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Effi Briest (Graded Reader), Kapitel 4. Herbstliche Ausritte

Kapitel 4. Herbstliche Ausritte

Mitte August war Effi abgereist, Ende September war sie wieder in Kessin. Als Effi das Kessiner Haus betrat, war sie im ersten Moment traurig. Die sechs Wochen in Hohen-Cremmen waren voller Glück gewesen. Jeden Morgen hatte sie mit Frau von Briest am offenen Fenster gesessen und geplaudert, danach hatte sie oft einen Spaziergang mit Briest gemacht. Hulda wartete immer noch auf Mann oder Bräutigam und war deshalb schlechter Laune gewesen, aber mit den Zwillingen hatte sie gespielt wie früher.

Die Tage waren schön und blieben es bis in den Oktober hinein. Vormittags war man oft in der Veranda. So nannten sie das Zelt, das sie schon im Sommer neben dem Haus aufgebaut hatten. Es war ein wunderbarer Platz, der allen gefiel, die hier vorbeikamen. Gegen elf kam oft der Major von Crampas, um mit der gnädigen Frau zu sprechen und dann mit Innstetten auszureiten. Wenn die Herren fort waren, spielte Effi mit ihrem Kind, las Zeitungen und Journale, schrieb Briefe oder sagte: „Roswitha, wir wollen mit Annie spazieren fahren.“ In die Stadt ging Effi selten, es war niemand da, mit dem sie hätte plaudern können.

Das ging eine Weile so, bis Effi plötzlich den Wunsch hatte, mit den beiden Männern ausreiten zu dürfen. „Das ist nun mal meine Passion, die Kessiner sollen reden, was sie wollen“, sagte sie.

Der Major fand es eine sehr gute Idee. Innstetten passte es weniger, und er sagte immer wieder, dass man bestimmt kein Damenpferd finden würde. Aber Crampas versprach, sich darum zu kümmern. So konnte Innstetten nicht mehr nein sagen.

Crampas fand ein Damenpferd. Effi war glücklich, dass sie nun reiten konnte. Meist war auch Rollo dabei, außerdem kamen nun auch Crampas Diener Knut und der Kutscher Kruse mit.

Ende Oktober begann die Wahlkampagne. Innstetten hatte keine Zeit mehr, und Crampas und Effi hätten jetzt wegen der lieben Kessiner wohl auch nicht mehr zusammen ausreiten sollen. Aber da Knut und Kruse dabei waren, machten sie bis in den November hinein Spazierritte. Das Wetter war nun grau und windig und das Meer schäumte. Die Ausflüge waren fast noch schöner, als sie vorher bei Sonnenschein und ruhigem Wasser gewesen waren. Crampas erzählte Effi kleine Geschichten aus dem Krieg und Dinge über Innstetten. Innstetten hatte in seiner Regimentszeit eigentlich nie recht zu den anderen gepasst, weil er so ernst war.

„Und dazu kam noch seine Mystik“, erzählte Crampas.

„Mystik? Er? Was meinen Sie damit?“

„Er erzählte uns gern Spukgeschichten. Und wenn einige dann Angst hatten, lachte er plötzlich über uns und schien selber nicht daran zu glauben. Aber einmal habe ich ihm gesagt: ‚Ach was, Innstetten, Sie wollen sich bloß interessant machen. In höheren Karrieren will man keine Alltagsmenschen, und da Sie Karriere machen wollen, sind Sie auf den Spuk gekommen.‘.“

Effi sagte kein Wort.

Crampas fragte besorgt: „Warum sagen Sie nichts? Sind Sie böse, dass ich über Innstetten ein klein wenig schlecht geredet habe?“

Nun erzählte Effi, was sie alles in ihrem Haus erlebt hatte. „Er sagte nicht ja und nicht nein zur Geschichte mit dem Chinesen, und ich bin nicht klug aus ihm geworden.“

„Also ganz der Alte“, lachte Crampas. „So war er damals auch schon, als wir in Liancourt und dann später in Beauvais waren. Er wohnte da in einem alten Haus, und jeden Tag, das heißt jede Nacht, passierten Innstetten unglaubliche Dinge. Aber immer nur so halb. Es konnte auch nichts sein. Und so arbeitet er heute noch, wie ich sehe.“

„Nun eine ernste Frage, Crampas, auf die ich eine ernste Antwort möchte: Warum tut er das?“

„Wenn Sie unbedingt meine Meinung hören wollen: Er denkt sich dabei, dass ein Mann wie Landrat Baron Innstetten, der jeden Tag Ministerialdirektor oder so werden kann, nicht in einem so gewöhnlichen – Verzeihung – Haus wohnen kann. Ein Spukhaus ist nie etwas Gewöhnliches … Das ist das eine.“

„Das eine? Mein Gott, und was ist das andere?“

„Innstetten will nicht nur Karriere machen, er hat auch eine zweite Passion: Er will immer erziehen, er ist der geborene Lehrer.“

„Und will er mich auch erziehen? Erziehen durch Spuk?“

„Erziehen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber indirekt doch.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Eine junge Frau ist eine junge Frau, und ein Landrat ist ein Landrat. Er ist oft nicht zu Hause, und dann ist das Haus allein. Ein solcher Spuk ist ein guter Wächter …“

Es war zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabschiedete sich und ritt in die Stadt hinein, bis er vor seiner Wohnung am Marktplatz hielt. Effi zog sich zu Hause um und versuchte zu schlafen. Sie konnte aber nicht einschlafen, weil ihr Ärger größer war als die Müdigkeit. Dass Innstetten von einem Spuk sprach, um nicht in einem ganz gewöhnlichen Haus zu wohnen, das ging gerade noch. Aber dass er den Spuk als Erziehungsmittel brauchte, war doch fast eine Beleidigung. Sie verstand, was Crampas gemeint hatte: eine Art Angstapparat aus Berechnung. Kalt und grausam. Aber plötzlich musste sie lachen. „Ich Kindskopf! Wer sagt denn, dass Crampas recht hat?“

Mitte November war das Wetter ein paar Tage sehr schlecht, dann wurde es wieder sonnig. Man beschloss, noch einmal auszureiten und an einem Ort, wo es windstill war, zu frühstücken; auch Innstetten, der einen freien Tag hatte, wollte mit.

Als Crampas kam, hielt Kruse schon das Pferd der gnädigen Frau. Effi stieg rasch auf und entschuldigte Innstetten, der wegen einer dringenden Angelegenheit nun doch nicht kommen konnte. Wie immer ritten sie zum Strand. Rollo war zuvorderst, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruse. Knut fehlte, weil er krank war. Schließlich kamen sie zu einem einfachen Tisch in den Dünen. Kruse stellte Brötchen und Wurst auf den Tisch, dazu eine Flasche Rotwein und zwei Gläser. Crampas und Effi setzten sich, während Kruse mit den Pferden auf und ab ging.

„Da bist du ja, Rollo. Für dich reicht unser Essen aber nicht. Was machen wir mit Rollo?“, fragte Effi und lachte.

„Ich denke, wir geben ihm alles; ich schon aus Dankbarkeit. Denn Rollo hat mich daran erinnert, dass ich Ihnen eine Geschichte erzählen wollte. Eine Liebesgeschichte, die Geschichte von Don Pedro … Haben Sie schon von König Pedro dem Grausamen gehört?“

„So halb. Aber bitte, erzählen Sie.“

„Nun also, in Don Pedros Schloss lebte ein schöner spanischer Ritter. Und dieser Ritter, den die Königin heimlich liebte, hatte einen wunderschönen Hund, wie Rollo.“

Rollo bellte, als er seinen Namen hörte.

„Und diese heimliche Liebe, die nicht ganz heimlich blieb, wurde dem König doch zu viel, und er beschloss, den Ritter für seine heimliche Liebe heimlich töten zu lassen.“

„Da hatte er recht.“

„Hören Sie nur weiter. Der König machte ein Fest für den Ritter, um dessen Heldentaten zu feiern. An einem langen, langen Tisch saßen alle wichtigen Personen des Landes. In der Mitte saß der König, und ihm gegenüber war der Platz für den Ritter. Man wartete schon ziemlich lange auf ihn, aber er kam immer noch nicht. So begann man das Fest ohne ihn. Und plötzlich hört man draußen das Schreien der Diener. Bevor jemand weiß, was geschehen ist, läuft etwas den langen Tisch entlang und springt auf den Stuhl und setzt einen abgeschlagenen Kopf auf den leer gebliebenen Platz. Und über den Kopf hinweg schaut Rollo dann den König an. Rollo war bei seinem Herrn gewesen, als diesem der Kopf abgeschlagen wurde, und das treue Tier hatte den Kopf an den Tisch gebracht. Da war der Hund nun, unser Freund Rollo, und klagte den König an.“

Effi war ganz still geworden. Endlich sagte sie: „Crampas, das ist eine sehr schöne Geschichte, und weil es eine sehr schöne Geschichte ist, will ich Ihnen verzeihen. Aber erzählen Sie mir doch lieber andere Geschichten. Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Ritter zu denken, den die Königin heimlich liebte … Rufen Sie bitte Kruse, damit er die Sachen hier wieder einpackt. Und wenn wir zurückreiten, müssen Sie mir was anderes erzählen, ganz was anderes.“

Kruse kam. Als er die Gläser nehmen wollte, sagte Crampas: „Kruse, das eine Glas, das lassen Sie stehen. Das werde ich selber nehmen.“

„Zu Befehl, Herr Major.“

Effi, die dies hörte, schüttelte den Kopf. Dann lachte sie. „Crampas, was fällt Ihnen eigentlich ein? Kruse ist dumm genug, über die Sache nicht weiter nachzudenken, und wenn er darüber nachdenkt, findet er glücklicherweise nichts. Aber Sie können doch nicht einfach dieses Glas nehmen …“

Crampas lachte nur.

„Nun denn, behalten Sie das Glas, aber das heißt nicht, dass das etwas bedeutet. Ich werde Innstetten davon erzählen.“

„Das werden Sie nicht tun, meine gnädigste Frau.“

„Warum nicht?“

„Innstetten ist nicht der Mann, der solche Dinge so sieht, wie man sie sehen muss.“

Sie sah ihn einen Moment streng an. Dann blickte sie verwirrt zu Boden.

Kapitel 4. Herbstliche Ausritte Chapter 4. autumn rides Capítulo 4. paseos otoñales Chapitre 4 : Balades à cheval en automne Hoofdstuk 4. herfsttochten Rozdział 4. Jesienne przejażdżki Capítulo 4. passeios de outono Глава 4. осенние прогулки Bölüm 4. Sonbahar Gezileri Розділ 4. Осінні прогулянки

Mitte August war Effi abgereist, Ende September war sie wieder in Kessin. Als Effi das Kessiner Haus betrat, war sie im ersten Moment traurig. Die sechs Wochen in Hohen-Cremmen waren voller Glück gewesen. Jeden Morgen hatte sie mit Frau von Briest am offenen Fenster gesessen und geplaudert, danach hatte sie oft einen Spaziergang mit Briest gemacht. Hulda wartete immer noch auf Mann oder Bräutigam und war deshalb schlechter Laune gewesen, aber mit den Zwillingen hatte sie gespielt wie früher.

Die Tage waren schön und blieben es bis in den Oktober hinein. Vormittags war man oft in der Veranda. So nannten sie das Zelt, das sie schon im Sommer neben dem Haus aufgebaut hatten. Es war ein wunderbarer Platz, der allen gefiel, die hier vorbeikamen. Gegen elf kam oft der Major von Crampas, um mit der gnädigen Frau zu sprechen und dann mit Innstetten auszureiten. Wenn die Herren fort waren, spielte Effi mit ihrem Kind, las Zeitungen und Journale, schrieb Briefe oder sagte: „Roswitha, wir wollen mit Annie spazieren fahren.“ In die Stadt ging Effi selten, es war niemand da, mit dem sie hätte plaudern können.

Das ging eine Weile so, bis Effi plötzlich den Wunsch hatte, mit den beiden Männern ausreiten zu dürfen. „Das ist nun mal meine Passion, die Kessiner sollen reden, was sie wollen“, sagte sie.

Der Major fand es eine sehr gute Idee. Innstetten passte es weniger, und er sagte immer wieder, dass man bestimmt kein Damenpferd finden würde. Aber Crampas versprach, sich darum zu kümmern. So konnte Innstetten nicht mehr nein sagen.

Crampas fand ein Damenpferd. Effi war glücklich, dass sie nun reiten konnte. Meist war auch Rollo dabei, außerdem kamen nun auch Crampas Diener Knut und der Kutscher Kruse mit.

Ende Oktober begann die Wahlkampagne. Innstetten hatte keine Zeit mehr, und Crampas und Effi hätten jetzt wegen der lieben Kessiner wohl auch nicht mehr zusammen ausreiten sollen. Aber da Knut und Kruse dabei waren, machten sie bis in den November hinein Spazierritte. Das Wetter war nun grau und windig und das Meer schäumte. Die Ausflüge waren fast noch schöner, als sie vorher bei Sonnenschein und ruhigem Wasser gewesen waren. Crampas erzählte Effi kleine Geschichten aus dem Krieg und Dinge über Innstetten. Innstetten hatte in seiner Regimentszeit eigentlich nie recht zu den anderen gepasst, weil er so ernst war.

„Und dazu kam noch seine Mystik“, erzählte Crampas.

„Mystik? Er? Was meinen Sie damit?“

„Er erzählte uns gern Spukgeschichten. Und wenn einige dann Angst hatten, lachte er plötzlich über uns und schien selber nicht daran zu glauben. Aber einmal habe ich ihm gesagt: ‚Ach was, Innstetten, Sie wollen sich bloß interessant machen. In höheren Karrieren will man keine Alltagsmenschen, und da Sie Karriere machen wollen, sind Sie auf den Spuk gekommen.‘.“

Effi sagte kein Wort.

Crampas fragte besorgt: „Warum sagen Sie nichts? Sind Sie böse, dass ich über Innstetten ein klein wenig schlecht geredet habe?“

Nun erzählte Effi, was sie alles in ihrem Haus erlebt hatte. „Er sagte nicht ja und nicht nein zur Geschichte mit dem Chinesen, und ich bin nicht klug aus ihm geworden.“ "He didn't say yes and he didn't say no to the story with the Chinese man, and I couldn't figure him out."

„Also ganz der Alte“, lachte Crampas. „So war er damals auch schon, als wir in Liancourt und dann später in Beauvais waren. Er wohnte da in einem alten Haus, und jeden Tag, das heißt jede Nacht, passierten Innstetten unglaubliche Dinge. Aber immer nur so halb. Es konnte auch nichts sein. Und so arbeitet er heute noch, wie ich sehe.“

„Nun eine ernste Frage, Crampas, auf die ich eine ernste Antwort möchte: Warum tut er das?“

„Wenn Sie unbedingt meine Meinung hören wollen: Er denkt sich dabei, dass ein Mann wie Landrat Baron Innstetten, der jeden Tag Ministerialdirektor oder so werden kann, nicht in einem so gewöhnlichen – Verzeihung – Haus wohnen kann. Ein Spukhaus ist nie etwas Gewöhnliches … Das ist das eine.“

„Das eine? Mein Gott, und was ist das andere?“

„Innstetten will nicht nur Karriere machen, er hat auch eine zweite Passion: Er will immer erziehen, er ist der geborene Lehrer.“

„Und will er mich auch erziehen? Erziehen durch Spuk?“

„Erziehen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber indirekt doch.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Eine junge Frau ist eine junge Frau, und ein Landrat ist ein Landrat. Er ist oft nicht zu Hause, und dann ist das Haus allein. Ein solcher Spuk ist ein guter Wächter …“

Es war zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabschiedete sich und ritt in die Stadt hinein, bis er vor seiner Wohnung am Marktplatz hielt. Effi zog sich zu Hause um und versuchte zu schlafen. Sie konnte aber nicht einschlafen, weil ihr Ärger größer war als die Müdigkeit. Dass Innstetten von einem Spuk sprach, um nicht in einem ganz gewöhnlichen Haus zu wohnen, das ging gerade noch. Aber dass er den Spuk als Erziehungsmittel brauchte, war doch fast eine Beleidigung. Sie verstand, was Crampas gemeint hatte: eine Art Angstapparat aus Berechnung. She understood what Crampas had meant: a kind of fear apparatus made of calculation. Kalt und grausam. Aber plötzlich musste sie lachen. „Ich Kindskopf! Wer sagt denn, dass Crampas recht hat?“

Mitte November war das Wetter ein paar Tage sehr schlecht, dann wurde es wieder sonnig. Man beschloss, noch einmal auszureiten und an einem Ort, wo es windstill war, zu frühstücken; auch Innstetten, der einen freien Tag hatte, wollte mit.

Als Crampas kam, hielt Kruse schon das Pferd der gnädigen Frau. Effi stieg rasch auf und entschuldigte Innstetten, der wegen einer dringenden Angelegenheit nun doch nicht kommen konnte. Wie immer ritten sie zum Strand. Rollo war zuvorderst, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruse. Knut fehlte, weil er krank war. Schließlich kamen sie zu einem einfachen Tisch in den Dünen. Kruse stellte Brötchen und Wurst auf den Tisch, dazu eine Flasche Rotwein und zwei Gläser. Crampas und Effi setzten sich, während Kruse mit den Pferden auf und ab ging.

„Da bist du ja, Rollo. Für dich reicht unser Essen aber nicht. Was machen wir mit Rollo?“, fragte Effi und lachte.

„Ich denke, wir geben ihm alles; ich schon aus Dankbarkeit. Denn Rollo hat mich daran erinnert, dass ich Ihnen eine Geschichte erzählen wollte. Eine Liebesgeschichte, die Geschichte von Don Pedro … Haben Sie schon von König Pedro dem Grausamen gehört?“

„So halb. Aber bitte, erzählen Sie.“

„Nun also, in Don Pedros Schloss lebte ein schöner spanischer Ritter. Und dieser Ritter, den die Königin heimlich liebte, hatte einen wunderschönen Hund, wie Rollo.“

Rollo bellte, als er seinen Namen hörte.

„Und diese heimliche Liebe, die nicht ganz heimlich blieb, wurde dem König doch zu viel, und er beschloss, den Ritter für seine heimliche Liebe heimlich töten zu lassen.“

„Da hatte er recht.“

„Hören Sie nur weiter. Der König machte ein Fest für den Ritter, um dessen Heldentaten zu feiern. An einem langen, langen Tisch saßen alle wichtigen Personen des Landes. In der Mitte saß der König, und ihm gegenüber war der Platz für den Ritter. Man wartete schon ziemlich lange auf ihn, aber er kam immer noch nicht. So begann man das Fest ohne ihn. Und plötzlich hört man draußen das Schreien der Diener. Bevor jemand weiß, was geschehen ist, läuft etwas den langen Tisch entlang und springt auf den Stuhl und setzt einen abgeschlagenen Kopf auf den leer gebliebenen Platz. Und über den Kopf hinweg schaut Rollo dann den König an. Rollo war bei seinem Herrn gewesen, als diesem der Kopf abgeschlagen wurde, und das treue Tier hatte den Kopf an den Tisch gebracht. Da war der Hund nun, unser Freund Rollo, und klagte den König an.“

Effi war ganz still geworden. Endlich sagte sie: „Crampas, das ist eine sehr schöne Geschichte, und weil es eine sehr schöne Geschichte ist, will ich Ihnen verzeihen. Aber erzählen Sie mir doch lieber andere Geschichten. Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Ritter zu denken, den die Königin heimlich liebte … Rufen Sie bitte Kruse, damit er die Sachen hier wieder einpackt. Und wenn wir zurückreiten, müssen Sie mir was anderes erzählen, ganz was anderes.“

Kruse kam. Als er die Gläser nehmen wollte, sagte Crampas: „Kruse, das eine Glas, das lassen Sie stehen. Das werde ich selber nehmen.“

„Zu Befehl, Herr Major.“

Effi, die dies hörte, schüttelte den Kopf. Dann lachte sie. „Crampas, was fällt Ihnen eigentlich ein? Kruse ist dumm genug, über die Sache nicht weiter nachzudenken, und wenn er darüber nachdenkt, findet er glücklicherweise nichts. Aber Sie können doch nicht einfach dieses Glas nehmen …“

Crampas lachte nur.

„Nun denn, behalten Sie das Glas, aber das heißt nicht, dass das etwas bedeutet. Ich werde Innstetten davon erzählen.“

„Das werden Sie nicht tun, meine gnädigste Frau.“

„Warum nicht?“

„Innstetten ist nicht der Mann, der solche Dinge so sieht, wie man sie sehen muss.“

Sie sah ihn einen Moment streng an. Dann blickte sie verwirrt zu Boden.