15. Kapitel - 01
Das war die Geschichte meiner Freunde. Sie machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich lernte daraus ihre guten Seiten schätzen und die Fehler des Menschengeschlechts mißbilligen.
Damals erschien mir jedes Verbrechen wie ein Übel, das vollkommen außerhalb meines Gesichtskreises lag. Ich meinte es wirklich gut und hoffte, ein nützliches Glied der kleinen Gesellschaft werden zu können, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte.
Bald nach meiner Ankunft in dem Schuppen hatte ich in einer Tasche des Kleides, das ich bei meiner Flucht aus deinem Laboratorium mitgenommen, einige Papiere entdeckt. Zuerst kümmerte ich mich nicht darum, aber nun, da ich sie zu entziffern vermochte, machte ich mich eifrig daran sie zu studieren. Es war dein Tagebuch aus den vier Monaten, die meiner Schöpfung vorausgingen. Du beschriebst darin jeden Fortschritt, den dein Werk machte, und dazwischen fanden sich wieder Notizen über deine Nachrichten von zu Hause. Du erinnerst dich sicherlich dieser Blätter. Hier sind sie. Alles, was darin steht, gibt Aufschluß über meinen Ursprung. Die ganzen häßlichen, abstoßenden Details sind anschaulich geschildert; du gibst die genaueste Beschreibung meiner verhaßten, abscheulichen Persönlichkeit in einer Sprache, die deinen Ekel nur zu deutlich zum Ausdruck bringt und mir unsägliches Leid verursachte. Ich wurde förmlich krank, als ich das alles las. »Verfluchter Tag, an dem ich ins Leben trat,« schrie ich in rasender Verzweiflung. »Verflucht sei mein Schöpfer. Warum mußtest du auch ein Ungeheuer schaffen, das so häßlich war, daß selbst du voll Ekel dich von mir abwandtest? Gott bildete den Menschen in seiner Güte nach seinem eigenen Bilde; aber du gabst mir Antlitz und Gestalt, die nur ein erschreckendes Zerrbild deines Leibes waren. Satan selbst hat seine Genossen, die mit ihm leben; aber ich bin allein und verhaßt, wo man mich erblickt.«
Das waren die Gedanken, die mein Elend und meine Einsamkeit gebaren. Aber wenn ich mir überlegte, wie freundlich und gut meine Beschützer sein mußten, tröstete ich mich damit, daß sie sich an meine körperliche Häßlichkeit gewöhnen würden, wenn sie erst erkannt hätten, daß mein Inneres so ganz anders sei als mein Äußeres. Waren sie imstande, einen um Mitleid und Freundschaft Flehenden von ihrer Tür wegzujagen, weil er so mißgestaltet war? Schließlich war es mir klar, daß ich nicht die Hoffnung aufgeben dürfe, und bereitete mich auf eine Begegnung mit ihnen vor, die über mein ganzes künftiges Geschick entscheiden mußte. Trotzdem schob ich aber die Ausführung des Planes noch um mehrere Monate hinaus, denn die Wichtigkeit, die ich der Sache beilegte, erfüllte mich immer wieder mit einer gewissen zaghaften Scheu. Außerdem merkte ich, daß meine Fertigkeit im Gebrauch der Sprache von Tag zu Tag wuchs, und wollte aus diesem Umstände Nutzen ziehen, um ihnen möglichst gut vorbereitet entgegentreten zu können.
Im Hause selbst hatte sich unterdessen manches verändert. Safies Ankunft hatte nicht nur Glück über die Seelen der guten Menschen ausgegossen, sondern es war auch ein gewisser Wohlstand eingekehrt. Felix und Agathe hatten jetzt mehr Zeit sich dem Vergnügen hinzugeben, da ihre Arbeiten von Dienstboten verrichtet wurden. Wenn sie auch vielleicht nicht reich waren, so schienen sie wenigstens zufrieden und glücklich. Ihr Leben floß friedlich und heiter dahin, während ich selbst eine Beute der unruhigsten, widersprechendsten Gefühle wurde. Je mehr mein Wissen sich erweiterte, desto klarer war es mir, daß ich ein Elender, Ausgestoßener sei. Ich entsagte ja noch nicht jeder Hoffnung, das ist wahr; aber sie entschwand immer wieder, wenn ich mein Spiegelbild im Wasser oder meinen Schatten im Mondschein sah, eben so rasch wie dieses Spiegelbild oder der Schatten selbst.
Ich tat mein Möglichstes, um dieser Angstgefühle Herr zu werden und mir Mut einzuflößen für das Unternehmen, von dem mich nur wenige Monate mehr trennten. Zuweilen gestattete ich sogar meinen Gedanken sich ein Paradies vorzugaukeln, in dem ich mit lieblichen Wesen, die mich verstanden, zusammenlebte; engelgleiche Gesichter lächelten mir Trost und Zuversicht zu. Aber alles war nur Wahn; keine Eva linderte mein Leid oder teilte meine Sorgen; ich war allein. Ich erinnerte mich der Worte, mit denen Adam vor seinen Schöpfer trat. Aber wer war der meine? Er hatte sich von mir gewandt und voll tiefster Erbitterung hatte ich nur Flüche für ihn.
So verging der Herbst. Erstaunt und betrübt sah ich die Blätter welken und fallen und erkannte, daß die Erde wieder dasselbe traurige, starre Aussehen annahm wie damals, als ich zuerst die Wälder und den lieben Mond gesehen.
Die Kälte fürchtete ich nicht, denn merkwürdigerweise war ich gegen diese wesentlich unempfindlicher als gegen die Hitze. Als ich keine Gelegenheit mehr hatte, die Blumen auf den Feldern zu betrachten und dem Gesang der Vögel zuzuhören, wandte ich meinen Freunden wieder mehr Aufmerksamkeit zu. Das Scheiden der schönen Jahreszeit tat ihrem Glücke keinen Abbruch. Sie waren alle einander herzlich zugetan und freuten sich ihres Lebens, unbekümmert um das, was draußen in der Natur vor sich ging. Je öfter ich sie sah, desto ungeduldiger nahm ich mir vor, ihren Schutz und Beistand anzurufen. Mein Herz dürstete danach, sich diesen liebenswürdigen Menschen offenbaren zu dürfen. Ihre Blicke liebevoll und mit Interesse auf mir haften zu sehen, war das, was ich am meisten ersehnte. Ich wagte es gar nicht daran zu denken, daß sie mich mit Grauen und Ekel von sich weisen könnten. Von ihrer Tür war sicher noch kein Hülfesuchender weggejagt worden. Mir war es ja um mehr zu tun als um Speise oder ein vorübergehendes Unterkommen, ich wollte ihre Liebe, ihr Mitleid; Dinge, deren ich mich keineswegs für unwürdig hielt.
Immer winterlicher ward es im Lande, und einmal schon hatte die Natur ihren ewigen Kreislauf vollendet, seit ich zum Leben erweckt worden war. Plan auf Plan entwarf ich in meinem Innern, wie ich es anfangen sollte, mich meinen Beschützern zu nähern. Endlich entschloß ich mich, das Haus dann zum ersten Male zu betreten, wenn der Alte allein war. Ich war mir darüber vollkommen im klaren, daß es meine außergewöhnliche Häßlichkeit gewesen war, was diejenigen erschreckt hatte, die bisher mit mir in Berührung gekommen waren. Meine Stimme war ja rauh, aber sie hatte nichts Abstoßendes. Ich dachte mir, daß ich zuerst die Liebe des alten de Lacey gewinnen müßte, um dann in ihm einen Fürsprecher bei seinen Kindern zu haben.