15. Emil besucht das Polizeipräsidium
Fünfzehntes Kapitel - Emil besucht das Polizeipräsidium
Der Zug marschierte zur nächsten Polizeiwache. Der Schupo meldete einem Wachtmeister, was geschehen sei. Emil ergänzte den Bericht. Dann mußte er sagen, wann und wo er geboren wurde, wie er heiße und wo er wohne. Und der Wachtmeister schrieb alles auf. Mit Tinte. »Und wie heißen Sie?« fragte er den Dieb. »Herbert Kießling«, sagte der Kerl. Da mußten die Jungen- Emil, Gustav und der Professor - laut lachen. Und der Bankbeamte, der dem Wachtmeister die hundertvierzig Mark übergeben hatte, schloß sich ihnen an. »Mensch, so eine Rübe!« rief Gustav. »Erst hieß er Grundeis. Dann hieß er Müller. Jetzt heißt er Kießling! Nun bin ich ja bloß gespannt, wie er in Wirklichkeit heißt!« »Ruhe!« knurrte der Wachtmeister. »Das kriegen wir auch noch raus. «Herr Grundeis-Müller-Kießling nannte daraufhin seine augenblickliche Adresse, das Hotel Kreid. Dann den Geburtstag und seine Heimat, Ausweispapiere habe er keine. »Und wo waren Sie bisgestern?« fragte der Wachtmeister. »In Groß-Grünau«, erklärte der Dieb. »Das ist bestimmt schon wieder gelogen«, rief der Professor. »Ruhe!« knurrte der Wachtmeister. »Das kriegen wirauch noch raus.« Der Bankbeamte erkundigte sich, ob er gehen dürfe. Dann wurden noch seine Personalien notiert. Er klopfte Emil freundlich auf die Schulter und verschwand. »Haben Sie gestern nachmittag dem Realschüler Emil Tischbein aus Neustadt im Berliner Zuge hundertvierzig Mark gestohlen, Kießling?« fragte der Wachtmeister. »Jawohl«, sagte der Dieb düster. »Ich weiß auch nicht, das kam ganz plötzlich. Der Junge lag in der Ecke und schlief. Und da fiel ihm das Kuvert heraus. Und da hob ich es auf und wollte bloß mal nachsehen, was drinwäre. Und weil ich grade kein Geld hatte...« »So ein Schwindler!« rief Emil. »Ich hatte das Geld in der Jackentasche festgesteckt. Es konnte gar nicht herausfallen!« »Und so nötig hat er's bestimmt nicht gebraucht. Sonst hätte er Emils Geld nicht noch vollzählig in der Tasche gehabt. Er hat doch unterdessen Auto und Eier im Glas und Bier bezahlen müssen«, bemerkte der Professor. »Ruhe!« knurrte der Wachtmeister. »Das kriegen wirauch noch raus.« Und er notierte alles, was erzählt wurde. »Könnten Sie mich vielleicht auf freien Fuß setzen, Herr Wachtmeister?« fragte der Dieb und schielte vor lauter Höflichkeit. »Ich hab ja den Diebstahl zugegeben. Und wo ich wohne, wissen Sie auch. Ich habe geschäftlich in Berlin zu tun und möchte ein paar Gänge erledigen.« »Daß ich nicht lache!« sagte der Wachtmeister ernst und rief das Polizeipräsidium an: es solle einen Wagen schicken; in seinem Revier sei ein Eisenbahndieb gefaßt worden. "Wann kriege ich denn mein Geld?" fragte Emilbe sorgt. "Im Polizeipräsidium", sagte der Wachtmeister. "Ihr fahrt jetzt gleich hinüber. Und dort wird sich alles finden." "Emil, Mensch", flüsterte Gustav, "nun mußt du in der Grünen Minna zum Alex!" "Quatsch!" sagte der Wachtmeister. "Hast du Geld, Tischbein?" "Jawohl!" erklärte Emil. "Die Jungen haben gestern gesammelt. Und der Portier aus dem Hotel Kreid hat mir zehn Mark geborgt." "Die reinsten Detektive! Ihr verfluchten Kerle!" knurrte der Wachtmeister. Doch das Knurren klang sehr gutmütig. "Also, Tischbein, du fährst mit der Untergrundbahn zum Alexanderplatz und meldest dich bei Kriminalwachtmeister Lurje. Das Weitere wirst du dann schon merken. Auch dein Geld kriegst du dort wieder." "Darf ich erst dem Portier die zehn Mark zurückbringen?" erkundigte sich Emil. "Natürlich." Wenige Minuten später kam das Kriminalauto. Und Herr Grundeis-Müller-Kießling mußte einsteigen. Der Wachtmeister gab einem Schupo, der im Wagen saß, den schriftlichen Bericht und die hundertvierzig Mark. Die Stecknadel auch. Und dann gondelte die Grüne Minna fort. Die Kinder, die auf der Straße standen, schrien hinter dem Dieb her. Aber der rührte sich nicht. Wahrscheinlich war er zu stolz, weil er in einem Privatauto fahren durfte. Emil gab dem Wachtmeister die Hand und bedankte sich. Dann teilte der Professor den Kindern, die vor der Wache gewartet hatten, mit, das Geld erhalte Emil am Alex, und die Jagd wäre erledigt. Da zogen die Kinder, in großen Trupps, wieder heim. Nur die engeren Bekannten brachten Emil zum Hotel und zum Bahnhof Nollendorf-platz. Und er bat sie, nachmittags den kleinen Dienstag anzurufen. Der würde dann wissen, wie alles verlaufen wäre. Und er hoffe sehr, sie noch einmal zu sehen, ehe er nach Neustadt zurückführe. Und er danke ihnen schon jetzt von ganzem Herzen für ihre Hilfe. Und das Geld bekämen sie auch wieder. "Wenn du es wagst, uns das Geld wiederzugeben,kriegst du den Buckel voll, Mensch!" rief Gustav. "Übrigens müssen wir auch noch boxen. Wegen deines drolligen Anzugs." "Ach, Mensch!" sagte Emil und faßte Gustav und den Professor an den Händen, "ich bin so guter Laune! Das Boxen lassen wir am besten sein. Ich brächte es vor lauter Rührung nicht übers Herz, dich für die Zeit zu Boden zu schicken." "Das würde dir auch nicht gelingen, wenn du schlechter Laune wärst, du Lümmel!" rief Gustav. Und dann fuhren die drei zum Alexanderplatz ins Polizeipräsidium, mußten durch viele Korridore laufen und an unzähligen Zimmern vorbei. Und schließlich fanden sie den Kriminalwachtmeister Lurje. Der frühstückte gerade. Emil meldete sich. "Aha!" sagte Herr Lurje und kaute. "Emil Stuhlbein. Jugendlicher Amateurdetektiv. Telefonisch schon gemeldet. Der Kriminalkommissar wartet. Will sich mit dir unterhalten. Komm mal mit!" "Tischbein heiß ich", korrigierte Emil. "Jacke wie Hose", sagte Herr Lurje und biß von neuem in die Stulle. "Wir warten hier auf dich", meinte der Professor. Und Gustav rief Emil nach: "Mach schnell, Mensch! Wenn ich wen kauen sehe, kriege ich immer gleich Hunger!" Herr Lurje spazierte durch mehrere Gänge, links, rechts, wieder links. Dann klopfte er an eine Tür. Eine Stimme rief: "Herein!" Lurje öffnete die Tür ein wenig und sagte kauend: "Der kleine Detektiv ist da, Herr Kommissar. Emil Fischbein, Sie wissen schon." "Tischbein heiß ich", erklärte Emil nachdrücklich. "Auch 'n ganz hübscher Name", sagte Herr Lurje und gab Emil einen Stoß, daß er in das Zimmer purzelte. Der Kriminalkommissar war ein netter Herr. Emil mußte sich in einen bequemen Sessel setzen und die Diebsgeschichte haarklein und von Anfang anerzählen. Zum Schluß sagte der Kommissar feierlich: "So, und nun bekommst du auch dein Geld wieder." "Gott sei getrommelt!" Emil atmete befreit auf undsteckte das Geld ein. Und zwar besonders vorsichtig. "Laß dir's aber nicht wieder klauen!" "Nein! Ausgeschlossen! Ich bring's gleich zur Großmutter!" "Richtig! Bald hätte ich's vergessen. Du mußt mir deine Berliner Adresse geben. Bleibst dunoch ein paar Tage hier?" "Ich möchte schon", sagte Emil. "Ich wohne Schumannstraße 15. Bei Heimbold. So heißt mein Onkel. Die Tante übrigens auch." "Wunderbar habt ihr das gemacht, ihr Jungen", meinte der Kommissar und steckte sich eine dicke Zigarre an. "Die Kerls haben glänzend funktioniert, wirklich wahr!" rief Emil begeistert. "Dieser Gustav mit seiner Hupe, und der Professor, und der kleine Dienstag, und Krummbiegel und die Gebrüder Mittenzwey, überhaupt alle. Es war direkt ein Vergnügen, mit ihnen zuarbeiten. Vor allem der Professor, das ist ein Aas!" "Na ja, du bist auch nicht grade aus Pfefferkuchen!" meinte der Herr und qualmte. "Was ich noch fragen wollte, Herr Kommissar, - was wird denn nun aus dem Grundeis oder wie mein Dieb sonst heißt?" "Den haben wir zum Erkennungsdienst gebracht. Dort wird er photographiert. Und seine Fingerabdrücke werden genommen. Und nachher vergleichen wir sein Bild und die Abdrücke mit den Photos in unsrer Kartothek." "Was ist denn das?" "Da haben wir alle schon einmal bestraften Verbrecher abgebildet. Und dann haben wir auch Abdrücke, Fußspuren und ähnliches von solchen Verbrechern, die man noch nicht erwischt hat und die man sucht. Denn es wäre ja möglich, daß der Mann, der dich bestohlen hat, auch noch andere Diebstähle und Einbrüche ausführte, ehe er dich um dein Geld brachte. Nicht wahr?" "Das stimmt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht!" "Moment", sagte der nette Kommissar. Denn das Telefon läutete. "Jawohl... interessante Sache für Sie... kommen Sie doch mal in mein Zimmer..." sprach er in den Apparat. Dann hängte er ab und sagte: "Jetzt werden gleich ein paar Herren von der Zeitung erscheinen und dich interviewen." "Was ist denn das?" fragte Emil. "Interviewen heißt ausfragen." "Nicht möglich!" rief Emil. "Da komme ich sogar noch in die Zeitung?" "Wahrscheinlich", sagte der Kommissar. "Wenn ein Realschüler einen Dieb fängt, wird er eben berühmt." Dann klopfte es. Und vier Herren traten ins Zimmer. Der Kommissar gab ihnen die Hand und erzählte kurz Emils Erlebnisse. Die vier Herren schrieben fleißig nach. "Wunderbar!" sagte zum Schluß einer der Reporter. "Der Knabe vom Lande als Detektiv." "Vielleicht engagieren Sie ihn für den Außendienst?" riet ein anderer und lachte. "Warum bist du denn nicht sofort zu einem Schupo gegangen und hast ihm alles gesagt?" fragte ein dritter. Emil bekam es mit der Angst. Er dachte an Wachtmeister Jeschke in Neustadt und an den Traum. Jetzt ging's ihm an den Kragen. "Na?" ermunterte der Kommissar. Emil zuckte mit den Achseln und sagte: "Also schön! Weil ich in Neustadt dem Denkmal von Großherzog Karl eine rote Nase und einen Schnurrbart angemalthabe. Bitte, verhaften Sie mich, Herr Kommissar! "Da lachten die fünf Männer, anstatt entsetzte Gesichter zu ziehen. Und der Kommissar rief: "Aber Emil, wirwerden doch nicht einen unsrer besten Detektive ins Gefängnis sperren!" "Nein? Wirklich nicht? Na, da bin ich aber froh", sagte der Junge erleichtert. Dann ging er auf einen der Reporter zu und fragte: "Kennen Sie mich denn nicht mehr?" "Nein", sagte der Herr. "Sie haben mir doch gestern auf der Linie 177 das Straßenbahnbillett bezahlt, weil ich kein Geld hatte." "Richtig!" rief der Herr. "Jetzt entsinne ich mich. Du wolltest noch meine Adresse wissen, um mir den Groschen wiederzubringen." "Wollen Sie ihn jetzt haben?" fragte Emil und suchte zehn Pfennig aus der Hosentasche heraus. "Aber Unsinn", meinte der Herr. "Du stelltest dich doch sogar vor." "Freilich", erklärte der Junge. "Das tue ich oft. Emil Tischbein ist mein Name." "Ich heiße Kästner", sagte der Journalist, und sie gaben sich die Hand. "Großartig!" rief der Kommissar, "alte Bekannte!" "Hör mal, Emil", sagte Herr Kästner, "kommst du ein bißchen zu mir auf die Redaktion? Vorher essen wir irgendwo Kuchen mit Schlagsahne." "Darf ich Sie einladen?" fragte Emil. "So. ein ehrgeiziger Bengel!" Die Herren lachten vor Vergnügen. "Nein, bezahlen mußt du mich lassen", sagte Herr Kästner. "Sehr gern", meinte Emil. "Aber der Professor und Gustav warten draußen auf mich." "Die nehmen wir selbstverständlich mit", erklärte Herr Kästner. Die andern Journalisten hatten noch allerlei zu fragen. Emil gab ihnen genaue Auskunft. Und sie machten sich wieder Notizen. "Ist der Dieb eigentlich ein Neuling?" fragte einer von ihnen. "Ich glaube es nicht", antwortete der Kommissar. "Vielleicht erleben wir sogar noch eine große Überraschung. Rufen Sie mich auf alle Fälle in einer Stunde noch einmal an, meine Herren. "Dann verabschiedete man sich. Und Emil ging mit Herrn Kästner zu Kriminalwachtmeister Lurje zurück. Der kaute noch immer und sagte: "Aha, der kleine Überbein!" "Tischbein", sagte Emil. Dann verfrachtete Herr Kästner Emil, Gustav und den Professor in einem Auto und fuhr mit ihnen erst mal in eine Konditorei. Unterwegs hupte Gustav. Und sie freuten sich, als Herr Kästner erschrak. In der Konditorei waren die Jungen sehr fidel. Sie aßen Kirschtorte mit viel Schlagsahne und erzählten, was ihnen gerade einfiel: von dem Kriegsrat am Nikolsburger Platz, von der Autojagd, von der Nacht im Hotel, von Gustav als Liftboy, von dem Skandal in der Bank. Und Herr Kästner sagte zum Schluß: "Ihr seid wirklich drei Prachtkerle. "Und da wurden sie sehr stolz auf sich selber und aßen noch ein Stück Torte. Nachher stiegen Gustav und der Professor auf einen Autobus. Emil versprach, am Nachmittag den kleinen Dienstag anzurufen, und fuhr mit Herrn Kästner in die Redaktion. Das Zeitungsgebäude war riesengroß. Fast so groß wie das Polizeipräsidium am Alex. Und auf den Korridoren war ein Gerenne und Gesause, als sei ein Hindernislauf im Gange. Sie kamen in ein Zimmer, in dem ein hübsches blondes Fräulein saß. Und Herr Kästner lief im Zimmer auf und ab und diktierte das, was Emil erzählt hatte, dem Fräulein in die Schreibmaschine. Manchmal blieb erstehen, fragte Emil: "Stimmt's?" Und wenn Emil genickt hatte, diktierte Herr Kästner weiter. Dann rief dieser noch einmal den Kriminalkommissar an. "Was sagen Sie?" rief Herr Kästner. "Na, das ist ja toll... Ich soll's ihm noch nicht erzählen? ... Sooo, auch noch? ... Das freut mich ungemein ... Haben Sie vielen Dank!... Das wird eine glänzende Sensation..." Er hängte ab, betrachtete den Jungen, als ob er ihn noch gar nicht gesehen hätte, und sagte: "Emil, komm mal rasch mit! Wir müssen dich photographieren lassen!" "Nanu", meinte Emil erstaunt. Aber er ließ sich alles gefallen, fuhr mit Herrn Kästner drei Etagen höher, in einen hellen Saal mit vielen Fenstern, er kämmte sich erst die Haare, und dann wurde er photographiert. Anschließend ging Herr Kästner mit ihm in die Setzerei - das war ein Geklapper, wie von tausend Schreibmaschinen! -, gab einem Mann die Seiten, die das hübsche blonde Fräulein getippt hatte, und sagte, er käme sofort wieder herauf, denn es wäre was sehr Wichtiges, und er müsse nur erst den Jungen zu seiner Großmutter schicken. Dann fuhren sie mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß und traten vor den Verlag. Herr Kästner winkte ein Auto heran, setzte Emil hinein, gab dem Chauffeur Geld, obwohl der Junge es nicht erlauben wollte, und sagte: "Fahren Sie meinen kleinen Freund in die Schumannstraße, Nummer 15. "Sie schüttelten sich herzlich die Hände. Und Herr Kästner meinte: "Grüße deine Mutter, wenn du nach Hause kommst. Es muß eine sehr liebe Frau sein." "Und ob", sagte Emil. "Und noch eins", rief Herr Kästner, als das Auto schon fuhr, "lies heute nachmittag die Zeitung! Du wirst dich wundern, mein Junge!" Emil drehte sich um und winkte. Und Herr Kästner winkte auch. Dann sauste das Auto um eine Ecke.