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Frankenstein - Mary W. Shelley, 4. Brief - 03

4. Brief - 03

19. August 18..

Gestern sagte der Fremde zu mir: »Sie haben sicherlich erkannt, Kapitän Walton, daß mich großes, unsagbares Leid betroffen hat. Ich hatte schon beschlossen, daß die Erinnerung daran mit mir ins Grab steigen solle; aber Sie haben mich so weit gebracht, daß ich meinem Entschluß untreu geworden bin. Sie suchen, wie ich einst, nach Wissen und Weisheit und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß dieses Streben Ihnen nicht, wie mir, zum fürchterlichsten Fluche werde. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Erzählung meiner Leiden von Nutzen sein wird; wenn ich aber bedenke, daß Sie denselben Weg gehen wie ich, sich denselben Gefahren aussetzen, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Überzeugung, daß Sie aus meiner Erzählung doch eine Moral zu ziehen vermögen; eine Moral für den Fall, daß Sie Erfolg mit Ihren Bestrebungen haben, wie auch für den Fall, daß Sie enttäuscht werden. Bereiten Sie sich darauf vor Dinge zu hören, die Sie als unglaublich bezeichnen möchten. Wären wir in kultivierteren Zonen der Erde, ich würde mich besinnen zu erzählen, weil ich fürchten müßte, daß Sie mir nicht glauben oder mich gar verlachen könnten; aber in diesen wilden, geheimnisvollen Regionen wird Ihnen manches möglich erscheinen, was solche, die mit den immer wechselnden Kräften der Natur nicht vertraut sind, zum Spotte reizen würde.« – Du kannst Dir denken, daß ich dankbar und erfreut das Angebot annahm, wenn ich mir auch sagen mußte, daß durch die Erzählung sein Leid wieder lebendiger, die Wunden nur wieder aufgerissen würden. Ich war ungeheuer gespannt auf das, was ich hören sollte, teils aus wirklicher Neugierde, teilweise aber auch, weil ich hoffte, vielleicht dadurch einen Fingerzeig zu bekommen, wie ich, wenn es überhaupt möglich wäre, ihm helfen könnte.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, »für Ihre Teilnahme, aber sie ist unnütz; mein Schicksal ist nahezu erfüllt. Ich warte nur eines ab; wenn dies eintrifft, werde ich zur Ruhe gehen. Ich verstehe Ihre Gefühle,« fuhr er fort, nachdem ich vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen, »aber Sie sind im Irrtum, mein Freund – wenn ich mir erlauben darf Sie so zu nennen – wenn Sie meinen, irgend etwas wäre imstande, mein Geschick zu ändern. Hören Sie erst meine Geschichte und Sie werden verstehen, wie unabänderlich es feststeht.«

Er sagte mir noch, daß er am nächsten Tage mit seiner Erzählung beginnen wolle, wenn es meine Zeit erlaube. Dieses Versprechen verpflichtete mich zu aufrichtigem Danke. Ich habe beschlossen, immer nachts, wenn mich nicht gerade mein Dienst abhält, möglichst wörtlich alles niederzuschreiben, was ich am Tage erfahren haben werde. Zum mindesten aber werde ich mir kurze Notizen machen. Diese Aufzeichnungen werden Dir sicher interessant sein, und mit welcher Teilnahme werde erst ich, der ich doch alles von seinen eigenen Lippen höre, in späteren Zeiten die Zeilen lesen. Während ich daran denke, wie ich meiner Aufgabe gerecht werden soll, tönt in meinen Ohren noch seine volle, melodische Stimme; ich sehe seine warmen, melancholischen Augen auf mir ruhen, seine feinen, schmalen Hände sich lebhaft bewegen, während sich in den Zügen seines Antlitzes seine Seele widerspiegelt. Seltsam und schrecklich muß seine Geschichte, furchtbar der Sturm gewesen sein, der das schöne Lebensschiff zerbrach.

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4. Brief - 03 4. letter - 03 4. carta - 03 4ème lettre - 03 4ª letra - 03 第四个字母 - 03

19. August 18.. August 19, 18..

Gestern sagte der Fremde zu mir: »Sie haben sicherlich erkannt, Kapitän Walton, daß mich großes, unsagbares Leid betroffen hat. |||stranger|||||certainly|recognized||||||unspeakable||affected| Yesterday the stranger said to me: 'You have surely realized, Captain Walton, that I have been affected by great, unspeakable sorrow.' Ich hatte schon beschlossen, daß die Erinnerung daran mit mir ins Grab steigen solle; aber Sie haben mich so weit gebracht, daß ich meinem Entschluß untreu geworden bin. |||decided|||memory||||||rise|should||||||||||||unfaithful|become| I had already decided that the memory of it should go to the grave with me; but you have brought me so far that I have been unfaithful to my decision. Sie suchen, wie ich einst, nach Wissen und Weisheit und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß dieses Streben Ihnen nicht, wie mir, zum fürchterlichsten Fluche werde. ||||once||||wisdom|||wish||||heart|||striving||||||most terrible|curse| You are looking for knowledge and wisdom, like I once was, and I wish you with all my heart that this striving does not become the most terrible curse for you, as it was for me. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Erzählung meiner Leiden von Nutzen sein wird; wenn ich aber bedenke, daß Sie denselben Weg gehen wie ich, sich denselben Gefahren aussetzen, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Überzeugung, daß Sie aus meiner Erzählung doch eine Moral zu ziehen vermögen; eine Moral für den Fall, daß Sie Erfolg mit Ihren Bestrebungen haben, wie auch für den Fall, daß Sie enttäuscht werden. ||||||||||||||||consider|||the same||||||||expose||||||||||||||conviction||||||||moral||pull|capable|||||||||||efforts|||||||||disappointed| I do not know whether the narration of my sufferings will be of any use to you; but when I consider that you are walking the same path as I am, exposing yourself to the same dangers that have made me what I am now, I am convinced that you can draw a moral from my tale; a morality in case you succeed in your endeavors as well as in case you are disappointed. Bereiten Sie sich darauf vor Dinge zu hören, die Sie als unglaublich bezeichnen möchten. |||||||hear||||incredible|call|would like Prepare to hear things you want to call incredible. Wären wir in kultivierteren Zonen der Erde, ich würde mich besinnen zu erzählen, weil ich fürchten müßte, daß Sie mir nicht glauben oder mich gar verlachen könnten; aber in diesen wilden, geheimnisvollen Regionen wird Ihnen manches möglich erscheinen, was solche, die mit den immer wechselnden Kräften der Natur nicht vertraut sind, zum Spotte reizen würde.« – Du kannst Dir denken, daß ich dankbar und erfreut das Angebot annahm, wenn ich mir auch sagen mußte, daß durch die Erzählung sein Leid wieder lebendiger, die Wunden nur wieder aufgerissen würden. |||more civilized|zones||||would||reflect|||||||||||believe||||laugh at|could||||wild|mysterious||||some||appear|||||||changing|forces||||familiar|||mock|reveal||||||||grateful||grateful and pleased||offer|would take||||||||||||pain||more vividly||wounds|||reopened|would If we were in more cultivated areas of the world, I would remember to tell you because I feared that you might not believe me or might even laugh at me; but in these wild, mysterious regions many things will seem possible to you which would provoke scorn from those unfamiliar with the ever-changing forces of nature.« – You can imagine that I gratefully and gladly accepted the offer if I also had to say to myself that the story would bring his suffering to life again, the wounds would only be reopened. Ich war ungeheuer gespannt auf das, was ich hören sollte, teils aus wirklicher Neugierde, teilweise aber auch, weil ich hoffte, vielleicht dadurch einen Fingerzeig zu bekommen, wie ich, wenn es überhaupt möglich wäre, ihm helfen könnte. ||immensely|excited|||||||partly||real|curiosity|partially|||||hoped||thereby||finger sign|||||||at all||||| I was immensely anxious to hear what I was about to hear, partly out of genuine curiosity, but partly because I hoped it might give me a clue as to how, if at all possible, I could help him.

»Ich danke Ihnen,« sagte er, »für Ihre Teilnahme, aber sie ist unnütz; mein Schicksal ist nahezu erfüllt. |thank||||||participation||||useless||fate||nearly| 'Thank you,' he said, 'for your participation, but it is useless; my destiny is almost fulfilled. Ich warte nur eines ab; wenn dies eintrifft, werde ich zur Ruhe gehen. |||||||arrives||||| I'm just waiting for one thing; if that happens, I'll go to rest. Ich verstehe Ihre Gefühle,« fuhr er fort, nachdem ich vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen, »aber Sie sind im Irrtum, mein Freund – wenn ich mir erlauben darf Sie so zu nennen – wenn Sie meinen, irgend etwas wäre imstande, mein Geschick zu ändern. |understand|||||on|after||in vain|||||interrupt|||||mistake||||||allow||||||||mean|some|||capable||skill||change I understand your feelings," he went on, after I had tried in vain to interrupt him, "but you are mistaken, my friend - if I may venture to call you that - if you think anything is capable of my to change skill. Hören Sie erst meine Geschichte und Sie werden verstehen, wie unabänderlich es feststeht.« ||||||||understand||inescapable||is firmly established Hear my story first and you will understand how immutable it is."

Er sagte mir noch, daß er am nächsten Tage mit seiner Erzählung beginnen wolle, wenn es meine Zeit erlaube. |||||||||||story|to begin|want|||||allow He also told me that he would begin his story the next day, if time permitted. Dieses Versprechen verpflichtete mich zu aufrichtigem Danke. ||obligated|||sincere| That promise obligated me to express my heartfelt thanks. Ich habe beschlossen, immer nachts, wenn mich nicht gerade mein Dienst abhält, möglichst wörtlich alles niederzuschreiben, was ich am Tage erfahren haben werde. ||decided||at night|when||||||prevents|as possible|literally||write down||||||| I have decided to write down everything that I will have learned during the day, as verbatim as possible, whenever I am not on duty at night. Zum mindesten aber werde ich mir kurze Notizen machen. |at least||||||notes| At the very least, however, I will make brief notes. Diese Aufzeichnungen werden Dir sicher interessant sein, und mit welcher Teilnahme werde erst ich, der ich doch alles von seinen eigenen Lippen höre, in späteren Zeiten die Zeilen lesen. |records|||surely|interesting||||which|participation|become||I|||||||||hear||later|times||lines|read These notes will certainly be of interest to you, and with what sympathy I, who after all hear everything from his own lips, will read the lines in later times. Während ich daran denke, wie ich meiner Aufgabe gerecht werden soll, tönt in meinen Ohren noch seine volle, melodische Stimme; ich sehe seine warmen, melancholischen Augen auf mir ruhen, seine feinen, schmalen Hände sich lebhaft bewegen, während sich in den Zügen seines Antlitzes seine Seele widerspiegelt. ||||||||fairly|||sounds|||||||melodic||||||||||rest||fine|narrow|||vivid||||||features||face|||reflects As I ponder how to fulfill my task, his full, melodious voice still rings in my ears; I see his warm, melancholic eyes resting on me, his fine, slender hands moving animatedly, while his soul is reflected in the features of his face. Seltsam und schrecklich muß seine Geschichte, furchtbar der Sturm gewesen sein, der das schöne Lebensschiff zerbrach. strange||terrible||||terrible||||be|the|||life ship|broke ||||||||||||||nave de vida| His story must have been strange and terrible, the storm terrible that broke the beautiful ship of life.