Mit dir kann man Pferde stehlen!
Ob Ross, Gaul, Rappe oder Schimmel: Seit Jahrhunderten ist das Pferd ein treuer Begleiter der Menschen. Auch sprachlich. Sprichwörtlich geworden sind nicht nur seine Eigenschaften.
Es ist ein schöner, sonniger Tag. Ich schlendere durch die Straßen der Fußgängerzone. Eigentlich habe ich kein richtiges Ziel. Die Sonnenstrahlen sind aber so verlockend, dass ich beschließe, mich in den Park zu setzen. Auf dem Weg dahin bleibe ich vor dem Fenster einer kleinen, etwas unscheinbaren Buchhandlung stehen. Mein Blick bleibt an einem Buch mit einem besonderen Cover hängen: Ein stilisierterPferdekopf mit ausdrucksvollen, tiefgründigen, freundlichen Augen schaut mich direkt an – so als wollte er mir sagen: Mit dir möchte ich Pferde stehlen!
Pferdeliebe
Irgendwie kommt mir das komisch vor. Eigentlich bin ich ja überhaupt keine Pferdenärrin, denn sie riechen etwas streng, so nach Pferdestall und – ja – eben nach Pferd. Ich gucke mir Pferde zwar gerne an. Denn die schwarzen Rappen und weißen Schimmel – Vorsicht: Häufung sinngleicher Wörter! – sehen ja wirklich majestätisch aus.
Aber es bringen mich keine zehn Pferde dazu, auf so ein Ross zu steigen. Die Fallhöhe ist einfach zu hoch. Obwohl ich ja im übertragenen Sinn niemand bin, der sich gern aufs hohe Ross setzt. Hochmut und Überheblichkeit sind mir fremd.
Ja, Pferde tragen nicht zur Umweltverschmutzung bei, sie sind – so gesehen – ein umweltfreundliches Fortbewegungsmittel und können ja auch einige Pferdestärken vorweisen. Als Ackergäule in der Landwirtschaft und Forstpferde im Wald leisten sie Schwerstarbeit. Tier und Mensch schuften dort gemeinsam wie ein Pferd.
Pferdefüße, kotzende, richtige und falsche Pferde
Also: Warum fasziniert mich gerade dieses Pferd so? Ich betrete den Laden, nehme mir das Buch zur Hand und beginne zu lesen: „Hallo. Du fragst dich sicher, warum du den Laden betreten hast und bei der Vielzahl der Bücher gerade mich ausgewählt hast. Eigentlich wolltest du schon weitergehen, weil dich Pferde nicht besonders interessieren.
Und du bist bestimmt jemand, der oft aufs richtige Pferd setzt und nur manchmal auch aufs falsche. Du hast in deinem Leben viele Höhen erlebt – aber auch viele Tiefen. Du hast dabei schon Pferde kotzen sehen und das kurz vor der Apotheke – du hast also Unwahrscheinliches erlebt.
Und du hast festgestellt, dass manches, was anfangs positiv erschien, dann doch einen Pferdefuß hatte. Du erkennst oft, wer ein richtiges Pferd im Stall stehen hat, wer fähig und verlässlich ist. Du redest zaudernden Freunden oder Kollegen schon mal gut zu wie einem kranken Pferd, wenn sie sich nicht trauen, eine Entscheidung zu treffen.
Tiefgründige Pferdeaugen
Ja – und du selbst? Wie sieht es mit dir aus? Gehen mit dir manchmal die Pferde durch, weil du verärgert bist? Denkst du in manchen Situationen auch, wenn du einfach fix und fertig bist: Das hält kein Pferd aus? !“
Ich stoppe und denke: „Ich bin doch nicht bekloppt. Der Autor, geschweige denn diese Pferdeaugen, können doch nicht in meine Seele gucken.
Woher sollen die etwas über mich, mein Leben, meine innersten Wünsche und Gedanken wissen? !“
Die Suche nach dem „Pferdedieb“
Ich lese weiter: „Und jetzt, liebe Nicht-Pferdenärrin, lieber Nicht-Pferdenarr, sag ich dir, warum du den Laden betreten und das Buch in die Hand genommen hast: Du suchst jemanden, mit dem du Pferde stehlen kannst. Natürlich nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinn. Jemanden, der mit dir durch dick und dünn geht, dich nie hängen lässt, der zu jeder Schandtat bereit ist.“
Ich klappe das Buch zu, bezahle die 19,90 Euro und verlasse den Laden. Wer weiß, vielleicht begegnet mir dieser Jemand ja im Park? !