Der Tag, an dem die Neuen begrüßt werden.
Wo werden Sie arbeiten?
200 sind es allein heute.
200 von inzwischen 14.000.
Die Snacks sind auf die neue Belegschaft abgestimmt:
Der durchschnittliche Zalando-Mitarbeiter ist Anfang 30
und spricht englisch.
Sie kommen aus der ganzen Welt.
Ich war wirklich überrascht, als ich so viele Leute gesehen habe.
Ich habe gehört, Zalando stellt viele Mitarbeiter ein,
aber das habe ich nicht erwartet.
Ich bin aufgeregt, es bedeutet, dass sie etwas Gutes tun.
Ich glaube, dass Zalando aus vielen Gründen
ein sehr interessantes Unternehmen ist.
V.a. bin ich eine sehr zufriedene Zalando-Kundin.
Ich erwarte ein dynamisches Arbeitsumfeld
und dass ich viel lerne und in meiner Karriere vorankomme.
Die Neuankömmlinge dürfen das Herz der Firma sehen.
Machen wir doch eine Tour.
Ein Ort, der so designt ist, dass mancher nur ungern nach Hause geht.
Keine festen Einzelbüros, sondern flexible Working-Spaces.
Angelehnt an die großen Vorbilder Google, Apple oder Facebook.
Auf dem Boden die Prinzipien der Gründer:
Geschwindigkeit und Unternehmergeist.
Ihr habt hier einen tollen Blick. Und bitte: nicht springen.
Und auch sie gehören zur Familie.
Die Bilder der Bürohunde finden sich bei Instagram unter #Zalandogs.
Da ist unser Basketballplatz.
Hier könnt ihr mit Kollegen entspannen.
Alkohol ist erlaubt, ja.
Ihr könnt euern Basketball mitbringen
und eure Freundin oder euren Freund.
In den Begrüßungsreden werden die Neuen darauf vorbereitet,
nicht nur Teil einer Firma, sondern einer Mission zu werden.
Anne Pascual ist Chefin für Produktdesign.
Wir freuen uns sehr, euch an Bord zu haben.
Und ich freue mich sehr,
euch mehr über unsere Geschichte zu erzählen.
Die hat 2008 in Deutschland mit der verrückten Idee begonnen,
Schuhe online zu verkaufen.
Dieser Optimismus, dass etwas Verrücktes möglich ist,
ein "Ja" anstelle eines "Hm, das wird niemals funktionieren",
das ist, was uns alle zusammenhält.
Das neue hochgesteckte Ziel:
Zalando will ebenfalls zur Plattform werden.
Nicht mehr nur Online-Kaufhaus, sondern digitale Fußgängerzone.
Will Kunden und Händler verbinden und dafür die Regeln festlegen.
Was bedeutet das: eine Plattform?
Am Ende geht es darum,
die 1. Anlaufstelle für Mode zu werden.
Es gibt andere Beispiele in eurem Leben:
Wenn ihr nach Unterhaltung sucht, und nicht wisst,
was ihr Freitag oder Samstagabend schauen wollt,
empfiehlt Netflix euch, was ihr gucken sollt.
Diese starke Bindung an diese Plattformen wollen wir erreichen,
der Ausgangspunkt werden für Mode.
Diese Rolle will Zalando im Leben der Leute spielen.
Als Nächste spricht Lisa Miczaika:
Es ist wunderbar, so viele von euch hier zu sehen.
Auch von meiner Seite: Herzlichen willkommen.
Mein Name ist Lisa.
Sie hat früher bei einer großen Unternehmensberatung gearbeitet.
Ist bei Zalando schnell aufgestiegen.
Jetzt leitet sie das Geschäft für Deutschland, Österreich, Schweiz,
Polen und Tschechien.
Unter ihr soll Zalando in all diesen Ländern zur Plattform werden.
Die Plattform-Strategie an sich bedeutet ja auch,
dass ich Marken einkaufen kann, die nicht bei Zalando im Lager liegen.
Sondern halt auch von unseren Partnern direkt verkauft werden.
Wir haben 1.300 Offline-Läden angebunden.
Und die erwirtschaften teilweise
auch einen Großteil ihres Umsatzes über Zalando.
Auch klassische Fußgängerzonenläden? - Ja.
Ja.
In Weimar z.B.
Hier hat Zalando die Konsum-Warenhäuser
an die Plattform angeschlossen.
Das Schillerkaufhaus in der Fußgängerzone
ist das größte Geschäft der Stadt.
An diesem Mittag werden die Trends des Frühjahrs vorgestellt.
(Conferencier) Meine Damen und Herren, herzlichen willkommen
zu unserer Moderunde in Ihrem Schillerkaufhaus.
Wir freuen uns,
dass Sie einen Blick werfen wollen auf die kommende Saison.
Die Saison wird auf keinen Fall langweilig.
Hier geht es weiter mit unserer Kathka.
Pflege der Stammkunden,
für die der Kaufhausbesuch immer noch wichtig ist.
(Conferencier) Bei den Herren geht es zurück.
Und zwar von den Neontönen weg zu Pastellfarben.
Auch hier wird Schwerpunkt auf das Hemd gesetzt.
Hinten im Lager läuft währenddessen das Plattform-Geschäft.
Die Bestellungen von Zalando-Kunden kommen aus ganz Deutschland.
Der Rock, der geht immer noch. Das gibts nicht.
24 h am Tag: Neuland-Arbeit.
Constanze Hebestreit und Christiane Gohl suchen die Zalando-Ware.
Das Internet hat einen neuen Beruf erschaffen:
Neben der Fachverkäuferin gibt es nun noch die "Pickerin".
Was hat die für eine Artikelnummer?
Hat hinten die EAN 004.
004, nee, die ist es nicht hier.
Nee, ich hab hier 525. - Weiß auch keiner weiter, gell?
Meine Aufgabe ist quasi, das Teil, was die Kundin bestellt hat,
auf der Fläche zu suchen, aktuell.
Und die zum Versenden mit ins Lager zu nehmen.
Wie viele gibts heute?
Heute gibts, wir haben aktuell viele Aufträge drinne.
Das waren heute 150 bis 200 Stück.
Wir dürfen unser Seidenpapier verwenden,
dürfen unser Logo hier mit aufkleben.
Der Kunde sieht schon,
dass es vom Konsum Weimar aus dem Schillerkaufhaus kommt.
Das war ne Umstellung für alle Mitarbeiter,
dass man nicht den Kunden an sich vor sich hat.
Sondern ne Liste bekommt, ein Teil einpackt
und es unpersönlich eben auch sendet.
Jetzt haben sie sich gut reingefunden
und machen das auch mit Herzblut.
Um auf die Plattform zu kommen,
zahlt das Schillerkaufhaus an Zalando eine Gebühr.
Wie hoch die ist: Darüber schweigen beide.
Ein Warenhaus als Plattform-Versender,
ist das die Rettung oder der Anfang vom Ende des Offline-Handels?
Der stationäre Einzelhandel wird sich nicht abschaffen,
den wird es weiter geben, aber in einer komplett anderen Form.
* Musik *
Die kleinen und mittleren Unternehmen mit ihren Belegschaften
könnten die Verlierer im Neuland sein, fürchten Ökonomen.
Die Plattform-Ökonomie sei der Beginn eines neuen Zeitalters.
Das ist insofern eine neue Ökonomie,
weil man braucht nicht 3 oder 4 Plattformen.
Man braucht einen Marktplatz.
Deswegen haben diese Plattformen diese Tendenz,
Märkte an sich zu reißen, zu Monopolen zu tendieren.
Weil der Markt so dominiert wird von wenigen Playern,
haben wir kaum eine Wahl.
Ich würde sagen: Die großen Plattformen
beherrschen nicht den Markt, sie sind der Markt.
Die Digital-Unternehmen wachsen in enormem Tempo.
Seit Anfang 2010 haben Amazon, Facebook, Apple,
Microsoft und Google im großen Stil Firmen zugekauft.
Global agierende Neuland-Unternehmen haben eine Besonderheit:
Ihre Belegschaften sind unterdurchschnittlich klein:
Zählt man die Mitarbeiter großer Digital-Unternehmen zusammen,
arbeiten in all diesen Firmen ungefähr so viele Menschen
wie in einem klassischen Konzern der alten Industriewelt.
Siemens z.B.
Der Wert der Unternehmen entkoppelt sich von der Zahl der Mitarbeiter:
Instagram hatte nur 13,
als es für 1. Mrd. von Facebook übernommen wurde.
Das Ergebnis:
Reich geworden sind häufig v.a. die Gründer und Aktionäre
von Amazon, Facebook, Alibaba.
Und die Investoren hinter Zalando.
Geschätztes Vermögen: gut 3 Mrd. Dollar.
(Mann ruft unverständlich)
Wenn im Neuland mächtige Unternehmen davoneilen und den Markt bestimmen,
braucht es dann eine Kraft, die dagegenhält?
Die Politik?
Die Staatsministerin für Digitales,
Dorothee Bär, besucht die Computerspielmesse in Köln.
Als Neuland-Verantwortliche ist sie seit 2 Jahren im Amt.
Verkehrsminister Andreas Scheuer und sie
wollen Begeisterung fürs Digitale schaffen.
