Arbeitslos - Die seltsamen Kurse vom Jobcenter | SWR Doku (1)
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Ja, machen Sie weiter.
Gucken Sie, dass die Knie ...
(Er lacht leicht.)
"Fitness im Büro" heißt dieser Kurs für Langzeitarbeitslose.
Eine Maßnahme - bezahlt vom Jobcenter Stuttgart.
"Spazierengehen für Hartz-IV-Empfänger" -
auch das bietet das Jobcenter Stuttgart an.
Und anschließend Yoga im Park.
Dieser Film führt in die Welt der Coachingkurse.
Seminare, mit denen Menschen wieder fit gemacht werden sollen
für den Arbeitsmarkt.
Doch was bringen die Maßnahmen vom Jobcenter wirklich?
(Nachdenkliche Musik)
Hallo. - Hallo, Paula.
War's schön? - Ja.
Das nächste Mal musst du aber warten, gell?
Bis alle Kinder da sind. Nicht einfach abhauen.
(Nachdenkliche Musik)
(Ferne Kinderstimmen)
Stephanie Neubig holt ihre Tochter Paula ab.
Die alleinerziehende Mutter ist doppelt gefordert.
Vormittags putzen gehen, nachmittags für Paula da sein.
Eigentlich müsste sie ganztags arbeiten, um genug Geld zu verdienen.
Denn von ihrem Lohn darf sie nur 100 Euro behalten.
So will es Hartz IV.
Die beiden leben am Existenzminimum.
Stephanie braucht endlich eine feste Stelle.
Zurzeit wäre es eigentlich ganz gut,
wenn ich meinen Führerschein machen könnte,
damit ich aus der Arbeitslosigkeit rauskomme.
Damit ich zum Beispiel ...
Ich könnte mich bei der Diakonie danach bewerben,
da ich ja Hauswirtschaftshelferin gelernt hab.
Ich könnte dann über die Diakonie arbeiten.
In Privathaushalten bei älteren Personen auch helfen,
wie einkaufen, die Zimmer reinigen,
helfen beim Anziehen,
Und das wär eigentlich dann schon ...
ein Vollzeitjob, was man machen könnte.
Raus aus dem Hartz IV und endlich glücklich werden.
Stephanie lernt schon mal die Theorie für den Führerschein
Fahrstunden kann sie sich nicht leisten.
Aber da hofft sie auf das Jobcenter.
Die bezahlen ja auch ganz andere Kurse.
(Leises Gespräch)
Stephanie will für Paula da sein,
muss sich aber auch auf Stellen bewerben.
Ein ständiger Spagat.
Immer ein schlechtes Gewissen.
Ja. Kannst du noch ein paar Minuten warten?
Nee. - (erstaunt:) Nee?
Ja. - Ja.
Dann sind wir ...
Willst du das mitnehmen, Paula? - Hm?
Komm, jetzt tust du die mal anziehen.
Du bist auch so hübsch mit der. - Aber ich will nicht.
Gut, dann mach ich halt.
Also, darf ich jetzt noch ein bisschen, okay?
Das wird schwierig, wenn Stephanie richtig arbeiten gehen will.
Thomas Nagl ist Stephanies Familienhelfer,
beauftragt vom Jugendamt.
Hi, Tom!
Aber er kann immer nur stundenweise vorbeikommen.
Er besucht Stephanie zweimal pro Woche.
Nach der Trennung fällt es Stephanie schwer,
alles alleine auf die Reihe zu bekommen.
Haushalt, Jobben und dann noch Paula.
Die hat ein Kleid an und die hat eine Hose an.
(Thomas lacht leicht.)
Und es gibt noch Sonne. - Na klar, die Sonne.
Es ist ja Sommer.
Was haben wir hier alles für Spielzeug?
Guck mal, die macht: Waaaah! - Oh, noch eins!
Thomas berät sie schon lange.
Dabei geht's auch um Erziehung.
Aufräumen. - Na gut.
Kinderbetreuung ist nicht Thomas' eigentlicher Job,
sondern Unterstützung für alleinerziehende Langzeitarbeitslose.
Es ist auch meine Aufgabe,
so ein bisschen bei Erziehung zu unterstützen.
Also, unter all diesem ganzen Stress fällt es nicht immer leicht.
Wenn die Kleine hier zum Beispiel ihr Zimmer nicht aufräumt:
Statt zu schimpfen, zu brüllen, die Tür zu schlagen und bestrafen -
welche Möglichkeiten gibt es noch?
Und das kann ich erzählen auf der einen Seite,
oder ich mach das einfach mal mit der Kleinen zusammen.
Die Mutter kann sich das anschauen
und versuchen, es vielleicht in einer ähnlichen Weise zu machen.
Beim Jobcenter ist einfach das Problem,
ich verstehe deren Beamtendeutsch nicht.
Also, ich hab da meine Probleme mit ihnen ...
Wenn die mir was erklären, verstehe ich's nicht immer.
Da ist es dann gut,
dass gerade mein Familienhelfer da ist.
Weil er übersetzt es mir im Endeffekt so,
dass ich es verstehen kann und agieren kann.
Ansonsten hätt ich wohl das Problem, dass ich alles falsch mache
und hinterher keine Gelder mehr kriegen würde.
Paula ist von acht bis 16 Uhr im Kindergarten.
In der Zeit könnte Stephanie arbeiten.
Jetzt muss Paula mal alleine im Wohnzimmer bleiben,
damit Thomas Nagl Stephanie in Ruhe beraten kann.
Heute geht es um das Formular vom Jobcenter,
mit dem sie die Fahrschule beantragen muss.
Ziemlich kompliziert.
Hier sind Kosten für Unterkunft und Heizung ...
Das kann ich alleine, das ist ja nicht das Problem.
Aber so, bevor ich halt wieder das Falsche ankreuze ...
Bis jetzt passt das alles.
Wenn sie jetzt einen Fehler machen,
übernimmt das Jobcenter womöglich nicht die Fahrstunden.
Thomas Nagl blickt da durch.
Ausbildung- ... - Nein, weiter.
"Beziehen Sie Unterhaltsleistungen oder zahlen Sie Unterhalt ..."
Nein. - Nein.
Aber wenn das mit dem Führerschein klappt,
wer kümmert sich dann um Paula wenn der Kindergarten aus ist?
Stephanie macht sich Sorgen.
Ich hab Hauswirtschaftshelferin gelernt.
Und ich habe aber gesagt:
Generell gehe ich in keine Hotels mehr rein.
Und ich will auch nicht mehr als Koch arbeiten,
weil ich das gar nicht kann.
Also mit Kind kann ich das definitiv nicht.
Weil ich muss wochenends arbeiten.
Ich habe wochenends niemanden, der aufs Kind aufpasst.
Ich hab keinen Kindergarten, der sagt:
"Hehe, wir passen auch am Wochenende auf."
Das gibt's nicht, funktioniert nicht.
Meine Mutter ist selber auch ... Sie arbeitet.
Mein Stiefvater ist selbstständig.
Da ist keiner da.
Also brauche ich gar nicht versuchen, ins Hotel zu gehen.
Also versuche ich es über die Gemeinden oder Privathaushalte.
Und was ist in den Ferien, wenn der Kindergarten zu hat?
Wie schaffen es manche alleinerziehenden Mütter
auch noch arbeiten zu gehen?
Mit Paula wird das jedenfalls schwierig.
Könnte Stephanie auch mit dem Bus zur Arbeit fahren?
Zum Jobcenter nach Calw dauert es knapp 20 Minuten.
Er kennt Stephanies Probleme.
Ortwin Arnold leitet das Jobcenter Calw.
Das ist jetzt ein Fall, den Sie beschreiben ...
Ich kenne den Fall,
wo sich relativ viele Probleme ballen.
Also, der gehts nicht nur um die Mobilität.
Ist auch ein Problem, die Mobilität.
Aber dann ist die Kinderbetreuung ein Problem.
Und weil die in dem Fall noch ein bisschen besonders ist.
Dann war das familiäre Umfeld ein Problem für sie.
Dann kamen gesundheitliche Probleme dazu.
Das heißt, sie hatte mehrere Einschränkungen,
die sie nachvollziehbar daran hinderten,
im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Und wir arbeiten mit der Frau jetzt Problem für Problem ab.
Das heißt, wir haben jetzt versucht,
eine Kinderbetreuung für sie zu organisieren.
Wir sind dran, das Thema Führerschein zu bearbeiten.
Und wir werden dann,
wenn es dann so weit ist mit dem Führerschein, sie mobil ist,
auch versuchen,
über Bildungsträger eine langsame Ranführung an den Arbeitsmarkt
bei ihr zu erreichen.
Ich denke, sie war so lang draußen, dass es schwierig wird,
sofort wieder zu 100 Prozent leistungsfähig zu sein.
Deswegen soll Stephanie erst mal zu Motivations- und Coachingkursen.
Ihre erste Hürde ist es, pünktlich da hinzukommen.
Es ist halt bei uns hier nicht wie in der Großstadt,
wo alle paar Minuten der nächste Zug oder der nächste Bus fährt.
Hier muss man halt wirklich warten.
Eine Stunde oder je nachdem, wo man auch hinfahren muss.
Da kann's auch mal sein, dass man mal zwei Stunden wartet.
Oder der Bus fällt mal aus, dann hat man ganz viel Pech.
Grad grundsätzlich wegen der Arbeit.
Oder auch wenn man wichtige Termine hat,
die man dann auch nicht einhalten kann,
wenn der Bus zu spät kommt.
Wenn der Bus Verspätung hat,
muss sie gleich dem Jobcenter Bescheid sagen.
Sonst bekommt sie eine Sanktion.
Als erste Mahnung
werden von den 446 Euro Arbeitslosengeld II,
die sie monatlich vom Jobcenter bekommt,
zehn Prozent gekürzt.
Heute kommt der Bus fast pünktlich.
"Erlacher Höhe" ist ein Bildungsträger,
wo sie heute einen neuen Vertrag abschließen muss,
solange sie nicht Vollzeit arbeitet.
So will es ihre Fallmanagerin Friederike Weidenbach vom Jobcenter.
Ja, Frau Neubig, die Frau Weidenmann hatte sich bei uns gemeldet.
Wir haben schon einen Brief bekommen vom Jobcenter.
Und es ist vorgesehen, dass Sie bei uns eine Arbeitsgelegenheit machen.
Jetzt ist einfach so,
meine kleine Tochter geht in den Ganztagskindergarten,
und ich möchte einfach wieder voll starten,
dass ich einfach rauskomme aus dem Hartz IV.
Das will auch das Jobcenter.
Ich habe hier die Zuweisung von der Frau Weidenmann,
und da stehen die Rahmenbedingungen drin.
Das, was nicht drin steht, erkläre ich Ihnen gleich.
Sie werden 25 Stunden pro Woche hier arbeiten.
Immer von acht bis 13 Uhr.
Das kann natürlich auch mal ein bisschen variieren.
Aber das sind so die Regelarbeitszeiten.
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag.
Und wenn wir mal,
jetzt geh ich mal von der Hauswirtschaft aus,
wenn wir von der Hauswirtschaft ausgehen,
wenn da mal was ist - eine Veranstaltung am Wochenende -
kann es auch sein, dass Sie da angefragt werden.
Das ist alles
in dem Schreiben von Frau Weidenmann an Sie aufgeführt.
Die Sie aber auch bitte gegenzeichnen müssen.
Ich werde das nachher ausfüllen und auch ans Jobcenter zurückfaxen,
dass Sie sich hier vorgestellt haben.
Es geht darum, Sie auf dem Weg ins Arbeitsleben zu begleiten. - Mhm.
Stephanie muss heute die Vereinbarung unterschreiben,
damit sie keine Sanktion bekommt.
Wenn sie ablehnt,
kürzt ihr das Jobcenter bis zu 30 Prozent ihrer Grundsicherung.
Dann blieben ihr noch etwa zehn Euro pro Tag übrig, für sich und Paula.
So ...
Wenn wir Hartz-IV-Empfänger nicht machen,
was das Jobcenter von uns will, kriegen wir Sanktion rein.
Dann einmal die Hausordnung. - Mhm.
Und dann hab ich hier noch ...
zur Erreichung Ihrer gemeinsamen erarbeiteten Ziele ...
Da würden wir jetzt zum Beispiel das Coaching mit aufnehmen.
Um acht Uhr soll sie morgens da sein.
Da bringt sie gerade Paula in den Kindergarten.
Und dann noch die Busfahrt nach Calw. Wie soll das gehen?
Stephanie sucht noch nach einer Lösung.
Andere schaffen es ja auch.
Diese Maßnahme wird das Jobcenter wohl mehr kosten als die Fahrstunden.
Okay, ich wär dann soweit.
Gut.
"Fördern und Fordern"
nennt das Jobcenter diesen Mix aus Maßnahmen und Druckmitteln.
Wenn Sie einfach bitte hier unterschreiben bei MTN,
das steht für Maßnahmeteilnehmer. - Okay.
Es hilft nichts. Sie muss unterschreiben.
Ja.
Kurz und knapp. - Ja.
Gut.
Wird sie neben all den Kreativitätskursen
überhaupt noch ihren Führerschein machen können?
Heute will sie den Antrag auf Übernahme der Fahrstunden
im Jobcenter abgeben.
(Vogelgezwitscher)
Wieder ist sie auf dem Weg nach Calw.
Wenn sie den Bus verpasst, muss sie eine Stunde auf den nächsten warten,
um zum Jobcenter zu kommen.
Und wenn sie ihren Termin verpasst, gibt's wieder Sanktionen.
(Nachdenkliche Musik)
Auf dem Rückweg darf sie auch nicht zu spät in die Kita kommen.
Denn auch Paula muss ja pünktlich abgeholt werden.
Hier in der Gegend setzen die Firmen voraus,
dass die Angestellten mit dem Auto zur Arbeit kommen.
Ohne Führerschein hat Stephanie kaum eine Chance, eine Stelle zu bekommen.
(Tür geht zischend auf.) Danke!
Was sie noch nicht weiß: Es gibt eine weitere Hürde.
Sie darf die Fahrschule nur machen,
wenn sie zur Lagerlogistikerin umschult.
Das hat ihre Fallmanagerin so entschieden.
Im Jobcenter wird sie gleich erfahren,
dass sie die Umschulung machen soll.
Sonst wird die Fahrschule nicht übernommen.
Nehmen Sie Platz, kommen Sie an.
Danke schön.
Aber davor geht es erst noch mal um ihren Antrag.
Also, ich habe jetzt dieses ...
dieses ... dieses schöne Formular ...
Ich habe es so weit ausgefüllt und hoffe, dass es richtig ist,
weil ich glaube, es gab noch eine Frage, wo ich ...
Machen wir so. - Okay, super.
Wissen Sie zufällig, um welche Frage es ging?
Ähm, nee ...
Das ist ...
Ich glaube, Sie müssen sich da alles irgendwie angucken,
weil ich's zum Teil gelesen habe und es zum Teil nicht verstanden habe.
Irgendwas mit "psychologisch" und was weiß ich.
Dann stand wieder "Mein Hausarzt", aber es steht nur "Arzt/Ärztin ...
oder Psychologin."
Sie meinen die Schweigepflichtentbindung?
Das wahrscheinlich. - Ich hab keine Ahnung.
Ähm ... ist das Ihre Unterschrift? - Ja.
Ja, gucken Sie es sich einfach durch.
Weil ich bin da nicht so im ... Was wollen Sie jetzt von mir genau?
Das ist so Beamtendeutsch für mich.
(lacht:) Verstehe ich.
Passt.
Würde ich so einschicken. - Super!
Aber: Wenn Stephanie neben der Fahrschule
noch eine Lagerlogistikschulung besucht,
braucht sie eine Ganztagsbetreuung für Paula.
Ohne Ganztagsbetreuung keine Lagerlogistik.
Ohme Umschulung kein Führerschein.
Ohne Führerschein kein Job.
Jetzt hängt alles davon ab,
ob das Jobcenter Stephanie eine Ganztagsbetreuung vermitteln kann.
Jetzt ist das Jobcenter gefordert:
Fallmanagerin Laura Weidenmann
muss mehrere Zuständigkeitsbereiche anfragen.
Das Landratsamt soll unterstützen ...
Hallo?
Hörst du mich?
Kannst du mir die Andrea ...