Das absurdeste YouTube-Buch von allen | "Mein Leben als YouTuber"
Dass YouTube für viele Leute so gut wie ihr ganzes Leben darstellt, durfte und musste
ich in der Vergangenheit immer wieder feststellen.
In Kontakt mit Lehrern oder anderen Pädagogen wurde mir zuhauf gesagt, dass die berufliche
Perspektive vieler Schüler auf der simplen Aussage “Ich werd halt YouTuber” basiert.
Die Traumwelt YouTube und der sozialen Medien im Allgemeinen ist aktuell ein Riesending.
Das merkt man nicht zuletzt deshalb, weil Guides zur erfolgreichen Social-Media Präsenz
schneller erscheinen als Reaction-Videos zu einem schlechten YouTube Song.
Und ich muss gestehen, ich habe eine kleine, nicht ganz nachvollziehbare Faszination für
die Literaturwerke für oder von YouTubern entwickelt.
Doch ein Buch hat es mir ganz besonders angetan.
“Mein Leben als YouTuber” wirkt zunächst wie das stereotypischste Buch als Anleitung
für die ganz eigene Webvideokarriere.
Auf dem Klappentext heißt es noch:
“Hier erfährst du, wie du selbst ein erfolgreicher Social-Media-Star werden kannst.
Außerdem verraten dir sechs deiner Lieblings-YouTuber ihre Geheimnisse![...]
Wie wurden sie erfolgreich?
Welche Methoden haben sie benutzt?
Und wie gehen sie mit Hate und Kritik um?
In diesem Buch lernst du deine Lieblings-YouTuber von ihrer bislang unbekannten Seite kennen.”
Alles klar, habe ich mir gedacht, man erklärt also anhand von sechs YouTubern worauf man
auf YouTube zu achten hat und wird dann erfolgreich.
In böser Vorahnung, dass den angehenden Influencern von morgen noch mehr Halbwissen oder unethischer
Umgang mit sozialen Medien beigebracht wird, kaufe ich dieses 144 Seiten starke Buch also
und beginne zu lesen.
Kaum auf der ersten Seite, schon bin ich großflächig verwirrt.
Denn bei diesem Buch handelt es sich offenbar um gar keinen YouTube-Guide, sondern um eine
fiktive Geschichte.
Irgendjemand ist auf die Idee gekommen, zwei völlig voneinander abgetrennte Dinge miteinander
zu kreuzen.
YouTube und… Harry Potter.
“Was heute noch wie ein Traum klingt, ist im Jahr 2076 längst wahr geworden: In der
Schule der Zukunft lernen die Schüler, wie sie erfolgreiche Social-Media-Stars werden
können!”
heißt es bereits auf der ersten Seite.
Ich weiß gar nicht, wie ich das finden soll.
“Was heute noch wie ein Traum klingt”?
Hmh, ein Traum für Google auf jeden Fall.
Aber irgendwie ist diese ganze Sache trotzdem kreativ.
Und zwar so kreativ, wie sie nur eine Subkultur sein kann, die man zu lange alleine mit sich
selbst gelassen hat.
Die Geschichte handelt von Alex, einem zielgruppengerecht jugendlichen, eigentlich coolen, trotzdem
irgendwie zurückhaltenden jungen Vollblutyoutuber ohne großen Erfolg, weder im Leben noch auf
YouTube.
Alex trifft in der Sommerschule, die nebenbei bemerkt eine virtuelle Simulation ist, sofort
das angebetete Loveinterest Lena.
Lena ist jedoch die feste Freundin des zu diesem Zeitpunkt BERÜHMTESTEN UND ERFOLGREICHSTEN
YOUTUBER DEUTSCHLANDS mit dem unendlich schmissigen und wahnsinnig einprägsamen Namen “Max
S.”.
Ja.
Max S. ist nebenbei das absolute Vorbild und Idol unseres Protagonisten Alex, der auf seinem
eigenen YouTubekanal nur auf wenigen Abonnenten rumgurkt.
Lena selbst ist natürlich auch YouTuberin und lädt Alex auf ein Event innerhalb der
virtuellen Sommerschule ein.
Dort angekommen trifft er Lena während sie irgendwelche pseudo-hyperrealistischen VR-Spiele
spielt.
Ja ganz genau, VR Spiele IN einer virtuellen Simulation.
Das ist wie zwei 3D Brillen!
Kurzum versucht er sie zu küssen, das geht natürlich nicht weil Poweryoutuber Max S.
existiert und Alex ist traurig, es geht zurück in die Realität und er beginnt seinen ersten
Schultag auf DER SCHULE DER ZUKUNFT.
Dem Hogwarts mit Selfiesticks.
Dort sind natürlich auch Lena, haufenweise andere Webvideosternchen und wie überraschend
auch Max S.
Alex entdeckt in den folgenden Seiten die Welt in der sich die Welt nur um YouTube dreht.
Die Welt, in der die drei Gründer YouTubes nebenbei auch gerne mal als “Heilige Trinität”
bezeichnet werden.
Alex besucht dabei Fächer wie “Geschichte von YouTube”, “Filming Rules”, “Vlogging”
oder “Instagram”, Facebook” und “Twitter”.
Strahlemann Max S. ist dabei ein Vorzeigeyoutuber sondergleichen.
Jeder Lehrer schwärmt von ihm und seinem Kanal; Poster, die ihn als Beispiel eines
guten YouTubers preisen, pflastern die Schule und generell erinnert einfach sehr viel an
die Dreiecksbeziehung aus Video Game High School…. einer Webserie.
Auf YouTube.
Doch oh nein, es kommt alles anders.
Alex bekommt die Aufgabe ein Porträt seines Idols anzufertigen, da kommt natürlich nur
einer infrage.
“Oh Alex, du willst den Menschen porträtieren, über den hier wirklich jeder pausenlos schwärmt?
Wow, Alex, absurd, dass nur du darauf gekommen bist.”
Und im Zuge dessen stellt sich heraus, dass die Charity-Videos, die Max S. dreht und mit
denen er so erfolgreich wurde allesamt gefaked sind.
Er gibt vor, Blinden OPs zu zahlen, die in Wahrheit aber gar nicht blind sind nur um
in einem besseren Licht zu stehen.
Auf ApoRed “ders nich real”.
Welch böses, unerwartetes Erwachen.
Max S. übt Druck auf Alex aus, bloß nichts davon zu veröffentlichen, doch Alex schafft
es in einer Schulveranstaltung das Video vor allen abzuspielen, alle sehen wie unreal Max
doch ist und wenden sich von ihm ab und feiern Alex als den neuen geilsten Menschen ihrer
Zeit.
Lena trennt sich von Max S., küsst Alex, doch halt, sie kehrt zu ihm zurück, schließlich
braucht er jemanden und Alex schnappt sich die Nächstbeste, erntet abertausende Follower
und Abonnenten und reitet zu “Happy Together” in den Sonnenuntergang.
Wow.
Eine Geschichte wie eine Momentaufnahme von dem, was aktuell alles falsch läuft.
Eine Monopolisierung eines Informationsgiganten, eine zahlenfixierte Sicht auf eine Kultur,
die eigentlich auf Kunst und Unterhaltung ausgelegt ist und nicht zuletzt das Wegkürzen
aller Nebensächlichkeiten, die YouTube oder den sozialen Medien im Wege stehen könnten.
Dabei werden meist zusammenhangslos kleine Tipps in die Geschichte gestreut, die entweder
Trivia-Wissen zu YouTube oder die besten Tipps zum erfolgreichen Influencer-Marketing beinhalten.
Hier mein Favorit: “Du kannst auf YouTube nicht nur mit Anzeigen
und Klicks Geld verdienen, sondern auch mit einem Tauschgeschäft.
Wenn eine Firma will, dass du sie in deinem Video erwähnst, kann sie dir anstelle von
Geld auch Dinge anbieten [...]. Zögere oder schäme dich nicht, es von ihnen zu akzeptieren.
Der Tauschhandel existiert schon seit Zeiten, in denen wir noch als Affen über den Planeten
liefen.” ...Gut.
Die Geschichte endet allerdings bereits schon auf Seite 68.
Der Rest des Buchs besteht aus einer Mischung aus Freundschaftsbucheinträgen und Interviews
der sechs vorher aufgeführten YouTuber.
Auch diese Interviews halten für die eigene YouTube Karriere nicht mehr bereit als “Mach
was dir Spaß macht.”.
Ich bin schockiert, irritiert und ein kleines bisschen begeistert.
Schockiert deshalb, weil hier wie in vielerlei Influencer-Literatur das Problem benannt wird,
ohne es zu merken.
Irritiert deshalb, weil dieses Buch dem eigenen Klappentext schon fast direkt widerspricht
und begeistert, weil es doch irgendwie unterhaltsam ist, dass so etwas absurdes überhaupt existiert.
Es richtet in den meisten Fällen keinen direkten Schaden an, es ist einfach nur bizarr.
Vielleicht aber auch insofern wichtig, als dass uns einmal wieder deutlich wird wie zentral
die Karriere als YouTuber für viele doch ist, wie realitätsfern die Berufswünsche
wie utopisch die Vorstellung der eigenen Karriere.
...und das ist furchtbar schade.