Eure Community tut euch nicht gut
Communities sind etwas Tolles.
Noch nie zuvor war es derart leicht, andere mit denselben Interessen, Vorlieben und Neigungen
zu finden und sich mit ihnen auszutauschen.
Das Internet und seine sozialen Netzwerke haben ein bisher nie dagewesenes, zeit- und
ortsunabhängiges Forum für Gleichgesinnte geschaffen.
Das ist vielleicht einer der größten gesellschaftlichen Errungenschaften aller Zeiten…
… und doch birgt diese neugewonnene Freiheit seine Gefahren.
Vor allem für diejenigen, die der Mittelpunkt einer solchen Gemeinschaft sind.
Heutzutage kann eine auf sozialen Netzwerken aktive Fangemeinschaft ihrem Idol innerhalb
weniger Tage extrem stark schaden, ohne es selbst zu merken oder gar zu wollen.
- Um zu verstehen, was ich damit meine, müssen
wir uns ein paar Beispiele angucken.
Das jüngste und wahrscheinlich auch bekannteste ist das vom Influencer ConCrafter, der sich
mit einem Video auf seinem YouTube Kanal an seine Zuschauer wendet und ausnahmsweise mal
nicht gut gelaunt versucht zu unterhalten, sondern von einer ihm zugestoßenen Ungerechtigkeit
erzählt.
Er wollte nämlich am Wochenende auf Kosten von Instagramposts feiern gehen und eigentlich
kein Geld an diesem Abend ausgeben, wurde dann aber von einem Clubbesitzer schlagfertig
abserviert.
In seinen Augen unglaublich arrogant, was er seinen Zuschauern, seiner Fangemeinschaft,
auch genau so sagt.
Sara Desideria erzählt währenddessen in einem YouTube-Video, warum sie nie wieder
einen Gucci-Store betreten wird.
Was zuerst nach dem belanglosesten Problem aller Zeiten klingt entpuppt sich auch wieder
als eine ihr zugestoßene Ungerechtigkeit.
Und Lukas Rieger veröffentlicht eine Snapchatstory, in der er sich an seine eigene Fangemeinschaft
wendet und von einer ihm zugestoßenen Ungerechtigkeit erzählt, weil ein gemeiner YouTube-Kanal
ihn und sein Buch kritisiert hat.
Es gibt unzählige Inhalte dieser Art und dabei ist es völlig egal, ob die erwähnte
Ungerechtigkeit berechtigt ist oder nicht.
Wenn man von der Struktur von sozialen Netzwerken weiß und sieht wie diese Influencer ihre
Narrative aufbauen, um von diesen Ungerechtigkeiten und Enttäuschungen zu erzählen, dann merkt
man irgendwann: Storytime-Videos sind oft das neuzeitliche, digitale Äquivalent von
„zu seiner Mami“ laufen.
Und das ist nicht einmal wertend gemeint.
In die eigene Fangemeinschaft eine Geschichte voller Ungerechtigkeit sich selbst gegenüber
zu erzählen, ist nun mal in erster Linie die Suche nach Bestätigung und Ego-Restauration.
Denn natürlich ist man gekränkt, eventuell sogar wütend oder von anderen enttäuscht
und braucht für das eigene Handeln in dieser Situation Zuspruch.
Und ein Publikum das exklusiv aus parteiischen Fans besteht, die bewusst eingewilligt haben,
über neue Inhalte informiert zu werden, ist leider in sehr vielen Fällen nicht dazu in
der Lage, qualitatives Feedback zu einer Geschichte zu geben, die nur aus einer Perspektive erzählt
wurde.
Auch wenn Floskeln wie „was ist eure Meinung dazu?“
in diesen Inhalten sehr häufig auftauchen, ist diese Frage in vielen Fällen nur dazu
da, um ergebnisoffen zu wirken.
Denn natürlich weiß der Influencer von der Sympathie seiner Zuschauer und von der einseitig
erzählten Geschichte, die Zuhörern eigentlich nur eine Meinung übriglässt.
Es passiert vielleicht nicht bewusst, aber es entsteht ein Strudel der Bekräftigung,
wenn sich eine Internetpersönlichkeit mit erfahrener Kritik oder Widerworten an die
eigene Community richtet und ausschließlich Rückmeldungen wie „du hast alles richtig
gemacht“ zurückbekommt.
Egal was die Person macht, egal wie falsch sie sich vielleicht in den Augen Externer
verhalten haben mag, ihr wird gesagt, sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen.
Und das kann schaden und süchtig machen.
Dabei trägt keine der beiden Parteien die alleinige Schuld.
Der Influencer bekräftigt Zuspruch mit Likes, persönlichen Antworten oder gar eingespielten
kurzen Videostatements der Fans.
Und die Fans lassen sich von dieser Struktur erziehen und lernen, dass sie am meisten für
ihr Idol tun, wenn sie ihm sagen, dass das alles nicht seine Schuld ist.
Und aus diesem Verhältnis entsteht ein für alle Beteiligte angenehmes soziales Umfeld,
das zwar zu keiner realistischen Beurteilung der wiedergegebenen Geschichten mehr fähig
ist, aber den Mitgliedern untereinander das Gefühl gibt, im Recht zu sein.
Und der Influencer geht bei verletztem Ego oder Wut gegen andere natürlich den Weg des
geringsten Widerstands.
Anstatt sich also der Kritik zu stellen oder diese Situation in weniger voreingenommenen
Kreisen zu besprechen oder gar selbst zu reflektieren, wendet man sich an die Gemeinschaft, von der
man weiß, dass sie einem sagt, was man insgeheim hören will.
Sie laufen zu ihrer Mami und erzählen einseitig, was ihnen eben im Sandkasten passiert ist.
Und das ist kein von den Influencern ausgeklügeltes System, um sich nicht tatsächlich mit den
eigenen Fehlern auseinandersetzen zu müssen, nein, das ist in großen Teilen Ergebnis der
Strukturen von sozialen Netzwerken.
Denn die unterstützen dieses Phänomen von Communities, die sich untereinander immer
wieder bestätigen.
Wer als Internetpersönlichkeit auf Kritik reagiert, kann dies auf Twitter mit einem
„Retweet mit Kommentar“ machen, der es ihnen ermöglicht auf Kritik zu antworten,
die dann allen Followern angezeigt wird und sie dazu bringt, ihren Influencer zu verteidigen.
Wer auf YouTube ein Video über eine selbst erfahrene Ungerechtigkeit macht, kann den
Auslöser dieser Ungerechtigkeit dort leicht zum Ziel machen, so dass sich die eigene Community
selbst auf den Weg zu dieser Ungerechtigkeit macht, um „für Recht und Ordnung“ zu
sorgen.
Und Leute, die von diesem Phänomen nicht wissen, können sich extrem schnell dort drin
verlieren, denn jeder kann eine Community in sozialen Medien aufbauen oder ihr beitreten,
aber nicht jeder kann auch mit ihr umgehen.
Nicht umsonst ist Communitymanagement ein richtiger Beruf, den viele Influencer mit
Tausenden oder gar Millionen an Followern nicht im Ansatz ausführen können.
In sozialen Medien kriegt jeder die gleichen Zügel in die Hand gelegt, ungeachtet dessen,
ob die jeweilige Person auch damit klar kommt.
Daher hier ein kleiner Crashkurs, wenn es um abgekapselte Communities im Internet geht:
Eine Interessensgruppe, die zu lange alleine mit sich selbst gelassen wird, pervertiert
in vielen Fällen durch einen beständigen Bestätigungszyklus irgendwann zu etwas, das
extrem selbstbewusst ist, obwohl es nie durch Kritik gewachsen ist, geschweige denn sie
verstanden hat.
Kritik von außerhalb dieser Communities ist extrem wertvoll, und vor allem etwas, das
man nicht mit positiven Stimmen aus der eigenen Community aufrechnen kann. 1 – 1 ist nicht
immer 0, da der Ort, an dem man sich an die Öffentlichkeit wendet, bei weitem kein neutraler
ist.
Negative Kritik für ein Video zu bekommen, in dem man sich über etwas echauffiert, was
einem selbst passiert ist, ist etwas, dass man in erster Linie sehr, sehr ernst nehmen
sollte, denn wenn man sich schon dazu entscheidet, ein derartiges Video in die eigene voreingenommene
Blase zu posten, geht man eigentlich schon davon aus, nur positives Feedback zu bekommen.
Diese Kritik muss nicht immer sinnvoll oder berechtigt sein, aber ignorieren sollte man
sie in keinem Fall.
Daher an die Internetpersönlichkeiten, die dieses Video gucken:
Solltet ihr wirklich ein Interesse daran haben, qualitativ wie inhaltlich zu wachsen oder
einfach eine gesunde Einschätzung eurer Erfahrungen zu erhalten; fragt nicht nur eure eigene Community,
die wird leider in vielen Fällen nur das sagen, was ihr hören wollt.
Sie wollen euch einen Gefallen tun, und schaden euch damit meist mehr, als ihr glaubt.