Chima über den Umgang mit der AfD, Stereotype und Frankfurt
Wenn wir beim Ordnungsamt ankommen,
und irgendwelche Leute sitzen da hinterm Schreibtisch,
und duzen mich und meine Mutter, dann weißt du, was da los ist.
Bist du bescheuert? Wie, "Du"?
Ich bin Chima, ich bin 46 Jahre alt, ich wohne in Frankfurt am Main.
Ich bin Musiker und Autor.
Und meine Eltern kommen aus Nigeria.
Ich komme aus nem Kontext,
wo Maskulinität, Härte, Strenge, Dominanz ne große Rolle spielt.
Mein Vater hat mir relativ früh schon mitgegeben,
dass ich mich doppelt anstrengen muss, für die gleichen Dinge,
die meine Freunde auch erreichen wollen.
Doppelt so gute Leistungen, doppelt so akkurat in der Selbstpräsentation.
Die Haare mussten gekämmt werden,
man musste immer sehr gediegen gekleidet sein.
Dein Erscheinungsbild war ihm total wichtig.
Ein Satz, der mir bis heute nachhallt, ist:
"Du repräsentierst ganz Afrika."
Die Leute sehen in dir nicht ein Individuum,
sondern sie sehen in dir den,
der repräsentativ für ein komplettes Land oder einen kompletten Kontinent
ne Projektionsfläche ist.
Ich glaub, bis zu meinem 13., 14. Lebensjahr
hielt ich meinen Vater für einen Wahnsinnigen,
stellenweise einfach paranoiden Menschen,
der weit, weit weg von jeder Realität ist.
Und dann gab es tatsächlich Erlebnisse,
die dafür gesorgt haben, dass ich begriffen hab,
dass der nicht so far out ist, wie ich das immer dachte.
Es gab eine Situation bei einer guten Freundin,
wo die Mutter mich irgendwie rausgeschmissen hatte.
Und zwar auf Basis der Tatsache, dass ich so aussehe wie ich aussehe.
Sie hat mich an der Tür schon empfangen und war seltsam.
Ich hab extra deutlich gesprochen, ich hab die Tür weit offen gelassen.
Ich glaub, mit 14, 15 wusste ich schon,
dass man darauf tunlichst achtet.
Weils da auch Ressentiments gibt,
und Stereotypen, die man so schwarzen Jungs nachsagt.
Hab alles irgendwie ziemlich korrekt gemacht,
dann kam sie aber trotzdem nach ner Viertelstunde und meinte,
sie könne nicht damit umgehen, dass ihre Tochter mit mir verkehrt,
und würde mich deswegen bitten, die Wohnung zu verlassen.
Ich glaube, in dem Augenblick hab ich mit 15 Jahren
das allererste Mal begriffen, dass mein Vater nicht wahnsinnig ist;
dass es tatsächlich so was gibt wie Diskriminierung oder Rassismus,
dass Menschen mich tatsächlich beurteilen aufgrund meiner Hautfarbe.
Ich glaub, die Entscheidung, besonders sein zu wollen,
hab ich ganz bewusst entschieden,
auf dem Schulhof des Gymnasiums, auf dem ich war, in der 6.Klasse.
Irgendwann habe ich in den Himmel geschaut und dachte mir tatsächlich,
lieber Gott, ich weiß nicht warum ich so eine dicke Nase haben muss,
so dicke Lippen haben muss und so einen seltsamen Namen haben muss.
Ich würde am liebsten gerne Markus heißen,
und ich will besonders sein und ich will jetzt Rapper sein.
Ich glaube,
ich bin der Strenge meines Vaters entwachsen mit den Dreads.
Und ich glaube, je länger diese Haare wurden,
und je öfter ich meinem Vater mit diesen Haaren begegnet bin,
desto eher habe ich mich emanzipiert von seinem Erziehungsdiktat.
Frankfurt ist ne sehr amerikanisch geprägte Stadt.
Wir haben hier eine große Population an Armeemitarbeitern gehabt.
Es gab hier irgendwie Plattenläden noch und nöcher,
weil es auch nen Club gab, oder diverse Clubs.
Die ham halt ihre Kultur hier reingebracht,
und unsere Kids wollten so sein wie die.
Als dann der Rap kam, für mich war das eine Sensation,
weil ich das erste Mal repräsentiert war,
also als Mensch mit dunkler Hautfarbe.
Auf einmal gab's die Möglichkeit, schwarz zu sein und cool zu sein.
Ich glaube, ich gucke auf das politische Deutschland
aus ner traditionell geprägten Kindheit,
und nem traditionellen Verständnis von Gemeinschaft,
weil ich mag die Idee von Heimat,
ein Platz, dem man sich zugehörig fühlt.
Leute fragen mich ganz oft, wie ich z.B. zu der AfD stehe.
Und ich bin der festen Überzeugung,
dass eine Demokratie, wenn sie funktioniert, wehrhaft sein muss.
Und d.h. dass die Institutionen so gewachsen und so etabliert sind,
dass man irgendwie auch mit extremen Tendenzen umzugehen wüsste.
Ich finde es super, dass diese Stimmen vertreten sind im Parlament,
weil mir das 10.000 mal lieber ist, als in irgendwelchen Spelunken
in der Innenstadt oder außerhalb von Frankfurt,
wo dann bio-deutsche Heinz' und Stefans und Manfreds zusammensitzen,
und dann werden die Parolen rausgehauen.
Damit kann man nicht umgehen, damit kann man nicht arbeiten,
weil es völlig unter dem Radar stattfindet.
Ich glaube, solange wir nicht darüber sprechen,
wird das explosiver hier.
Weil, es gibt Menschen, die haben diese Gedanken,
die wollen darüber sprechen.
Ich bin für Deutschland,
und ich glaube, Deutschland wird das aushalten.
Vor allem darf man gerade Deutschland nicht verdenken,
dass das hier alles sehr explosiv diskutiert wird,
nachdem man knapp 2 Mio. fremde Menschen aufgenommen hat.
Gebt denen doch die Zeit und den Raum,
dass erst mal zu verdauen.
Und ich glaub, das passiert gerade eben.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von funk (2019)