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2020-7 Imported from YouTube, Warum geraten Kinder in psychische Schieflagen? | WDR Doku

Warum geraten Kinder in psychische Schieflagen? | WDR Doku

Wer von euch kennt

einen jugendlichen Jemand in seelischer Not?

Handzeichen hoch.

Jedes 4. Schulkind in Deutschland ist laut einer Krankenkassenstudie

psychisch auffällig.

Die Corona-Krise hat die seelische Belastung von Kindern

zusätzlich verschärft.

Es kann gut sein, dass wir im Bus, auf dem Weg zur Arbeit,

in der Schule oder im Freundeskreis unserer Kinder Menschen erleben,

die auf uns erst völlig normal wirken.

Die insgeheim aber an einer psychischen Erkrankung leiden.

Ich bin selbst Mutter und frage mich,

warum ist die seelische Gesundheit

bei so vielen Kindern in der Schieflage?

Ich habe mich unverstanden gefühlt, meine Mutter hat gesagt,

ich wäre faul, ich hätte keine Lust.

Dann konnte ich nicht mehr schlafen, nichts mehr essen und ging nix mehr.

Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR

* Musik *

Meine Tochter ist jetzt noch klein, aber kann es auch mir passieren,

dass mein Kind mal in eine Seelenkrise gerät?

Was macht man dann?

Eine Mutter hat sich bereit erklärt, mir von ihrer Erfahrung zu erzählen.

Um ihre Tochter und Familie zu schützen,

möchte sie unerkannt bleiben.

Was waren die ersten Gedanken als Sie gemerkt haben,

da stimmt was nicht?

Ich war v.a. sehr verunsichert.

Sie hatte Tage, wo sie nicht aus dem Bett wollte.

Sie ist noch zur Schule gegangen

und danach an die Wand geguckt und nix mehr.

Das fand ich die fürchterlichste Phase.

Weil es vorher ein sehr aktives Kind war,

was viele Hobbys und Interessen hatte.

Es war alles weg.

In welchem Alter ging das los?

Meine Tochter war 10 Jahre alt, als das anfing.

Das scheint nicht selten zu sein.

Das sind oft einschneidende Erlebnisse, Beginn Vorpubertät.

Ich habe mir große Sorgen gemacht,

wie wir als Familie damit fertig werden können oder sollen.

Das war für mich natürlich auch beschämend, gebe ich ehrlich zu.

Sich einzugestehen, da läuft was schief, ich weiß nicht wieso

und ich kann das nicht ändern.

Ich sehe mich da hilflos gegenüber.

Ihre Tochter bekam mehrere Diagnosen.

Depression, Störung des Sozialverhaltens und Essstörung.

Wenn die Eltern erst hilflos zurückbleiben,

welche Unterstützung gibt es in den Schulen?

Dort, wo Jugendliche einen Großteil ihres Tages verbringen?

In meiner Schulzeit wurde über seelische Gesundheit

noch nicht offen geredet.

Heute soll es der Klasse 9d der Gesamtschule Nettetal anders gehen.

Beim "Verrückt? Na und?"-Schultag sollen die Jugendlichen mehr

über seelische Krisen erfahren.

Die Expertinnen vom Verein Irrsinnig Menschlich wollen dabei helfen,

Ängste und Vorurteile abzubauen.

Ich habe den Robert Enke, das war ein Fußballspieler,

Torhüter, der hat sich, 2009 glaube ich, vor einen Zug geworfen,

weil er unter Depressionen gelitten hat und nicht mehr konnte.

Der hat das immer verheimlicht.

Und wusste selbst seine Frau am Anfang nicht,

dass er Depressionen hat.

Dann hat er sich endgültig umgebracht.

Der ist mit dem Druck, den er erlebt hat als guter Torhüter,

und der Erwartung, dass er ein Supertorhüter sein muss und soll,

nicht klargekommen.

Ich glaube, das ist van Gogh.

Der war Maler, er hatte Depressionen und hat sich ein Ohr abgeschnitten.

Warum habe ich das gemacht mit euch?

Warum machen wir so was?

Um uns zu zeigen, dass auch berühmte Persönlichkeiten

an psychischen Erkrankungen leiden können, u.a. an Depressionen.

Dass kein Mensch perfekt ist, auch nicht die Promis.

Genau das ist das, was wir damit erreichen wollten.

Euch zu zeigen, es gibt Menschen, die, obwohl sie berühmt sind,

einen tollen Beruf haben,

eine psychiatrische Erkrankung vor denen nicht haltmacht.

Unter Erwachsenen erlebe ich oft,

dass sie über seelische Krisen ungern sprechen.

Die Jugendlichen sollen genau diese Hürde überwinden.

Du bist es... - Wir haben 2 Situationen.

Einmal, dass der Freund bzw. Freundin mit Depressionen sind.

Und dass wir selber die Person mit Depressionen sind.

Würdest ganz normal, soweit man kann, oder würdest du ihn meiden?

Ich würde ihn auf keinen Fall meiden,

ich würde versuchen zu helfen.

(Mädchen) Warum sollte man die Person meiden?

(Frau) Ich frage ja nur.

(Junge) Weil man Angst hat, dass man sich infiziert.

Es gibt Leute, die denken, psychische Erkrankung ist ansteckend

wie Masern.

(Junge) Man kann das auch übernehmen.

Wenn ich die ganze Zeit mit einer Person was mache,

die Depressionen hat, aber sich dadurch ihre Depressionen

nicht verbessern, kann es sein, dass ich selber depressiv werde.

Ich glaube, das ist vorher schon in dir drin gewesen

und nicht eben so, ich kann der Person nicht helfen,

darum werde ich jetzt depressiv.

Wenn ihr merkt bei euch, irgendwas gerät in eine andere Bahn,

mit wem würdet ihr da reden? - Mit meinen Freunden.

Und Verwandten.

Wichtige Personen, ich gehe nicht zu einem Fremden,

hey, ich habe Depressionen, wollen wir darüber reden?

Eine andere Gruppe packt eine Krisen-Notfallbox

und überlegt auch, was nicht hineingehört.

Wir haben Druck, Vorwürfe, Mobbing und falsches Umfeld.

Was ist ein falsches Umfeld? - Z.B. Leute...

Z.B. wenn man ein Problem hat, die sich darüber lustig machen

oder das nicht verstehen und deswegen sagen,

das hat jeder, ist nicht schlimm.

Das wäre nicht gut, wenn man Probleme hat.

Du meinst, wenn das bagatellisiert wird.

Runterspielen von Problemen oder sich lustig machen,

völlig kontraproduktiv.

Die Angst, kritisch bewertet zu werden, Druck von Gleichaltrigen,

Schulstress, Streit in der Familie.

Dass sich das nicht gut anfühlt, kennt jeder.

Zu viel davon kann zu einer Krise führen.

Ich habe Sachen, die helfen können, z.B. reden, Unterstützung.

Das kann von der Familie, Freunden, Lehrer.

Da können auch Sozialpädagogen helfen, Therapeuten.

Dann kann auch Ablenkung durch Sport

und verschiedene Hobbys dazu helfen.

Wir wollten fragen, ob ihr irgendwelche Ideen habt,

was in die Box reinkönnte und was nicht?

Was nicht reinkommt, alleine sein.

Allein sein oder Einsamkeit, Dinge in sich reinfressen,

das meinst du wahrscheinlich auch, ne?

Vielen Dank für eure Gruppenarbeit.

Jetzt sind wir in unserem letzten Teil angekommen.

In diesem Teil wird es viel um die Jacqueline gehen.

Ich übergebe einfach das Wort und frage einfach, wie gehts dir heute.

Heute gehts mir super.

Ich habe heute mein Leben also ziemlich...

Ich lebe heute gerne, sagen wir so.

Jacqueline litt in ihrer Jugend unter Depressionen, Zwängen

und einer Essstörung.

Von einer Gewalttat wurde sie traumatisiert.

Dass unter den Expertinnen auch jemand ist,

der persönlich eine seelische Krise durchgestanden hat

und darüber spricht, soll Mut machen.

Was hätte dir als junger Mensch geholfen?

Verständnis und man hat mich nie ernst genommen.

Man hat mich nie wahrgenommen.

Man hat...

Wenn ich was erzählt habe, hat man das so abgetan.

Egal, was ein Mensch erzählt, man sollte es ernst nehmen.

Ich kann euch sagen, wenn ihr merkt, irgendwas ist mit euch

oder ihr kennt jemanden, holt euch Hilfe.

Was ist eigentlich, wenn Schule Teil des Problems ist?

Wo bekommen Schüler, aber auch Lehrer und Eltern dann Hilfe?

Ein Anlaufpunkt

ist die schulpsychologische Beratungsstelle in Bonn.

Die Schulpsychologinnen Veronica Wolf und Inga Kok helfen,

wenn eine Lehrerin einen Mobbingverdacht hat.

Mit dem Systembrett versuchen sie, die Situation einzuschätzen.

Aus Datenschutzgründen zeigen sie mir einen fiktiven Fall

einer Schülerin namens Lea.

Inga Kok übernimmt dafür den Part der Lehrerin.

Das ist eher, dass die 3 eng zusammen sind

und Lea hätte da gerne den Anschluss.

Aber die kommt da nicht ran.

Und das ist das Mädchentrio, das der Vater benannt hat,

die diese fiesen Bemerkungen machen.

Da geht ein richtiger Riss durch die Freundschaft.

Fehlt da noch jemand?

Sind noch mehr Personen beteiligt an dem Geschehen?

Klar, da ist noch die Klasse, das hatte der Vater auch berichtet.

Dann würde ich die Klasse auch noch mal dazustellen.

Muss ich gerade überlegen.

Jetzt im Moment, wo ich darauf gucke,

würde ich sagen, das wirkt irgendwie wie so eine Bühne.

Mit vielen Zuschauern herum.

Ich sehe, dass die 4 Mädchen im Zentrum stehen

und alles andere herum ist schon weit weg.

Ist Mobbing tatsächlich so ein großes Thema? - Ja.

Man weiß, dass das an allen Schulen in jeder Klassenform auftreten kann

und immer wieder auftritt.

Eigentlich sollte jede Lehrkraft eine Mobbingbrille aufsetzen

und mit dem Blick dadurch gehen, es könnte sein,

dass bei mir gemobbt wird.

Das verläuft sehr verdeckt ab.

Weder die Ausführenden möchten, dass die Lehrkraft das merkt,

noch das Opfer, weil es sich schämt und das Gefühl hat,

es ist selber schuld.

Würden Sie denn Eltern, deren Kind ihnen erzählt, dass es gemobbt wird,

würden Sie raten, auf den Lehrer zuzugehen?

Auf jeden Fall.

Mobbing kann nur in Schule aufgelöst werden.

Wenn das nicht möglich ist, bleibt Eltern nicht viel übrig,

als ihr Kind da rauszuholen.

Deshalb sei es wichtig,

Mobbingstrukturen frühzeitig zu erkennen.

Bis zu 30% aller Kinder und Jugendlichen werden

in ihrer Schulzeit beleidigt, schikaniert und ausgegrenzt.

Für einige wiegt das so schwer, dass sie psychische Störungen entwickeln.

"Niemand braucht mich."

"Die Stimme in meinem Kopf sollte mal positiver werden."

Solche Sachen schreiben viele in den Sozialen Medien.

Ich habe als Teenager manchmal ähnliche Gedanken gehabt.

Aber es fühlte sich nicht so bedrohlich an.

Was ist heute anders?

Müssen Kinder mehr Probleme bewältigen als früher?

Ich bin mit dem Präsidenten des Berufsverbandes

der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Fischbach, verabredet.

Er ist seit 26 Jahren praktizierender Kinderarzt.

Sie haben Ihre Praxis schon sehr lange.

Inwiefern hat sich die Kindheit verändert?

Die hat sich stark verändert, an vielen Stellen.

Fangen wir mit dem familiären Umfeld an,

Stichwort alleinerziehende Eltern sind heute wesentlich häufiger.

Thema Patchwork-Familie, mein Kind, dein Kind, unser Kind.

Wo sich Kinder beim Sortieren innerhalb dieses Konstruktes

nicht so leicht tun.

Stichwort Erziehungsinkompetenz,

bei gerade natürlich Problemfamilien.

Sucht in der Familie, Misshandlung, körperliche Gewalt.

Auch Abgestumpftheit und Bildungsferne,

die sich auf die Kinder auswirkt.

Anderes Problem ist auch der Medienkonsum.

Gerade in Zeiten von Corona geht alles den Bach runter,

was wir mühsam versucht haben, den Eltern begreiflich zu machen.

Dass sie den Medienkonsum einschränken sollen.

Jetzt ist Medienkonsum das A und O, die Kinder sitzen nur noch davor.

Aber diese Veränderungen, haben die

einen unmittelbaren Einfluss auf die seelische Gesundheit?

Wir wissen,

vom Medienkonsumverhalten gibt es Studien, die das belegen.

Z.B. Motivationsverlust.

Leistungsabfall in der Schule,

introvertiertes Verhalten,

ein Leben in der virtuellen Welt und nicht in der realen.

Kinder brauchen die reale Welt, den tatsächlichen Kontakt,

auch fühlenden Kontakt zu ihresgleichen.

Das hat Konsequenzen, ja.

Häufig erleben Kinder Veränderungen in der Schule oder Familie

als so belastend, dass sie davon aus der Bahn geworfen werden.

Weil sie keine Lösung für sich haben.

Auch Angststörungen mit unbegründeten Ängsten

vor allen möglichen Dingen treten oft auf.

Wenn es akut ist, wo bekommen die Betroffenen Hilfe?

Im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke können auf der offenen

psychiatrischen Station für Jugendliche und junge Erwachsene

15 Patienten behandelt werden.

Auch er war hier wegen seelischer Probleme.

Mir ging es die ganze Zeit nicht gut und war nur im Zimmer,

konnte nix machen, kein Antrieb, dann Schule.

Erst weniger hingegangen, irgendwann gar nicht mehr.

Es war die Hölle.

Meine 1. Diagnose war eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung

mit schweren depressiven Episoden, es geht um extremen Selbstschutz.

Weißt du Ursachen mittlerweile?

Hast du herausgefunden, warum das so ist?

Ab dem 8. Lebensjahr hatte meine Mutter einen Freund,

der Alkoholiker war.

Und da hab ich...

Meine Mutter hat recht viel Gewalt gegenüber mich ausgeübt.

Und es heruntergespielt, Schläge auf den Kopf und ins Gesicht

und gesagt, es war doch nicht schlimm.

Es ging nie wirklich um die Schläge.

Als Kind hatte ich keine Lust mehr zu leben,

weil ich war nicht glücklich als Kind.

Ich habe mir immer den Tag gesetzt, bald ist Weihnachten,

bald ist Geburtstag, dann bin ich glücklich, da sind Leute nett.

Was wünschst du dir für dich für die Zukunft? - Was ich mir wünsche...

Dass ich einfach ein bisschen damit klarkomme, so wie ich bin.

Ich hatte in den letzten 2 Jahren eine schwere depressive Episode.

Das Schönste wäre, dass dieses Jahr gegen November keine Episode kommt.

Es beeindruckt mich, wie deutlich er seine Geschichte einordnen kann.

Bei etwas, das eigentlich schwer zu verstehen ist.

In Herdecke haben sie verschiedene Therapieansätze,

um den Jugendlichen wieder Struktur zu geben.

Viele von ihnen hatten das Gefühl verloren,

wie ein normaler Tagesablauf funktioniert.

Der Ansatz hier ist, dass die jungen Patienten

zusammen mit Gleichaltrigen behandelt werden.

Gerade im Übergang zwischen jugendlich und erwachsen werden

treten 2/3 aller psychischen Erkrankungen auf

und können chronisch werden, sagt der leitende Psychologe der Station,

Dr. Jens Glowka.

Ich denke, es wächst der Druck auf unsere Kinder.

Es wächst der Druck auf das Erwachsenwerden,

es wird viel verlangt.

Aber fast noch schlimmer, es gibt zu viele Möglichkeiten.

D.h. wo vor mehreren Jahrzehnten noch klar war,

du machst eine Ausbildung oder ein Studium

und wenn du eine Ausbildung machst, übernimmst du den Betrieb.

Du hast in deinem Leben ungefähr 3 Möglichkeiten.

Sobald du verheiratet bist, wirst du ausziehen.

Das ist heutzutage viel mannigfaltiger.

Es gibt Ausbildungen ohne Ende, jeder sagt einem was anderes.

Das Internet bombardiert unsere Kinder mit Möglichkeiten.

Auf den Schultern unserer jungen Menschen lastet das schwer.

Viele verabschieden sich daraus und sagen,

ich werde das nicht hinkriegen, ich kann nur enttäuschen.

Dann kann ich zu Hause sitzen bleiben und PlayStation spielen.

Was raten Sie Eltern, damit ihr Kind nicht hierher kommen muss?

Wir erleben 2 Schwierigkeiten in Eltern-Kind-Konstellationen,

die sich häufen und wiederholen.

Und zwar sind das einmal Konstellationen,

in denen Eltern in irgendeiner Form nicht da sind,

emotional nicht verfügbar, den Kontakt zu ihren Kindern verlieren.

Das ist eine Variante, die in psychische Krankheit führt.

Die andere Variante ist das, was man Helikopter-Eltern nennt.

Wo Eltern versuchen, ihren Kindern jede Form von Frust zu ersparen,

jede Form von Konflikt und Kindern nichts mehr zutrauen.

Es wird von Eltern häufig unterschätzt,

dass Kinder Herausforderungen brauchen.

Ohne werden sie nie lernen, dass sie selbstwirksam sind.

Wenn ein Kind niemals in eine Situation gerät, die knifflig ist

und aus der er oder sie herauskommt

und eine schwierige Aufgabe gemeistert hat,

wird sich kein gesunder Selbstwert entwickeln.

Wir sollten als Eltern unseren Kindern

nicht emotionalen Frust ersparen.

Das ist eine große Herausforderung. - Ja, weil es immer wehtut,

wenn man die eigenen Kinder leiden sieht.

Wenn man jegliches Leiden der Kinder weghält,

dann werden sie keine tauglichen Erwachsenen.

Dann sind sie mit der Welt überfordert.

Auch traumatische Erfahrungen können zu seelischen Erkrankungen führen.

Bei mir waren die Zwangsgedanken verbunden mit dem Tod.

Weil ich meinen Cousin früh verloren habe,

und ich hatte ständige Angst, dass ich noch jemanden verliere.

Ich hatte auch eine Stimme im Kopf, die Sachen gesagt hat,

und ich hatte Angst, dass das passiert.

Wenn meine Schwester mit dem Auto losgefahren ist und ich dachte,

sie stirbt jetzt, dachte ich, das passiert und ich bin schuld.

Dann konnte ich nicht mehr schlafen, nicht essen, ging nix mehr.

Dann haben meine Eltern überlegt, ob es gut wäre,

wenn ich in eine Klinik gehe für ein paar Wochen.

Wie hat dir die Therapie geholfen?

Nach der Therapie ist es so,

dass ich das Leben wieder normal führen kann.

Dass zwar noch ein bisschen von dem Zwang da ist,

aber dass mich das nicht einschränkt.

Dass ich normal zur Schule gehen kann.

Das erhoffe ich mir, dass das so bleibt.

Dass ich früh genug merke, wenn ein nächster Zwang ausbrechen sollte,

den Mut habe, wieder früh genug meiner Therapeutin

Bescheid zu sagen.

Was machen Eltern, wenn sie sich allein mit ihrem Problem fühlen?

Ich bin mit einer Selbsthilfegruppe von Eltern verabredet,

deren Kinder an Borderline erkrankt sind.

Außer dem Leiter der Gruppe, Kai Kreuzfeldt,

möchten alle unerkannt bleiben.

Ich habe genug Eltern kennengelernt, hier in der Gruppe

oder in der Praxis, die sind völlig überfordert.

Gehen irgendwann selbst in die Klinik, weil sie nicht mehr können,

weil sie die ganze Zeit für die Kinder da sind und nicht wissen,

was soll ich machen?

Oder man hat diese Unsicherheit: Mache ich das gerade richtig?

Mache ich das falsch? Hätte ich lieber das gemacht.

Ja, es ist ein Riesenproblem.

(Mann) Jeder ist so gefangen in seiner eigenen Geschichte.

Du bist immer in Sorge um dein Kind.

Du musst dann lernen, das habe ich hier gelernt, dich zu lösen,

weil ich habe irgendwann nachts nicht mehr schlafen können.

Ich war fertig, habe mir immer nur Sorgen gemacht.

Da hilft mir hier die Gruppe.

Was waren die ersten Anzeichen, wo Sie gemerkt haben,

irgendwas stimmt hier nicht?

(Frau) Bei uns ging es so richtig heftig mit 16 los,

dass auch körperliche Sachen anfingen.

Also ganz extreme Kopfschmerzen.

Dann Taubheitsgefühl in Händen und Füßen.

Wo wir also wirklich dann sofort zum Arzt gegangen sind,

weil wir dachten, es wäre irgendetwas Körperliches.

Am Ende hieß es halt, es könnte sein,

dass das was Psychosomatisches ist.

Wo ich gedacht habe, ja, toll, das sagen die Ärzte immer,

wenn sie nicht mehr weiterwissen.

(Frau) Bei meiner Tochter war das anders.

Die war ein ganz ausgeglichenes, fröhliches Kind,

von meinen 3 Kindern das harmonischste,

das wirklich ausgeglichenste.

Und in der Pubertät fing das an.

Die wurde immer unsicherer, die ging immer gebückter,

immer mehr mit einer Kapuze über dem Kopf.

Sie fühlte sich gemobbt, ausgegrenzt nach außen,

und nach innen konnte sie ihre Gefühle nicht kontrollieren.

Ich weiß noch, sie wurde einmal sauer und hat ein Brot genommen,

und hat das ganze Brot in kleine Fetzen gerissen

und durch die Küche geworfen.

Diese Situation werde ich nie vergessen.

Es war für mich nicht mehr steuerbar.

Ich habe nur zugeguckt und fassungslos gefragt: Was tust du da?

Hör mir doch zu, wir können über alles reden.

Das ging aber nicht. Sie konnte sich nicht mehr steuern.

Das würde ich wirklich immer Eltern sagen.

Wer so ein Gefühl hat, was ist nur los, das war doch gar nicht so,

ab da hat ein Kind was, ab da braucht es eigentlich Hilfe.

(Frau) Man darf halt auch nicht vergessen,

dass sie selber auch so unglücklich manchmal sind.

Und das tut dann auch einfach so weh.

Was wünschen Sie sich denn für Ihre Kinder?

Und für sich?

(Frau) Im Grunde wünsche ich mir für meine Tochter auf jeden Fall,

dass sie selber ein glückliches Leben führt

und irgendwie gesund ist.

Das hört sich komisch an, aber ja, das ist das, was ich mir wünsche.

(Frau) Ach, am liebsten hätte ich eine ganz normale Tochter.

Mit der ich ab und zu shoppen gehe oder Kaffee trinken gehe.

Aber das ist so weit weg. Das ist ganz weit weg.

Als Eltern zu akzeptieren, dass das eigene Kind seelisch erkrankt ist,

stelle ich mir unheimlich schwer vor.

Bei Eltern fällt mir auf,

dass bei den meisten eine große Schuldfrage im Raum steht.

Was habe ich falsch gemacht? Was habe ich übersehen?

Und was hätte ich besser machen können?

Das sind die Fragen, die die meisten mit sich rumtragen.

Nach Angaben ihrer eigenen Eltern zeigen fast 17% der Kinder

und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten,

so eine Studie des Robert Koch-Instituts.

Viele von uns Eltern haben heute das Gefühl, dass das Leben komplexer,

unsicherer und deshalb auch schwieriger für unsere Kinder sei

als früher.

Und seelische Störungen zunehmen müssten.

* Kirchenglocken *

Aber ist das Gefühl richtig?

Ich bin mit dem Soziologen Dirk Richter verabredet,

der eine Forschungsabteilung an der Psychiatrischen Universitätsklinik

in Bern leitet.

Er sagt, es gehen zwar deutlich mehr Kinder und Jugendliche

in psychotherapeutische Behandlung.

Aber wenn es um psychische Belastungen geht,

würden die abnehmen, die Zunahme sei nur gefühlt.

Nr. 1 glauben wir immer, dass wir die belastetste Generation sind,

die jemals gelebt hat.

Natürlich ist die nachfolgende Kindergeneration

noch belasteter als wir.

Das kann man historisch, seit der Antike kann man das nachweisen,

dass das so ist.

Eine meiner Lieblingsanekdoten ist,

dass man in den 1870er-Jahren geglaubt hat,

vom schnellen Eisenbahnfahren müsste man verrückt werden.

Da war man davon überzeugt, dass das einer der Gründe war,

warum psychische Erkrankungen zunehmen.

Heute sind wir davon überzeugt, dass uns das Smartphone,

die Digitalisierung und das, was unser Leben in den letzten 10 Jahren

so massiv geprägt hat, uns durcheinander bringt.

Uns überfordert.

Im Einzelfall mag das sein, aber im Schnitt ist das eben nicht so.

Ich frage mich aber trotzdem, was das bedeutet für Eltern,

die ein psychisch auffälliges Kind tatsächlich haben?

Das muss man sich im Einzelfall anschauen.

Es gibt natürlich die Notwendigkeit zur Behandlung.

Aber es gibt auf der anderen Seite auch so etwas wie Überprotektion,

gerade in der heutigen Elterngesellschaft.

Dass Eltern meinen, es muss was getan werden.

Da hätte man vielleicht in früheren Zeiten einfach mehr Gelassenheit,

ein bisschen mehr Toleranz an den Tag gelegt.

Ich glaube, da war man früher deutlich entspannter.

Was sagen Sie denn Eltern, die sich die Schuldfrage stellen?

Habe ich schuld, dass mein Kind psychische Probleme hat?

Denen würde ich sagen: Sie überschätzen ihren Einfluss,

weil so etwas natürlich multikausal ist.

Und wenn Kinder am Ende da Probleme haben,

ist es nicht zwingend an den Eltern gelegen.

Das sind Erkenntnisse aus der Sozialisationsforschung.

Wenn Sie Kinder misshandeln, malträtieren,

können Sie sehr viel falsch machen.

Aber wenn Sie das nicht tun,

wenn Sie Kindern ein einigermaßen stabiles Umfeld geben,

dann kommt das schon gut, wie man bei uns in der Schweiz sagt.

Sie haben als Eltern nicht so viel Einfluss,

wie Eltern das normalerweise glauben.

Ich muss sagen, das überrascht mich jetzt total. - Was?

Dass so viel Einfluss die Eltern gar nicht haben, wie man denkt. - Nein.

Das klingt entlastend für uns Eltern, finde ich.

Aber trotzdem können wir uns überfordert fühlen,

wenn wir merken, da geht etwas schief.

Was können wir Eltern anders machen?

Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin

Gunda Frey hat einen ungewöhnlichen Ansatz gefunden.

Und auch einen Ratgeber geschrieben.

"Kinder entwickeln Störungen,

weil wir sie in ihrer Entwicklung stören",

ist ja eine sehr provokante Aussage.

Die gibt viel Schuld an die Eltern ab oder die Schule

oder die Pädagogen.

Wir könnten es ja positiv umframen,

ich bin immer für einen positiven Blick.

Es gibt die Verantwortung zurück.

Also, ich nehme ein Beispiel.

Sie kaufen eine Blume, finden die total schön

und stellen die irgendwohin.

Nach 3 Wochen lässt die alle Blätter hängen und wird gelb.

Wir würden automatisch bei uns anfangen und denken,

was kann ich tun, damit es dieser Blume gut geht?

Aber bei unseren Kindern haben wir irgendwie den Schalter umgedreht.

Wenn sie ganz klein sind, feuern wir sie an: Ey, du kannst laufen.

Und es gibt ganz viel positive Verstärkung.

Sobald dann unser System anfängt mit Kindergarten, heißt es,

jetzt musst du funktionieren.

Jetzt hast du eine blühende Blume zu sein.

Wehe, du tust das nicht.

Und mit diesem Satz, der ist bewusst provokativ,

möchte ich erinnern an die Verantwortung, die wir haben

für unsere Kinder.

Ihnen den bestmöglichen Rahmen zu geben, damit sie sich entwickeln

und entfalten können

und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen kennenlernen.

Sie selbst hat ein Kind mit Sonderausstattung, wie sie es nennt.

Die Kunst sei es, mit den Augen der Kinder sehen zu können.

Deshalb hat sie eine Akademie gegründet für Menschen,

die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Unser Ansatz ja auch in der Akademie, wo ich ausbilde, ist,

die Haltung des Guten Grundes.

D.h. wenn wir auffälliges Verhalten von Kindern haben,

haben sie einen Grund dafür.

Letztendlich signalisieren sie uns mit ihrem Grund:

Hallo, hier ist was falsch, könnt ihr mal bitte hingucken?

Aber keiner fragt, warum. Warum verhältst du dich so?

Da dürfen wir einfach den Blick ändern.

Es kann jeder Familie passieren,

dass das eigene Kind in eine Seelenkrise gerät.

Ich habe für mich mitgenommen, dass kein Verhalten ohne Grund ist.

Und dass es wichtig ist,

immer wieder die Verbindung zu unseren Kindern zu suchen.

Aber auch, dass wir ihnen mehr zutrauen sollten.

Und auch, dass es Hilfe gibt.

Copyright WDR 2020

Warum geraten Kinder in psychische Schieflagen? | WDR Doku Warum geraten Kinder in psychische Schieflagen? | WDR Doku Why do children become mentally unstable? | WDR documentary Pourquoi les enfants se retrouvent-ils dans des situations psychiques difficiles ? | Documentaire WDR Waarom worden kinderen mentaal labiel? | WDR documentaire Dlaczego dzieci stają się niestabilne psychicznie? | Dokument WDR Porque é que as crianças se tornam mentalmente instáveis? | Documentário da WDR

Wer von euch kennt

einen jugendlichen Jemand in seelischer Not?

Handzeichen hoch.

Jedes 4. Schulkind in Deutschland ist laut einer Krankenkassenstudie

psychisch auffällig.

Die Corona-Krise hat die seelische Belastung von Kindern

zusätzlich verschärft.

Es kann gut sein, dass wir im Bus, auf dem Weg zur Arbeit,

in der Schule oder im Freundeskreis unserer Kinder Menschen erleben,

die auf uns erst völlig normal wirken.

Die insgeheim aber an einer psychischen Erkrankung leiden.

Ich bin selbst Mutter und frage mich,

warum ist die seelische Gesundheit

bei so vielen Kindern in der Schieflage?

Ich habe mich unverstanden gefühlt, meine Mutter hat gesagt,

ich wäre faul, ich hätte keine Lust.

Dann konnte ich nicht mehr schlafen, nichts mehr essen und ging nix mehr.

Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR

* Musik *

Meine Tochter ist jetzt noch klein, aber kann es auch mir passieren,

dass mein Kind mal in eine Seelenkrise gerät?

Was macht man dann?

Eine Mutter hat sich bereit erklärt, mir von ihrer Erfahrung zu erzählen.

Um ihre Tochter und Familie zu schützen,

möchte sie unerkannt bleiben.

Was waren die ersten Gedanken als Sie gemerkt haben,

da stimmt was nicht?

Ich war v.a. sehr verunsichert.

Sie hatte Tage, wo sie nicht aus dem Bett wollte.

Sie ist noch zur Schule gegangen

und danach an die Wand geguckt und nix mehr.

Das fand ich die fürchterlichste Phase.

Weil es vorher ein sehr aktives Kind war,

was viele Hobbys und Interessen hatte.

Es war alles weg.

In welchem Alter ging das los?

Meine Tochter war 10 Jahre alt, als das anfing.

Das scheint nicht selten zu sein.

Das sind oft einschneidende Erlebnisse, Beginn Vorpubertät.

Ich habe mir große Sorgen gemacht,

wie wir als Familie damit fertig werden können oder sollen.

Das war für mich natürlich auch beschämend, gebe ich ehrlich zu.

Sich einzugestehen, da läuft was schief, ich weiß nicht wieso

und ich kann das nicht ändern.

Ich sehe mich da hilflos gegenüber.

Ihre Tochter bekam mehrere Diagnosen.

Depression, Störung des Sozialverhaltens und Essstörung.

Wenn die Eltern erst hilflos zurückbleiben,

welche Unterstützung gibt es in den Schulen?

Dort, wo Jugendliche einen Großteil ihres Tages verbringen?

In meiner Schulzeit wurde über seelische Gesundheit

noch nicht offen geredet.

Heute soll es der Klasse 9d der Gesamtschule Nettetal anders gehen.

Beim "Verrückt? Na und?"-Schultag sollen die Jugendlichen mehr

über seelische Krisen erfahren.

Die Expertinnen vom Verein Irrsinnig Menschlich wollen dabei helfen,

Ängste und Vorurteile abzubauen.

Ich habe den Robert Enke, das war ein Fußballspieler,

Torhüter, der hat sich, 2009 glaube ich, vor einen Zug geworfen,

weil er unter Depressionen gelitten hat und nicht mehr konnte.

Der hat das immer verheimlicht.

Und wusste selbst seine Frau am Anfang nicht,

dass er Depressionen hat.

Dann hat er sich endgültig umgebracht.

Der ist mit dem Druck, den er erlebt hat als guter Torhüter,

und der Erwartung, dass er ein Supertorhüter sein muss und soll,

nicht klargekommen.

Ich glaube, das ist van Gogh.

Der war Maler, er hatte Depressionen und hat sich ein Ohr abgeschnitten.

Warum habe ich das gemacht mit euch?

Warum machen wir so was?

Um uns zu zeigen, dass auch berühmte Persönlichkeiten

an psychischen Erkrankungen leiden können, u.a. an Depressionen.

Dass kein Mensch perfekt ist, auch nicht die Promis.

Genau das ist das, was wir damit erreichen wollten.

Euch zu zeigen, es gibt Menschen, die, obwohl sie berühmt sind,

einen tollen Beruf haben,

eine psychiatrische Erkrankung vor denen nicht haltmacht.

Unter Erwachsenen erlebe ich oft,

dass sie über seelische Krisen ungern sprechen.

Die Jugendlichen sollen genau diese Hürde überwinden.

Du bist es... - Wir haben 2 Situationen.

Einmal, dass der Freund bzw. Freundin mit Depressionen sind.

Und dass wir selber die Person mit Depressionen sind.

Würdest ganz normal, soweit man kann, oder würdest du ihn meiden?

Ich würde ihn auf keinen Fall meiden,

ich würde versuchen zu helfen.

(Mädchen) Warum sollte man die Person meiden?

(Frau) Ich frage ja nur.

(Junge) Weil man Angst hat, dass man sich infiziert.

Es gibt Leute, die denken, psychische Erkrankung ist ansteckend

wie Masern.

(Junge) Man kann das auch übernehmen.

Wenn ich die ganze Zeit mit einer Person was mache,

die Depressionen hat, aber sich dadurch ihre Depressionen

nicht verbessern, kann es sein, dass ich selber depressiv werde.

Ich glaube, das ist vorher schon in dir drin gewesen

und nicht eben so, ich kann der Person nicht helfen,

darum werde ich jetzt depressiv.

Wenn ihr merkt bei euch, irgendwas gerät in eine andere Bahn,

mit wem würdet ihr da reden? - Mit meinen Freunden.

Und Verwandten.

Wichtige Personen, ich gehe nicht zu einem Fremden,

hey, ich habe Depressionen, wollen wir darüber reden?

Eine andere Gruppe packt eine Krisen-Notfallbox

und überlegt auch, was nicht hineingehört.

Wir haben Druck, Vorwürfe, Mobbing und falsches Umfeld.

Was ist ein falsches Umfeld? - Z.B. Leute...

Z.B. wenn man ein Problem hat, die sich darüber lustig machen

oder das nicht verstehen und deswegen sagen,

das hat jeder, ist nicht schlimm.

Das wäre nicht gut, wenn man Probleme hat.

Du meinst, wenn das bagatellisiert wird.

Runterspielen von Problemen oder sich lustig machen,

völlig kontraproduktiv.

Die Angst, kritisch bewertet zu werden, Druck von Gleichaltrigen,

Schulstress, Streit in der Familie.

Dass sich das nicht gut anfühlt, kennt jeder.

Zu viel davon kann zu einer Krise führen.

Ich habe Sachen, die helfen können, z.B. reden, Unterstützung.

Das kann von der Familie, Freunden, Lehrer.

Da können auch Sozialpädagogen helfen, Therapeuten.

Dann kann auch Ablenkung durch Sport

und verschiedene Hobbys dazu helfen.

Wir wollten fragen, ob ihr irgendwelche Ideen habt,

was in die Box reinkönnte und was nicht?

Was nicht reinkommt, alleine sein.

Allein sein oder Einsamkeit, Dinge in sich reinfressen,

das meinst du wahrscheinlich auch, ne?

Vielen Dank für eure Gruppenarbeit.

Jetzt sind wir in unserem letzten Teil angekommen.

In diesem Teil wird es viel um die Jacqueline gehen.

Ich übergebe einfach das Wort und frage einfach, wie gehts dir heute.

Heute gehts mir super.

Ich habe heute mein Leben also ziemlich...

Ich lebe heute gerne, sagen wir so.

Jacqueline litt in ihrer Jugend unter Depressionen, Zwängen

und einer Essstörung.

Von einer Gewalttat wurde sie traumatisiert.

Dass unter den Expertinnen auch jemand ist,

der persönlich eine seelische Krise durchgestanden hat

und darüber spricht, soll Mut machen.

Was hätte dir als junger Mensch geholfen?

Verständnis und man hat mich nie ernst genommen.

Man hat mich nie wahrgenommen.

Man hat...

Wenn ich was erzählt habe, hat man das so abgetan.

Egal, was ein Mensch erzählt, man sollte es ernst nehmen.

Ich kann euch sagen, wenn ihr merkt, irgendwas ist mit euch

oder ihr kennt jemanden, holt euch Hilfe.

Was ist eigentlich, wenn Schule Teil des Problems ist?

Wo bekommen Schüler, aber auch Lehrer und Eltern dann Hilfe?

Ein Anlaufpunkt

ist die schulpsychologische Beratungsstelle in Bonn.

Die Schulpsychologinnen Veronica Wolf und Inga Kok helfen,

wenn eine Lehrerin einen Mobbingverdacht hat.

Mit dem Systembrett versuchen sie, die Situation einzuschätzen.

Aus Datenschutzgründen zeigen sie mir einen fiktiven Fall

einer Schülerin namens Lea.

Inga Kok übernimmt dafür den Part der Lehrerin.

Das ist eher, dass die 3 eng zusammen sind

und Lea hätte da gerne den Anschluss.

Aber die kommt da nicht ran.

Und das ist das Mädchentrio, das der Vater benannt hat,

die diese fiesen Bemerkungen machen.

Da geht ein richtiger Riss durch die Freundschaft.

Fehlt da noch jemand?

Sind noch mehr Personen beteiligt an dem Geschehen?

Klar, da ist noch die Klasse, das hatte der Vater auch berichtet.

Dann würde ich die Klasse auch noch mal dazustellen.

Muss ich gerade überlegen.

Jetzt im Moment, wo ich darauf gucke,

würde ich sagen, das wirkt irgendwie wie so eine Bühne.

Mit vielen Zuschauern herum.

Ich sehe, dass die 4 Mädchen im Zentrum stehen

und alles andere herum ist schon weit weg.

Ist Mobbing tatsächlich so ein großes Thema? - Ja.

Man weiß, dass das an allen Schulen in jeder Klassenform auftreten kann

und immer wieder auftritt.

Eigentlich sollte jede Lehrkraft eine Mobbingbrille aufsetzen

und mit dem Blick dadurch gehen, es könnte sein,

dass bei mir gemobbt wird.

Das verläuft sehr verdeckt ab.

Weder die Ausführenden möchten, dass die Lehrkraft das merkt,

noch das Opfer, weil es sich schämt und das Gefühl hat,

es ist selber schuld.

Würden Sie denn Eltern, deren Kind ihnen erzählt, dass es gemobbt wird,

würden Sie raten, auf den Lehrer zuzugehen?

Auf jeden Fall.

Mobbing kann nur in Schule aufgelöst werden.

Wenn das nicht möglich ist, bleibt Eltern nicht viel übrig,

als ihr Kind da rauszuholen.

Deshalb sei es wichtig,

Mobbingstrukturen frühzeitig zu erkennen.

Bis zu 30% aller Kinder und Jugendlichen werden

in ihrer Schulzeit beleidigt, schikaniert und ausgegrenzt.

Für einige wiegt das so schwer, dass sie psychische Störungen entwickeln.

"Niemand braucht mich."

"Die Stimme in meinem Kopf sollte mal positiver werden."

Solche Sachen schreiben viele in den Sozialen Medien.

Ich habe als Teenager manchmal ähnliche Gedanken gehabt.

Aber es fühlte sich nicht so bedrohlich an.

Was ist heute anders?

Müssen Kinder mehr Probleme bewältigen als früher?

Ich bin mit dem Präsidenten des Berufsverbandes

der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Fischbach, verabredet.

Er ist seit 26 Jahren praktizierender Kinderarzt.

Sie haben Ihre Praxis schon sehr lange.

Inwiefern hat sich die Kindheit verändert?

Die hat sich stark verändert, an vielen Stellen.

Fangen wir mit dem familiären Umfeld an,

Stichwort alleinerziehende Eltern sind heute wesentlich häufiger.

Thema Patchwork-Familie, mein Kind, dein Kind, unser Kind.

Wo sich Kinder beim Sortieren innerhalb dieses Konstruktes

nicht so leicht tun.

Stichwort Erziehungsinkompetenz,

bei gerade natürlich Problemfamilien.

Sucht in der Familie, Misshandlung, körperliche Gewalt.

Auch Abgestumpftheit und Bildungsferne,

die sich auf die Kinder auswirkt.

Anderes Problem ist auch der Medienkonsum.

Gerade in Zeiten von Corona geht alles den Bach runter,

was wir mühsam versucht haben, den Eltern begreiflich zu machen.

Dass sie den Medienkonsum einschränken sollen.

Jetzt ist Medienkonsum das A und O, die Kinder sitzen nur noch davor.

Aber diese Veränderungen, haben die

einen unmittelbaren Einfluss auf die seelische Gesundheit?

Wir wissen,

vom Medienkonsumverhalten gibt es Studien, die das belegen.

Z.B. Motivationsverlust.

Leistungsabfall in der Schule,

introvertiertes Verhalten,

ein Leben in der virtuellen Welt und nicht in der realen.

Kinder brauchen die reale Welt, den tatsächlichen Kontakt,

auch fühlenden Kontakt zu ihresgleichen.

Das hat Konsequenzen, ja.

Häufig erleben Kinder Veränderungen in der Schule oder Familie

als so belastend, dass sie davon aus der Bahn geworfen werden.

Weil sie keine Lösung für sich haben.

Auch Angststörungen mit unbegründeten Ängsten

vor allen möglichen Dingen treten oft auf.

Wenn es akut ist, wo bekommen die Betroffenen Hilfe?

Im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke können auf der offenen

psychiatrischen Station für Jugendliche und junge Erwachsene

15 Patienten behandelt werden.

Auch er war hier wegen seelischer Probleme.

Mir ging es die ganze Zeit nicht gut und war nur im Zimmer,

konnte nix machen, kein Antrieb, dann Schule.

Erst weniger hingegangen, irgendwann gar nicht mehr.

Es war die Hölle.

Meine 1. Diagnose war eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung

mit schweren depressiven Episoden, es geht um extremen Selbstschutz.

Weißt du Ursachen mittlerweile?

Hast du herausgefunden, warum das so ist?

Ab dem 8. Lebensjahr hatte meine Mutter einen Freund,

der Alkoholiker war.

Und da hab ich...

Meine Mutter hat recht viel Gewalt gegenüber mich ausgeübt.

Und es heruntergespielt, Schläge auf den Kopf und ins Gesicht

und gesagt, es war doch nicht schlimm.

Es ging nie wirklich um die Schläge.

Als Kind hatte ich keine Lust mehr zu leben,

weil ich war nicht glücklich als Kind.

Ich habe mir immer den Tag gesetzt, bald ist Weihnachten,

bald ist Geburtstag, dann bin ich glücklich, da sind Leute nett.

Was wünschst du dir für dich für die Zukunft? - Was ich mir wünsche...

Dass ich einfach ein bisschen damit klarkomme, so wie ich bin.

Ich hatte in den letzten 2 Jahren eine schwere depressive Episode.

Das Schönste wäre, dass dieses Jahr gegen November keine Episode kommt.

Es beeindruckt mich, wie deutlich er seine Geschichte einordnen kann.

Bei etwas, das eigentlich schwer zu verstehen ist.

In Herdecke haben sie verschiedene Therapieansätze,

um den Jugendlichen wieder Struktur zu geben.

Viele von ihnen hatten das Gefühl verloren,

wie ein normaler Tagesablauf funktioniert.

Der Ansatz hier ist, dass die jungen Patienten

zusammen mit Gleichaltrigen behandelt werden.

Gerade im Übergang zwischen jugendlich und erwachsen werden

treten 2/3 aller psychischen Erkrankungen auf

und können chronisch werden, sagt der leitende Psychologe der Station,

Dr. Jens Glowka.

Ich denke, es wächst der Druck auf unsere Kinder.

Es wächst der Druck auf das Erwachsenwerden,

es wird viel verlangt.

Aber fast noch schlimmer, es gibt zu viele Möglichkeiten.

D.h. wo vor mehreren Jahrzehnten noch klar war,

du machst eine Ausbildung oder ein Studium

und wenn du eine Ausbildung machst, übernimmst du den Betrieb.

Du hast in deinem Leben ungefähr 3 Möglichkeiten.

Sobald du verheiratet bist, wirst du ausziehen.

Das ist heutzutage viel mannigfaltiger.

Es gibt Ausbildungen ohne Ende, jeder sagt einem was anderes.

Das Internet bombardiert unsere Kinder mit Möglichkeiten.

Auf den Schultern unserer jungen Menschen lastet das schwer.

Viele verabschieden sich daraus und sagen,

ich werde das nicht hinkriegen, ich kann nur enttäuschen.

Dann kann ich zu Hause sitzen bleiben und PlayStation spielen.

Was raten Sie Eltern, damit ihr Kind nicht hierher kommen muss?

Wir erleben 2 Schwierigkeiten in Eltern-Kind-Konstellationen,

die sich häufen und wiederholen.

Und zwar sind das einmal Konstellationen,

in denen Eltern in irgendeiner Form nicht da sind,

emotional nicht verfügbar, den Kontakt zu ihren Kindern verlieren.

Das ist eine Variante, die in psychische Krankheit führt.

Die andere Variante ist das, was man Helikopter-Eltern nennt.

Wo Eltern versuchen, ihren Kindern jede Form von Frust zu ersparen,

jede Form von Konflikt und Kindern nichts mehr zutrauen.

Es wird von Eltern häufig unterschätzt,

dass Kinder Herausforderungen brauchen.

Ohne werden sie nie lernen, dass sie selbstwirksam sind.

Wenn ein Kind niemals in eine Situation gerät, die knifflig ist

und aus der er oder sie herauskommt

und eine schwierige Aufgabe gemeistert hat,

wird sich kein gesunder Selbstwert entwickeln.

Wir sollten als Eltern unseren Kindern

nicht emotionalen Frust ersparen.

Das ist eine große Herausforderung. - Ja, weil es immer wehtut,

wenn man die eigenen Kinder leiden sieht.

Wenn man jegliches Leiden der Kinder weghält,

dann werden sie keine tauglichen Erwachsenen.

Dann sind sie mit der Welt überfordert.

Auch traumatische Erfahrungen können zu seelischen Erkrankungen führen.

Bei mir waren die Zwangsgedanken verbunden mit dem Tod.

Weil ich meinen Cousin früh verloren habe,

und ich hatte ständige Angst, dass ich noch jemanden verliere.

Ich hatte auch eine Stimme im Kopf, die Sachen gesagt hat,

und ich hatte Angst, dass das passiert.

Wenn meine Schwester mit dem Auto losgefahren ist und ich dachte,

sie stirbt jetzt, dachte ich, das passiert und ich bin schuld.

Dann konnte ich nicht mehr schlafen, nicht essen, ging nix mehr.

Dann haben meine Eltern überlegt, ob es gut wäre,

wenn ich in eine Klinik gehe für ein paar Wochen.

Wie hat dir die Therapie geholfen?

Nach der Therapie ist es so,

dass ich das Leben wieder normal führen kann.

Dass zwar noch ein bisschen von dem Zwang da ist,

aber dass mich das nicht einschränkt.

Dass ich normal zur Schule gehen kann.

Das erhoffe ich mir, dass das so bleibt.

Dass ich früh genug merke, wenn ein nächster Zwang ausbrechen sollte,

den Mut habe, wieder früh genug meiner Therapeutin

Bescheid zu sagen.

Was machen Eltern, wenn sie sich allein mit ihrem Problem fühlen?

Ich bin mit einer Selbsthilfegruppe von Eltern verabredet,

deren Kinder an Borderline erkrankt sind.

Außer dem Leiter der Gruppe, Kai Kreuzfeldt,

möchten alle unerkannt bleiben.

Ich habe genug Eltern kennengelernt, hier in der Gruppe

oder in der Praxis, die sind völlig überfordert.

Gehen irgendwann selbst in die Klinik, weil sie nicht mehr können,

weil sie die ganze Zeit für die Kinder da sind und nicht wissen,

was soll ich machen?

Oder man hat diese Unsicherheit: Mache ich das gerade richtig?

Mache ich das falsch? Hätte ich lieber das gemacht.

Ja, es ist ein Riesenproblem.

(Mann) Jeder ist so gefangen in seiner eigenen Geschichte.

Du bist immer in Sorge um dein Kind.

Du musst dann lernen, das habe ich hier gelernt, dich zu lösen,

weil ich habe irgendwann nachts nicht mehr schlafen können.

Ich war fertig, habe mir immer nur Sorgen gemacht.

Da hilft mir hier die Gruppe.

Was waren die ersten Anzeichen, wo Sie gemerkt haben,

irgendwas stimmt hier nicht?

(Frau) Bei uns ging es so richtig heftig mit 16 los,

dass auch körperliche Sachen anfingen.

Also ganz extreme Kopfschmerzen.

Dann Taubheitsgefühl in Händen und Füßen.

Wo wir also wirklich dann sofort zum Arzt gegangen sind,

weil wir dachten, es wäre irgendetwas Körperliches.

Am Ende hieß es halt, es könnte sein,

dass das was Psychosomatisches ist.

Wo ich gedacht habe, ja, toll, das sagen die Ärzte immer,

wenn sie nicht mehr weiterwissen.

(Frau) Bei meiner Tochter war das anders.

Die war ein ganz ausgeglichenes, fröhliches Kind,

von meinen 3 Kindern das harmonischste,

das wirklich ausgeglichenste.

Und in der Pubertät fing das an.

Die wurde immer unsicherer, die ging immer gebückter,

immer mehr mit einer Kapuze über dem Kopf.

Sie fühlte sich gemobbt, ausgegrenzt nach außen,

und nach innen konnte sie ihre Gefühle nicht kontrollieren.

Ich weiß noch, sie wurde einmal sauer und hat ein Brot genommen,

und hat das ganze Brot in kleine Fetzen gerissen

und durch die Küche geworfen.

Diese Situation werde ich nie vergessen.

Es war für mich nicht mehr steuerbar.

Ich habe nur zugeguckt und fassungslos gefragt: Was tust du da?

Hör mir doch zu, wir können über alles reden.

Das ging aber nicht. Sie konnte sich nicht mehr steuern.

Das würde ich wirklich immer Eltern sagen.

Wer so ein Gefühl hat, was ist nur los, das war doch gar nicht so,

ab da hat ein Kind was, ab da braucht es eigentlich Hilfe.

(Frau) Man darf halt auch nicht vergessen,

dass sie selber auch so unglücklich manchmal sind.

Und das tut dann auch einfach so weh.

Was wünschen Sie sich denn für Ihre Kinder?

Und für sich?

(Frau) Im Grunde wünsche ich mir für meine Tochter auf jeden Fall,

dass sie selber ein glückliches Leben führt

und irgendwie gesund ist.

Das hört sich komisch an, aber ja, das ist das, was ich mir wünsche.

(Frau) Ach, am liebsten hätte ich eine ganz normale Tochter.

Mit der ich ab und zu shoppen gehe oder Kaffee trinken gehe.

Aber das ist so weit weg. Das ist ganz weit weg.

Als Eltern zu akzeptieren, dass das eigene Kind seelisch erkrankt ist,

stelle ich mir unheimlich schwer vor.

Bei Eltern fällt mir auf,

dass bei den meisten eine große Schuldfrage im Raum steht.

Was habe ich falsch gemacht? Was habe ich übersehen?

Und was hätte ich besser machen können?

Das sind die Fragen, die die meisten mit sich rumtragen.

Nach Angaben ihrer eigenen Eltern zeigen fast 17% der Kinder

und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten,

so eine Studie des Robert Koch-Instituts.

Viele von uns Eltern haben heute das Gefühl, dass das Leben komplexer,

unsicherer und deshalb auch schwieriger für unsere Kinder sei

als früher.

Und seelische Störungen zunehmen müssten.

* Kirchenglocken *

Aber ist das Gefühl richtig?

Ich bin mit dem Soziologen Dirk Richter verabredet,

der eine Forschungsabteilung an der Psychiatrischen Universitätsklinik

in Bern leitet.

Er sagt, es gehen zwar deutlich mehr Kinder und Jugendliche

in psychotherapeutische Behandlung.

Aber wenn es um psychische Belastungen geht,

würden die abnehmen, die Zunahme sei nur gefühlt.

Nr. 1 glauben wir immer, dass wir die belastetste Generation sind,

die jemals gelebt hat.

Natürlich ist die nachfolgende Kindergeneration

noch belasteter als wir.

Das kann man historisch, seit der Antike kann man das nachweisen,

dass das so ist.

Eine meiner Lieblingsanekdoten ist,

dass man in den 1870er-Jahren geglaubt hat,

vom schnellen Eisenbahnfahren müsste man verrückt werden.

Da war man davon überzeugt, dass das einer der Gründe war,

warum psychische Erkrankungen zunehmen.

Heute sind wir davon überzeugt, dass uns das Smartphone,

die Digitalisierung und das, was unser Leben in den letzten 10 Jahren

so massiv geprägt hat, uns durcheinander bringt.

Uns überfordert.

Im Einzelfall mag das sein, aber im Schnitt ist das eben nicht so.

Ich frage mich aber trotzdem, was das bedeutet für Eltern,

die ein psychisch auffälliges Kind tatsächlich haben?

Das muss man sich im Einzelfall anschauen.

Es gibt natürlich die Notwendigkeit zur Behandlung.

Aber es gibt auf der anderen Seite auch so etwas wie Überprotektion,

gerade in der heutigen Elterngesellschaft.

Dass Eltern meinen, es muss was getan werden.

Da hätte man vielleicht in früheren Zeiten einfach mehr Gelassenheit,

ein bisschen mehr Toleranz an den Tag gelegt.

Ich glaube, da war man früher deutlich entspannter.

Was sagen Sie denn Eltern, die sich die Schuldfrage stellen?

Habe ich schuld, dass mein Kind psychische Probleme hat?

Denen würde ich sagen: Sie überschätzen ihren Einfluss,

weil so etwas natürlich multikausal ist.

Und wenn Kinder am Ende da Probleme haben,

ist es nicht zwingend an den Eltern gelegen.

Das sind Erkenntnisse aus der Sozialisationsforschung.

Wenn Sie Kinder misshandeln, malträtieren,

können Sie sehr viel falsch machen.

Aber wenn Sie das nicht tun,

wenn Sie Kindern ein einigermaßen stabiles Umfeld geben,

dann kommt das schon gut, wie man bei uns in der Schweiz sagt.

Sie haben als Eltern nicht so viel Einfluss,

wie Eltern das normalerweise glauben.

Ich muss sagen, das überrascht mich jetzt total. - Was?

Dass so viel Einfluss die Eltern gar nicht haben, wie man denkt. - Nein.

Das klingt entlastend für uns Eltern, finde ich.

Aber trotzdem können wir uns überfordert fühlen,

wenn wir merken, da geht etwas schief.

Was können wir Eltern anders machen?

Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin

Gunda Frey hat einen ungewöhnlichen Ansatz gefunden.

Und auch einen Ratgeber geschrieben.

"Kinder entwickeln Störungen,

weil wir sie in ihrer Entwicklung stören",

ist ja eine sehr provokante Aussage.

Die gibt viel Schuld an die Eltern ab oder die Schule

oder die Pädagogen.

Wir könnten es ja positiv umframen,

ich bin immer für einen positiven Blick.

Es gibt die Verantwortung zurück.

Also, ich nehme ein Beispiel.

Sie kaufen eine Blume, finden die total schön

und stellen die irgendwohin.

Nach 3 Wochen lässt die alle Blätter hängen und wird gelb.

Wir würden automatisch bei uns anfangen und denken,

was kann ich tun, damit es dieser Blume gut geht?

Aber bei unseren Kindern haben wir irgendwie den Schalter umgedreht.

Wenn sie ganz klein sind, feuern wir sie an: Ey, du kannst laufen.

Und es gibt ganz viel positive Verstärkung.

Sobald dann unser System anfängt mit Kindergarten, heißt es,

jetzt musst du funktionieren.

Jetzt hast du eine blühende Blume zu sein.

Wehe, du tust das nicht.

Und mit diesem Satz, der ist bewusst provokativ,

möchte ich erinnern an die Verantwortung, die wir haben

für unsere Kinder.

Ihnen den bestmöglichen Rahmen zu geben, damit sie sich entwickeln

und entfalten können

und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen kennenlernen.

Sie selbst hat ein Kind mit Sonderausstattung, wie sie es nennt.

Die Kunst sei es, mit den Augen der Kinder sehen zu können.

Deshalb hat sie eine Akademie gegründet für Menschen,

die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Unser Ansatz ja auch in der Akademie, wo ich ausbilde, ist,

die Haltung des Guten Grundes.

D.h. wenn wir auffälliges Verhalten von Kindern haben,

haben sie einen Grund dafür.

Letztendlich signalisieren sie uns mit ihrem Grund:

Hallo, hier ist was falsch, könnt ihr mal bitte hingucken?

Aber keiner fragt, warum. Warum verhältst du dich so?

Da dürfen wir einfach den Blick ändern.

Es kann jeder Familie passieren,

dass das eigene Kind in eine Seelenkrise gerät.

Ich habe für mich mitgenommen, dass kein Verhalten ohne Grund ist.

Und dass es wichtig ist,

immer wieder die Verbindung zu unseren Kindern zu suchen.

Aber auch, dass wir ihnen mehr zutrauen sollten.

Und auch, dass es Hilfe gibt.

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