Zwischen Rassismus und Neugier: Woher kommst du?
. Woher kommst du? Wenn man diese Frage einen Menschen mit Migrationshintergrund fragt,
um eben diesen Migrationshintergrund herauszufinden,
ist das noch harmloser Small Talk oder schon geschmacklos?
Wo verläuft die Grenze zwischen Neugier und Rassismus?
Das wird derzeit diskutiert unter #vonhier.
Viele sind wütend oder genervt:
"Hört auf mich zu fragen, wo ich herkomme!"
Auf beiden Seiten: "Das wird man ja wohl noch fragen dürfen!"
Manche sind einfach nur verwirrt: "Warum sind alle wütend?"
Ich bin ja für Aufklärung statt Aufregung.
Egal, wie hitzig diese Debatte sein mag,
Ich glaube, dass es ein paar Punkte gibt,
auf die wir uns tatsächlich alle einigen können.
Mal schauen, ob das klappt.
*Titelmusik*
Also, auf was können wir uns denn alle einigen?
Ich hab in dieser Debatte vier Punkte ausfindig gemacht,
also der niedrigste Konsens, den man unaufgeregt haben kann.
Doch bevor wir zu diesen Punkten kommen, eine kurze Einführung:
Losgetreten wurde die ganze Debatte durch Dieter Bohlen und diese Szene:
Hallo, ich heiße Melissa.
Hallo, Melissa. - Hi Melissa.
Woher kommt die Melissa? - Herne.
Und Mama und Papa, wo kommt ihr her? Philippinen oder...
Nein, auch aus Herne.
Kommt ihr irgendwie...
Wo kommt ihr her? Gebürtig?
Ich weiß es nicht.
Oma und Opa oder so?
Bist du die Mama? - Ja.
Wo kommt ihr her? - Ich komme aus Thailand.
Ah, Thailand. Okay, da bin ich auch bald.
Eigentlich erst durch Malcolm Ohanwe und diesen Tweet.
Dann durch Ferda Ataman auf Spiegel online.
Dann haben sich ganz viele auf Twitter beteiligt.
Die Diskussion ist immer noch im Gange.
Die Bohlen-Geschichte kennen wir ja alle.
Mit "wir" meine ich Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund.
Woher kommst du? - Aus Nord-Baden-Württemberg.
Ich meine, woher kommst du ursprünglich?
Ursprünglich aus Südhessen.
Wenn du in Deutschland lebst und dein Gesicht nicht kaukasisch ist,
ist die Frage "woher kommst du?" wahrscheinlich die häufigste Frage,
die du so im Alltag von fremden Menschen gestellt bekommst.
Die Geschichte ist nicht neu,
nur wurde sie selten so öffentlich diskutiert wie jetzt.
Warum mögen viele mit Migrations- hintergrund diese Frage nicht?
Na ja, mit jedem "woher kommst du?"
wird man daran erinnert, dass man nicht so aussieht wie von hier.
Das ist ungefähr so, als wärst du im Fußballstadion
und alle um dich herum haben das Mannschaftstrikot an, nur du nicht.
Dabei bist du im Herzen genauso ein Fan von dieser Mannschaft,
doch alles, was die anderen sehen, ist, dass du kein Trikot anhast.
Viele Deutsche mit Migrationshintergrund
fühlen sich genauso deutsch wie Deutsche ohne Migrationshintergrund
und möchten auch gerne so deutsch gesehen werden.
Wir wollen nur deutsch sein. Ist das so schwer zu verstehen?
Doch das Fremdsein ist uns ins Gesicht geschrieben.
Da weiße deutsche Menschen dieses Gefühl jetzt nicht kennen,
wird es auch leicht missverstanden.
Vor allem, weil in dieser Debatte leicht der Eindruck entsteht,
dass diese Frage "woher kommst du?" wie ein Schlag ins Gesicht ist.
Nein, so dramatisch ist diese eine Frage jetzt auch wieder nicht.
Es ist wie der stete Tropfen, der den Stein aushöhlt.
Es ist die Häufigkeit, mit der man mit dieser Frage konfrontiert wird,
also der Alltag ist voll mit kleinen, feinen Erinnerungen daran,
dass man irgendwie nicht so richtig Teil der Crew ist,
dass man irgendwie anders ist.
Deswegen fragen Menschen mit Migrationshintergrund:
"Könnt ihr nicht einfach mal unsere Gesichter akzeptieren
und das nicht zum Thema machen?"
Jetzt gibt es auf der anderen Seite aber auch Menschen,
die ein aufrichtiges Interesse haben an der Herkunft des Gegenübers.
Vielleicht sehe ich dich ja absolut als Deutsche,
möchte aber trotzdem wissen, wo deine Wurzeln sind.
Nicht zuletzt sind die ethnischen und kulturellen Wurzeln
auch ein wichtiger Teil einer Persönlichkeit
und ein Interesse daran kann auch schön sein.
Sagt man: Seid nicht so unsensibel und hört auf diese Frage zu stellen.
Oder sagt man:
Stellt euch nicht so an und beantwortet eine harmlose Frage.
Damit kommen wir zum 1. Knackpunkt oder zum 1. Punkt,
auf den wir uns alle einigen sollten:
Vor allem, weil wir über typische Small Talk Situationen sprechen,
wo sich zwei Menschen begegnen, die sich erst getroffen haben.
Nehmen wir mich als Beispiel:
Ich heiße Mai. Meine Eltern sind Vietnamesen.
Und niemand weiß, wie man meinen vollen Namen ausspricht.
Nguyen wird so ähnlich ausgesprochen wie das Nürn von Nürnberg.
Statt Mai Thi Nürnberg sagt man einfach Mai Thi Nguyen Kim.
Ich bin in Heppenheim aka. Vettelheim geboren
und in Hemsbach an der Bergstraße aufgewachsen.
Unschwer zu erkennen, an der Art und Weise, wie ich Gehirn ausspreche.
Gehirn.
Gehirn. Heißt es nicht so?
Ich bin Deutsche, ich fühle mich auch so.
Aber wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme,
dann antworte ich meistens ganz gerne und sage,
dass meine Eltern aus Vietnam kommen.
Ja, die Frage wird oft etwas unbeholfen formuliert,
Aber solange ich das Gefühl habe,
dass die Motivation der Frage einfach Neugier ist,
bin ich persönlich cool damit.
Die Journalistin Vanessa Vu z.B. hat zwar auch vietnamesische Eltern,
hat aber ganz andere Erfahrungen gemacht.
Hier schreibt sie sehr eindrücklich, warum die Frage nach ihrer Herkunft
mit ziemlich viel persönlichem Schmerz verknüpft ist,
dass sie deswegen schlicht und einfach keine Lust hat,
darüber zu reden, vor allem nicht mit Menschen,
die sie gerade erst getroffen hat.
Und meine Eltern z.B. antworten immer sehr gerne und fröhlich
und unbefangen auf die Frage nach ihrer Herkunft.
Und das auch in vielen Fällen,
in denen ich nicht so cool reagieren würde.
Bei meinen Eltern bekommt die Frage
manchmal einen unschönen Beigeschmack.
Regelmäßig werden sie gefragt: Und warum leben Sie in Deutschland?
Und wann gehen Sie wieder zurück?
Manchmal werden sie sogar nach ihrem Beruf gefragt,
gefolgt von: Warum arbeiten Sie nicht in Vietnam? Bitch!
Das ist dann kein aufrichtiges Interesse mehr,
sondern eine deutliche Ausgrenzung, ein klares: Sie gehören nicht hin.
Versteht ihr? Das waren drei einzelne Erfahrungsberichte.
In diesem Fall von Vietnamesen in Deutschland.
Aber es gibt ja noch mehr Menschen
mit vielen Hintergründen und Geschichten und Erfahrungen.
Ich kann unmöglich meine Erfahrungen auf andere übertragen.
Deswegen kann ich auch nicht als Fragender verlangen,
dass sich der andere nicht so anstellen solle
oder nicht so empfindlich sein soll,
weil ich kann einem anderen einfach nicht
seine persönlichen Erfahrungen und Gefühle absprechen.
Kommen wir jetzt zur anderen Seite des Dialogs.
Hier gibt es auch einen Punkt, auf den wir uns alle einigen sollten:
Aus Unwissenheit, können wir andere verletzen.
Z.B. Beispiel, weil wir nicht wissen, wie sich andere fühlen.
Trotzdem ist es wichtig,
ob ich die Absicht habe, jemanden zu verletzen oder nicht.
Und trotzdem höre ich in dieser Debatte immer wieder:
Es ist egal, ob das jemand eigentlich nett meint.
Das ist ein gefährlicher Satz.
Es ist völlig legitim zu sagen, du hast es nicht böse gemeint,
aber mich hat es trotzdem verletzt.
Oder: Du hast es nicht böse gemeint, aber ich mag diese Frage nicht
und werde sie nicht beantworten. Völlig legitim.
Aber wenn man sagt: Du hast es nicht böse gemeint,
aber darauf kommt es hier nicht an.
Dann ist man einen Schritt zu weit gegangen,
denn natürlich kommt es darauf an.
Natürlich ist es wichtig, ob jemand aufrichtiges Interesse hat,
nervige Vorurteile oder Fremdenhass hegt.
Das ist doch nicht egal!
Es macht doch einen Unterschied,
ob jemand wissen möchte, ob ich aus Vietnam bin,
weil er mir mit leuchtenden Augen von seinem Vietnam-Urlaub
erzählen möchte.
Oder ob er mir danach sagt, dass ich dahin zurückgehen soll.
Wenn wir Fremdenhass in einen Topf werfen mit Unbeholfenheit,
dann ist das nicht nur sehr unfair für die unbeholfenen Menschen,
sondern es mindert auch die grausame Bedeutung von Hass und Rassismus.
Gut, so viel zur Theorie.
Aber wie verhalten wir uns jetzt in der Praxis?
Hier kommen wir zur nächsten Sache, auf die wir uns einigen sollten:
Mit Ping-Pong-Spiel meine ich diese klassische Bohlen-Situation:
Woher kommst du ursprünglich? - Aus Deutschland.
Woher kommst du eigentlich? - Aus Hemsbach.
Ich meine... - Hemsbach an der Bergstraße!
Die ganze Konversation ist halt nicht Lösungs-orientiert.
Erst mal, an die Fragenden:
Wenn ihr eigentlich wissen wollt: Woher kommen deine Gene?
Ihr aber eine Antwort bekommt wie: Hemsbach an der Bergstraße!
Dann gibt es dafür eigentlich nur zwei plausible Gründe:
A, euer Gegenüber hat euch sehr wohl verstanden,
ist aber schon mal mindestens genervt
und hat einfach keinen Bock, diese Frage zu beantworten.
Oder B: Gegenüber ist ein 5-jähriges Mädchen,
das in Deutschland aufgewachsen ist und nicht weiß, wovon ihr redet.
Und deshalb ist Nachfragen einfach nicht zielführend.
Mit jedem Nachfragen werdet ihr nur mehr Missmut
oder Verwirrung stiften.
Doch auch die Gefragten tragen nicht zur Lösung bei.
Wir wissen doch ganz genau,
was diese armen Menschen versuchen herauszufinden.
Solche Spielchen stiften ja nur Verwirrung,
vor allem, wenn der andere gar nicht weiß, warum er euch gerade nervt.
Dann wird er in Zukunft den Nächsten fragen, wo er herkommt,
weil er immer noch nicht weiß, was er falsch gemacht hat.
Was wäre stattdessen zielführend?
Einfach mal an die Fragenden:
Geht doch einfach auf die Antwort ein.
Woher kommst du? - Aus Hemsbach.
Kenne ich nicht. Wo ist das?
Wenn ihr euch für die Herkunft eines Menschen interessiert,
dann sollte der Ort, an dem er aufgewachsen ist
genauso interessant sein wie seine ethnischen Wurzeln.
Nach denen könnt ihr dann fragen, was dann viel natürlicher wirkt:
Du hast asiatische Wurzeln, oder?
Macht euch bewusst, dass die Frage nach der Herkunft
nicht unbedingt eine leichte Small Talk Frage ist,
sondern auch mit viel emotionalem Ballast belastet sein kann.
Wenn man das weißt, kann man diese Frage sensibler stellen.
Darf ich dich etwas Persönliches fragen? Was sind deine Wurzeln?
Und an die Gefragten:
Man kann ja respektvoll darauf hinweisen,
dass Herkunft etwas Vielschichtiges ist.
Was meinst du? Wo ich herkomme oder meine Wurzeln?
Wenn einen die Frage nervt, kann man das ja auch höflich sagen.
Ehrlich gesagt nervt mich diese Frage ziemlich,
weil ich mich dadurch ausgegrenzt fühle in meinem eigenen Heimatland.
Aber ich weiß, dass du es nicht böse gemeint hast.
Wenn ihr keinen Bock habt, darüber zu reden, ist das verständlich,
es ist ja auch anstrengend.
Ich will ja auch nicht immer so eine Riesenkiste aufmachen,
wenn ich nur Small Talk halten möchte.
Es ist euer gutes Recht, diese Frage nicht zu beantworten,
aber es ist nicht euer Recht, euch über die Unwissenheit aufzuregen.
Damit kommen wir zum letzten Punkt, auf den wir uns einigen sollten:
Bei aller Anstrengung:
Wenn wir, die wir es persönlich erleben, nicht aufklären, wer dann?
Falls das hier das erste Video sein sollte, dass ihr mit mir seht:
maiLab ist normalerweise ein Wissenschaftskanal,
aber weil es eben auch maiLab ist, ist es halt mein Kanal.
Und als Deutsch-Vietnamesin wollte ich das gerne loswerden.
Nächste Woche geht es regulär weiter mit Science.
Wenn euch das interessiert, könnt ihr gerne abonnieren.
Wir sehen uns nächsten Donnerstag, bis dahin: bleibt sicher.