Der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg: Wie ist es, hier zu leben? | Y-Kollektiv
Brauchst du eine Zigarette?
Nein ich rauche nicht.
Keine Angst?
Ich habe keine Angst. Ich bin nur da langgelaufen.
Das ist Alltag im Görlitzer Park. Der Görli - so wird er von uns Anwohner:innen liebevoll genannt - begleitet mich seit vielen Jahren.
Ich bin hier gerne. Eigentlich ein stinknormaler Park. Wenn es da nicht auch die andere Seite gäbe.
Ich würde mein Kind zum Beispiel nie alleine in den Büschen rumspielen lassen, weil da Spritzen rumliegen könnten.
Dem Görli eilt kein guter Ruf voraus: Viele Dealer, viele Polizeieinsätze, viel Kriminalität. Anwohner:innen merken das auch.
Es ist immer laut, immer dreckig, es ist wenig Platz für die Kinder. Man hat auch so das Gefühl die Leute werden immer rücksichtsloser.
Auf den 14 Hektar des Görlis treiben sich viele unterschiedliche Menschen rum. Auffällig sind die vielen Dealer an den Eingängen.
Die meisten von ihnen sind Geflüchtete aus Westafrika.
Keiner kommt hierher mit der Idee: Jetzt fliege ich nach Deutschland und dort werde ich mal Drogen verkaufen, das gibt es nicht.
Deutschlandweit ist der Park eher bekannt für negative Schlagzeilen. Er ist zum Politikum geworden.
Die Menschen sind einfach zu gierig nach Geld.
Hier prallen Welten aufeinander. Mein Verhältnis zu dem Park: ambivalent.
Ich frage mich, was denken die anderen Leute über den Park und wie geht es Ihnen damit?
Ich lebe schon lange am Görlitzer Park. Er hat mich durch verschiedene Lebensphasen begleitet und es verbinden mich
unzählige Erinnerungen mit ihm. Doch noch nie habe ich mich diesem Park als Reporterin genähert.
Ob das eine gute Idee ist?
Ich fange mit der Recherche natürlich im Görli an und bin mit einem Parkläufer verabredet. Er heißt Souleymane, alle nennen ihn Solo.
Ich telefoniere mit ihm vor dem Dreh, er sagt mir, dass gleich mehrere Leute auf mich warten.
Noch eine? Ok, krass. Drei Leute vor dem Bezirksamt?
Das fängt ja heute gut an! Zuerst der Regen und dann das.
Bis dieser Dreh eingetütet war hat es ganz schön lange gedauert, ich stand im täglichen Kontakt mit der Pressestelle des Bezirksamtes.
Wir dürfen drehen, mit der Bedingung, dass mich eine Person vom Bezirksamt begleitet.
Für die einen ist er der Schandfleck Deutschlands, die anderen kritisieren die vielen Polizeieinsätze.
Doch heute ist von dieser aufgeheizten Stimmung nicht viel zu sehen: Absolut tote Hose. Warum, das sehe ich später.
Also ich mag diesen Park total gerne. Ich lebe seit 10 Jahren hier. Und ich habe auch ein Kind und ich würde mein Kind
zum Beispiel nie in den Büschen alleine rumspielen lassen weil da Spritzen rumliegen könnten.
So da warten auch schon drei Parkläufer mit grünen Westen auf uns. Die Parkläufer gibt es seit ein paar Jahren.
Ein Projekt des Bezirksamts. Zuerst aber die Situation klären.
Hallo! - Hallo! Hallo! Meine Güte, gesammelte Mannschaft.
Zum Glück zeigen sich die Leute vom Bezirksamt kooperativ und verstehen meine Bedenken, dass drei Begleitpersonen
zwei zu viele sind. Eine Person läuft mit, sie wird nicht gefilmt.
Nun aber zu Solo. Er kennt den Park wie seine Westentasche. Schon vor 20 Jahren war er regelmäßig mit seiner Tochter hier,
jetzt ist es sein Arbeitsplatz. Er sagt, er spricht 10 Sprachen. Optimale Voraussetzungen für die Arbeit im Görli.
Denn er muss hier mit allen reden, moderieren und schlichten. Wenn es Probleme gibt, kommen sie angeradelt.
Alle sollen sich hier wohlfühlen.
Während wir reden sieht er zwei Männer an einem Parkeingang stehen. Solo und die anderen Parkläufer wollen nicht,
dass die Dealer direkt am Eingang stehen.
Was ist das Problem dahinten?
Das Problem ist, dass wir nicht möchten, dass die Leute direkt am Eingang sich positionieren. Sie können entweder reingehen,
Ja. Oder rausgehen, aber nicht direkt am Eingang. Das ist so, wie es vor der Diskothek aussieht.
Woher kommen die Jungs?
Die kommen aus Gambia.
Was ist denn- Ah jetzt guck mal, jetzt sind alle weg.
Aber wenn man jetzt guckt, die Leute, die machen das nicht, weil die gerne Drogen verkaufen oder sowas. Da sind Leute,
die keine Arbeitserlaubnis haben und sie haben keine Bleiberechte hier. Die meisten kommen aus Italien, Spanien und sprechen auch
kaum Deutsch und versuchen dann hier irgendwie Geld zu verdienen, damit sie es ihren Familien schicken können.
Keiner kommt hier mit der Idee jetzt fliege nach Deutschland. Dort werde ich mal Drogen verkaufen. Das gibt's nicht.
Viele der Dealer haben keine Bleibeperspektive und sind hier lediglich geduldet. In den meisten Fällen bedeutet das,
dass sie über keine Arbeitserlaubnis verfügen.
Wie viel verdient man hier als Dealer am Tag?
Das haben sie mir noch nie erzählt. - Nein? Ne.
Und Stop! Die Frau vom Bezirksamt interveniert. Sie will nicht, dass soviel über Drogen gesprochen wird.
Die Arbeit der Parkläufer sei doch so viel mehr. Das verunsichert mich. Ich merke der Park ist politisch aufgeladen.
Aber, wenn Drogen ein so sichtbares Problem sind, dann kann ich nicht darüber hinweg schauen.
Ich weiß ja, dass der Park viel mehr ist als nur Drogen, er ist Grünfläche und Rückzugsraum und anscheinend
auch Wohnraum für manche. Das muss Solo gleich klären.
Hallo. Was ist das hier?
Sie haben nicht das Recht, das hier abzustellen.
Was für ein holpriger Dreh! Der Park ist total leer und jetzt verstehe ich auch warum:
Im Hintergrund findet gerade eine Drogenrazzia statt. Auch das ist Alltag im Görli.
Hier komme ich nicht weiter. Ich warte bis die Polizei weg ist, dann kommen die Dealer wieder.
Ich möchte nämlich mit einem sprechen, um herauszufinden: Wie die Situation für sie ist?
Denn sie werden in Verbindung gebracht mit den Problemen im Görli. Viele machen sie dafür verantwortlich.
Sag mal kann ich dir ein paar Fragen stellen? Hallo?
Ob mit Kamera oder ohne, niemand will reden.
Also Raus aus dem Park. Ich treffe Brigitta. Sie ist meine Nachbarin und bekannt wie ein bunter Hund hier im Kiez.
So jetzt grüßt mich keiner mehr.
Sonst grüßen dich immer alle? Ja.
Kameras sind nicht gerne gesehen hier im Kiez. Weil die Berichterstattung so einseitig sei. Brigitta arbeitet als Anwältin.
Sie konnte nicht mehr tatenlos die Situation der Geflüchteten im Park mit ansehen und hat dann einen Verein gegründet: Bantabaa.
Dort unterstützt sie Geflüchtete beim Ankommen in Berlin. Viele konnte sie aus dem Park holen.
Brigitta, wie geht es dir als Anwohnerin des Görlis?
Naja, wahrscheinlich ähnlich wie dir oder wie den meisten hier. Also das ist schon sehr nervig, die ganze Situation.
Es ist immer laut. Es ist immer dreckig. Es ist wenig Platz für die Kinder. Wir werden überschwemmt von Touristen.
Man hat auch das Gefühl, die Leute werden immer rücksichtsloser. Jeder setzt nur noch so seine Interessen durch.
Und das, was eigentlich hier den Kiez mal ausgemacht hat, dieses Miteinander, das geht dadurch ein bisschen verloren.
Sie kennt die vielen Lebensgeschichten der Geflüchteten und die Perspektivlosigkeit, in der sich viele befinden.
Sie sagt, dass Problem liegt darin, dass viele nicht arbeiten dürfen.
Hier sind jetzt unsere Vereinsräume. Hier machen wir Deutschkurse, Rechtsberatung und auch so andere Beratungsangebote
haben wir hier. Also zum Beispiel wird das jetzt hier interkulturelle Familientreffen machen, dass Väter die kein Sorgerecht haben,
dass die hier mit ihren Kindern spielen und sich aufhalten können. Das wollen wir eben auch mit Beratungsangeboten kombinieren.
Dann haben wir so ein Kunstprojekt vor, mit Fotos und so.
Und hier findet dann einmal in der Woche die Rechtsberatung statt?
Genau, die ist immer Mittwoch 19 Uhr.
Sie erzählt, dass viele sie in Anspruch nehmen. Ein Asylverfahren kann sich bis zu zwei Jahre ziehen.
In dieser Zeit sagt Brigitta, sollen die Geflüchteten Deutsch lernen. Das ist der erste Schritt. Und dann eine Ausbildung anfangen.
Und dann wenn das Asylverfahren positiv ausfällt, kommt die Arbeitserlaubnis. Es ist ein langer Weg mit viel Bürokratie,
viel Papierkram und viel Geduld.
Der macht eine Ausbildung gerade als Koch und hat jetzt sogar die Prüfung gemacht. War auch bei uns im Projekt ursprünglich.
Auch ein Erfolgsbeispiel.
Und, aber insgesamt?
Vielleicht einen drittel, vielleicht einen viertel.
Brigitta ist das Problem Görlitzer Park auf ihre Weise angegangen und hat einen Mikrokosmos geschaffen, rund um ihren Verein.
Die kleine Community hält zusammen und jeder packt mit an. Heute wird gemeinsam gegessen. Einmal in der Woche gibt es
das sogenannte Community Dinner. Hier gibt es vereinzelte Erfolgsstories der Integration. Doch auf viele trifft das nicht zu.
Ich versuche seit Wochen Kontakt zu einem Dealer oder Ex-Dealer zu knüpfen. Jetzt über ein paar Ecken, hat mir ein Bekannter
die Nummer von jemanden geschickt, der in Frage kommen könnte. Ich lade ihn auf ein Getränk ein.
Am Telefon klang er sehr freundlich. Ich bin gespannt wie das Interview wird.
Genau. Ich nehme mein Handy mit und wir bereden dann noch ob er gefilmt werden möchte oder nicht.
Er möchte nur anonym gefilmt werden. Aber ich darf mit meinem Handy mit filmen. Eins vorweg: Kinsley dealt nicht mehr.
Ich habe den Park einmal Nachts entdeckt. Ich bin da spazieren gewesen, weil ich mir die Gegend angucken wollte.
Und da hat mir jemand 10 Euro gegeben. Oh, cool, ich kann hier Business machen. Ich habe schon manchmal in Italien gedealt,
in Campo Maso. Ich bin mit einigen Freunden in den Park dealen gegangen. Aber es waren zu viele Probleme.
Zu viel Polizei, zu viele Probleme mit anderen Afrikanern. So haben wir uns getrennt und wir haben aufgehört zu dealen.
Alle aus Ghana haben aufgehört zu dealen. Die meisten, die dealen, kommen aus Gambia.
Kinsley erzählt, dass er gedealt hat, um über die Runden zu kommen. Er ist gerade auf Bewährung. Seit er aus dem Knast ist,
unterstützen ihn Freunde. Sie zahlen ihm Essen und Klamotten. Das ist sein Glück im Unglück. Andere trifft es viel härter -
gerade im letzten Jahr: Etwas hat sich geändert. Seit dem Corona Jahr sind viele Junkies geworden mit Kokain.
Ich habe viele nette Jungs gesehen, die seit 8 Jahren hier leben, und sich aufgegeben haben und Kokain nehmen.
Afrikaner, Marokkaner, Tunesier nehmen alle Crack jetzt. Die Afrikaner nehmen Crack und das ist gefährlich.
Wegen dem Kokain und dem Crack. Sobald du abhängig bist, und das ist gefährlich, brauchst du die ganze Zeit Geld.
Und es ist dir scheißegal wie du an das Geld kommst. So werden Leute jetzt gewalttätiger im Park.
Sie rauben, und im letzten Monat war es sehr gewalttätig im Görli.
Mir sind auch im letzten Jahr viel mehr Drogenabhängige, Obdachlose und Verwahrloste Menschen auf den Straßen rund um
den Görli aufgefallen. Corona hat sie besonders hart getroffen. Im Görli werden dann solche Probleme sichtbar.
Was denkt Kinsley. Hat er einen Vorschlag, wie man die Leute aus dem Park holen könnte?
Die Lösung? Nicht mal die Kanzlerin kann sagen, was die Lösung ist. Angela Merkel oder wie auch immer sie heißt.
Sie kann es nicht sagen. Wie kann ich das sagen? Es kann nicht gelöst werden. So viele wurden festgenommen.
Würde es was helfen, wenn sie arbeiten könnten?
Ja, aber viele sind zu gierig, sie wollen Geld.
Klar, im Park geht es schneller und einfacher an Geld zu kommen. Gerade wenn man nichts zu verlieren hat.
Görli für mich ist ein Ort wo ich frei bin und rumhängen kann. Alkohol trinken, Drogen nehmen. Das bedeutet er für mich.
Und Schlägereien. Das ist was der Görli für mich ist.
Schlägereien?
Wenn du high bist und besoffen, dann gibt es Schlägereien. Das bedeutet er für mich. Aber das ist nicht die generelle Meinung
vom Görli. Görli ist ein Ort für alle. Wo man hingeht und Spaß haben kann. Überall auch in Italien gibt es Parks,
wo Schwarze Drogen verkaufen. Das ist der Lauf der Dinge. Wir müssen so viele Wege finden, um zu überleben.
Puh. Das ist hart zu hören. Das Gespräch hat mich aufgewühlt, denn mir ist wieder einmal bewusst geworden - wie privilegiert ich bin.
Was unterscheidet mich von ihm? Mir standen von Geburt an so viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung, ich habe nie gehungert.
Ich kann bedenkenlos reisen und muss nicht mein Leben auf einem Schlauchboot riskieren. Und das ist auch das krasse
an diesem Park. Es prallen Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensrealitäten aufeinander.
Unterschiedliche Perspektiven gibt es auch hier beim Community Dinner. Hier haben sich schon einige Leute versammelt.