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Nietzsche- Also sprach Zarathustra, Also sprach Zarathustra - Ein Buch für Alle und Keinen (2)

Also sprach Zarathustra - Ein Buch für Alle und Keinen (2)

4

Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er

also:

Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und

Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde.

Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches

Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches

Schaudern und Stehenbleiben.

Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein

Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein

Übergang und ein Untergang ist.

Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als

Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden.

Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden

sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer.

Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund

suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass

die Erde einst der Übermenschen werde.

Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen

will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen

Untergang.

Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem

Übermenschen das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite:

denn so will er seinen Untergang.

Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum

Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht.

Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich

zurückbehält, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so

schreitet er als Geist über die Brücke.

Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein

Verhängniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und nicht

mehr leben.

Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend

ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das

Verhängniss hängt.

Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben

will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht

bewahren.

Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu

seinem Glücke fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher

Spieler? – denn er will zu Grunde gehen.

Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und

immer noch mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen

Untergang.

Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die

Vergangenen erlöst: denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde

gehen.

Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott

liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen.

Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der

an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne über

die Brücke.

Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber

vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang.

Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein

Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum

Untergang.

Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus

der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen,

dass der Blitz kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde.

Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer

Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heisst

Übermensch.

5

Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk

an und schwieg. »Da stehen sie«, sprach er zu seinem Herzen,

»da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für

diese Ohren.

Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den

Augen hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder

glauben sie nur dem Stammelnden?

Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was

sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den

Ziegenhirten.

Drum hören sie ungern von sich das Wort »Verachtung«.

So will ich denn zu ihrem Stolze reden.

So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist

der letzte Mensch.«

Und also sprach Zarathustra zum Volke:

Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an

der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze.

Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm

und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner

Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens

verlernt hat, zu schwirren!

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden

Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in

euch.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären

wird. Wehe! Es kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich

selber nicht mehr verachten kann.

Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen.

»Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was

ist Stern« – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.

Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte

Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der

Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.

»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die

letzten Menschen und blinzeln.

Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man

braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man

braucht Wärme.

Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht

achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!

Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel

Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.

Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt

dass die Unterhaltung nicht angreife.

Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer

will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.

Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich:

wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.

»Ehemals war alle Welt irre« – sagen die Feinsten und

blinzeln.

Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende

zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst

verdirbt es den Magen.

Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen

für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.

»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die

letzten Menschen und blinzeln –

Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch

»die Vorrede« heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das

Geschrei und die Lust der Menge. »Gieb uns diesen letzten Menschen, oh

Zarathustra, – so riefen sie – mache uns zu diesen letzten Menschen!

So schenken wir dir den Übermenschen!« Und alles Volk jubelte und

schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem

Herzen:

Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese

Ohren.

Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche

und Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten.

Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber

sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen.

Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen

sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.

6

Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr

machte. Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen:

er war aus einer kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil,

welches zwischen zwei Thürmen gespannt war, also, dass es über dem

Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war,

öffnete sich die kleine Thür noch einmal, und ein bunter Gesell,

einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten dem

Ersten nach. »Vorwärts, Lahmfuss, rief seine fürchterliche

Stimme, vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass ich

dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen?

In den Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du

bist, sperrst du die freie Bahn!« – Und mit jedem Worte kam er ihm

näher und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war,

da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr

machte: – er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang über

Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler

siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er warf seine Stange weg und

schoss schneller als diese, wie ein Wirbel von Armen und Beinen, in die Tiefe.

Der Markt und das Volk glich dem Meere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles

floh aus einander und übereinander, und am meisten dort, wo der

Körper niederschlagen musste.

Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der

Körper hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt.

Nach einer Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er

sah Zarathustra neben sich knieen. »Was machst du da? sagte er endlich,

ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun schleppt

er mich zur Hölle: willst du's ihm wehren?«

»Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es

Alles nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle.

Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun

Nichts mehr!«

Der Mann blickte misstrauisch auf. »Wenn du die Wahrheit

sprichst, sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere.

Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch

Schläge und schmale Bissen.«

»Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen

Beruf gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu

Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.«

Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht

mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's zum Danke

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Also sprach Zarathustra - Ein Buch für Alle und Keinen (2) Thus Spoke Zarathustra - A Book for All and No One (2) Aldus sprak Zarathustra - Een boek voor allen en voor niemand (2) Assim falou Zaratustra - Um livro para todos e para ninguém (2)

4

Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. But Zarathustra looked at the people and was amazed. Dann sprach er

also:

Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Man is a rope tied between animal and

Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde. Superman, - a rope over an abyss.

Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches

Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches On-the-way, a dangerous looking back, a dangerous one

Schaudern und Stehenbleiben.

Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein

Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein

Übergang und ein Untergang ist.

Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als

Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. going under, for it is the going over.

Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden I love the great despisers because they are the great worshipers

sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. are and arrows of longing for the other shore.

Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund

suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass

die Erde einst der Übermenschen werde. the earth will one day become the superhuman.

Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen

will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen

Untergang.

Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem

Übermenschen das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite:

denn so will er seinen Untergang. because that is how he wants his downfall.

Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum

Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. Downfall and an arrow of longing.

Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist für sich I love him who has not a drop of spirit for himself

zurückbehält, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so

schreitet er als Geist über die Brücke.

Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein

Verhängniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und nicht

mehr leben.

Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. I love the one who does not want to have too many virtues. Eine Tugend

ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das

Verhängniss hängt.

Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben

will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht wants and does not give back: for he always gives and does not want to be

bewahren.

Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu

seinem Glücke fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher

Spieler? – denn er will zu Grunde gehen. - because he wants to perish.

Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und

immer noch mehr hält, als er verspricht: denn er will seinen still delivers more than he promises: because he wants his

Untergang.

Ich liebe Den, welcher die Zukünftigen rechtfertigt und die

Vergangenen erlöst: denn er will an den Gegenwärtigen zu Grunde

gehen.

Ich liebe Den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott I love him who chastens his God, because he chastens his God

liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. for he must perish because of the wrath of his God.

Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der

an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne über

die Brücke.

Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber

vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang.

Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein

Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum

Untergang.

Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus

der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen,

dass der Blitz kommt, und gehn als Verkündiger zu Grunde.

Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer

Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heisst

Übermensch.

5

Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk

an und schwieg. »Da stehen sie«, sprach er zu seinem Herzen,

»da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für

diese Ohren.

Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den

Augen hören. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder

glauben sie nur dem Stammelnden?

Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was

sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den

Ziegenhirten.

Drum hören sie ungern von sich das Wort »Verachtung«.

So will ich denn zu ihrem Stolze reden.

So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist

der letzte Mensch.«

Und also sprach Zarathustra zum Volke:

Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an

der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung pflanze.

Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm

und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner

Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens

verlernt hat, zu schwirren!

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden

Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in I tell you: you still have chaos in

euch.

Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären

wird. Wehe! Es kommt die Weit des verächtlichsten Menschen, der sich

selber nicht mehr verachten kann.

Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen.

»Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was

ist Stern« – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.

Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte

Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der

Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.

»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die

letzten Menschen und blinzeln.

Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man

braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man

braucht Wärme.

Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht

achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!

Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel

Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.

Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt

dass die Unterhaltung nicht angreife.

Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer

will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.

Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich:

wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.

»Ehemals war alle Welt irre« – sagen die Feinsten und

blinzeln.

Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende

zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst

verdirbt es den Magen.

Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen

für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.

»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die

letzten Menschen und blinzeln –

Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch

»die Vorrede« heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das

Geschrei und die Lust der Menge. »Gieb uns diesen letzten Menschen, oh

Zarathustra, – so riefen sie – mache uns zu diesen letzten Menschen!

So schenken wir dir den Übermenschen!« Und alles Volk jubelte und

schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem

Herzen:

Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund für diese

Ohren.

Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche

und Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten.

Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber

sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren Spässen.

Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen

sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.

6

Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr

machte. Inzwischen nämlich hatte der Seiltänzer sein Werk begonnen:

er war aus einer kleiner Thür hinausgetreten und gieng über das Seil,

welches zwischen zwei Thürmen gespannt war, also, dass es über dem

Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war,

öffnete sich die kleine Thür noch einmal, und ein bunter Gesell,

einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten dem

Ersten nach. »Vorwärts, Lahmfuss, rief seine fürchterliche

Stimme, vorwärts Faulthier, Schleichhändler, Bleichgesicht! Dass ich

dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thürmen?

In den Thurm gehörst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du

bist, sperrst du die freie Bahn!« – Und mit jedem Worte kam er ihm

näher und näher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war,

da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr

machte: – er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang über

Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler

siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er warf seine Stange weg und

schoss schneller als diese, wie ein Wirbel von Armen und Beinen, in die Tiefe.

Der Markt und das Volk glich dem Meere, wenn der Sturm hineinfährt: Alles

floh aus einander und übereinander, und am meisten dort, wo der

Körper niederschlagen musste.

Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der

Körper hin, übel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt.

Nach einer Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurück, und er

sah Zarathustra neben sich knieen. »Was machst du da? sagte er endlich,

ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun schleppt

er mich zur Hölle: willst du's ihm wehren?« he'll send me to hell: will you fight him?"

»Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es

Alles nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hölle. Not what you are talking about: there is no devil and no hell.

Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun Your soul will be dead even sooner than your body: fear now

Nichts mehr!«

Der Mann blickte misstrauisch auf. »Wenn du die Wahrheit

sprichst, sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. he then said, I lose nothing if I lose my life.

Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch I am not much more than an animal that has been taught to dance by

Schläge und schmale Bissen.« Blows and narrow bites."

»Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen "Not so, said Zarathustra; you have turned danger into your

Beruf gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu

Grunde: dafür will ich dich mit meinen Händen begraben.« Reason: for this I will bury you with my hands."

Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht

mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's zum Danke more; but he moved his hand as if to thank the hand of Zarathustra.

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