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Haus auf Rädern

Haus auf Rädern

Von Philipp Lemmerich

Triebwagenwechsel an jeder Grenzstation: der Moskau-Nizza-Express im italienischen Ventimiglia. (Alexander Haas)

Jeden Donnerstag fährt ein russischer Nachtzug von Moskau an die Côte d'Azur. 3300 Kilometer in 49 Stunden. An Bord sind Urlauber, Geschäftsleute, Romantiker. Was halten sie, die durch sieben Länder reisen, von der Idee Europa?

Das ist also unser Zug. Auf Gleis 2. Lang, grau mit großen roten Lettern darauf: RŽD, das Kürzel der russischen Eisenbahn. Die polnischen Grenzbeamten haben ihn gerade freigegeben. An diesem grauen, kalten Herbstmorgen am Rande Europas. Nebel umhüllt den Bahnhof von Terespol, einen gesichtslosen Betonklotz an der polnisch-weißrussischen Grenze.

Hierher verirrt sich nur, wer in die Zwillingsstadt Brest will, auf der anderen Seite. Oder wer weiterfahren möchte wie wir, weiter nach Europa hinein.

Fahrgäste kommen außer uns keine. Trotzdem steht an jeder Eingangstür aufgereiht ein Zugbegleiter – die Männer in feinem blauen Anzug und Schirmmütze, die Frauen in einem grauen Kostüm und Baskenmütze. So auch an Wagen 351. Es ist Zugchef Alexander Petrowitsch persönlich, der unsere Fahrkarte kontrolliert und uns zum Abteil eskortiert.

Im Abteil sitzen bereits zwei Damen vor dampfenden Teetassen. Wir, mein Übersetzer und ich, dürfen es uns auf den oberen Liegen Nummer 65 und 66 bequem machen.

Einstieg am östlichsten Zipfel Europas

Der Zug, in dem wir jetzt sitzen, startet jeden Donnerstag am Moskauer Fernbahnhof Beloruskaja mit einem besonderen Reiseziel: Nizza, Frankreich, Côte d'Azur. Seine Geschichte geht zurück in die Zarenzeit, seit 2010 fährt er wieder regelmäßig einmal in der Woche.

Auch wir wollten mitfahren und ausprobieren, wie es ist, in 49 Stunden 3300 Kilometer und sieben Länder Europas zu durchkreuzen. Leider gab es Probleme mit dem russischen Journalistenvisum. Also steigen wir am östlichsten Zipfel der EU ein, dort, wo wir kein Visum brauchen. Bis nach Nizza sind es noch immer über 2000 Kilometer oder 33 Zugstunden. Genug Zeit also, um mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen.

Das Vier-Bett-Abteil unseres Autors und seiner Mitreisenden (Alexander Haas)

Wir haben es uns in der Zwischenzeit in unserem Abteil bequem gemacht. Es ist erstaunlich geräumig hier, große Panoramafenster, ein Tischchen in der Mitte. Die Betten sind mit weißen Laken bezogen, alles wirkt wie neu. Unsere Mitbewohnerinnen sind beide um die 60.

Larissa – langes rotes Haar, Halstuch, Steppweste – kommt aus Moskau und ist auf dem Weg nach Italien: „Der Schwiegersohn ist arbeitsmäßig nach Verona geflogen. Meine Tochter kommt morgen früh mit dem Flugzeug nach. Erst bleiben wir ein bisschen in der Stadt, dann fahren wir nach Venedig und später weiter in Richtung Österreich. Der Vater meines Schwiegersohns hat in Wien eine Wohnung gekauft. Seit drei Jahren werden wir schon eingeladen, jetzt ist es endlich soweit.“

Dina, unsere zweite Mitbewohnerin, kommt aus Brest in Weißrussland und ist auf dem Weg zu ihrer Tochter nach Innsbruck. Sie ist etwas kleiner und rundlicher als Larissa, trägt blonde Haare und legt sich gerne einmal über die Grenzkontrollen auf.

„Diesmal waren die Weißrussen und die Polen beide okay“, sagt sie. „Das ist reine Glückssache. Manche sind nett, manche sind weniger nett, und manche versauen dir den ganzen Urlaub. Vor allem mag ich es nicht, wenn sie im Koffer herumwühlen. Wer hat das Recht, meine persönlichen Sachen zu durchsuchen?“

Ruhe, Ausblick, lange Gespräche

Es wird nicht das einzige Mal auf dieser Fahrt sein, dass sich Dina mit ihrer Meinung über ihr Heimatland nicht zurückhält. Weißrussland werde mit harter Hand regiert, Kritik am Regime mit harten Strafen geahndet. Deshalb möchte Dina nicht ihren richtigen Namen im Radio hören.

Mit dem Zug fahren Larissa und Dina beide gerne: die Ruhe, der Ausblick, die langen Unterhaltungen. Auch dass ein russischer Zug die Grenze nach Europa überwindet, wissen sie zu schätzen.

„Bei euch ist es so wie bei uns mit Weißrussland. Man kriegt das gar nicht mit, wenn man über die Grenze fährt. Und zwischen Europa und Weißrussland wirkt es, als ob wir von einem anderen Planeten kämen.“

Wir machen uns auf die Suche nach dem Zugchef. Auf dem Gang unseres Wagens ist nicht viel los. Etwa zehn Vierer-Abteile reihen sich aneinander, rote Teppichvorleger schmücken den Flur. An dessen Ende sitzt Alexander Petrowitsch, 57 Jahre alt, in einem kleinen Dienstabteil, vor sich allerlei Dokumente auf dem Tisch, daneben seine graue Schirmmütze mit dem großen Eisenbahner-Emblem aus Hammer und Messschieber. Er trägt einen kleinen Schnauzbart und darunter häufig ein Grinsen.

Ein Billigflug kostet die Hälfte

Eine Zugfahrt Moskau-Nizza kostet mehr als 300 Euro, Billigflüge sind schon für die Hälfte zu haben. Warum nimmt jemand da noch den Zug, Alexander Petrowitsch?

„Romantik. Die Leute wollen näher am Leben sein, denn das Leben ist sehr kurz“, sagt er. „Und wenn du im Zug fährst, erholst du dich und siehst mehr vom Leben. Im Flugzeug, bei dieser Schnelligkeit, kriegst du nichts mit. Hier kann man sich hinsetzen, ins Restaurant gehen, aus dem Fenster schauen. Und sich ein bisschen erholen.“

Zugchef Alexander Petrowitsch (links) und Autor Philipp Lemmerich (Alexander Haas)

Wer mit Alexander Petrowitsch spricht, den befällt schnell jenes Gefühl, mit dem lange Zugreisen seit jeher verbunden sind. Es ist die Faszination der unendlichen Weite und der nicht vergehen wollenden Zeit.

„Hier in diesem Zug sind es häufig dieselben Passagiere“, erzählt Alexander Petrowitsch. „Man kennt sich. Darum sehen die meisten in mir nicht den Zugbegleiter, sondern den Bewohner eines Hauses. Sie gehen herum und grüßen mich: ‚Freut mich, Sie zu sehen‘. Und gegenseitig haben sich die viele Passagiere auch schon kennengelernt. Der Zug ist zu einem Haus auf Rädern geworden. Großes Haus.“

Die meisten Passagiere sind Urlauber

Zugchef Alexander Petrowitsch fährt die Strecke quer durch Europa zwei Mal im Monat – hin und zurück. Während des Ersten Weltkriegs eingestellt, ging die Verbindung 2010 wieder in Betrieb. Vor drei Jahren dann wurde das 150-jährige Jubiläum begangen, ganz offiziell in Anwesenheit des russischen und des französischen Verkehrsministers.

„Das war eine feierliche Situation“, erinnert sich Alexander Petrowitsch. „Es ist schön, dass sie wieder vereint sind, die Europäer und die Russen. Dass es das wieder gibt.“

Die meisten der Passagiere sind Urlauber. Geschäftsleute nutzen den Zug eher selten, für ihren Alltag sind die Fahrtzeiten dann doch zu lang.

„Wir laden ganz Europa in unseren Zug ein. Jeder Passagier bekommt einen gemütlichen, weichen Platz.“

Blick in den Speisewagen des Moskau-Nizza-Express: Zur Mittagszeit ist hier einiges los. (Alexander Haas)

Wir machen uns auf in den Speisewagen. Jetzt zur Mittagszeit ist er gut gefüllt. Etwa 20 Passagiere haben auf bequemen orangenen Sesseln Platz genommen, vor ihnen beige Tischdecken und Salate, Fleisch und Teigtaschen auf Porzellangeschirr.

„Ich heiße Dimitri, bin 34 Jahre alt, komme aus Kiew und arbeite seit zwei Jahren als Koch hier an Bord. Was am meisten bei uns rausgeht: Steak, Dorsch, Hühnchen und paniertes Schnitzel. Anfangs war es ziemlich anstrengend, aber die Arbeit macht Spaß. Hier sind nur Leute, die ihre Arbeit lieben.“

Theaterregisseur trifft Geschäftsmann

Im hinteren Teil des Wagens unterhalten sich zwei Männer angeregt bei einer Portion Fisch. Während draußen das polnische Flachland vorbeizieht, haben sie sich einiges zu erzählen. Und wie es sich auf langen Zugfahrten gehört, haben sie sich gerade kennengelernt.

Anatoli ist Theaterregisseur aus Linz und kommt gerade von einem Festival in Sibirien. Mit seinem Ensemble ist er in ganz Europa unterwegs, aber anders als seine Schauspieler nimmt er dabei nie das Flugzeug, schon seit 30 Jahren, wegen Herzproblemen. Im Moment ist er seit mehr als drei Tagen unterwegs: Reden, schlafen, lesen, denken, sagt er.

Das Festival in Sibirien sei ein voller Erfolg gewesen: „Sie spielt natürlich in deutscher Sprache, meine Schauspielerin. Aber alle Leute, Publikum, sibirische, haben gesagt: alles klar. Durch die internationale theatralische Sprache. Bewegung. Theater ist Bewegung. Innere oder physische, egal. Ich habe gesagt: Russische Schule. Augen, Herz, Seele. Das ist russische Schule.“

Sein Gegenüber, ein Geschäftsmann aus Krasnodar, hat keine Herzprobleme, aber Flugangst. Er ist auf dem Weg in den Urlaub nach Mailand: „Die Italiener sind den Russen ähnlich, nur noch ein bisschen lauter. Sie sind recht offen, die meisten scheinen nett zu sein, so wie wir eben. Und sie mögen uns Russen. Deswegen fahren wir da hin.“

Aber auch zu Hause scheint er zufrieden zu sein. Auf seinem Smartphone zeigt er uns Bilder von seiner Datscha in der Nähe von Sotschi – mit großem Garten und weitem Blick über das Schwarze Meer: „Meine Frau, meine Küche. Unser Meer, Garten am Meer. Black Sea. Hier angle ich.“

Leben mit Lukaschenko

Zurück im Abteil. Larissa und Dina, unsere Mitbewohnerinnen, haben gerade ihre mitgebrachten Süßigkeiten geteilt und blicken schmatzend nach draußen, auf kleine polnische Dörfer und umgegrabene Äcker. Es ist angenehm warm, Dina hat sogar die Ärmel ihres Rollkragenpullovers hochgekrempelt.

Irgendwann beginnt sie zu erzählen: „Ich bin in Odessa geboren und mit 21 nach Weißrussland gezogen. Das war 1986. Danach hat sich alles verändert. Wir vergleichen das Heute mit dem alten Leben. Ausbildung, ärztliche Behandlung, sogar die Wohnungen waren kostenlos. Und alles war relativ stabil. Jetzt ist es sehr schwierig in Weißrussland. Die jungen Leute, die aus der Uni kommen, finden keine Jobs. Die Werke und Fabriken sind geschlossen, die Gehälter gering. Wer die Möglichkeit hat, geht weg. Ich frage mich manchmal, wie wir das überleben.“

Weißrussland gilt vielen als letzte Diktatur Europas. Präsident Alexander Lukaschenko hält das Land seit 25 Jahren fest im Griff, und ein Ende ist nicht in Sicht: Bei der nächsten Präsidentschaftswahl will er wieder antreten.

„Ohne sein Wort passiert gar nichts“, sagt Dina. „Was er sagt, gilt. Und gleich am nächsten Tag wird es ausgeführt. Wir leben in einer Diktatur. Auf einen Menschen gibt es zwei Polizisten. Meine Tochter sagt immer: Komm, zieh zu mir! Aber wahrscheinlich ist es schon zu spät.“

„Die Österreicher sind alle so gediegen“

Dinas Tochter ist mit einem Österreicher verheiratet. Sein neun Jahren lebt sie dort, in der Nähe von Innsbruck, und will auch nicht mehr zurück. Als sie das erzählt, wirkt sie für einen Augenblick geknickt, doch wenig später lächelt sie schon wieder.

„Jeder soll sich selbst aussuchen, wo er glücklich wird“, sagt sie. „Ich halte es einfach nicht so lange aus in Österreich. In der ersten Woche denke ich: ‚Das ist eine super Sache, wie ruhig es hier ist!‘ Die Leute sind entspannt, sie grüßen sich und lächeln. Keine Anspannung in den Gesichtern. Im Gegensatz zu uns, da laufen die Leute ja so wütend durch die Gegend. Und dann, wenn ich mich erholt habe, dann fehlt mir doch etwas. Bei uns hat man ja immer etwas zu tun, und zwar hier und heute. Und bei den Österreichern ist es so: ‚Naja, es hat halt nicht geklappt, dann machen wir es morgen.‘ Die sind alle so gediegen. Und irgendwann geht mir das auf den Keks. ‚Wie morgen? Das muss heute passieren!‘ Es geht ziemlich genau für zwei Wochen gut. Und nach zwei Wochen fange ich an, müde zu werden von dieser Gediegenheit. Ich kann das nicht!“

Wir lachen viel an diesem Nachmittag, aber sprechen auch über ernste Themen – die Lage in Belarus, die fehlenden Enkelkinder – und irgendwann landet das Gespräch dort, wo es früher oder später immer landet, bei der Politik.

„Meine Tochter hat acht Jahre gewartet auf eine Aufenthaltserlaubnis. Und jetzt sagt sie: Wie kann das sein? Ich habe so lange gebraucht, um alles korrekt zu machen. Alles wurde genauestens durchgeschaut und überprüft. Und die Flüchtlinge kommen hierher und bekommen gleich die Möglichkeit zu bleiben? Wie kann das sein? Warum werden die einen so und die anderen so behandelt?“

Osteuropas Blick auf die Migration

Es ist das erste Mal auf dieser Zugfahrt, dass wir auf die Migrationsdebatte angesprochen werden, aber es wird nicht das letzte Mal bleiben. In mehreren Gesprächen wird unsere Herkunft als Deutsche sofort mit Angela Merkels Grenzöffnung 2015 in Verbindung gebracht. Überraschend ist das nicht: Viele Osteuropäer nehmen Migration als Gefahr wahr, sehen Offenheit und Toleranz als Bedrohung.

„Ich mache mir Sorgen um euch. Bei diesen Flüchtlingsströmen, die zu euch kommen. Das ist eine ganz andere Mentalität. Und auch noch in so hoher Anzahl. Ich bin der Meinung, das sollte man so nicht handhaben. Man hat euch da etwas eingebrockt.“

Zu gerne hätten wir das Thema auch mit anderen Osteuropäern diskutiert. Mit unseren Nachbarn in Polen zum Beispiel, die gerade wieder der nationalkonservativen PiS-Partei eine absolute Mehrheit beschert haben. Auch für sie gelten Migranten oft als Feindbild. Doch leider steigt kein einziger polnischer Fahrgast zu.

Zwischenhalt in Bohumin in Tschechien: Demnächst rollt das fahrende Hotel wieder los. (Alexander Haas)

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Wenig später kündigt ein großes beleuchtetes Schild den nächsten Bahnhof an: Bohumin, Tschechische Republik. Wir haben, ohne es zu merken, gerade eine Grenze überquert. Bei einer halben Stunde Aufenthalt wird wie an jeder Grenzstation der Triebwagen gewechselt.

Snacks und Bier aus dem tschechischen Supermarkt

Gegenüber vom Bahnhof ist ein kleiner Supermarkt. An der Kasse hat sich schon eine Schlange von Zugpassagieren gebildet. Kalte Getränke, tschechisches Bier, Snacks. Zugchef Alexander Petrowitsch stellt sich an der Fleischtheke an und bestellt Salami in Scheiben. Wenig später rollt das fahrende Hotel wieder los.

„Ich heiße Paulina, bin 25 Jahre alt und fahre von Moskau nach Wien, um mit meinem Master anzufangen. Vor drei Jahren bin ich von Wien nach Russland gezogen, und jetzt ziehe ich wieder dorthin zurück.“

Paulina, blonde Haare, junges Gesicht, sitzt in ihrem Abteil und ist sichtlich aufgeregt. Um 21 Uhr, in weniger als zwei Stunden, werden wir ihr altes wie neues Zuhause Wien erreichen. Einen großen Koffer hat sie dabei, den Rest ihrer Habseligkeiten hat sie per Post geschickt.

„Ich wollte etwas ganz Besonderes machen.“, sagt sie. „Denn in Moskau habe ich für die Russische Eisenbahn gearbeitet. Ich liebe Züge, ich liebe lange Zugfahrten, von daher wirkte das hier wie das beste Ende meiner Zeit in Moskau.“

„Europa ist wie ein großes Haus“

Paulina ist in Russland geboren, aber weggezogen, als sie zwei Jahre alt war. In Italien wuchs sie auf, studierte in Österreich, zog für den ersten Job nach Moskau – ein ziemlich europäisches Leben also.

„Es ist großartig, wie alles miteinander verbunden ist“, sagt sie. „Wie einfach es ist zu reisen, in unterschiedlichen Ländern zu studieren. Europa ist wie ein großes Haus, wie ein großes Zuhause. Eine Gemeinschaft. Und es ist toll, einfach zwischen den Ländern zu wechseln. Ich glaube, ich habe in jeder großen europäischen Stadt Freunde oder Leute, die ich kenne.“

Spätestens seit der Ukraine-Krise im Jahr 2014 ist das Verhältnis zwischen Russland und der EU politisch angespannt. Viele aus der russischen Community in Europa haben diese Entwicklung mit Sorge betrachtet.

Auch Paulina hat erlebt, dass sich etwas in ihrem Alltag veränderte: „Als das alles angefangen hat, hat man gemerkt, wie Leute plötzlich einen Schritt vor dir zurückgewichen sind: ‚Ach so, du bist Russin.‘ Förderungen für Kultureinrichtungen wurden gestrichen, man war sehr vorsichtig mit russischen Unternehmen und Institutionen. Jetzt wird es langsam wieder besser. Die Leute verstehen langsam, dass davon niemand profitiert. Politik spielt sich auf einer anderen Ebene ab, jenseits der Bevölkerung.“

Langsam kehrt Ruhe ein in dem Haus auf Rädern. Viele Passagiere haben sich in ihre Abteile zurückgezogen. Draußen ist dunkle, österreichische Nacht. Wir sind noch lange nicht müde und versuchen deshalb noch einmal unser Glück im Speisewagen. Hier ist zumindest noch ein bisschen was los. Dimitri, der Koch, und seine Kollegen räumen die Küche auf. Am vordersten Tisch sitzt Zugchef Alexander Petrowitsch und winkt uns zu sich. Wie wird man eigentlich zum Eisenbahner, Alexander Petrowitsch?

„Mein Opa war Eisenbahner, meine Mutter war Eisenbahnerin“, erklärt er. „Und so ist es auch bei mir gekommen, Schritt für Schritt. Es ist eine Familientradition. Man lernt die Arbeit nur mit der Arbeit. Als ich hergekommen bin, habe ich von Älteren gelernt: den Umgang mit Menschen, technische Fragen. Und langsam bin ich daran gewachsen.“

Der Schlaf ist tief, aber kurz

Alexander ist sichtlich stolz auf seinen Beruf. An seinem Handgelenk trägt er eine Uhr mit dem Logo der russischen Staatsbahn. Ein Geschenk des Generaldirektors, wie er uns erzählt, als Auszeichnung für seine Arbeit. Später bittet uns Alexander, das Mikrofon auszuschalten – auch er hat einmal Feierabend. Wir stoßen mit einem Gläschen Wodka darauf an und unterhalten uns über Gott, die Welt und die Eisenbahn. Unser nächster Halt Linz leuchtet in der Nacht.

Der Schlaf ist tief, aber kurz. Um 4.30 Uhr klopft es vorsichtig an der Tür: Die Nachtschaffnerin. Wir sind gleich in Innsbruck. Unsere Mitbewohnerin Dina schält sich aus dem Laken und packt ihre Habseligkeiten zusammen. Wir begleiten Dina noch nach draußen und helfen ihr, ihren schweren Koffer hinauszuhieven. Die Verabschiedung ist herzlich. Es ist, als würden wir uns schon sehr viel länger kennen.

Draußen am Gleis kann man seinen eigenen Atem sehen, so kalt ist es. Auch in Innsbruck haben wir wieder etwas Aufenthalt. Die Nachtschaffner stehen auch mitten in der Nacht aufgereiht wie an einer Perlenkette vor ihren Waggons, in dicke graue Winterjacken eingehüllt. Gesprochen wird wenig. Als Dinas Tochter ankommt, um ihre Mutter abzuholen, winken wir noch lange hinterher.

Vorbei an Berggipfeln und Apfelplantagen

„Ich bin schon überzeugt. Das ist der beste Anfang: Mit Sonne und tollem Himmel.“ Am frühen Morgen sitzt unsere verbliebene Mitbewohnerin Larissa auf ihrer Pritsche und schaut durch das große Panoramafenster nach draußen. Die Sonne bricht sich an Berggipfeln, draußen ziehen Apfelplantagen vorbei. Südtirol.

Larissa freut sich wie ein kleines Kind: „Es erinnert daran, wie man in Sotschi reinfährt. Nur dass auf der anderen Seite direkt das Meer ist.“

Italienpremiere: Larissa aus Moskau auf dem Bahnsteig von Verona (Alexander Haas)

Larissa ist zum ersten Mal in Italien. Verona habe sie sich schon digital angeschaut, auf Google Street View. Die Arena, das berühmte Amphitheater von Verona. Den Balkon von Romeo und Julia. Und morgen fahre sie mit ihrer Tochter zum Gardasee.

Irgendwo zwischen Bolzano und Rovereto wird aus Südtirol plötzlich Italien. Aus pittoresken Bergen werden liebliche Hügel, die Architektur verändert sich. Vorbei die tiefen alpinen Dächer, stattdessen erstrahlen die kleinen Dörfer im Morgenlicht in Orange- und Beige-Tönen. Verona ist nicht mehr weit.

Großreinemachen nach 24 Stunden

Am Gleis in Verona ist geschäftiges Treiben. Menschen wuseln durcheinander, unterhalten sich lautstark. Auch hier haben wir wieder eine halbe Stunde Aufenthalt. Wir nutzen die Zeit für einen echten italienischen Espresso im Bahnhofscafé. Terespol wirkt jetzt, nach ziemlich genau 24 Stunden Fahrt, sehr weit weg.

Als wir weiterfahren, hantiert eine Zugbegleiterin mit einem Staubsauger im Flur. Einige Abteile haben sich über Nacht geleert, dort werden jetzt die Betten frisch bezogen. Großreinemachen im fahrenden Zug.

In einem Nachbarwagen sitzt ein hellblondes Mädchen mit einem Buch in der Hand. Sie teilt sich ein Vier-Bett-Abteil nur mit ihrer Mutter – sehr komfortabel also.

„Ich heiße Katja, bin 16 Jahre alt und fahre von Moskau nach Monaco“, sagt sie. „Mit meiner Mutter. Ich habe Angst vor Flugzeugen. Für mich ist es angenehmer, mit dem Zug zu fahren, und ausruhen kann ich mich hier auch.“

Katja hat noch nie in ihrem Leben ein Flugzeug genommen. Dafür bringen Züge sie drei bis vier Mal pro Jahr überallhin, meistens nach Monaco. Eine Woche Zeit hat sie diesmal dort. Es erwartet sie ein privater Tennislehrer und ein privater Französischlehrer. Man kennt sich bereits gut.

Zum Fitnessurlaub nach Monaco

„Ich gehe häufig ins Fitnessstudio“, sagt Katja. „Wenn ich in Monte Carlo bin, versuche ich gesund zu leben. Das ist in Monte Carlo einfacher als zu Hause in Moskau, da habe ich kein Unterricht und keinen Stress.“

Katja fährt nach Monte Carlo, wann immer es möglich ist. Damit sei sie nicht alleine, sagt sie, viele ihrer Freunde führen auch dorthin. Und ohnehin sei ja fast die Hälfte der Bevölkerung aus Russland. Der Service, die Restaurants, die Geschäfte, das Meer – das alles sei einfach fantastisch. Wenn Monaco einmal nicht drin ist, fährt Katja auch gerne nach Sotschi – oder bleibt einfach in Moskau.

„Moskau ist die beste Stadt überhaupt“, sagt sie. „Ich bin schon in vielen europäischen Städten herumgekommen und es war schön, aber ich werde nie aus Moskau wegziehen. Man kann einfach so viel unternehmen. Alles hat immer offen. Wir haben eine gute Architektur, einen guten Service und die besten Restaurants. Die Stadt schläft nie. Alle sind immer unterwegs. Für mich ist das genau das Richtige.“

Letzte Grenze, letzter Lok-Wechsel

In Mailand steigen viele Passagiere aus. Langsam wird es ruhig, offenbar bleiben nicht viele bis zur Endhaltestelle in Nizza. In Ligurien erscheint endlich ein großer blauer Fleck am Horizont, das Mittelmeer. Hinter Genua geht die Strecke nur noch an der Küste entlang, unterbrochen von unzähligen Tunneln sind Strände zu sehen, Menschen mit bunten Badetüchern, die unter Sonnenschirmen liegen.

Ab Genua verläuft die Strecke entlang der italienischen Mittelmeerküste. (Alexander Haas)

Eine letzte Grenze müssen wir überqueren, ein letztes Mal die Lok wechseln. Im Grenzort Ventimiglia halten wir noch einmal. Die Wartezeit reicht für einen kleinen Ausflug in das Städtchen hinein. Vespas schieben sich durch den Verkehr, Menschen gestikulieren vor dem Gemüseladen, die Cafés der Einkaufsstraße sind voll.

In einem Stadtpark spielt eine Gruppe Aktivisten Straßentheater, es geht um die Situation der Migranten. Wir beobachten interessiert, aber wir gehören nicht dazu. Es wirkt sehr surreal, nach Polen, Tschechien und Österreich auf einmal mitten in Italien zu sein. Wir freuen uns, als wir die Crew am Gleis wiedersehen, uns wieder ans Panoramafenster in unserem Abteil setzen können. Der Zug ist zu einem kleinen Zuhause geworden. So könnten wir auch weiterfahren bis ans andere Ende Europas.

„Die Eisenbahn ist für Menschen da. Man sollte das nicht alles dem Geld unterwerfen.“ Ein letzter Besuch bei Zugchef Alexander Petrowitsch. Er sitzt wieder in seinem Abteil mit dem kleinen Schreibtisch, doch der größte Teil der Arbeit ist getan.

Diesmal kann auch er zum Fenster hinausschauen. Alexander hat durchaus mitbekommen, dass Nachtzüge wie seiner in Europa mittlerweile zur Seltenheit geworden sind.

„In Russland können es gar nicht weniger Nachtzüge werden“, sagt er. „Das Land ist so groß. In Europa steigt die Geschwindigkeit der Züge, alles muss schnell gehen. Dabei sind Nachtzüge für viele Passagiere eine gute Idee, auch in Europa. Egal wie kurz der Weg zu sein scheint. Du setzt dich rein, und wenn du morgens an deinem Zielort ankommst, hast du noch den ganzen Tag vor dir.“

Weiches Licht bei der Ankunft

Am Abend, wenn alle Fahrgäste ausgestiegen sind, werden Alexander und seine Kollegen im Zug wieder alles herrichten, wie es anfangs war, Morgen, am Sonntag, fährt das rollende Hotel dann wieder zurück nach Moskau: 49 Stunden, 3300 Kilometer, sieben Länder, mit neuen Passagieren und neuen Geschichten im Gepäck.

„Guten Abend, liebe Fahrgäste, unser Zug kommt am Ende unserer Strecke an. Nizza. Wir danken Ihnen, dass Sie mit uns, mit dem besten Zug gefahren sind und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Dann ist es soweit: Die Bucht von Villefranche-sur-Mer mit den unzähligen kleinen Segelbooten, ein letzter langer Tunnel und dann ein Schild mit großen Buchstaben: Nice, Nizza. Es ist sommerlich warm, als wir aussteigen. Das weiche Nachmittagslicht fällt durch die Bahnhofsfenster. Alexander Petrowitsch drückt zum Abschied fest die Hand.

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Haus auf Rädern ||wheels house on wheels maison sur roues dom na kółkach Будинок на колесах

Von Philipp Lemmerich By Philip Lemmerich Филип Леммерих

Triebwagenwechsel an jeder Grenzstation: der Moskau-Nizza-Express im italienischen Ventimiglia. train change|||border station|||||||Ventimiglia Changing railcars at every border station: the Moscow-Nice Express in Ventimiglia, Italy. Смена вагонов на каждой пограничной станции: экспресс Москва-Ницца в Вентимилье, Италия. (Alexander Haas)

Jeden Donnerstag fährt ein russischer Nachtzug von Moskau an die Côte d'Azur. |||||night train|||||| Каждый четверг из Москвы на Лазурный берег курсирует русский ночной поезд. 3300 Kilometer in 49 Stunden. 3300 километров за 49 часов. An Bord sind Urlauber, Geschäftsleute, Romantiker. ||||business people|romantics На борту отдыхающие, деловые люди, романтики. Was halten sie, die durch sieben Länder reisen, von der Idee Europa? |think|||||||||| Viajando por sete países, o que você acha da ideia da Europa? Путешествуя по семи странам, что вы думаете об идее Европы?

Das ist also unser Zug. Auf Gleis 2. |track Lang, grau mit großen roten Lettern darauf: RŽD, das Kürzel der russischen Eisenbahn. |||||letters||RZD||abbreviation||| Длинные, серые, с большими красными буквами: РЖД, аббревиатура российских железных дорог. Die polnischen Grenzbeamten haben ihn gerade freigegeben. |Polish|border officials||||released The Polish border guards have just released him. Польские пограничники только что освободили его. An diesem grauen, kalten Herbstmorgen am Rande Europas. ||||autumn morning||edge| Nesta manhã cinzenta e fria de outono à beira da Europa. Nebel umhüllt den Bahnhof von Terespol, einen gesichtslosen Betonklotz an der polnisch-weißrussischen Grenze. fog|wraps||||||faceless|concrete block|||Polish|Belarusian|border

Hierher verirrt sich nur, wer in die Zwillingsstadt Brest will, auf der anderen Seite. |lost||||||twin city|Brest||||| Only those who want to go to the twin city of Brest, on the other side, get lost here. Só quem quer ir para a cidade gêmea de Brest, do outro lado, se perde aqui. Oder wer weiterfahren möchte wie wir, weiter nach Europa hinein. ||continue|||||||into

Fahrgäste kommen außer uns keine. passengers||except|| Não há passageiros além de nós. Trotzdem steht an jeder Eingangstür aufgereiht ein Zugbegleiter – die Männer in feinem blauen Anzug und Schirmmütze, die Frauen in einem grauen Kostüm und Baskenmütze. ||||entrance door|lined up||train conductor||||fine||suit||cap||||||suit||beret So auch an Wagen 351. Es ist Zugchef Alexander Petrowitsch persönlich, der unsere Fahrkarte kontrolliert und uns zum Abteil eskortiert. ||||||||ticket|||||compartment|escorts

Im Abteil sitzen bereits zwei Damen vor dampfenden Teetassen. |||||||steaming|tea cups Wir, mein Übersetzer und ich, dürfen es uns auf den oberen Liegen Nummer 65 und 66 bequem machen. ||translator|||||||||benches|||| We, my translator and I, can make ourselves comfortable on the upper couches number 65 and 66. Nós, meu tradutor e eu, podemos nos acomodar nos sofás superiores número 65 e 66.

Einstieg am östlichsten Zipfel Europas entry||easternmost|tip| Entry at the easternmost tip of Europe

Der Zug, in dem wir jetzt sitzen, startet jeden Donnerstag am Moskauer Fernbahnhof Beloruskaja mit einem besonderen Reiseziel: Nizza, Frankreich, Côte d'Azur. ||||||||||||long-distance train station|Belorussky|||special|destination|||| Seine Geschichte geht zurück in die Zarenzeit, seit 2010 fährt er wieder regelmäßig einmal in der Woche. ||||||tsarist era||||||||| ||remonta||||época dos cza|||||||||

Auch wir wollten mitfahren und ausprobieren, wie es ist, in 49 Stunden 3300 Kilometer und sieben Länder Europas zu durchkreuzen. |||||||||||||||||cross |||||experimentar|||||||||||| Leider gab es Probleme mit dem russischen Journalistenvisum. |||||||journalist visa Also steigen wir am östlichsten Zipfel der EU ein, dort, wo wir kein Visum brauchen. ||||easternmost|tip|||||where|||visa| Bis nach Nizza sind es noch immer über 2000 Kilometer oder 33 Zugstunden. ||||||||||train hours Genug Zeit also, um mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen.

Das Vier-Bett-Abteil unseres Autors und seiner Mitreisenden (Alexander Haas) |||||author's|||fellow travelers|| |||||||||Alexander Haas| The four-bed compartment of our author and his fellow travelers (Alexander Haas)

Wir haben es uns in der Zwischenzeit in unserem Abteil bequem gemacht. Es ist erstaunlich geräumig hier, große Panoramafenster, ein Tischchen in der Mitte. |||spacious|||panoramic windows||small table||| Die Betten sind mit weißen Laken bezogen, alles wirkt wie neu. |||||sheets|covered||looks|| Unsere Mitbewohnerinnen sind beide um die 60. |female roommates|||around| Our roommates are both in their 60s.

Larissa – langes rotes Haar, Halstuch, Steppweste – kommt aus Moskau und ist auf dem Weg nach Italien: „Der Schwiegersohn ist arbeitsmäßig nach Verona geflogen. ||||neck scarf|quilted vest||||||||||||son-in-law||for work|||flown Meine Tochter kommt morgen früh mit dem Flugzeug nach. Erst bleiben wir ein bisschen in der Stadt, dann fahren wir nach Venedig und später weiter in Richtung Österreich. Der Vater meines Schwiegersohns hat in Wien eine Wohnung gekauft. |||son-in-law|||||| Seit drei Jahren werden wir schon eingeladen, jetzt ist es endlich soweit.“ ||||||invited|||||time We have been invited for three years now, and now the time has finally come.” Somos convidados há três anos e agora finalmente chegou a hora.”

Dina, unsere zweite Mitbewohnerin, kommt aus Brest in Weißrussland und ist auf dem Weg zu ihrer Tochter nach Innsbruck. |||roommate|||||Belarus||||||||||Innsbruck Sie ist etwas kleiner und rundlicher als Larissa, trägt blonde Haare und legt sich gerne einmal über die Grenzkontrollen auf. |||||rounder|||||||||||||border controls| She is a bit smaller and rounder than Larissa, has blond hair and likes to lie down at the border controls. Ela é um pouco menor e mais redonda que Larissa, tem cabelos loiros e gosta de se deitar nos controles de fronteira.

„Diesmal waren die Weißrussen und die Polen beide okay“, sagt sie. This time|||Belarusians||||||| This time the Belarusians and the Poles were both okay," she says. „Das ist reine Glückssache. ||pure|matter of luck "It's pure luck. Manche sind nett, manche sind weniger nett, und manche versauen dir den ganzen Urlaub. |||||||||ruin|||| Some are nice, some are less nice, and some ruin your entire vacation. Vor allem mag ich es nicht, wenn sie im Koffer herumwühlen. |||||||||suitcase|dig around I especially don't like it when they rummage around in the suitcase. Zlasti mi ni všeč, ko premetavajo po mojem kovčku. Wer hat das Recht, meine persönlichen Sachen zu durchsuchen?“ ||||||||search Kdo ima pravico pregledovati moje osebne stvari?

Ruhe, Ausblick, lange Gespräche |view|| Mir, razgled, dolgi pogovori

Es wird nicht das einzige Mal auf dieser Fahrt sein, dass sich Dina mit ihrer Meinung über ihr Heimatland nicht zurückhält. ||not||||||||||||||||homeland||holds back This will not be the only time on this journey that Dina does not hold back her opinion about her homeland. Weißrussland werde mit harter Hand regiert, Kritik am Regime mit harten Strafen geahndet. Belarus|||hard||||||||punishments|punished Belarus is ruled with an iron fist, and criticism of the regime is punished harshly. Deshalb möchte Dina nicht ihren richtigen Namen im Radio hören. That is why Dina does not want to hear her real name on the radio.

Mit dem Zug fahren Larissa und Dina beide gerne: die Ruhe, der Ausblick, die langen Unterhaltungen. |||||||||||||||conversations Larissa and Dina both enjoy traveling by train: the peace, the view, the long conversations. Auch dass ein russischer Zug die Grenze nach Europa überwindet, wissen sie zu schätzen. |||||||||overcomes||||appreciate They also appreciate that a Russian train crosses the border into Europe.

„Bei euch ist es so wie bei uns mit Weißrussland. "With you, it is like it is with us regarding Belarus." "Es lo mismo contigo que con Bielorrusia. Man kriegt das gar nicht mit, wenn man über die Grenze fährt. |gets|||||||||| You don't even notice it when you drive over the border. Ni siquiera lo notas cuando cruzas la frontera. Und zwischen Europa und Weißrussland wirkt es, als ob wir von einem anderen Planeten kämen.“ |||||seems|||||||||came And between Europe and Belarus, it feels like we come from another planet.

Wir machen uns auf die Suche nach dem Zugchef. We are looking for the train conductor. Vamos en busca del director del tren. Auf dem Gang unseres Wagens ist nicht viel los. ||corridor|||||much| Not much is happening in the corridor of our carriage. No hay mucho que hacer en el pasillo de nuestro coche. Etwa zehn Vierer-Abteile reihen sich aneinander, rote Teppichvorleger schmücken den Flur. ||four|compartments|line up||together||carpet|adorn|| About ten four-person compartments are lined up next to each other, red carpet runners adorn the hallway. Alrededor de diez compartimentos para cuatro personas están alineados, las alfombras rojas adornan el pasillo. An dessen Ende sitzt Alexander Petrowitsch, 57 Jahre alt, in einem kleinen Dienstabteil, vor sich allerlei Dokumente auf dem Tisch, daneben seine graue Schirmmütze mit dem großen Eisenbahner-Emblem aus Hammer und Messschieber. |||||||||||service compartment|||various|||||beside|||cap||||railway|emblem||||caliper At the end of it sits Alexander Petrowitsch, 57 years old, in a small service compartment, with various documents on the table in front of him, next to his gray cap featuring the large railway emblem made of hammer and caliper. Al final se sienta Alexander Petrovich, de 57 años, en un pequeño compartimento de servicio, todo tipo de documentos sobre la mesa frente a él, junto a su gorra gris con visera con el gran emblema ferroviario de martillo y pie de rey. Er trägt einen kleinen Schnauzbart und darunter häufig ein Grinsen. ||||mustache||underneath|||grin He has a small mustache and often sports a grin beneath it.

Ein Billigflug kostet die Hälfte |cheap flight||| A cheap flight costs half that

Eine Zugfahrt Moskau-Nizza kostet mehr als 300 Euro, Billigflüge sind schon für die Hälfte zu haben. |train journey|||||||cheap flights||||||| A train ride from Moscow to Nice costs more than 300 euros; cheap flights are already available for half the price. Warum nimmt jemand da noch den Zug, Alexander Petrowitsch? Why would someone still take the train, Alexander Petrovich?

„Romantik. romance "Romance." Die Leute wollen näher am Leben sein, denn das Leben ist sehr kurz“, sagt er. |||closer||||||||||| People want to be closer to life because life is very short," he says. „Und wenn du im Zug fährst, erholst du dich und siehst mehr vom Leben. ||||||refresh||||||| "And when you're on a train, you relax and see more of life. Im Flugzeug, bei dieser Schnelligkeit, kriegst du nichts mit. |||||get||| In an airplane, at this speed, you miss out on everything. Hier kann man sich hinsetzen, ins Restaurant gehen, aus dem Fenster schauen. ||||sit down||||||| Here you can sit down, go to the restaurant, look out the window. Und sich ein bisschen erholen.“ ||||recover And relax a little.

Zugchef Alexander Petrowitsch (links) und Autor Philipp Lemmerich (Alexander Haas) |||||author|||| Train conductor Alexander Petrowitsch (left) and author Philipp Lemmerich (Alexander Haas)

Wer mit Alexander Petrowitsch spricht, den befällt schnell jenes Gefühl, mit dem lange Zugreisen seit jeher verbunden sind. ||||||overcomes||that|feeling||||train journeys||ever|| Anyone who speaks to Alexander Petrovich quickly gets the feeling that long train journeys have always been associated with. Cualquiera que habla con Alexander Petrovich rápidamente tiene la sensación de que siempre se han asociado los largos viajes en tren. Es ist die Faszination der unendlichen Weite und der nicht vergehen wollenden Zeit. |||fascination|||vastness||||passing|willing| Es la fascinación de la extensión sin fin y el tiempo sin fin.

„Hier in diesem Zug sind es häufig dieselben Passagiere“, erzählt Alexander Petrowitsch. ||||||often|the same|||| „Man kennt sich. |knows| „Poznajo me. Darum sehen die meisten in mir nicht den Zugbegleiter, sondern den Bewohner eines Hauses. ||||||||train conductor|||inhabitant|| That's why most people see me not as the train attendant, but as a resident of a house. Zato me večina ne vidi kot sprevodnika, ampak kot prebivalca hiše. Sie gehen herum und grüßen mich: ‚Freut mich, Sie zu sehen‘. They walk around and greet me: 'Nice to see you.' Hodijo okrog in me pozdravljajo: 'Veseli me, da te vidim'. Und gegenseitig haben sich die viele Passagiere auch schon kennengelernt. |mutually|||||||| And many passengers have already gotten to know each other as well. Der Zug ist zu einem Haus auf Rädern geworden. |||||||wheels| The train has become a house on wheels. El tren se ha convertido en una casa sobre ruedas. Großes Haus.“ Big house.

Die meisten Passagiere sind Urlauber Most passengers are vacationers.

Zugchef Alexander Petrowitsch fährt die Strecke quer durch Europa zwei Mal im Monat – hin und zurück. train chief||||||across||||||||| Train chief Alexander Petrowitsch travels the route across Europe twice a month – back and forth. Während des Ersten Weltkriegs eingestellt, ging die Verbindung 2010 wieder in Betrieb. During||||||||||operation Suspended during World War I, the connection resumed operations in 2010. Vor drei Jahren dann wurde das 150-jährige Jubiläum begangen, ganz offiziell in Anwesenheit des russischen und des französischen Verkehrsministers. |||then|||anniversary|anniversary|celebrated|completely|officially||presence||||||transport ministers Three years ago, the 150th anniversary was celebrated, officially in the presence of the Russian and French Ministers of Transport. Hace tres años, el 150 aniversario se celebró oficialmente en presencia de los ministros de Transporte ruso y francés.

„Das war eine feierliche Situation“, erinnert sich Alexander Petrowitsch. |||ceremonial||||| „Es ist schön, dass sie wieder vereint sind, die Europäer und die Russen. ||||||united|||Europeans||| Dass es das wieder gibt.“ |||again|

Die meisten der Passagiere sind Urlauber. Geschäftsleute nutzen den Zug eher selten, für ihren Alltag sind die Fahrtzeiten dann doch zu lang. |||||||||||travel times|||| Business people rarely use the train, as travel times are still too long for their everyday life.

„Wir laden ganz Europa in unseren Zug ein. We invite all of Europe on our train. Jeder Passagier bekommt einen gemütlichen, weichen Platz.“ |passenger|||cozy|soft|seat Every passenger gets a cozy, soft seat.

Blick in den Speisewagen des Moskau-Nizza-Express: Zur Mittagszeit ist hier einiges los. |||dining car|||||||||| View into the dining car of the Moscow-Nice Express: There is quite a bit going on here at lunchtime. Una mirada al vagón restaurante del Moscow Nice Express: aquí suceden muchas cosas a la hora del almuerzo. (Alexander Haas) (Alexander Haas)

Wir machen uns auf in den Speisewagen. We are heading to the dining car. Jetzt zur Mittagszeit ist er gut gefüllt. ||noon||||filled Now at lunchtime it is well filled. Etwa 20 Passagiere haben auf bequemen orangenen Sesseln Platz genommen, vor ihnen beige Tischdecken und Salate, Fleisch und Teigtaschen auf Porzellangeschirr. |passengers||||orange|chairs|||||beige|tablecloths|||||dumplings||porcelain dishes About 20 passengers have taken a seat on comfortable orange armchairs, in front of them beige tablecloths and salads, meat, and dumplings on porcelain dishes.

„Ich heiße Dimitri, bin 34 Jahre alt, komme aus Kiew und arbeite seit zwei Jahren als Koch hier an Bord. ||Dimitri|||||||||||||||| "My name is Dimitri, I am 34 years old, I come from Kyiv and have been working as a cook here on board for two years." Was am meisten bei uns rausgeht: Steak, Dorsch, Hühnchen und paniertes Schnitzel. |||||goes out||codfish|||breaded|schnitzel What sells the most for us: steak, cod, chicken, and breaded schnitzel. Anfangs war es ziemlich anstrengend, aber die Arbeit macht Spaß. ||||exhausting||||| At first, it was quite exhausting, but the work is fun. Hier sind nur Leute, die ihre Arbeit lieben.“ Here are only people who love their work.

Theaterregisseur trifft Geschäftsmann theater director||businessman Theater director meets businessman

Im hinteren Teil des Wagens unterhalten sich zwei Männer angeregt bei einer Portion Fisch. |||||||||animatedly|||| In the back of the car, two men are animatedly talking over a portion of fish. Während draußen das polnische Flachland vorbeizieht, haben sie sich einiges zu erzählen. |||Polish||passes||||some||to tell While the Polish plains pass by outside, they have a lot to discuss. Und wie es sich auf langen Zugfahrten gehört, haben sie sich gerade kennengelernt. ||||||train journeys|||||just|met And as it happens on long train journeys, they have just met each other.

Anatoli ist Theaterregisseur aus Linz und kommt gerade von einem Festival in Sibirien. ||theater director||||||||festival|| Anatoli is a theater director from Linz and has just returned from a festival in Siberia. Mit seinem Ensemble ist er in ganz Europa unterwegs, aber anders als seine Schauspieler nimmt er dabei nie das Flugzeug, schon seit 30 Jahren, wegen Herzproblemen. ||||||||on the way||||||||||||||||heart problems With his ensemble, he travels all over Europe, but unlike his actors, he has never taken a plane for 30 years due to heart problems. Im Moment ist er seit mehr als drei Tagen unterwegs: Reden, schlafen, lesen, denken, sagt er.

Das Festival in Sibirien sei ein voller Erfolg gewesen: „Sie spielt natürlich in deutscher Sprache, meine Schauspielerin. |||||||success||||||||| The festival in Siberia was a complete success: 'She, of course, performs in German, my actress.' Aber alle Leute, Publikum, sibirische, haben gesagt: alles klar. ||||Siberian|||everything| But all the people, the audience, Siberians, said: all good. Durch die internationale theatralische Sprache. |||theatrical| Through the international theatrical language. Bewegung. Theater ist Bewegung. ||movement Innere oder physische, egal. inner||physical| Ich habe gesagt: Russische Schule. Augen, Herz, Seele. Das ist russische Schule.“

Sein Gegenüber, ein Geschäftsmann aus Krasnodar, hat keine Herzprobleme, aber Flugangst. |opposite||||Krasnodar|||heart problems||fear of flying His counterpart, a businessman from Krasnodar, has no heart problems but is afraid of flying. Er ist auf dem Weg in den Urlaub nach Mailand: „Die Italiener sind den Russen ähnlich, nur noch ein bisschen lauter. |||||||||Milan||||||||||| He is on his way to vacation in Milan: 'The Italians are similar to the Russians, just a bit louder.' Sie sind recht offen, die meisten scheinen nett zu sein, so wie wir eben. ||||||seem|||||||just They are quite open, most seem to be nice, just like us. Son bastante abiertos, la mayoría parecen simpáticos, como nosotros. Und sie mögen uns Russen. Deswegen fahren wir da hin.“

Aber auch zu Hause scheint er zufrieden zu sein. Auf seinem Smartphone zeigt er uns Bilder von seiner Datscha in der Nähe von Sotschi – mit großem Garten und weitem Blick über das Schwarze Meer: „Meine Frau, meine Küche. |||||||||dacha|||||Sochi||large|||wide||||||||| Unser Meer, Garten am Meer. Black Sea. |Sea Hier angle ich.“ |now|

Leben mit Lukaschenko ||Lukashenko

Zurück im Abteil. Back in the compartment. Larissa und Dina, unsere Mitbewohnerinnen, haben gerade ihre mitgebrachten Süßigkeiten geteilt und blicken schmatzend nach draußen, auf kleine polnische Dörfer und umgegrabene Äcker. ||||||||brought||||glance|smacking||||||||dug|fields Larissa and Dina, our roommates, have just shared their brought sweets and are smacking their lips while looking outside at small Polish villages and plowed fields. Larissa et Dina, nos colocataires, viennent de partager les friandises qu'elles ont apportées avec elles et mâchonnent leurs yeux en regardant dehors les petits villages polonais et les champs creusés. Es ist angenehm warm, Dina hat sogar die Ärmel ihres Rollkragenpullovers hochgekrempelt. ||||||||sleeves||turtleneck sweater|rolled up It is pleasantly warm; Dina has even rolled up the sleeves of her turtleneck sweater.

Irgendwann beginnt sie zu erzählen: „Ich bin in Odessa geboren und mit 21 nach Weißrussland gezogen. ||||||||Odessa|||||| Das war 1986. Danach hat sich alles verändert. Wir vergleichen das Heute mit dem alten Leben. |compare|||||| Ausbildung, ärztliche Behandlung, sogar die Wohnungen waren kostenlos. training|medical|treatment||||| Training, medical treatment, even the apartments were free. Und alles war relativ stabil. And everything was relatively stable. Jetzt ist es sehr schwierig in Weißrussland. Now it is very difficult in Belarus. Die jungen Leute, die aus der Uni kommen, finden keine Jobs. The young people coming out of university can't find jobs. Die Werke und Fabriken sind geschlossen, die Gehälter gering. |works||||||salaries|low The factories and plants are closed, the salaries are low. Wer die Möglichkeit hat, geht weg. Those who have the opportunity leave. Ich frage mich manchmal, wie wir das überleben.“ |||||||survive Sometimes I wonder how we survive.

Weißrussland gilt vielen als letzte Diktatur Europas. |is considered||||| Belarus is considered by many to be the last dictatorship in Europe. Präsident Alexander Lukaschenko hält das Land seit 25 Jahren fest im Griff, und ein Ende ist nicht in Sicht: Bei der nächsten Präsidentschaftswahl will er wieder antreten. |||holds|||||firmly||grip|||||||||||presidential election||||run President Alexander Lukashenko has held the country firmly in his grip for 25 years, and there is no end in sight: he intends to run again in the next presidential election.

„Ohne sein Wort passiert gar nichts“, sagt Dina. „Brez njegove besede se ne zgodi nič", pravi Dina. „Was er sagt, gilt. |||counts „Kar reče, velja. Und gleich am nächsten Tag wird es ausgeführt. |||||||executed In takoj naslednji dan bo to izvedeno. Wir leben in einer Diktatur. Auf einen Menschen gibt es zwei Polizisten. Meine Tochter sagt immer: Komm, zieh zu mir! |||||come|| Aber wahrscheinlich ist es schon zu spät.“ |probably|||||

„Die Österreicher sind alle so gediegen“ |||||solid "The Austrians are all so dignified"

Dinas Tochter ist mit einem Österreicher verheiratet. Dina's|||||| Sein neun Jahren lebt sie dort, in der Nähe von Innsbruck, und will auch nicht mehr zurück. Als sie das erzählt, wirkt sie für einen Augenblick geknickt, doch wenig später lächelt sie schon wieder. ||||appears|||||crushed||||||| When she tells this, she appears a bit down for a moment, but shortly after, she is smiling again.

„Jeder soll sich selbst aussuchen, wo er glücklich wird“, sagt sie. ||||choose|||||| Everyone should choose for themselves where they will be happy, she says. „Ich halte es einfach nicht so lange aus in Österreich. |can|||||||| I just can't stand it that long in Austria. In der ersten Woche denke ich: ‚Das ist eine super Sache, wie ruhig es hier ist!‘ Die Leute sind entspannt, sie grüßen sich und lächeln. In the first week I think: 'This is a great thing, how peaceful it is here!' The people are relaxed, they greet each other and smile. Keine Anspannung in den Gesichtern. |tension|||faces No tension in their faces. Im Gegensatz zu uns, da laufen die Leute ja so wütend durch die Gegend. |||||||||||||area In contrast to us, where people walk around so angrily. Und dann, wenn ich mich erholt habe, dann fehlt mir doch etwas. |||||recovered|||||| And then, when I have recovered, I still miss something. Bei uns hat man ja immer etwas zu tun, und zwar hier und heute. In our case, there is always something to do, here and today. Und bei den Österreichern ist es so: ‚Naja, es hat halt nicht geklappt, dann machen wir es morgen.‘ Die sind alle so gediegen. |||Austrian|||||||just||worked||||||||||solid And with the Austrians it's like this: 'Well, it just didn't work out, we'll do it tomorrow.' They are all so laid-back. Und irgendwann geht mir das auf den Keks. |||||||cookie And at some point it gets on my nerves. ‚Wie morgen? 'Like tomorrow? ‚Kot jutri? Das muss heute passieren!‘ Es geht ziemlich genau für zwei Wochen gut. |||happen|||fairly||||| It has to happen today!' It goes pretty well for about two weeks. To se mora zgoditi danes!‘ To gre precej natančno za dve tedna. Und nach zwei Wochen fange ich an, müde zu werden von dieser Gediegenheit. ||||||||||||sturdiness In po dveh tednih začnem postajati utrujen od te umirjenosti. Ich kann das nicht!“

Wir lachen viel an diesem Nachmittag, aber sprechen auch über ernste Themen – die Lage in Belarus, die fehlenden Enkelkinder – und irgendwann landet das Gespräch dort, wo es früher oder später immer landet, bei der Politik. ||||||||||serious|||||||missing|grandchildren|||||||||||||||| We laugh a lot this afternoon, but we also talk about serious topics – the situation in Belarus, the missing grandchildren – and at some point the conversation lands where it always does sooner or later, in politics.

„Meine Tochter hat acht Jahre gewartet auf eine Aufenthaltserlaubnis. |||||waited|||residence permit "My daughter waited eight years for a residence permit. Und jetzt sagt sie: Wie kann das sein? And now she says: How can this be? Ich habe so lange gebraucht, um alles korrekt zu machen. I took so long to get everything right. Alles wurde genauestens durchgeschaut und überprüft. ||thoroughly|looked through|| Everything was meticulously examined and checked. Und die Flüchtlinge kommen hierher und bekommen gleich die Möglichkeit zu bleiben? ||refugees||||||||| And the refugees come here and immediately get the opportunity to stay? Wie kann das sein? Warum werden die einen so und die anderen so behandelt?“

Osteuropas Blick auf die Migration Eastern Europe’s||||migration Eastern Europe's view on migration

Es ist das erste Mal auf dieser Zugfahrt, dass wir auf die Migrationsdebatte angesprochen werden, aber es wird nicht das letzte Mal bleiben. |||||||train journey|||||migration debate|||||||||| It is the first time on this train journey that we are addressed regarding the migration debate, but it will not be the last time. In mehreren Gesprächen wird unsere Herkunft als Deutsche sofort mit Angela Merkels Grenzöffnung 2015 in Verbindung gebracht. |||||origin|||immediately|||Merkel's|border opening||connection|brought In several conversations, our German origin is immediately associated with Angela Merkel's opening of the borders in 2015. Überraschend ist das nicht: Viele Osteuropäer nehmen Migration als Gefahr wahr, sehen Offenheit und Toleranz als Bedrohung. Surprisingly|||||Eastern Europeans|||||||openness||||threat It's not surprising: Many Eastern Europeans perceive migration as a danger, seeing openness and tolerance as a threat.

„Ich mache mir Sorgen um euch. |||worries|| "I'm worried about you. Bei diesen Flüchtlingsströmen, die zu euch kommen. ||streams of refugees|||| With these streams of refugees coming to you. Das ist eine ganz andere Mentalität. |||||mentality Und auch noch in so hoher Anzahl. Ich bin der Meinung, das sollte man so nicht handhaben. |||||||||handle I think it shouldn't be treated like that. Man hat euch da etwas eingebrockt.“ |||||gotten into You've been put in a tough spot.

Zu gerne hätten wir das Thema auch mit anderen Osteuropäern diskutiert. To|||||||||Eastern Europeans| We would have loved to discuss the topic with other Eastern Europeans too. Mit unseren Nachbarn in Polen zum Beispiel, die gerade wieder der nationalkonservativen PiS-Partei eine absolute Mehrheit beschert haben. |||||||||||national conservative|||||majority|bestowed| For example, with our neighbors in Poland, who have just given the national conservative PiS party an absolute majority again. Auch für sie gelten Migranten oft als Feindbild. Also|||apply|migrants|||enemy image Migrants are often seen as an enemy image for them as well. Tudi za njih so migranti pogosto prikazani kot sovražniki. Doch leider steigt kein einziger polnischer Fahrgast zu. ||||single|Polish|passenger| But unfortunately, not a single Polish passenger gets on. Ampak žal niti en poljski potnik ne stopi na vlak.

Zwischenhalt in Bohumin in Tschechien: Demnächst rollt das fahrende Hotel wieder los. stopover||||Czechia|Soon|rolls||rolling||| Stopover in Bohumín, Czech Republic: The mobile hotel will be rolling again soon. Escala en Bohumin en la República Checa: pronto el hotel móvil comenzará a rodar de nuevo. Postanek v Bohuminu na Češkem: Hotel na kolesih bo kmalu spet odpeljal. (Alexander Haas)

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. |||by now|| Ahora está oscuro afuera. Wenig später kündigt ein großes beleuchtetes Schild den nächsten Bahnhof an: Bohumin, Tschechische Republik. ||announces|||illuminated|||||||| Wir haben, ohne es zu merken, gerade eine Grenze überquert. |||||||||crossed Bei einer halben Stunde Aufenthalt wird wie an jeder Grenzstation der Triebwagen gewechselt. ||||stay|||||||railcar| At a half-hour stop, the train is changed as at every border station. Si se detiene durante media hora, el vagón se cambia como en cada estación fronteriza.

Snacks und Bier aus dem tschechischen Supermarkt Snacks and beer from the Czech supermarket.

Gegenüber vom Bahnhof ist ein kleiner Supermarkt. Opposite the train station is a small supermarket. An der Kasse hat sich schon eine Schlange von Zugpassagieren gebildet. |||||||||train passengers| A line of train passengers has already formed at the counter. Ya se ha formado una cola de pasajeros del tren en la caja. Kalte Getränke, tschechisches Bier, Snacks. ||Czech|| Cold drinks, Czech beer, snacks. Zugchef Alexander Petrowitsch stellt sich an der Fleischtheke an und bestellt Salami in Scheiben. |||||||meat counter||||salami||slices Train chief Alexander Petrowitsch is standing at the meat counter and ordering sliced salami. Wenig später rollt das fahrende Hotel wieder los. short||rolls||moving||| A little later, the traveling hotel sets off again.

„Ich heiße Paulina, bin 25 Jahre alt und fahre von Moskau nach Wien, um mit meinem Master anzufangen. |||||||||||||||master|to begin "My name is Paulina, I am 25 years old, and I am traveling from Moscow to Vienna to start my Master's degree. Vor drei Jahren bin ich von Wien nach Russland gezogen, und jetzt ziehe ich wieder dorthin zurück.“ ||||||||||||pull|||there| Three years ago, I moved from Vienna to Russia, and now I am moving back there again."

Paulina, blonde Haare, junges Gesicht, sitzt in ihrem Abteil und ist sichtlich aufgeregt. |||||||||||clearly| Paulina, blonde hair, young face, is sitting in her compartment and is visibly excited. Um 21 Uhr, in weniger als zwei Stunden, werden wir ihr altes wie neues Zuhause Wien erreichen. ||||||||||old|||home||reach At 9 PM, in less than two hours, we will reach her old and new home, Vienna. Einen großen Koffer hat sie dabei, den Rest ihrer Habseligkeiten hat sie per Post geschickt. |||||with her||||belongings||||| She has a large suitcase with her; the rest of her belongings she has sent by mail.

„Ich wollte etwas ganz Besonderes machen.“, sagt sie. "I wanted to do something very special," she says. „Denn in Moskau habe ich für die Russische Eisenbahn gearbeitet. "Because in Moscow I worked for the Russian railway." Ich liebe Züge, ich liebe lange Zugfahrten, von daher wirkte das hier wie das beste Ende meiner Zeit in Moskau.“ ||||||train journeys||||||||||||| "I love trains, I love long train rides, so this seemed like the best end to my time in Moscow." Me encantan los trenes, me encantan los viajes largos en tren, así que me pareció el mejor final de mi estancia en Moscú”.

„Europa ist wie ein großes Haus“ "Europe is like a big house"

Paulina ist in Russland geboren, aber weggezogen, als sie zwei Jahre alt war. ||||||moved away|||||| Paulina was born in Russia but moved away when she was two years old. In Italien wuchs sie auf, studierte in Österreich, zog für den ersten Job nach Moskau – ein ziemlich europäisches Leben also. ||grew|||||||||||||||European|| She grew up in Italy, studied in Austria, and moved to Moscow for her first job – quite a European life, in fact.

„Es ist großartig, wie alles miteinander verbunden ist“, sagt sie. ||great|||together|connected||| "It's amazing how everything is connected," she says. „Wie einfach es ist zu reisen, in unterschiedlichen Ländern zu studieren. How easy it is to travel, to study in different countries. Europa ist wie ein großes Haus, wie ein großes Zuhause. Europe is like a big house, like a big home. Eine Gemeinschaft. A community. Und es ist toll, einfach zwischen den Ländern zu wechseln. And it's great to just switch between countries. Ich glaube, ich habe in jeder großen europäischen Stadt Freunde oder Leute, die ich kenne.“ I believe I have friends or acquaintances in every major European city.

Spätestens seit der Ukraine-Krise im Jahr 2014 ist das Verhältnis zwischen Russland und der EU politisch angespannt. |||||||||||||||politically|tense Since the Ukraine crisis in 2014, the relationship between Russia and the EU has been politically tense. Viele aus der russischen Community in Europa haben diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. |||||||||||concern|viewed Many in the Russian community in Europe have viewed this development with concern.

Auch Paulina hat erlebt, dass sich etwas in ihrem Alltag veränderte: „Als das alles angefangen hat, hat man gemerkt, wie Leute plötzlich einen Schritt vor dir zurückgewichen sind: ‚Ach so, du bist Russin.‘ Förderungen für Kultureinrichtungen wurden gestrichen, man war sehr vorsichtig mit russischen Unternehmen und Institutionen. |||experienced|||||||||||began||||||||||||stepped back||||||Russian|support||cultural institutions||stricken|||||||||institutions Paulina also experienced that something changed in her daily life: 'When all of this started, you could see how people suddenly stepped back from you: 'Oh, you are Russian.' Funding for cultural institutions was cut, and there was a lot of caution regarding Russian companies and institutions. Jetzt wird es langsam wieder besser. Now it is slowly getting better. Die Leute verstehen langsam, dass davon niemand profitiert. People are slowly realizing that no one benefits from this. La gente está empezando a entender que nadie se beneficia de esto. Politik spielt sich auf einer anderen Ebene ab, jenseits der Bevölkerung.“ ||||||level||beyond||population Politics takes place on another level, beyond the population. La política tiene lugar en un nivel diferente, más allá de la población”.

Langsam kehrt Ruhe ein in dem Haus auf Rädern. |returns||||||| Calm is slowly returning to the house on wheels. Viele Passagiere haben sich in ihre Abteile zurückgezogen. |||||||retreated Many passengers have retired to their compartments. Draußen ist dunkle, österreichische Nacht. Wir sind noch lange nicht müde und versuchen deshalb noch einmal unser Glück im Speisewagen. |||||||to try|therefore|||||| We are far from tired and therefore we are trying our luck again in the dining car. Hier ist zumindest noch ein bisschen was los. ||||||some|going on At least there's still a bit happening here. Al menos algo sigue pasando aquí. Dimitri, der Koch, und seine Kollegen räumen die Küche auf. Dimitri, the cook, and his colleagues are cleaning up the kitchen. Am vordersten Tisch sitzt Zugchef Alexander Petrowitsch und winkt uns zu sich. |frontmost|||||||waves||| At the front table sits train chief Alexander Petrowitsch and waves us over to him. Wie wird man eigentlich zum Eisenbahner, Alexander Petrowitsch? |||actually||railway worker|| How does one actually become a railway worker, Alexander Petrowitsch? ¿Cómo se convierte uno realmente en un trabajador ferroviario, Alexander Petrovich?

„Mein Opa war Eisenbahner, meine Mutter war Eisenbahnerin“, erklärt er. |||||||railway worker|| "My grandfather was a railway worker, my mother was a railway worker," he explains. „Und so ist es auch bei mir gekommen, Schritt für Schritt. |||||||come||| And so it has happened to me as well, step by step. Es ist eine Familientradition. |||family tradition It is a family tradition. Man lernt die Arbeit nur mit der Arbeit. One learns the work only through work. Als ich hergekommen bin, habe ich von Älteren gelernt: den Umgang mit Menschen, technische Fragen. ||come here|||||elders|||interaction|||technical| When I arrived, I learned from older people: how to deal with people, technical questions. Cuando vine aquí, aprendí de la gente mayor: cómo tratar con la gente, cuestiones técnicas. Und langsam bin ich daran gewachsen.“ |||||grown And slowly I grew into it.

Der Schlaf ist tief, aber kurz Sleep is deep but short.

Alexander ist sichtlich stolz auf seinen Beruf. ||clearly|||| Alexander is visibly proud of his profession. An seinem Handgelenk trägt er eine Uhr mit dem Logo der russischen Staatsbahn. ||wrist||||||||||state railway On his wrist, he wears a watch with the logo of the Russian State Railway. Ein Geschenk des Generaldirektors, wie er uns erzählt, als Auszeichnung für seine Arbeit. |||general director's||||||recognition||| A gift from the general director, as he tells us, in recognition of his work. Später bittet uns Alexander, das Mikrofon auszuschalten – auch er hat einmal Feierabend. |||||microphone|to turn off|||||quitting time Later, Alexander asks us to turn off the microphone – he also has to call it a day once in a while. Wir stoßen mit einem Gläschen Wodka darauf an und unterhalten uns über Gott, die Welt und die Eisenbahn. |clink|||small glass|vodka|||||||||||| We toast with a glass of vodka and chat about God, the world, and the railway. Unser nächster Halt Linz leuchtet in der Nacht. ||||shines||| Our next stop, Linz, shines in the night.

Der Schlaf ist tief, aber kurz. Um 4.30 Uhr klopft es vorsichtig an der Tür: Die Nachtschaffnerin. ||knocks|||||||night porter At 4:30 AM, there is a gentle knock on the door: The night porter. Wir sind gleich in Innsbruck. We will be in Innsbruck soon. Unsere Mitbewohnerin Dina schält sich aus dem Laken und packt ihre Habseligkeiten zusammen. |||peels||||sheet||||belongings| Our roommate Dina unravels herself from the sheets and gathers her belongings. Wir begleiten Dina noch nach draußen und helfen ihr, ihren schweren Koffer hinauszuhieven. |accompany|||||||||||to lift Die Verabschiedung ist herzlich. |farewell|| The farewell is cordial. Es ist, als würden wir uns schon sehr viel länger kennen. |||would||||||longer| It's like we've known each other for much longer. Es como si nos conociéramos desde hace mucho más tiempo.

Draußen am Gleis kann man seinen eigenen Atem sehen, so kalt ist es. |||||||breath||||| Outside by the tracks, you can see your own breath; it's that cold. Auch in Innsbruck haben wir wieder etwas Aufenthalt. |||||||stay We also have a bit of a layover in Innsbruck. Die Nachtschaffner stehen auch mitten in der Nacht aufgereiht wie an einer Perlenkette vor ihren Waggons, in dicke graue Winterjacken eingehüllt. |night watchmen|||||||lined up||||pearl necklace|||wagons||||winter jackets|wrapped The night shift workers are lined up in the middle of the night like on a string of pearls in their thick gray winter jackets. Gesprochen wird wenig. Little is spoken. Poco se dice. Als Dinas Tochter ankommt, um ihre Mutter abzuholen, winken wir noch lange hinterher. |||arrives||||to pick up|wave||||afterwards When Dina's daughter arrives to pick up her mother, we wave goodbye for a long time.

Vorbei an Berggipfeln und Apfelplantagen ||mountain peaks||apple orchards Past mountain peaks and apple orchards Más allá de los picos de las montañas y los huertos de manzanas

„Ich bin schon überzeugt. "I am already convinced. Das ist der beste Anfang: Mit Sonne und tollem Himmel.“ Am frühen Morgen sitzt unsere verbliebene Mitbewohnerin Larissa auf ihrer Pritsche und schaut durch das große Panoramafenster nach draußen. ||||||||great|||||||remaining|||||bunk|||||||| This is the best beginning: With sunshine and a great sky." In the early morning, our remaining roommate Larissa sits on her cot and looks out through the large panoramic window. Die Sonne bricht sich an Berggipfeln, draußen ziehen Apfelplantagen vorbei. ||breaks|||mountain peaks|||apple orchards| El sol se rompe en los picos de las montañas, afuera pasan los huertos de manzanas. Südtirol. South Tyrol

Larissa freut sich wie ein kleines Kind: „Es erinnert daran, wie man in Sotschi reinfährt. ||||||||||||||drives in Larissa is as happy as a little child: 'It reminds me of how you drive into Sochi.' Larissa está tan feliz como una niña pequeña: "Me recuerda cómo conduces a Sochi. Nur dass auf der anderen Seite direkt das Meer ist.“ Only that on the other side is the sea directly.' Solo el mar está directamente del otro lado”.

Italienpremiere: Larissa aus Moskau auf dem Bahnsteig von Verona (Alexander Haas) Italian premiere||||||platform|||| Italian premiere: Larissa from Moscow on the platform of Verona (Alexander Haas)

Larissa ist zum ersten Mal in Italien. Verona habe sie sich schon digital angeschaut, auf Google Street View. Die Arena, das berühmte Amphitheater von Verona. ||||amphitheater|| The arena, the famous amphitheater of Verona. Den Balkon von Romeo und Julia. The balcony of Romeo and Juliet. Und morgen fahre sie mit ihrer Tochter zum Gardasee. ||||||||Lake Garda And tomorrow they will go with their daughter to Lake Garda.

Irgendwo zwischen Bolzano und Rovereto wird aus Südtirol plötzlich Italien. ||Bolzano||Rovereto||||| Somewhere between Bolzano and Rovereto, South Tyrol suddenly becomes Italy. Aus pittoresken Bergen werden liebliche Hügel, die Architektur verändert sich. |picturesque|||lovely||||| Picturesque mountains turn into gentle hills, and the architecture changes. Vorbei die tiefen alpinen Dächer, stattdessen erstrahlen die kleinen Dörfer im Morgenlicht in Orange- und Beige-Tönen. |||alpine|roofs||shine|||||morning light||||| Gone are the deep alpine roofs; instead, the small villages shine in the morning light in shades of orange and beige. Verona ist nicht mehr weit. ||||far

Großreinemachen nach 24 Stunden cleaning up|| Major cleaning after 24 hours

Am Gleis in Verona ist geschäftiges Treiben. |platform||||busy|activity At the platform in Verona, there is bustling activity. Hay mucho ajetreo y bullicio en la plataforma de Verona. Menschen wuseln durcheinander, unterhalten sich lautstark. |buzzing|together|chat||loudly People are bustling about, chatting loudly. Auch hier haben wir wieder eine halbe Stunde Aufenthalt. ||||||||stay Here too, we have another half-hour layover. Wir nutzen die Zeit für einen echten italienischen Espresso im Bahnhofscafé. ||||||||||train station café We use the time for a real Italian espresso in the train station café. Terespol wirkt jetzt, nach ziemlich genau 24 Stunden Fahrt, sehr weit weg. Terespol|seems||||||||| Terespol feels very far away now, after exactly 24 hours of travel.

Als wir weiterfahren, hantiert eine Zugbegleiterin mit einem Staubsauger im Flur. |||manipulates||train attendant|||vacuum cleaner|| As we continue, a train attendant is fiddling with a vacuum cleaner in the corridor. Einige Abteile haben sich über Nacht geleert, dort werden jetzt die Betten frisch bezogen. ||||||emptied|||||||made Some compartments have been emptied overnight, and the beds are being freshly made there now. Großreinemachen im fahrenden Zug. to clean up||moving| Thorough cleaning in a moving train.

In einem Nachbarwagen sitzt ein hellblondes Mädchen mit einem Buch in der Hand. ||neighboring|||light blonde||||||| In a neighboring car, there is a light blonde girl sitting with a book in her hand. Sie teilt sich ein Vier-Bett-Abteil nur mit ihrer Mutter – sehr komfortabel also. ||||||||||||comfortable| She is sharing a four-bed compartment only with her mother – very comfortable indeed.

„Ich heiße Katja, bin 16 Jahre alt und fahre von Moskau nach Monaco“, sagt sie. "My name is Katja, I am 16 years old and I am traveling from Moscow to Monaco," she says. „Mit meiner Mutter. "With my mother." Ich habe Angst vor Flugzeugen. ||||airplanes I am afraid of airplanes. Für mich ist es angenehmer, mit dem Zug zu fahren, und ausruhen kann ich mich hier auch.“ For me, it is more pleasant to travel by train, and I can also rest here.

Katja hat noch nie in ihrem Leben ein Flugzeug genommen. Katja has never taken a plane in her life. Dafür bringen Züge sie drei bis vier Mal pro Jahr überallhin, meistens nach Monaco. ||||||||||everywhere||| For this, trains take her three to four times a year everywhere, mostly to Monaco. Eine Woche Zeit hat sie diesmal dort. She has a week of time there this time. Es erwartet sie ein privater Tennislehrer und ein privater Französischlehrer. ||||private|tennis teacher||||French teacher A private tennis teacher and a private French teacher are waiting for her. Te esperan un profesor particular de tenis y un profesor particular de francés. Man kennt sich bereits gut. They already know each other well.

Zum Fitnessurlaub nach Monaco |fitness vacation|| To a fitness vacation in Monaco.

„Ich gehe häufig ins Fitnessstudio“, sagt Katja. ||||gym|| "I often go to the gym," says Katja. „Wenn ich in Monte Carlo bin, versuche ich gesund zu leben. |||Monte||||||| When I am in Monte Carlo, I try to live healthy. Das ist in Monte Carlo einfacher als zu Hause in Moskau, da habe ich kein Unterricht und keinen Stress.“ |||||easier||||||||||classes|||stress It's easier to do that in Monte Carlo than at home in Moscow, where I have no classes and no stress.

Katja fährt nach Monte Carlo, wann immer es möglich ist. Katja goes to Monte Carlo whenever possible. Damit sei sie nicht alleine, sagt sie, viele ihrer Freunde führen auch dorthin. ||||||||||lead|| She is not alone in this, she says, many of her friends also lead there. Und ohnehin sei ja fast die Hälfte der Bevölkerung aus Russland. |anyway|||||half|||| And in any case, almost half of the population is from Russia. Der Service, die Restaurants, die Geschäfte, das Meer – das alles sei einfach fantastisch. The service, the restaurants, the shops, the sea – everything is simply fantastic. Wenn Monaco einmal nicht drin ist, fährt Katja auch gerne nach Sotschi – oder bleibt einfach in Moskau. If Monaco is not an option, Katja also enjoys going to Sochi - or just stays in Moscow.

„Moskau ist die beste Stadt überhaupt“, sagt sie. "Moscow is the best city ever," she says. „Ich bin schon in vielen europäischen Städten herumgekommen und es war schön, aber ich werde nie aus Moskau wegziehen. |||||||around|||||||||||move away "I have traveled to many European cities and it was nice, but I will never move away from Moscow." Man kann einfach so viel unternehmen. |||||undertake Alles hat immer offen. Wir haben eine gute Architektur, einen guten Service und die besten Restaurants. Die Stadt schläft nie. Alle sind immer unterwegs. Für mich ist das genau das Richtige.“

Letzte Grenze, letzter Lok-Wechsel |||locomotive|change Last border, last train change

In Mailand steigen viele Passagiere aus. |Milan|||| Many passengers are getting off in Milan. Langsam wird es ruhig, offenbar bleiben nicht viele bis zur Endhaltestelle in Nizza. ||||apparently||||||final stop||Nice It's slowly getting quiet; apparently not many are staying until the final stop in Nice. In Ligurien erscheint endlich ein großer blauer Fleck am Horizont, das Mittelmeer. |Liguria|appears||||blue|spot|||| Hinter Genua geht die Strecke nur noch an der Küste entlang, unterbrochen von unzähligen Tunneln sind Strände zu sehen, Menschen mit bunten Badetüchern, die unter Sonnenschirmen liegen. ||||stretch|||||||interrupted||countless|||||||||beach towels|||beach umbrellas|

Ab Genua verläuft die Strecke entlang der italienischen Mittelmeerküste. ||||||||Mediterranean coast (Alexander Haas)

Eine letzte Grenze müssen wir überqueren, ein letztes Mal die Lok wechseln. |||||cross|||||| Im Grenzort Ventimiglia halten wir noch einmal. |border town|Ventimiglia|||| Die Wartezeit reicht für einen kleinen Ausflug in das Städtchen hinein. |waiting time|is enough|||||||town| The waiting time is enough for a small trip into the town. Vespas schieben sich durch den Verkehr, Menschen gestikulieren vor dem Gemüseladen, die Cafés der Einkaufsstraße sind voll. Vespas|||||||gesticulate|||vegetable shop||||shopping street|| Vespas maneuver through the traffic, people are gesticulating in front of the vegetable shop, the cafés on the shopping street are crowded.

In einem Stadtpark spielt eine Gruppe Aktivisten Straßentheater, es geht um die Situation der Migranten. ||city park|||||street theater||||||| In a city park, a group of activists is performing street theater, addressing the situation of migrants. V mestnem parku igra skupina aktivistov ulično gledališče, ki govori o situaciji migrantov. Wir beobachten interessiert, aber wir gehören nicht dazu. |||||belong|| We observe with interest, but we do not belong to it. Z zanimanjem opazujemo, vendar nismo del tega. Es wirkt sehr surreal, nach Polen, Tschechien und Österreich auf einmal mitten in Italien zu sein. |seems||surreal|||||||||||| It feels very surreal to be in the middle of Italy after Poland, the Czech Republic, and Austria all at once. Deluje zelo surrealno, potem ko smo nenadoma sredi Italije, prišli iz Poljske, Češke in Avstrije. Wir freuen uns, als wir die Crew am Gleis wiedersehen, uns wieder ans Panoramafenster in unserem Abteil setzen können. ||||||crew|||to see again||||||||| We are happy when we see the crew again at the platform, and we can sit back at the panoramic window in our compartment. Der Zug ist zu einem kleinen Zuhause geworden. The train has become a little home. So könnten wir auch weiterfahren bis ans andere Ende Europas. ||||||to the||end| We could also continue traveling to the other end of Europe.

„Die Eisenbahn ist für Menschen da. "The railway is there for people. Man sollte das nicht alles dem Geld unterwerfen.“ Ein letzter Besuch bei Zugchef Alexander Petrowitsch. |||||||submit||||||| One should not subordinate everything to money.” A final visit with train chief Alexander Petrowitsch. Er sitzt wieder in seinem Abteil mit dem kleinen Schreibtisch, doch der größte Teil der Arbeit ist getan. |||||||||||||||||done He is back in his compartment with the small desk, but most of the work is done.

Diesmal kann auch er zum Fenster hinausschauen. ||||||look out This time he can also look out the window. Alexander hat durchaus mitbekommen, dass Nachtzüge wie seiner in Europa mittlerweile zur Seltenheit geworden sind. ||quite|to notice||night trains|||||nowadays||rarity|| Alexander has noticed that night trains like his have become a rarity in Europe.

„In Russland können es gar nicht weniger Nachtzüge werden“, sagt er. |||||||night trains||| In Russia, there can't be fewer night trains, he says. „Das Land ist so groß. The country is so large. In Europa steigt die Geschwindigkeit der Züge, alles muss schnell gehen. In Europe, the speed of trains is increasing; everything has to go fast. Dabei sind Nachtzüge für viele Passagiere eine gute Idee, auch in Europa. Egal wie kurz der Weg zu sein scheint. |||||||seems Du setzt dich rein, und wenn du morgens an deinem Zielort ankommst, hast du noch den ganzen Tag vor dir.“ ||||||||||destination|arrive||||||||

Weiches Licht bei der Ankunft soft||||arrival Mehka svetloba ob prihodu

Am Abend, wenn alle Fahrgäste ausgestiegen sind, werden Alexander und seine Kollegen im Zug wieder alles herrichten, wie es anfangs war, Morgen, am Sonntag, fährt das rollende Hotel dann wieder zurück nach Moskau: 49 Stunden, 3300 Kilometer, sieben Länder, mit neuen Passagieren und neuen Geschichten im Gepäck. |||||gotten off|||||||||||prepare|||initially|||||||rolling|||||||||||||||||| In the evening, when all the passengers have disembarked, Alexander and his colleagues will set everything back up in the train as it was at the beginning. Tomorrow, on Sunday, the rolling hotel will then return to Moscow: 49 hours, 3300 kilometers, seven countries, with new passengers and new stories in tow. Zvečer, ko vsi potniki izstopijo, bodo Aleksander in njegovi kolegi na vlaku znova pripravili vse, kot je bilo na začetku. Jutri, v nedeljo, se bo potujoči hotel ponovno vrnil nazaj v Moskvo: 49 ur, 3300 kilometrov, sedem držav, z novimi potniki in novimi zgodbami v prtljagi.

„Guten Abend, liebe Fahrgäste, unser Zug kommt am Ende unserer Strecke an. "Good evening, dear passengers, our train is arriving at the end of our route. "Dober večer, dragi potniki, naš vlak pride na konec naše proge. Nizza. Nice. Wir danken Ihnen, dass Sie mit uns, mit dem besten Zug gefahren sind und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ |thank||||||||||traveled||||||pleasant|stay We thank you for traveling with us, the best train, and wish you a pleasant stay.

Dann ist es soweit: Die Bucht von Villefranche-sur-Mer mit den unzähligen kleinen Segelbooten, ein letzter langer Tunnel und dann ein Schild mit großen Buchstaben: Nice, Nizza. |||time||bay||Villefranche|on||||||sailboats||||||||||||| And then the time has come: The bay of Villefranche-sur-Mer with countless small sailboats, a last long tunnel, and then a sign with big letters: Nice, Nizza. Es ist sommerlich warm, als wir aussteigen. ||summery|||| It is summery warm as we get off. Das weiche Nachmittagslicht fällt durch die Bahnhofsfenster. ||afternoon light||||train station windows The soft afternoon light falls through the station windows. Alexander Petrowitsch drückt zum Abschied fest die Hand. ||presses||farewell||| Alexander Petrowitsch firmly shakes hands for goodbye. Alexander Petrovich se da la mano con firmeza a modo de despedida.