Oberlandesgericht Frankfurt Schwieriger Start in den Lübcke-Prozess
Die hessische Justiz hat es der demokratischen Öffentlichkeit heute sehr schwer gemacht. Denn die Hintergründe des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sind von großem gesellschaftlichem Interesse – das wird wohl niemand ernsthaft bestreiten. Doch die Bedingungen, den Prozess auch zu Corona-Zeiten gut verfolgen können, fehlten heute für einen Großteil des Publikums. Bürgerinnen und Bürger mussten heute auch nach stundenlangem Warten wieder nach Hause gehen, weil kein Platz mehr im Gerichtssaal frei war.
Schlechte Bedingungen für Prozessbeobachter
Das Oberlandesgericht Frankfurt betont überdies auf dem Papier, wie wichtig gerade die Presse beim Lübcke-Prozess sei. Doch Papier ist geduldig. In der Praxis wurde die Mehrzahl der angemeldeten Journalisten in einem sogenannten Presseraum irgendwo unter dem Dach weit weg vom Prozessgeschehen untergebracht, wo sie nur den Ton aus dem Gerichtssaal hören konnten.
Dabei ist es gerade für Prozessbeobachter wichtig, auch nonverbale Reaktionen, Gesten oder Gesichtsausdrücke von Angeklagten oder Zeuginnen und Zeugen zu sehen.
„Abschreckende Situation für Journalisten“
Am Oberlandesgericht Frankfurt hat der Prozess im Mordfall Walter Lübcke begonnen. Trotz des großen Medieninteresses können nur wenige Reporter direkt aus dem Gerichtssaal berichten – und das unter verschärften Sicherheitsbestimmungen. Daran hagelt es nun Kritik von Journalisten.
Eine Verlegung des Prozesses in eine große Messehalle wurde aus Sicherheitsgründen abgelehnt, eine Videoübertragung in den Presseraum war angeblich aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Das Gericht spekuliert offenbar darauf, dass das öffentliche Interesse am Lübcke-Mordprozess nachlässt und dass dann der angebotene Platz auch unter Corona-Bedingungen reicht.
Auf der Anklagebank sitzen radikale Systemgegner
Dabei gibt es wenige Staatsschutzverfahren in den vergangenen Jahrzehnten, die eine dauerhafte Aufmerksamkeit so verdient hätten wie die Verhandlung gegen den mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. und seinen der Beihilfe angeklagten rechtsextremen Gesinnungsgenossen Markus. H. Dass Letzterer schon zu Prozessbeginn das Gericht um den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel provozierte, in dem er sich nicht vom Stuhl erhob, als die Richter den Saal betraten, zeigt bereits: Auf der Anklagebank sitzen radikale Systemgegner, die womöglich auch Teil eines größeren rechtsterroristischen Netzwerks sind.
Der Mord an Lübcke und die Rolle des Verfassungsschutzes
Stephan E. muss sich wegen der Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor Gericht verantworten. Es geht auch um die Frage, warum Hessens Verfassungsschutz es zuließ, dass der mutmaßlicher Helfer Markus H. jahrelang sechs Schusswaffen besitzen konnte.
Es wäre gut, wenn der Prozess Klarheit schaffen könnte in der Frage, ob der mutmaßliche Attentäter und sein Beihelfer ihre Schießübungen und Gewaltplanungen wirklich lediglich als Duo vollzogen oder ob sie Teil eines womöglich überregionalen Terror-Netzwerkes sind. Für das Vorhandensein einer auch in andere Bundesländer hineinreichende Struktur gibt es einige Hinweise.
Freiheitliche Demokratie mit Waffengewalt attackiert
Diesen wird ab nächste Woche auch ein neu eingerichteter „Lübcke-Mord“-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag nachgehen. Auch das ist gut so. Denn dass Justiz und Politik alles tun, um die Hintergründe des Mordes an Walter Lübcke aufzuklären, dient nicht nur einem würdigen Gedenken an Walter Lübcke, sondern vor allem der freiheitliche Demokratie, die von rechts außen mit Waffengewalt attackiert wird.
Ludger Fittkau, geboren 1959 in Essen, studierte Sozialpädagogik sowie Sozialwissenschaften an den Universitäten Duisburg/Essen und der Fernuniversität Hagen. Promotion dort im Fach Soziologie. Nach rund zehn Jahren offener Jugendarbeit sowie Medienpädagogik in Oberhausen und Essen Wechsel in den freien Journalismus. Tätig u.a. für den WDR (Hörfunk und Fernsehen), den DLF sowie für die Kölner TV-Produktionsfirma „probono“ von Friedrich Küppersbusch. Ab 2007 freier Redakteur und Autor in der Landeskulturredaktion von SWR 2 in Mainz. Seit 2009 Landeskorrespondent von Deutschlandradio – zunächst in Rheinland-Pfalz und aktuell in Hessen.