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www.deutschland.de, Documenta

Documenta

Kunstsommer in Deutschland: Fünf grosse Ausstellungen lohnen eine Reise zur Kunst. Im Mittelpunkt steht das Museum der 100 Tage, die Documenta in Kassel. Sie will einen Erfahrungsraum schaffen und zeigen, dass in der Welt alles mit allem zusammenhängt.

Da sind wir also de Kunst ins Netz gegangen. Tänzerinnen winden sich durch ein Gitter aus Seilen und darin verfangenen Kleidungsstücken. Die Besucher recken sich, um dem Körperspiel zu folgen. Und schon sind sie mittendrin im gemeinsamen Medium, in der Austellung und im Beziehungsgeflecht der Document.

Die New Yorker Tanzrevolutionärin Trisha Brown bespielt einen zentralen Raum des Museums Fridericianum mit ihrer Performance. Ein 37 Jahre altes Stück in der nur alle fünf Jahre ausgerichteten weltweit bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Kassel? Gleich nebenan scheinen geschwungen Stahlrohre mit Plexiglassegeln die Bewegungen des Tanzes aufzunehmen und mäandern leicht und licht durch den Raum, brechen sogar zur Aussenwand durch. Setzt sich die Performance von 1970 in der 2007 geschaffenen Skulptur der Brasilianerin Lola de Freitas – selbst eine Tänzerin übrigens – fort?

Die Documenta-Macher Roger M. Buergel und Ruth Noack sprechen von der Migration der Form als einem Leitgedanken ihrer Ausstellung: Die 500 Kunstwerke von 113 Künstlerinnen und Künstlern – unter ihnen sehr viele aus Afrika, Asien und Lateinamerika – werden in Bezug zuneinander gesetzt, historisch und ästhetisch. Globalisierung ist keine Erfindung der Gegenwart: Deshalb gibt es in der Schau immer wieder Rückgriffe auf alte Kunst wie die persische Miniatur aus dem 14.

Jahrhundert. Sie zeigt eine im typischen Stil gezeichnete persische Landschaft – mit einem chinesischen Bach: Der persische Künstler hat sich die Technik der stilierten Wellen in China abgeschaut. Darum kreisen die Gedankenspiele dieser zwölften Documenta – was geschieht, wenn Formen wandern.

Natürlich geht es dabei nicht nur um die Form, sondern um den Inhalt. Das machen schon die drei etwas kopflastigen Leitfragen deutlich, die diese Schau Künstlern und Publikum aufgibt und die uns wie drei Mantras durch die Ausstellungsorte Fridericianum, Documentahalle, Neue Galerie, Aue-Pavillons bis zum Museum in Schloss Wilhelmshöhe begleiten: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das blosse Leben? Und: Was tun?

Aber will man der Kunst nur mit Gedankenschwere begegnen, einen Bildungsauftrag entschlüsseln? Wir würden uns gern auch mal treiben lassen, etwas für uns entdecken, erschliessen – geniessen -, ganz ohne die Hintergründe im Katalog nachzulesen. Aber das macht diese Documenta schwer. Was sagte uns die mitleiderrregend schlecht ausgestopfte Giraffe Brownie, Publikumsliebling der Documenta, wenn wir nicht gelesen hätten, dass sie einmal in dem einzigen palästinensischen Zoo lebte und bei Schießerreien während der zweiten Intifada starb. Aus Panik. Sicher: Man sieht nur, was man weiss – das von Kunsthistorikern gern bemühte Zitat gilt immer.

Und doch: Besonders schwer wiegt die Fülle gesellschaftspolitischer Konzeptkunst im Hauptausstellungsort, den eingens errichteten gläserner Pavillons in der Karlsaue. Wie Gewächshäuser liegen sie auf der Rasenfläche vor dem Orangerieschloss. Von den französischen Architekten ware sie durchsichtig geplant, jetzt sind sie verhüllt – wegen der Sonne.

Innen dröhnt die Klimatasierung und zeigt sich die Kunst in gedämpftem Licht, auf rotem Asphalt. Vielleicht liegt es auch an dieser Präsentation mit dem Charme des Rahmenprogramms eines NGO-Gipfels, die das Gefühl vermittelt, überall lauere Belehrung – über die Folgen der Gentechnologie, über Kolonialisierung. Imperialismus, Missbrauch. Einiges wirkt schon man gesehen – wie die zivilisationskritischen Serienfotos der US-Amerikanerin Zoe Leonard. Manches ist wirklich aus den 60ern – wie die Instalattionen von Charlotte Posesenske.

Mit leichterer Hand hat es dagegen Ai Weiwei aus Peking geschafft, Menschen zu bewegen und einen neuen Blick auf die Welt zu werfen: Für sein Projekt Fairy-tale holte er 1001 Chinesen in die Brüder-Grimm-Stadt Kassel. Er setzte sie der Fremde auf der anderen Seit des Globus aus, konfrontierte ihre Bilder im Kopf mit der Wirklichkeit.

Eine soziale Skulptur, ein Globalisierungsmärchen. Ai Weiwei gilt schon jetzt, lange bevor das Museum der 100 Tage am 23. September endet, als Star dieser auf grosse Namen verzichtenden Documenta. Das muss man ihr auch zugutehalten: Diese Weltkunstschau entzieht sich dem aktuellen, überhitzten Kunstmarkt, setzt auf Kunst von Aussenseitern, nicht auf Effekt – spinnt ihr eigenes Netz.

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Kunstsommer in Deutschland: Fünf grosse Ausstellungen lohnen eine Reise zur Kunst. Im Mittelpunkt steht das Museum der 100 Tage, die Documenta in Kassel. Sie will einen Erfahrungsraum schaffen und zeigen, dass in der Welt alles mit allem zusammenhängt.

Da sind wir also de Kunst ins Netz gegangen. Tänzerinnen winden sich durch ein Gitter aus Seilen und darin verfangenen Kleidungsstücken. Die Besucher recken sich, um dem Körperspiel zu folgen. Und schon sind sie mittendrin im gemeinsamen Medium, in der Austellung und im Beziehungsgeflecht der Document.

Die New Yorker Tanzrevolutionärin Trisha Brown bespielt einen zentralen Raum des Museums Fridericianum mit ihrer Performance. Ein 37 Jahre altes Stück in der nur alle fünf Jahre ausgerichteten weltweit bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Kassel? Gleich nebenan scheinen geschwungen Stahlrohre mit Plexiglassegeln die Bewegungen des Tanzes aufzunehmen und mäandern leicht und licht durch den Raum, brechen sogar zur Aussenwand durch. Setzt sich die Performance von 1970 in der 2007 geschaffenen Skulptur der Brasilianerin Lola de Freitas – selbst eine Tänzerin übrigens – fort?

Die Documenta-Macher Roger M. Buergel und Ruth Noack sprechen von der Migration der Form als einem Leitgedanken ihrer Ausstellung: Die 500 Kunstwerke von 113 Künstlerinnen und Künstlern – unter ihnen sehr viele aus Afrika, Asien und Lateinamerika – werden in Bezug zuneinander gesetzt, historisch und ästhetisch. Globalisierung ist keine Erfindung der Gegenwart: Deshalb gibt es in der Schau immer wieder Rückgriffe auf alte Kunst wie die persische Miniatur aus dem 14.

Jahrhundert. Sie zeigt eine im typischen Stil gezeichnete persische Landschaft – mit einem chinesischen Bach: Der persische Künstler hat sich die Technik der stilierten Wellen in China abgeschaut. Darum kreisen die Gedankenspiele dieser zwölften Documenta – was geschieht, wenn Formen wandern.

Natürlich geht es dabei nicht nur um die Form, sondern um den Inhalt. Das machen schon die drei etwas kopflastigen Leitfragen deutlich, die diese Schau Künstlern und Publikum aufgibt und die uns wie drei Mantras durch die Ausstellungsorte Fridericianum, Documentahalle, Neue Galerie, Aue-Pavillons bis zum Museum in Schloss Wilhelmshöhe begleiten: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das blosse Leben? Und: Was tun?

Aber will man der Kunst nur mit Gedankenschwere begegnen, einen Bildungsauftrag entschlüsseln? Wir würden uns gern auch mal treiben lassen, etwas für uns entdecken, erschliessen – geniessen -, ganz ohne die Hintergründe im Katalog nachzulesen. Aber das macht diese Documenta schwer. Was sagte uns die mitleiderrregend schlecht ausgestopfte Giraffe Brownie, Publikumsliebling der Documenta, wenn wir nicht gelesen hätten, dass sie einmal in dem einzigen palästinensischen Zoo lebte und bei Schießerreien während der zweiten Intifada starb. Aus Panik. Sicher: Man sieht nur, was man weiss – das von Kunsthistorikern gern bemühte Zitat gilt immer.

Und doch: Besonders schwer wiegt die Fülle gesellschaftspolitischer Konzeptkunst im Hauptausstellungsort, den eingens errichteten gläserner Pavillons in der Karlsaue. Wie Gewächshäuser liegen sie auf der Rasenfläche vor dem Orangerieschloss. Von den französischen Architekten ware sie durchsichtig geplant, jetzt sind sie verhüllt – wegen der Sonne.

Innen dröhnt die Klimatasierung und zeigt sich die Kunst in gedämpftem Licht, auf rotem Asphalt. Vielleicht liegt es auch an dieser Präsentation mit dem Charme des Rahmenprogramms eines NGO-Gipfels, die das Gefühl vermittelt, überall lauere Belehrung – über die Folgen der Gentechnologie, über Kolonialisierung. Imperialismus, Missbrauch. Einiges wirkt schon man gesehen – wie die zivilisationskritischen Serienfotos der US-Amerikanerin Zoe Leonard. Manches ist wirklich aus den 60ern – wie die Instalattionen von Charlotte Posesenske.

Mit leichterer Hand hat es dagegen Ai Weiwei aus Peking geschafft, Menschen zu bewegen und einen neuen Blick auf die Welt zu werfen: Für sein Projekt Fairy-tale holte er 1001 Chinesen in die Brüder-Grimm-Stadt Kassel. Er setzte sie der Fremde auf der anderen Seit des Globus aus, konfrontierte ihre Bilder im Kopf mit der Wirklichkeit.

Eine soziale Skulptur, ein Globalisierungsmärchen. Ai Weiwei gilt schon jetzt, lange bevor das Museum der 100 Tage am 23. September endet, als Star dieser auf grosse Namen verzichtenden Documenta. Das muss man ihr auch zugutehalten: Diese Weltkunstschau entzieht sich dem aktuellen, überhitzten Kunstmarkt, setzt auf Kunst von Aussenseitern, nicht auf Effekt – spinnt ihr eigenes Netz.