Im Advent (1)
Ende November geht Herr Schmidt jedes Jahr einkaufen. Er geht nicht oft einkaufen, das macht seine Frau normalerweise, aber zweimal im Jahr gibt es etwas wichtiges zu kaufen, und Herr Schmidt lässt es sich nicht nehmen, diese beiden Einkäufe selber zu tätigen. Beim ersten Einkauf handelt es sich um einen Adventskranz und beim zweiten um den Weihnachtsbaum. Ein Adventskranz besteht oft aus gebundenen Tannenzweigen, aber es sind immer vier Kerzen auf ihm befestigt.
Warum vier Kerzen? Der Zweck des Adventskranzes ist eine Art Countdown bis Weihnachten. In den letzten vier Wochen vor Weihnachten wird jede Woche eine Kerze angezündet, erst eine, in der zweiten Woche zwei, und so weiter bis alle vier Kerzen brennen. Das ist dann kurz vor Weihnachten. Das Wort ‚Advent‘ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Ankunft‘, wobei natürlich die Ankunft von Jesus Christus gemeint ist. Der Adventskranz ist ein schöner christlicher Brauch, der in Deutschland ein so fester Teil der Kultur ist, dass ihn auch viele Leute befolgen, die nicht Christen sind. Herr Schmidt fährt mit seinem Auto zu einem Blumenladen, wo er einen schönen Adventskranz kaufen will. „Grüß Gott“, sagt die Verkäuferin, als er den Laden betritt. „Kann ich Ihnen helfen?“ „Ja, bitte. Ich möchte einen Adventskranz kaufen. Er soll von der Decke hängen.“ Die Verkäuferin zeigt ihm eine Auswahl an Adventskränzen. Herr Schmidt begutachtet diese vorsichtig, wobei er darauf achtet, wie frisch die grünen Zweige sind. Ein Kranz gefällt ihm besonders und er beschließt, ihn zu kaufen.
Die frischen Zweige des Kranzes haben einen wunderbaren Duft, und vier rote Kerzen sind auf dem Kranz befestigt. Zwischen den Kerzen sind vier Drähte, die hinter roten Schleifen verborgen sind, und an denen der Kranz hängen wird.
„Wie viel kostet der?“ „Vierundfünfzig Euro.“ Herr Schmidt überlegt einen Augenblick, bevor er sagt: „Gut, den nehme ich.“ Leo Schmidt zahlt den Betrag und trägt den Kranz zu seinem gelben Auto. Er legt den Adventskranz vorsichtig in den Kofferraum. Dann fährt er glücklich nach Hause.
Als er zuhause ankommt, ist niemand daheim und das ist ihm gerade recht. Er will den Kranz aufhängen, bevor jemand nach Hause kommt, quasi als Überraschung. Es ist natürlich keine große Überraschung, schließlich haben sie daheim jedes Jahr einen Adventskranz, aber trotzdem will Leo Schmidt es sich nicht nehmen lassen, seiner Familie eine kleine unerwartete Freude zu bereiten.
Erst schraubt er einen Haken in die Decke über dem Esstisch. Das Loch für den Haken ist noch da vom letzten Jahr. Als der Haken sicher festgeschraubt ist, hängt Leo Schmidt den Adventskranz an den Haken. Das ganze hat keine drei Minuten gedauert.
„Ui, der ist ja schön, Papa“, hört er plötzlich eine Stimme hinter sich. Es ist seine Tochter Marie. „Hallo, Marie“, sagt er. „Hast du mich aber erschreckt! Ich dachte, es wäre niemand zuhause.“ „Doch, ich bin daheim. Mein Klavierunterricht ist heute ausgefallen, deshalb bin ich früher nach Hause gekommen.“ „Ach so. Gefällt dir der Kranz?“
„Ja, natürlich, der ist echt toll. Wann können wir die Kerzen anzünden?“ „Die erste Kerze werden wir kommenden Sonntag anzünden, und danach jeden Sonntag eine Kerze mehr.“ „Da freue ich mich schon darauf. Hast du der Mama gesagt, dass du heute einen Kranz kaufst?“
Ihr Vater schüttelt den Kopf. „Es soll eine Überraschung werden, wobei du mich mehr überrascht hast als ich dich, wie mir scheint.“ Marie lacht. „Kriege ich dieses Jahr auch einen Adventskalender als Überraschung?“
Ihr Vater grinst. „Wenn ich dir das jetzt sage, wäre es doch keine Überraschung mehr. Du musst schon warten und dich überraschen lassen.“ Ein Adventskalender ist eine besondere Art von Kalender, den viele Kinder in Deutschland gerne haben. Ein Adventskalender hat vierundzwanzig kleine Türen.
Die erste Tür ist am ersten Dezember zu öffnen, und dann gibt es für jeden Tag bis Heiligabend eine Tür. Früher gab es hinter den Türen oft kleine Bilder, aber heutzutage gibt es meistens ein Stück Schokolade. Wenn die Kinder am Morgen aufwachen, machen sie jeden Tag ein weiteres Türchen auf und essen ein Stück Schokolade.
Auch Marie und ihr Bruder Peter mögen Adventskalender, denn es ist immer schön, morgens ein Stück Schokolade zu essen.
Der erste Advent fällt dieses Jahr auf den letzten Sonntag im November. Bevor sich die Familie Schmidt zum Mittagessen hinsetzt, nimmt Leo Schmidt ein Streichholz und zündet die erste Kerze auf dem Adventskranz an. Die kleine Flamme leuchtet hell und verbreitet eine feierliche Stimmung.
Da sagt Peter: „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür.“
Es ist ein bekannter Kinderreim, den die Kinder in der Schule lernen. Man kann ihn als Reim aufsagen oder singen.
Am sechsten Dezember ist Nikolaustag. Das ist zwar kein Feiertag und die Kinder müssen in die Schule gehen, aber sie freuen sich trotzdem sehr auf diesen Tag, da sie Schokoladennikoläuse und andere Süßigkeiten kriegen. Als Peter und Marie am Morgen des sechsten Dezembers aufwachen, springen sie gleich aufgeregt aus dem Bett. Jeder von ihnen findet einen Schokoladennikolaus und eine Tüte mit verschiedenen Süßigkeiten auf dem Boden neben dem Bett.
„Ich habe einen Schokoladennikolaus!“ ruft Peter glücklich seiner Schwester zu. „Ich auch“, ruft Marie zurück. Dann laufen die beiden Kinder zu ihrer Mutter und umarmen sie. „Danke, Mama“, sagen die beiden. „Gern geschehen“, sagt Lisa und freut sich, dass sie ihren Kindern eine Freude bereitet hat.
Die Adventszeit vergeht schnell und schon ist es der dritte Advent. Herr Schmidt zündet jetzt drei Kerzen am Adventskranz an. Das sieht viel feierlicher aus, als nur eine Kerze, und die Kinder wissen, dass es nicht mehr lange dauern wird bis Heiligabend.
Am Nachmittag nehmen Peter und Marie ihre Schlitten und gehen in den Park. Dort gibt es einen schneebedeckten Hügel, auf dem man gut rodeln kann. ‚Rodeln‘ bedeutet das gleiche wie ‚Schlitten fahren‘ und die Kinder rodeln äußerst gerne. Sie gehen langsam den Hügel hoch, wobei sie ihre Schlitten an einer Schnur hinter sich herziehen. Als sie oben ankommen, drehen sie die Schlitten herum, setzen sich drauf und sausen dann den Hügel hinunter.
Wieder und immer wieder fahren die Geschwister, wie viele andere Kinder, den Hügel hinunter. Als Peter wieder hinunter rodelt, fliegt ihm auf einmal ein Schneeball entgegen und trifft ihn am Kopf. Peter fällt vor Überraschung vom Schlitten hinunter und rutscht den Hügel runter. Als er unten ankommt, sieht er Florian, der breit grinst.
Peter nimmt schnell Schnee in die Hände, um einen Schneeball zu machen. Als Florian das sieht, läuft er weg. Peter wirft ihm den Schneeball nach, aber er trifft nicht. Da ruft Florian laut: „Nicht getroffen, Schnaps gesoffen!“ Das sagen viele Kinder, wenn jemand einen Ball wirft und nicht getroffen hat. Als Peter es hört, ärgert er sich noch mehr.
Er will jetzt Florian um jeden Preis mit einem Schneeball treffen. Er nimmt mehr Schnee in die Hände und läuft Florian hinterher. Er wirft noch einen Schneeball, aber er trifft wieder nicht. Er wirft mehrere Schneebälle, aber erst beim siebten trifft er Florian hinten am Kopf. Jetzt ist Peter zufrieden, dass er es geschafft hat. Doch da nimmt Florian die Schnur von Peters Schlitten und zieht ihn den Hügel hinauf, ohne Peter zu fragen.
Das macht Peter wieder wütend. Er läuft hinter Florian her und ruft: „He! Das ist mein Schlitten. Gib ihn mir zurück.“ Aber Florian denkt nicht daran. Er läuft schnell den Hügel hoch, setzt sich auf den Schlitten, und fährt dann den Hügel wieder runter, genau auf Peter zu.
Florian ruft: „Aus der Bahn, Kartoffelschmarrn!“ Das ist ein komischer Satz, den Kinder rufen, wenn sie rodeln und wollen, dass alle den Weg freigeben. Peter kann gerade noch zur Seite springen, da saust Florian schon an ihm vorbei. Auf seinem Schlitten!
Das ist zu viel für Peter. „Jetzt habe ich aber die Nase voll! Gib mir sofort meinen Schlitten wieder, du blöder Depp!“, ruft er wütend, während er wieder aufsteht und dann den Hügel hinunterläuft. Aber einen schneebedeckten Hügel hinunterzulaufen, ist nicht so einfach, da er sehr rutschig ist. Peter ist keine zwei Meter gelaufen, als er wieder hinfällt.
Florian ist auf dem Schlitten schon zum Stehen gekommen und sieht wie sein Freund hinfällt. Florian lacht und macht Peter noch viel wütender. „Du bist gemein!“ ruft Peter. „Ich hasse dich und ich will nie mehr mit dir spielen!“
Da tut es Florian leid, seinen Freund so geärgert zu haben. Er steht auf und zieht den Schlitten zu Peter. „Entschuldigung, Peter. Ich wollte dir nicht wehtun. Hier ist dein Schlitten, aber bitte spiel wieder mit mir. Wir sind doch Freunde.“ Peter nimmt die Schnur in die Hand, ohne seinen Freund anzusehen. Er will sich umdrehen und weggehen, ohne ein Wort zu sagen.
Da bettelt Florian: „Ach, nun sei doch nicht so, Peter. Das war doch nur ein Spaß. Aber wenn du nicht mit mir sprichst, dann werfe ich dir von hinten einen Schneeball drauf.“ Das findet Peter lustig. Er lacht und läuft, so schnell er kann, den Hügel hoch. Florian wirft einen Schneeball auf ihn, aber er trifft nicht. Das erfreut Peter und er ruft: „Nicht getroffen, Schnaps gesoffen.“
In dem Augenblick kommt Marie auf ihrem Schlitten den Hügel herab gerast. Sie versucht auszuweichen, aber es ist zu spät. Sie stößt mit Peter zusammen und die beiden rutschen zusammen den Hügel runter, wo sie mit Florian zusammenstoßen. Zum Glück haben sie sich nicht weh getan und die drei lachen laut.
In der Zeit vor Weihnachten gibt es in der Münchner Innenstadt, wie in vielen anderen deutschen Städten, den Christkindlmarkt. Der Christkindlmarkt ist jedes Jahr am Marienplatz. Vor dem Rathaus steht dort ein riesiger Christbaum und auf dem ganzen Platz gibt es Buden. Die Buden locken mit Handwerkskunst, Weihnachtsschmuck, köstlichen Lebkuchen und Glühwein. Dazu sorgt abendliche Adventsmusik für Weihnachtsstimmung.
Eines Abends trifft sich Lisa mit ihrer Freundin Petra am Stachus. Sie haben vor, durch die Fußgängerzone zu bummeln, und abschließend am Christkindlmarkt Glühwein zu trinken. Sie treffen sich am Stachus in einem großen Buchladen, der ‚Hugendubel‘ heißt. Das ist praktisch, denn wenn man zu früh dran ist oder der andere zu spät kommt, kann man im warmen Buchladen Bücher anschauen und sich auf diese Weise die Zeit vertreiben.
Lisa kommt rund zehn Minuten zu früh an und geht gleich in den ‚Hugendubel‘ rein. Sie schaut sich verschiedene Sonderangebote an sowie einige Zeitschriften.
„Hallo, Lisa!“, hört sie auf einmal ihre Freundin hinter sich. „Servus, Petra!“, sagt Lisa. „Bist du schon lange da?“ „Nein, überhaupt nicht.“ „Gehen wir gleich, oder willst du noch was anschauen?“ „Danke, nein. Ich habe mir nur die Zeit vertrieben.“
Die beiden Freundinnen verlassen den Buchladen, gehen durch das Karlstor und schlendern durch die Fußgängerzone. Es liegt zwar kein Schnee mehr, aber es herrscht trotzdem überall weihnachtliche Stimmung. Nach einer halben Stunde kommen sie zum Marienplatz. Sie sehen und hören den Christkindlmarkt schon von weitem.
Der Christbaum am Marienplatz funkelt mit seinen vielen Lichtern, der Glühwein duftet und am Rathausbalkon spielt die Weihnachtsmusik. „Ach, ist das schön“, sagt Petra. „Ich liebe diese Zeit jedes Jahr von neuem.“ „Und was gibt es Schöneres, als sich in der kalten Jahreszeit mit einem Schluck Glühwein zu erwärmen?“, sagt Lisa „Na, dann wollen wir mal.“
Petra kauft zwei Becher Glühwein. Der Glühwein ist heiß und duftet aromatisch. Die beiden stellen sich an einen Tisch, an dem schon andere einen Becher Glühwein genießen. Glühwein macht gesellig und bald ratschen alle miteinander. Das macht noch mehr Spaß und so kommt es, dass aus einem Becher zwei werden. Als sich alle verabschieden, sind sie natürlich etwas angeheitert. Aber auch das gehört zum Christkindlmarkt.
Der vierte Advent ist kurz vor Weihnachten. Auf dem Adventskranz brennen jetzt alle vier Kerzen und er sieht wunderbar aus. Überall wird Weihnachtsmusik gespielt und die Menschen freuen sich schon auf Heiligabend. Nur die Freude der Kinder ist etwas getrübt, denn, wie so oft, ist das Wetter vor Weihnachten wieder mild geworden und der Schnee ist geschmolzen. Jetzt können sie nicht mehr rodeln und auch keine Schneebälle werfen oder Schneemänner bauen.
Als Peter und Marie ihre Großeltern besuchen, klagt Peter über das milde Wetter. Da sagt sein Großvater: „Weißt du, Peter, früher war das anders. Als ich in deinem Alter war, hatten wir immer eine weiße Weihnacht. So ein mildes Wetter wie jetzt gab es damals um die Weihnachtszeit herum nicht. Da war es immer eisig kalt und wenn wir raus gingen, hatten wir immer unseren Spaß im Schnee.“ „Aber warum ist es jetzt nicht mehr so?“ fragt Marie.
„Das ist die Klimaerwärmung“, sagt ihr Großvater.