Die Emser Depesche - Wie fange ich einen Krieg an?
Wie fängt man in der Moderne einen Krieg an?
Früher war das ja leicht.
Man zerrt ein paar Bauern von den Feldern und marschiert gegen den Feind.
Aber heute hat der vermaledeite Pöbel ja Mitspracherecht!
Und der mag es aus irgend einem Grund nicht in sinnlosen Kämpfen auf den Schlachtfeldern
zu krepieren damit es seinen Vorgesetzten noch besser gehen könne.
Wie aber dann einen Krieg führen?
Lasst uns in dieser Sache einen Experten befragen: Hermann Göring:
„Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg, aber schließlich sind es
die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen,
und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen
Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen
Diese Methode funktioniert in jedem Land.“
Es ist also eigentlich ganz leicht: man lügt einfach.
Aber lügen ist unelegant; eine grobe Lösung für grobe Probleme.
Was, wenn ich es nötig habe, dass der andere wirklich zuerst angreift?
Was, wenn ich es brauche, dass der andere zuerst angreift, das Volk und meine Verbündeten
sich auf meine Seite schlagen und andere Länder sich aus der Sache heraushalten?
Was also, wenn ich einen mörderischen Krieg heraufbeschwören will, aber mit Stil?
Nun, dafür braucht es schon etwas mehr Geschick.
Und Glück. bergeweise Glück.
Unsere Geschichte spielt in Mitteleuropa, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
genauer: 1868.
Unsere erste Hauptfigur, Preußen, hat vor zwei Jahren im Deutschen Krieg Österreich besiegt.
Es hat mehrere norddeutsche Staaten annektiert
und sich mit den übrigen zum Norddeutschen Bund vereint.
Österreich ist außer Gefecht gesetzt und Preußen ist stärker als je zuvor.
Der Anschluss der süddeutschen Staaten und damit die Vereinigung Deutschlands ist jetzt
nicht mehr weit.
Aber es gibt noch eine Macht die das verhindert: Frankreich, unsere zweite Hauptfigur.
Frankreich war bisher die stärkste Macht auf dem Europäischen Festland.
Ein vereinigtes Deutschland könnte diese Position bedrohen.
Deswegen hatte die preußische Regierung nach seinem Sieg über Österreich versprechen müssen,
preußischen Einfluss nicht auf die süddeutschen Staaten auszubreiten.
Trotzdem war Napoleon III, der französische Kaiser, verärgert.
Er hatte gehofft, als Gegenleistung für die französische Neutralität während des Deutschen
Krieges preußische Gebiete zu bekommen.
Darauf hatte die Preußische Regierung aber keine Lust, und so verschlechterte sich das
französisch-preußische Verhältnis, das vorher recht gut gewesen war.
Frankreich verhinderte also den Anschluss der süddeutschen Staaten.
Preußen konnte aber nicht einfach in Frankreich einmarschieren.
Damit hätte es die Süddeutschen Staaten gegen sich aufgebracht, und möglicherweise
dafür gesorgt, dass andere europäische Großmächte sich auf die Seite Frankreichs gestellt hätten.
Beides hätte nicht nur die Vereinigung, sondern auch einen Sieg sehr schwierig gemacht.
Die französische Armee war der des Norddeutschen Bundes wenigstens was Zahlen angeht überlegen.
Preußen hatte zwar mit den Süddeutschen Staaten Defensivbündnisse geschlossen – entgegen
der Übereinkunft mit Frankreich – aber das waren eben nur Defensivbündnisse die
im Falle eines Angriffs wertlos gewesen wären.
Es war also für den Moment nichts zu machen.
Dann aber gab es in Spanien eine Revolution bei der die Königin abgesetzt wurde.
Was hatte das mit Preußen und Frankreich zu tun?
Nun, bei der Suche nach einem neuen König fiel der Blick schon schnell auf einen Deutschen
Prinzen: Leopold von Hohenzollern.
Leopold war ein guter Königskandidat.
Er war nicht zu alt und nicht zu jung; er war katholisch, aber nicht zu katholisch;
seine Frau war eine Portugiesische Prinzessin und er hatte bereits mehrere Söhne,
wodurch die Nachfolge gesichert wäre.
Leopold war sich allerdings nicht so sicher, ob er König eines Landes werden wollte, das
gerade seinen vorigen Monarchen rausgeschmissen hatte.
Deswegen wandte er sich an das Familienoberhaupt der Hohenzollern: König Wilhelm von Preußen.
Der wiederum besprach die Sache mit seinem Kanzler, einem gewissen „Bismarck“.
Wilhelm war nicht begeistert von der Situation, aber Bismarck drängte ihn zuzustimmen.
Es schien also, dass Leopold der neue König von Spanien werden würde.
Dann aber, erfuhr die französische Regierung von der Sache, und rastete komplett aus.
Das mag auf den ersten Blick verständlich scheinen – Frankreich wollte nicht von preußischen
Königen eingekreist werden – ist es aber nicht wirklich.
Leopold war zwar ein Hohenzoller, war aber näher mit Napoleon III verwandt
als mit Wilhelm von Preußen.
Seine Großmutter war die Adoptivtante des Französischen Kaisers.
Dagegen hatte sich die Sigmaringen-Linie der Hohenzollern, aus der er entstammte im zwölften
Jahrhundert abgespalten von der aus der die preußischen Könige stammten.
Auch abgesehen von der Verwandtschaft verstanden sich die Sigmaringer sehr gut mit Napoleon III.
Leopolds Bruder war zum Beispiel auf dessen Empfehlung König von Rumänien geworden.
Leopold hatte sich wegen der Annahme der spanischen Krone an den preußischen König gerichtet,
weil das eine dynastische Angelegenheit war in der er sich an das Oberhaupt seiner Dynastie,
also König Wilhelm, zu richten hatte.
Es stand durchaus nicht fest, dass Leopold als König von Spanien auch in politischen
Angelegenheiten dem preußischen König folgen würde.
Sogar Bismarck hatte mit Leopolds Krönung nur gehofft, das Ansehen des preußischen
Königshauses zu steigern und den französischen Einfluss auf Spanien zu schwächen,
nicht aber, in Spanien selbst an Einfluss zu gewinnen.
Die Lage war also durchaus nicht so kritisch wie man auf den ersten Blick denken könnte.
Es ging der französischen Regierung aber auch nicht wirklich um Spanien, sondern darum,
Preußen international zu schwächen.
Der französiche Außenminister reagierte mit einer Rede in der er sagte:
„Sollte [Leopold von Hohenzollern König von Spanien werden], wüssten wir (...) ohne
Zögern und ohne Schwäche unsere Pflicht zu tun.“
Er drohte also recht unverblümt mit Krieg.
Das war aber genau das, was Bismarck und Preußen brauchten – einen französischen Angriff.
Die französische Regierung hatte sich also mit ihrer Drohung ins eigene Fleisch geschnitten.
Zum Glück kam ihr in dieser Situation ein rettender Engel entgegen:
ausgerechnet König Wilhelm von Preußen.
Er wollte keinen Krieg und setzte Leopold unter Druck, seine Kandidatur zurückzunehmen,
was dieser letztendlich auch tat.
Die französische Regierung hatte also gekriegt was sie behauptet hatte zu wollen:
Leopold würde nicht König von Spanien werden.
Wie wir aber schon sagten, ging es ihr in Wirklichkeit nicht um Spanien.
Man schickte also einen Botschafter zu König Wilhelm, der gerade zur Kur in Bad Ems war,
um von ihm zu fordern, dass nicht nur Leopold,
sondern kein Hohenzoller jemals König von Spanien werden würde.
So etwas für alle Zeiten zu versprechen, war nun wiederum König Wilhelm zu viel –
ganz abgesehen davon, dass die Nachricht, dass Leopold seine Kandidatur zurückgenommen hatte,
noch nicht bei ihm angekommen war.
Als diese Nachricht nur ein paar Stunden später schließlich eintraf, schickte Wilhelm seinen
Adjutanten zum französischen Botschafter, um ihn zu benachrichtigen.
Dieser bat daraufhin um eine zweite Audienz.
König Wilhelm gewährte sie ihm nicht – seiner Meinung nach gab nichts mehr zu sagen.
Das war natürlich schon in gewisser Weiße eine Beleidigung, und vielleicht hätte schon
sie alleine zu einem Krieg geführt.
Es gab aber auch noch die Möglichkeit eines Friedens.
Bismarck wollte aber das real existierende Risiko, dass nicht tausende von Menschen sterben
würden, nicht eingehen.
Er musste noch einen drauf geben.
Dazu kam ihm das Telegramm gerade recht, das der preußische König ihm nach dem Geplänkel
mit dem Botschafter schickte.
Wir kennen es heute als die berühmte „Emser Depesche“.
Es ist ein recht trockener Text.
Der König schreibt, dass der Botschafter die Forderung gestellt hat, dass er ablehnte
und wieso, dass er anfangs noch keine Nachricht von Leopold hatte, später aber eine bekam,
dass er das dem Botschafter gesagt und eine zweite Audienz verweigert hat, und dass Bismarck
die Sache ruhig veröffentlichen darf.
Bismarck veröffentlichte das Telegramm tatsächlich, aber gekürzt – stark gekürzt:
„Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich
Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgeteilt worden sind,
hat der Französische Botschafter in Ems an
S. Maj. den König noch die Forderung gestellt, (...) dass
S. Maj. der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben,
wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten.
Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz.
Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen,
dass S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.“
Der heutige Leser erkennt vielleicht nicht wie das im 19. Jahrhundert geklungen haben muss.
Ich werde es kurz übersetzen:
Der Französische Botschafter hat mir eine übertriebene Forderung gestellt.
Daraufhin habe ich ihm gesagt, er solle sich verficken.“
Gut, ich übertreibe ein bisschen, aber der Effekt war tatsächlich so.
Die Deutschen lasen vor allem den ersten Teil und waren der Meinung, der Botschafter hätte
den König mit seiner anmaßenden Forderung beleidigt.
Die Franzosen dagegen lasen vor allem den zweiten Teil und hatten den Eindruck ihr Botschafter
sei vom König unhöflich und grob behandelt worden.
Bismarck hatte mit seiner Veröffentlichung erfolgreich einen kleinen diplomatischen Faux-Pas,
den man leicht hätte unter den Tisch kehren können, ausgenutzt, um beide Völker gegeneinander
aufzuhetzen und in Kriegsstimmung zu bringen.
Am 19. Juli 1870 beugte Napoleon III sich dann dem Druck der Öffentlichkeit und seines Kabinetts
und erklärte Preußen den Krieg.
Fast genau sechs Monate später wurde im ehemaligen Französischen Königspalast
die Deutsche Einigung proklamiert
und waren 200.000 Menschen tot.