Sendung: tagesthemen 12.06.2020 22:00 Uhr - Corona-Ausbruch in Göttingen
Themen der Sendung: Corona-Ausbruch in Göttingen: Eine Stadt und ihr sozialer Brennpunkt am Pranger, Die Koalition und ihr Corona-Konjunkturpaket, Mehr Aufwand als Ertrag? : Vom Sinn und Unsinn der Mehrwertsteuersenkung, Der Kommentar, Arbeit statt Schule: Kinder im Irak, Weitere Meldungen im Überblick, "tagesthemen"mittendrin: Umzug der Schwartau ins alte Bett, Das Wetter
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Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen
mit den tagesthemen.
Guten Abend.
Es gibt einen Unterschied
zwischen einer Epidemie
und anderen Katastrophen.
Bei Flut und Erdbeben geht
die Gefahr nicht vom Menschen aus,
sondern von Naturgewalten.
Bei der Epidemie ist das anders:
Hier haben Menschen
vor Menschen Angst.
Wenn diese auch noch erkranken,
wird ein Schuldiger gesucht,
der verantwortlich ist.
Als sich in Göttingen
Dutzende infizierten,
verbreiteten sich Gerüchte
schneller als das Virus.
Arabische Clans
und muslimische Feiern seien Schuld.
Die widersprechen scharf.
Der einstige Prachtbau macht nicht
zum ersten Mal negative Schlagzeilen.
Dieses Mal ist etwas anders.
Göttingen vor zwei Wochen.
Die Stadt veröffentlicht
eine Pressemitteilung
zum Covid-19-Ausbruchsgeschehen.
Dort ist die Rede von
"mehreren größeren
privaten Feierlichkeiten".
Betroffen seien überwiegend
"Mitglieder mehrerer Großfamilien".
Sie sollen sich bei den Feiern
zum Zuckerfest infiziert haben.
Für die Stadt
machen die Testergebnissen deutlich:
Der Hotspot liegt im Iduna-Zentrum.
Die große Wohnanlage
werden wir durchtesten.
Dort sind 600 Personen gemeldet.
Wir glauben, dass es sich aber
um 700 Personen handelt,
die sich dort aufhalten.
In dem Hochhaus-Komplex leben
Geflüchtete, Migranten, Deutsche,
Junge, Alte, Studierende.
Und die Familien aus dem Kosovo.
Sie möchten nicht mehr
vor die Kamera.
Zu häufig seien sie
von den Medien missverstanden worden.
Ein anderer Bewohner des Hauses,
kein Mitglied der Familien,
spricht mit mir.
Er will unerkannt bleiben.
Diese Familien sind in Ordnung.
Die machen wenig Radau, wenig Müll,
die benehmen sich.
Die Mitbewohner,
die zugezogen sind,
die schmeißen alles aus dem Fenster,
das ist denen kackegal.
In jedem Stock Drogendealer,
Drogenabhängige, Alkoholsüchtige.
Die Bewohner des Iduna-Zentrums
kämpfen seit Jahren mit diesem Image.
Jetzt auch noch der Corona-Ausbruch
mit 175 Infizierten,
60 davon hier im Hochhaus.
Das war Wasser auf die Mühlen
all derer,
denen der Komplex und seine Bewohner
sowieso ein Dorn im Auge waren.
Das berichten Vertreter
des Göttinger Integrationsrates.
Sie halten die Kommunikation
der Stadt für unglücklich.
Die Familie war wütend, sehr traurig
und fühlte sich allein gelassen.
Es wurde sichtbar,
dass die Gesellschaft
noch viele Vorbehalte hat.
Es wird differenziert nach:
"Wer hat das verursacht?"
und "Wer ist schuld daran?"
Die betroffenen Großfamilien
wehren sich,
verbreiten eine Gegendarstellung.
Demnach habe es
solche Feierlichkeiten nie gegeben.
Aussage gegen Aussage.
Der Integrationsrat
will sich auf keine Seite stellen,
hält auch eine andere Version
für möglich.
700 Menschen
teilen sich vier Aufzüge.
Wenn da jemand Covid-19-positiv ist,
verbreitet sich das so.
Laut Integrationsrat müsse
auch aufgeklärt werden,
was es mit dem Quarantäne-Brecher
auf sich hat.
Ein mit Corona infizierter Mann
aus dem Hochhaus
habe tagelang gegen
die Quarantäne-Anordnung verstoßen.
Über diesen Vorwurf spreche ich
mit dem Oberbürgermeister.
Wir können nachweisen,
dass wir nach Information
sofort gehandelt haben.
Er hält an der Version
der Stadt fest.
Stützt sich auf die Auswertung
der Kontaktnachverfolgung.
Die Stimmung in Göttingen
ist inzwischen aufgeheizt.
Wir kriegen nicht rüber,
wie ermittelt wird.
Das kann keiner verstehen.
Die Erhebungen der Gesundheitsämter
ist keine Ermittlung,
sondern eine epidemische Befragung.
Nach dem Motto:
"Geben Sie uns Auskunft,
mit wem hatten Sie Kontakt?"
Dabei werden Aussagen getroffen.
Aus den Aussagen
sind die Informationen abgeleitet.
Informationen, dass es sehr wohl
Feiern mit 20 Personen
gegeben haben soll.
Es bleibt ein zerstrittenes Bild
über Urteil und Vorurteil.
Ein Bundesfinanzminister sagt,
der Plan der Regierung
würde für einen "Wumms" sorgen.
Aus Sicht der Koalition
wäre es schön,
es würde anschließend
nicht "Rumms" machen.
Das Konjunkturpaket
sagt der Wirtschaft:
"Wir tun was für euch."
Und fordert das Volk auf:
"Kauft ein! ".
Heute beschloss das Kabinett
einen Kinderbonus
Doch sind Menschen ohne Arbeit
wirklich in Kauflaune?
Franziska Giffey in ihrem Element:
Bürgern Politik erklären.
Die Zwillinge Arvid und Alva
erfahren aus erster Hand,
dass sie bald mehr Geld bekommen.
Kinderbonus, Mehrwertsteuer runter
und das Maskottchen
aus dem Bundesfamilienministerium.
Profitieren werden davon Familien
mit kleinem und mittlerem Einkommen.
Der Kinderbonus wird allen gezahlt,
aber die Freibeträge
ändern sich nicht.
Die steuerlichen Freibeträge
begünstigen Menschen
mit höherem Einkommen.
Um eine Doppelbegünstigung
auszuschließen,
würde der Kinderbonus
bei Hochverdienern abschmelzen.
Es ist richtig,
den Kinderbonus zu verabschieden.
Dieser ist nur weder
strukturell noch nachhaltig.
Es wird zu wenig für Familien getan.
Man kann an allem rumnörgeln.
Man kann zu denen zählen,
die in der Ecke sitzen und sagen,
es wird alles schlecht ausgehen.
Man kann so aber kein Land regieren.
Die Mehrwertsteuersenkung
soll den Handel wieder ankurbeln.
Mit den 130 Milliarden Euro
wollen wir schaffen,
dass die Talsohle in der zweiten
Jahreshälfte durchschritten wird.
"Kraftpaket" nennt das die Regierung,
die FDP zweifelt.
Es ist fraglich,
ob die Mehrwertsteuersenkung
bei den Menschen ankommt.
Die Unternehmen entscheiden,
ob sie die Senkung
an die Verbraucher weitergeben.
Das eine Problem:
Die Unternehmen müssen
selber über die Runden kommen.
Das andere:
Bevor die Mehrwertsteuersenkung
wirkt, ist sie wieder vorbei.
Ende des Jahres
soll wieder Schluss ein.
dass nächstes Jahr
Bundestagswahlen sind.
Stimmen verweisen schon darauf,
Schwer vorstellbar, dass kurz davor
Steuern erhöht werden.
Ein Wochenmarkt in Hamburg:
Die Händler sind betroffen
von der Steuersenkung.
Vorbereitet sind die meisten nicht.
Die Umstellung
steht in drei Wochen an.
Wir haben noch nicht
darüber gesprochen.
Wie ich das umrechnen soll,
weiß ich nicht.
Ich habe Altware,
wo ich sieben Prozent bezahlt habe.
Und jetzt fünf ...
Dass wir alle Preise
reduzieren müssen ...
Ich halte nichts davon.
Im Eiltempo
wurde die Steuersenkung beschlossen.
Die Unternehmen müssen damit umgehen.
In der Mittagspause
kommen Geschäftsleute.
Ich leite eine Buchhaltung.
Es ist eine Katastrophe.
Die Frist ist zu kurz gesetzt.
Es kann sein,
dass der Einzelhandel es nicht
an Kunden weitergibt.
So stärkt es die Arbeitsplätze dort.
Es verpufft nicht völlig.
Cord Wöhlke fragt sich,
wie viel er
an seine Kunden weitergeben kann.
Er leitet eine Drogeriekette.
Produkte müssen umetikettiert
und Kassen umgestellt werden.
Das ist ein riesiger
technischer Aufwand.
Nun muss das Unternehmen
schnell Lösungen finden.
Können nur bei Produktgruppen
die Preise gesenkt werden?
Sollen die Kassierer den Nachlass
pauschal abziehen?
Das Wirtschaftsministerium
hat das vorgeschlagen.
Ein halbes Jahr
soll die Steuersenkung gelten.
Lohnt der Aufwand?
Wie sollen wir klarmachen,
dass Preise hochgezogen werden?
Da hat man die Unternehmen
alleingelassen.
20 Milliarden Entlastung -
das klingt gut.
Aber die Politik ist weit entfernt
von der Praxis der Unternehmen.
Der Mehraufwand könnte größer sein
als das,
was die Steuersenkung
den Unternehmen bringt.
Großbritannien hat Erfahrung
mit einer Mehrwertsteuersenkung.
Sie schlug sich zu 50 bis 75 Prozent
in niedrigeren Preisen nieder.
Gerhard Hardrath leitet
einen Heizungs- und Sanitärbetrieb.
Er spürt schon die Konsequenzen
der Mehrwertsteuersenkung.
Kunden wollen von Juli bis Dezember
beliefert werden -
zum Steuersatz von 16 Prozent.
Wir haben drei Aufträge
storniert gekriegt.
Der Endkunde sagt:
"Nicht im Juni liefern
beim Volumen von 30.000 Euro."
Er möchte die Heizung
im Juli installiert haben,
weil das 1000 Euro
für den Endkunden bedeutet.
Ein bisschen Entlastung
für den Verbraucher.
Viel Aufwand für Unternehmen.
Jeder Stromzähler muss stichtaggenau
abgerechnet werden.
Dann hat man für diese sechs Monate
andere Abschlagszahlungen.
Im Januar geht das von vorne los.
Noch drei Wochen
bis zur Mehrwertsteuersenkung.
Aber noch viele Fragen.
Die Wirtschaft hofft,
dass sich der Aufwand auszahlt.
Wird die gesenkte Mehrwertsteuer
für alle ein Mehrwert?
Ein Kommentar von Kerstin Palzer
vom MDR.
Der Staat senkt die Mehrwertsteuer -
das gab's lange nicht.
Ende Dezember ist schon wieder
Schluss damit.
Einige kritisieren,
das sei ein Strohfeuer.
Das glaube ich nicht.
Handel, Gastronomie, Firmen
brauchen Nachfrage.
Es bringt den Unternehmen nichts,
wenn wir Kunden überlegen,
vielleicht irgendwann
wieder einzukaufen.
Viele sind jetzt nicht
in der finanziellen Lage,
große Anschaffungen zu machen.
Wer in Kurzarbeit ist,
kauft sich kein Auto.
Die neue Mehrwertsteuer
erreicht als einzige Steuer jeden.
Wer Babynahrung, Schuhe, Käse kauft,
spart.
Eine Familie mit mittlerem Einkommen
spart monatlich etwa 80 Euro.
Nur geben die Händler das
an die Kunden weiter?
Ein Beispiel gab es gerade.
Seit dem 1. Januar gilt eine
gesenkte Steuer auf Hygieneprodukte.
Tampons und Binden sind nur noch
mit sieben Prozent besteuert.
Das hat der Handel
an die Kundinnen weitergegeben.
Wir brauchen
eine Steuersenkung für alle.
Nicht nur die, die sich
ein Auto kaufen wollen und können.
Im Januar soll wieder Schluss sein.
Dann geht aber das Wahljahr
für die Bundestagswahl los.
Vielleicht setzt sich jemand durch
und macht uns mit der
gesenkten Steuer ein Wahlgeschenk.
Wir in Deutschland sorgen uns
in dieser pandemiebewegten Zeit,
sie könnte Familien
an den Rand der Existenz treiben.
Diejenigen, die ohnehin wenig haben,
kämpfen jetzt ums Überleben.
Da Eltern auch in ärmeren Ländern
ihre Arbeit verloren haben,
müssen dort die Kinder helfen,
die Familien durchzubringen.
Dabei war die Welt auf gutem Weg,
Kinder aus schlimmsten
Arbeitsverhältnissen zu befreien.
Aber nun droht das Virus
alle Erfolge zunichte zu machen.
So warnt UNICEF
am Welttag gegen Kinderarbeit.
Daniel Hechler
hat es im irakischen Erbil erfahren.
Es ist ein Knochenjob
für einen 13-Jährigen.
Mohamed hilft in einer Autowerkstatt.
Es ist harte körperliche Arbeit
im Industriegebiet von Erbil:
Vollzeit - sechs Tage jede Woche.
Die Schule hat er
vor zwei Jahren aufgegeben.
Sein Vater ist am Herz erkrankt.
Sein 19-jähriger Bruder und er
sehen sich in der Pflicht,
die Familie durchzubringen.
Ich mag die anstrengende Arbeit
im Industriegebiet nicht.
Aber ich muss meinem Vater helfen.
Mein Bruder und ich kommen her,
um ihn zu unterstützen.
Ich wollte die Schule
nicht verlassen.
Ich würde gerne
eine Universität besuchen.
Aber keiner hilft uns.
140 Euro monatlich
bringt Mohamed nach Hause -
nicht gerade viel für die Familie.
Aber zum Überleben unerlässlich,
meint der Vater.
Seit Jahren hat der 53-Jährige
kein Einkommen mehr.
Ich leide,
weil meine Söhne
die Schule abgebrochen haben.
Kein Vater freut sich,
wenn Kinder nicht zur Schule gehen.
Die Situation ist schwierig.
Ich kann nicht arbeiten.
Kinderarbeit
ist in Kurdistan alltäglich.
Allein in Erbil
arbeiten 2000 Minderjährige.
Tendenz steigend.
Wegen der Corona-Krise
sind die Schulen geschlossen.
Viele Familien
sind in wirtschaftlicher Not.
Kinder sollen einspringen.
Sie sollen Geld beschaffen -
irgendwie.
Mohamed schiebt Melonen
über den Markt von Erbil -
fast jeden Tag von früh bis spät.
Fünf Euro
verdient der Zwölfjährige täglich.
Das Geld gibt er zu Hause ab.
Die Arbeit ist schwer,
aber ich habe mich daran gewöhnt.
Ich will meiner Familie helfen.
Für Kinderhilfsorganisationen
ist das kein akzeptabler Zustand.
Die Gesetze im Irak sind eindeutig:
Sie verbieten Kinderarbeit.
Kinderarbeit ist weit verbreitet -
im Irak
und generell im Nahen Osten.
Es gilt als notwendig,
dass sie arbeiten.
Das ist ein Fehler.
Es ist verboten,
Kinder unter 15 Jahren
für Profite auszubeuten.
Wenn das geschieht,
schauen Behörden häufig weg.
Und Eltern schauen zu -
so wie bei Mohamed.
Viele hier sagen:
"Zuerst geht es ums Überleben,
dann um die Bildung."
Die vielen Toten in Italien
waren erster Höhepunkt der Pandemie.
Jetzt wird juristisch aufgearbeitet,
wie es dazu kommen konnte.
Mehr dazu mit Susanne Daubner.
Die italienische Staatsanwaltschaft
hat Ministerpräsident Conte
unter Ausschluss der Öffentlichkeit
zu den Corona-Maßnahmen befragt.
Die Staatsanwältin sprach hinterher
von einer guten Atmosphäre.
Sie machte keine weiteren Angaben.
Die Justiz untersucht die Frage,
warum stark betroffene Gemeinden
nicht früher zu Sperrzonen wurden.
Die EU-Kommission
hat sich Rückendeckung
für ihre Impfstrategie
gegen das Corona-Virus geholt.
Noch ist kein Impfstoff gefunden.
Brüssel will über spätere Lieferungen
der Pharma-Unternehmen
trotzdem bereits
Vorverträge schließen.
Nach einer Konferenz
mit den EU-Ministern
sagt Gesundheitskommissarin
Kyriakides:
Man müsse schon jetzt investieren,
um Impfdosen
schnell herstellen zu können.
In Brandenburg
werden die Corona-Regeln gelockert.
Ab Montag
fallen die Kontaktbeschränkungen weg.
In den Mittelpunkt
rückten Abstands- und Hygieneregeln.
Veranstaltungen dürften ab Juni
mit bis zu 1000 Menschen stattfinden.
Für Demonstrationen
gebe es keine Obergrenze mehr.
Nach Ansicht von Boris Pistorius
sind kriminelle Clans
eine Bedrohung
für die freie Gesellschaft.
Der niedersächsische Innenminister
sagte
bei der Vorstellung
des Lagebildes zur Clan-Kriminalität:
Diese sei überall im Land zu finden.
Clan-Mitglieder gingen nicht nur
gegen Konkurrenten vor,
sondern auch gegen die Polizei.
Sie bedrohten den Rechtsstaat.
Aus Sorge vor Beschädigungen
ist in London
eine Statue von Winston Churchill
mit einem Schutz versehen worden.
Im Rahmen der Anti-Rassismus-Proteste
hatten Demonstranten
einen Schriftzug
auf das Denkmal gesprüht:
"War ein Rassist".
Premier Johnson nannte es absurd,
dass ausgerechnet diese Statue
der Beschädigung ausgesetzt sei.
Churchill habe ganz Europa
vor rassistischer Tyrannei gerettet.
Er war während des Krieges
britischer Regierungschef.
In US-Naturschutzgebieten
hat ein Forscherteam
große Mengen an Mikroplastik
nachgewiesen.
Es handelt sich
um Rückstände von Industrieprodukten,
die in kleine Bestandteile zerfallen
und sich in der Umwelt verteilen.
Laut der Studie lagern sich
in Nationalparks im Westen der USA
jährlich 1000 Tonnen
der winzigen Partikel ab.
Das entspreche dem Kunststoff
von 120 Millionen Plastikflaschen.
Soweit die Nachrichten.
Weiter geht's mit Caren Miosga.
Bei unseren Reisen durch das Land
begegnen wir Geschichten,
die beim ersten Anblick
vermeintlich klein anmuten.
Beim genaueren Hinsehen
können sie Großes bewegen.
In Schleswig-Holstein sind wir
auf eine solche Geschichte gestoßen.
Sie spielt nahe Hobbersdorf
und erzählt von der Schwartau.
Der Fluss ist 40 Kilometer lang.
Er schlängelt sich
durch scheinbar unberührte Natur.
Trotzdem geht die Schwartau
nicht ihren natürlichen Weg.
Über den geplanten Umzug
von einem Bett ins andere.
Die Schwartau ist Heimat
von Fischotter und Blesshuhn.
Sie ist sogar Heimat der Meerforelle.
Sechs Kilometer entfernt
liegt Bad Schwartau.
Erik Mielke und Michael Dembinski
testen die Wasser-Qualität.
Sie suchen nach der Bachmuschel,
die vom Aussterben bedroht ist.
2013 wurde sie
das letzte Mal gesichtet.
Die Oberfläche des Wassers ist gut,
aber innen drin ist keine Vielfalt.
Hier ist kein Netzwerk.
Das Leben ist nicht robust.
Die Umwelt-Funktion ist gegenüber
äußeren Einflüssen nicht gegeben.
Das wollen wir verbessern.
Elritze, Bachforelle, Bachmuschel:
Die Tiere sind fast verschwunden.
Der Fluss soll seinen
natürlichen Verlauf zurückbekommen.
Man wird es kaum verstehen,
warum man renaturiert.
Aber wenn man die Struktur anguckt,
dann ist der Fluss nicht gut.
Das Problem für das Artensterben
liegt 87 Jahre zurück.
Zum Schutz vor Hochwasser begradigt
der Reichwehrdienst den Fluss.
Er legt Alt-Arme trocken.
Er pumpt Wasser ins neue Flussbett.
Doch das Problem bleibt präsent.
Siegfried Bollgün
lebt seit 40 Jahren am Fluss.
Er paddelt zur Hobbersdorfer Mühle.
Dort sammelt er Treibholz.
Ich bin als Anlieger
mit der Schwartau verbunden.
Ich paddle gerne.
Besseres konnte mir nicht passieren:
Ich kann beide Sachen verbinden.
Ich bin naturverbunden.
Das ist mein Ding.
Für ihn ist klar:
Drainagen
oder die Versiegelung der Ortschaften
lassen die Schwartau
immer wieder nah kommen.
Die Wiese auf der anderen Seite
war im Februar überschwemmt.
Man hatte eine Flusslandschaft
wie am Mississippi.
Goldfische und andere Fische
sind aus meinem Teich verschwunden.
Die dienten hier als Hechtfutter.
Die Biologen suchen weiter
nach schützenswerten Arten,
die sie für die Zeit der Bauarbeiten
eventuell umsiedeln müssen.
Einige wenige haben es geschafft,
mit den Umständen zurechtzukommen:
Eisvögel, Orchideen, Muscheln.
Muscheln sind Filtrierer.
Die machen den ganzen Laden sauber.
Die haben hohe Durchsetzungsraten.
Muschel-Bestand ist ein Indikator,
ob Gewässer gut oder schlecht sind.
An einem gesunden Gewässer
sind sie auch hier interessiert.
Die Familie Ströh
führt die Hobbersdorfer Mühle.
Der Tierfutter-Hersteller
hat 40 Mitarbeiter.
Zehn Prozent des Energiebedarfs
speist er aus Wasserkraft.
Die Turbine zur Stromgewinnung
ist seit einem Jahr außer Betrieb.
Entweder kommt sehr viel Wasser
in kurzer Zeit.
Es muss abgeleitet werden,
damit es nicht
zu einer Überschwemmung kommt.
Oder es ist wenig Wasser da.
Damit kämpfen wir.
Umweltschutz und Wirtschaft
müsse Hand in Hand gehen.
Man habe mit dem Wasserbodenverband
eine Fischtreppe installiert,
damit Fische trotz des Stau-Wehres
weiterziehen können.
Entscheidend bei der Wasserqualität
ist auch der pH-Wert.
pH-Wert ist 7,9 ...
Das bedeutet an dieser Stelle: Gut!
Die Biologen
erleben immer Überraschungen.
Heute finden sie einen Kamm-Molch.
Der ist streng geschützt.
Unsere Empfehlung:
Dieser Bereich wird ausgespart.
Im anderen Bereich
werden Kiesbetten eingebracht.
Es wird versucht,
das Wasserbett zu verengen,
damit das Wasser schneller fließt.
Der Wasser-und-Boden-Verband
hat für das Projekt gekämpft.
Vier Millionen Euro investiert
das Land in die Renaturierung.
Mielke und Dembinski
werden die Schwartau im Blick haben.
Im Herbst rollen die Bagger.
Beim Wetter steht uns ein Wochenende
mit Blitz und Donner bevor.
Schon wird vor Unwettern gewarnt.
Claudia,
wo wird es am heftigsten?
Im Osten wird es heftig.
Am Sonntag geht es
in die Mitte von Deutschland.
Die Regenmengen sind hoch.
Unwetter kann es morgen
in Niedersachsen geben.
Einzelne Tornados
kann es auch geben.
Hagel ist dabei.
Sturmböen können dabei sein.
Vom östlichen Nordrhein-Westfalen
bis Bayern
ist nur eine mittlere Gefahr.
Der Sonntag bringt
heftige Regenfälle.
Das sind 50 Liter pro Quadratmeter.
Das geht bis
in den Nordosten von Bayern hinein.
Ruhig ist es im Nordosten,
wo es am Sonnabend
heftige Gewitter geben kann.
Auch jetzt sind schon
Gewitter unterwegs.
Über der Eifel
toben die Gewitter zurzeit.
Dieses Tief hat in Frankreich
schon für Unwetter gesorgt.
In den nächsten Stunden
haben wir Gewitter im Westen.
Einige sind
in Brandenburg unterwegs.
Die ziehen weiter
über Schleswig-Holstein.
Morgen Nachmittag brodelt es heftig.
Im Südwesten von Deutschland
kann es heftig regnen.
In der Nacht
haben wir schwüle Luft im Osten.
Am Sonntag haben wir das Regenband.
Damit endet unsere Sendung.
Hier ermitteln Ballauf und Schenk
im "Tatort".
Und morgen gibt es Tagesthemen
mit Pinar Atalay.
Schönes Wochenende.
Copyright Untertitel: NDR 2020