Der Schatten über Innsmouth - Kapitel 3 – 11
Ich hatte den mit Gebüsch bewachsenen Kanal betreten und kämpfte mich in sehr zähem Tempo hindurch als jener verdammte Fischgestank wieder dominant wurde. Hatte sich der Wind plötzlich nach Osten gedreht so, dass er nun vom Meer aus über die Stadt wehte? Es musste so sein, folgerte ich, da ich nun begann, entsetzliches, kehliges Gemurmel aus ebenjener bis dahin stillen Richtung zu vernehmen. Da waren noch weitere Geräusche --- eine Art umfassendes, kolossales Flattern und Getrappel, das in mir unerklärliche Bilder der widerlichsten Sorte hervorrief. Es ließ mich unlogischerweise an die unheilvoll wogende Kolonne an der weit entfernten Straße nach Ipswich denken.
Und dann wurden sowohl Gestank als auch Geräusch stärker, so dass ich zitternd und dankbar für den Schutz des Kanals innehielt. Es war hier, so erinnerte ich mich, dass die Straße nach Rowley der alten Bahnlinie so nahe kam, bevor sie westwärts kreuzte und dann von ihr abwich. Etwas kam diese Straße entlang und ich musste mich versteckt halten, bis es an mir vorübergezogen und in der Ferne verschwunden war. Dem Himmel sei Dank setzten diese Kreaturen keine Hunde zur Spurensuche ein --- obwohl das vielleicht in mitten des omnipräsenten Gestanks der Gegend unmöglich gewesen sein mochte. Gebückt in den Büschen in jener sandigen Kluft fühlte ich mich relativ sicher, obwohl ich wusste, dass die Verfolger die Strecke nicht weiter als einhundert Yards von mir entfernt überqueren werden müssten. Ich würde sie sehen können, doch sie mich nicht, solange kein böswilliges Wunder geschehe.
Plötzlich begann ich mich davor zu fürchten, sie anzuschauen wenn sie vorbeikamen. Ich sah den engen, mondbeschienenen Ort an dem sie vorbeiziehen würden und hatte merkwürdige Gedanken zur rettungslosen Beschmutzung dieses Ortes. Sie würden wahrscheinlich die schlimmsten aller Innsmouther Gestalten sein --- etwas, dessen man sich nicht erinnern möchte.
Der Gestank wurde überwältigend und die Laute schwollen zu einem bestialischen Gewirr aus Gequake, Geheul und Gebell ohne die geringste Andeutung menschlicher Sprache. Waren dies wirklich die Stimmen meiner Verfolger? Hatten sie doch Hunde dabei? Bis jetzt hatte ich keine niederen Tiere in Innsmouth gesehen. Das Flattern und das Getrappel waren nun ungeheuerlich --- ich konnte die entarteten Kreaturen, die sich dafür verantwortlich zeichneten nicht ansehen. Ich würde meine Augen geschlossen halten, bis die Geräusche sich nach Westen verzogen hatten. Die Schar war nun sehr nahe --- die Luft faul mit ihrem heiseren Knurren und der Boden fast zitternd vor ihren fremdartig-rhythmischen Schritten. Mein Atem stockte mir und ich brachte jedes bisschen Willenskraft auf um meine Augen geschlossen zu halten.
Ich bin auch jetzt noch nicht willens zu sagen ob es sich bei dem, was nun folgte um grausame Wirklichkeit order lediglich alptraumhafte Halluzination handelte. Das spätere Handeln der Regierung nach meinen verzweifelten Aufrufen sollte es als ungeheuerliche Wahrheit bestätigen, doch kann sich eine solche Halluzination nicht unter dem fast hypnotischen Bann dieser uralten, ruhelosen und beschatteten Stadt entwicklen? Solche Orte haben seltsame Eigenschaften und dieses Vermächtnis an wahnsinnigen Legenden mag wohl mehr als einmal die menschliche Vorstellungskraft inmitten dieser toten, übelriechenden Straßen und dem Durcheinander von modernden Dächern und verfallenen Türmen beeinflusst haben. Ist es nicht möglich, dass der Keim eines ansteckenden Wahns in den Tiefen des Schattens über Innsmouth lauert? Wer kann sich sicher sein, was Wirklichkeit ist, nachdem er die Geschichten des alten Zadok Allen angehört hat? Die Regierungsleute haben den armen Zadok nie gefunden und haben keine Vermutungen, was aus ihm geworden ist. Wo hört der Wahnsinn auf und beginnt die Realität? Ist es möglich, dass sogar meine neueste Angst schiere Einbildung ist?
Doch ich muss versuchen, zu erzählen, was ich in jener Nacht unter dem spöttischen, gelben Mond zu sehen glaubte --- wogend und hüpfend die Straße nach Rowley hinunter ganz klar vor mir sichtbar während ich im wilden Gestrüpp der verlassenen Bahntrasse kniete. Natürlich war ich mit meinem Vorsatz, die Augen geschlossen zu halten, gescheitert. Ich war zum Scheitern verdammt --- denn wer könnte sich blind zusammenkauern, während eine Legion quakender, bellender Wesenheiten unbekannten Ursprungs übelriechend vorbei hopsten, kaum mehr als einhundert Yards entfernt?
Ich glaubte, ich sei auf das schlimmste gefasst und ich sollte wirklich darauf gefasst gewesen sein, nach dem was ich bis dahin gesehen hatte. Meine anderen Verfolger waren verflucht und abartig --- sollte ich also nicht bereit gewesen sein, mich einer Erstarkung des abnormalen Elements zu stellen? Formen zu Gesicht bekommen in denen sich überhaupt keine Spur des Normalen mehr fand? Ich öffnete meine Augen nicht, bis der grobe Lärm laut von einer Stelle klar vor mir erklang. Da wusste ich, dass ein großer Teil von ihnen da, wo die Seiten des Kanals abflachten und die Straße die Bahnstrecke kreuzte sichtbar sein musste --- und ich konnte mich nicht länger davon abhalten, eine Stichprobe des Schreckens, den der grinsende gelbe Mond mir darbot zu nehmen.
Es war das Ende --- was auch immer noch von meinem Leben auf dem Boden dieser Erde verbleibt --- jeden Überbleibsels geistigen Friedens und Vertrauens in die Intaktheit der Natur und des menschlichen Geistes. Nichts, das ich mir hätte vorstellen können --- nicht einmal etwas, das ich hätte ahnen können, wenn ich die Erzählungen des alten Zadok absolut wörtlich genommen hätte --- wäre auf irgendeine Art vergleichbar mit der dämonischen, blasphemischen Realität die ich erblickte --- oder glaubte zu erblicken. Ich habe versucht, es anzudeuten, um das Grauen, das darin liegt es unverblümt niederzuschreiben hinauszuzögern. Kann es möglich sein, dass dieser Planet wirklich solche Dinge hervorgebracht hat, dass menschliche Augen tatsächlich in Fleisch und Blut gesehen haben, was man bis dahin lediglich aus Fieberfantasien und dürftigen Legenden kannte?
Und doch sah ich sie in einem unendlichen Strom --- hopsend, hüpfend, quakend, blökend --- unmenschlich durch das gespenstische Mondlicht wogend in einer grotesken, bösartigen Sarabande fantastischer Alpträume. Und einige von ihnen trugen spitze Tiaras aus jenem namenlosen weißlich-goldenen metal… andere waren in seltsame Roben gehüllt… und einer, der die Richtung wies, trug einen schaurig buckligen schwarzen Mantel und gestreifte Hosen gekleidet und hatte einen Filzhut auf dem formlosen Ding, dass seinen Kopf darstellte sitzen…
Ich glaube, ihre überwiegende Farbgebung war ein gräuliches Grün, obwohl sie weiße Bäuche hatten. Die meisten von ihnen waren glänzend und glitschig, doch die Grate auf ihren Rücken waren schuppig. Ihre Formen deuteten Menschenähnlichkeit an, während ihre Köpfe die von Fischen waren, mit gewaltigen, hervortretenden Augen, die sich nie schlossen. An den Seiten ihrer Hälse lagen pochende Kiemen und ihre langen Tatzen waren mit Schwimmhäuten versehen. Sie hüpften unregelmäßig, manchmal auf zwei Beinen, manchmal auf vieren. Ich war irgendwie froh, dass sie nicht mehr als vier Glieder hatten. Ihre quakenden, bellenden Stimmen, offensichtlich gebraucht um Sprache zu artikulieren, hatte all jene dunklen Nuancen des Ausdrucks inne, die ihren starren Gesichtern fehlten.
Doch trotz all ihrer Monstrosität, waren sie mir nicht fremd. Ich wusste genau was sie sein mussten --- denn war nicht die Erinnerung an jene üble Tiara in Newburyport noch frisch? Sie waren die frevelhaften Fischfrösche aus jener namenlosen Ausgestaltung --- lebendig und entsetzlich --- und als ich sie sah, wurde mir auch bewusst, woran mich jener bucklige, Tiara tragende Priester in dem dunklen Kirchenkeller so fürchterlich erinnert hatte. Ihre Zahl lag jenseits jeder Schätzung. Es erschien mir als ob da unendliche Schwärme von ihnen waren --- und wahrscheinlich konnte mein kurzer Blick nur einen Bruchteil davon zeigen. Im nächsten Moment wurde all dies durch eine gnädige Ohnmacht ausgetilgt, die erste, in die ich je fiel.