tagesthemen 30.09.2021, 22:15 Uhr - Aufbruch oder Zerfall? Die Union und die Regierungsbildung, Wahl der Fraktionsvorsit
Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den tagesthemen.
Diese Sendung wurde vom NDR live untertitelt (30.09.2021)
Heute im Studio: Ingo Zamperoni
Guten Abend.
SPD oder Union?
Wer führt die nächste Bundesregierung an?
Vier Tage nach der Wahl wird der Fahrplan konkreter.
Die Union will sich weiter nicht abhängen lassen.
Obwohl als Zweiter ins Ziel eingelaufen:
Spitzenkandidat Armin Laschet will mit der FDP und den Grünen
über eine gemeinsame Regierung reden.
Parallel zu den Gesprächen der SPD mit FDP und Grünen
in den kommenden Tagen.
Alle reden miteinander, aber was ist realistisch?
Und wie stabil ist die Union nach dieser Wahlniederlage?
Kristin Schwietzer.
Der Wahlabend im Adenauer-Haus:
Hier stellt sich das CDU-Präsidium demonstrativ hinter Armin Laschet.
Doch die Gesichter sprechen Bände.
Die Wahl verloren - und doch regieren?
Seitdem ringt die CDU mit sich und ihrem Kandidaten.
Das Kanzleramt hergeben oder als Wahlverlierer verhandeln?
Wie das gehen soll, fragt sich manch einer in der Partei.
Die potentiellen Partner fragen sich heute Mittag,
mit wem sie bei der Union sprechen sollen.
Wenn wir wissen, wer mit wem reden kann, wird das geschehen.
Ich hatte den Eindruck,
man kann nicht sagen, man weiß, mit wem man spricht.
Das kann sich ändern.
Im Adenauer-Haus hat man sich am Nachmittag sortiert.
Das Sondierungs-Team steht, 15 Verhandler.
Der Parteivorsitzende, der Generalsekretär,
die fünf Stellvertreter, der Fraktionschef,
zwei Ministerpräsidenten und Söder mit CSU-Team.
Wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Angebot haben.
Über dieses Angebot muss man sprechen.
Wir haben keinen Anspruch, aber ein Angebot.
Doch nicht jeder im Präsidium glaubt an einen Verhandlungserfolg.
Widerstand gegen Gespräche kommt aus dem Osten.
Die Wahlverluste schreiben einige Laschet zu.
Und die CSU stichelt gegen die FDP.
Generalsekretär Blume erklärt per Twitter:
Man hätte schon die ganze Woche sondieren können.
Agnes Strack-Zimmermann von der FDP kontert:
Freuen Sie sich schon auf die Geburtstagsparty
von Edmund Stoiber, die Sie den Gesprächen vorziehen?
Kein guter Start für Sondierungen.
Die Union steckt in der Klemme.
Die einen wollen noch regieren,
die anderen sich in der Opposition erneuern.
Karsten Lindemann fordert wie Spahn einen Generationenwechsel
und eine Analyse.
Wir kommen nicht drumherum, die Basis mehr einzubinden.
Die Union muss wieder
eine Mitglieder- und Programmpartei werden.
Wo wir ringen um die Themen, Debatten führen.
Das wurde zu wenig gemacht.
Deshalb haben wir an Profil verloren.
Profil zurückgewinnen - nur wie?
Der Parteichef will das in Regierungsverantwortung schaffen.
Kristin Schwietzer in unserem Hauptstadtstudio:
Ist das die Flucht nach vorne?
Das ist war seine einzige Chance, Parteichef zu bleiben.
Es gibt Kritik an ihm, an der Wahlkampfführung.
Vor allem an der Basis und im Osten gibt es viel Frust.
Das kann eine Chance sein.
Es gibt einige in den eigenen Reihen,
die glauben, man könne sich in eine Regierung retten.
Die Vorstellungen in Opposition zu sitzen schmerzt viele.
Welchen Preis müsste Lasche zahlen?
Er müsste FDP und den Grünen einiges anbieten.
Das ist sein zweites Problem.
Er wurde schon gewarnt, dass Tafelsilber nicht zu verkaufen.
Die Partei steckt in einem Dilemma.
Will man regieren und um welchen Preis.
Im zweiten Anlauf hat es geklappt.
Die ehemals größte Oppositions-Fraktion, die AfD,
wählte nach dem ersten Versuch gestern eine neue Fraktionsspitze.
Dabei kam es nicht nur auf die Personen an,
sondern auch auf die Anzahl.
Denn nicht wenige AfD-Abgeordnete
wollten ein Ende des bisherigen Modells der Doppel-Spitze.
Letztlich setzten sich aber doch die Befürworter durch,
auch gegen den Willen von Parteichef Jörg Meuthen.
So führen jetzt der andere Co-Partei-Chef Tino Chrupalla und
die bisherige Co-Fraktions-Chefin Alice Weidel die Abgeordneten an.
Eine richtungsweisende Entscheidung für den weiteren Kurs der Partei?
Sarah Frühauf.
Geschlossenheit:
Das will die neue AfD-Fraktionsspitze aussenden.
Einige Abgeordnete machen nicht mit.
Einer will ein Interview geben, ein anderer unterbricht.
Das stimmt nicht.
Der Kollege stört sie?
Ja.
Der Streit geht um Alice Weidel und Tino Chrupalla.
Die Wahl fand im Doppelpack statt.
Es gibt einen gewissen Schutz für manche Kandidaten.
Das Ergebnis ist nicht ehrlich.
Gemeint ist Weidel.
Sie war Spitzenkandidaten.
Über eine erneute Kandidatur hätten einige gern einzeln abgestimmt.
Ihr wird vorgeworfen, sich zu wenig für die Partei zu engagieren.
Auch hier ist die Partei gespalten.
Vor der Wahl der Fraktionsvorsitzenden
stand die Frage um eine Tandem- oder eine Einzellösung.
Das war ein Riesenerfolg.
Die waren im Wahlkampf spitze.
Die wurden mit Mehrheit gewählt.
50 Stimmen für und 25 gegen das Team.
Wer mit wem kann und warum,
da geht es um viel Zwischenmenschliches
wir haben diskussionsfreudige Mitglieder in der Partei.
Das sieht man auch an unseren Abgeordneten.
Immer wieder in der Partei diskutiert:
Ämter-Häutung.
Tino Chrupalla ist Partei- und Fraktionsvorsitzender
mit großen Zielen.
Wir wollen auch 2025 koalitionsfähig sein.
Bzw. bei Koalitionsgesprächen dabei sein können.
Eine neue Rolle hat auch
der bisherige Fraktionsvorsitzende Gauland.
Er ist Ehrenvorsitzender - auch das ist umstritten.
Die AfD nach dieser Bundestagswahl - dazu die Meinung
unseres Hauptstadt-Korrespondenten Martin Schmidt vom SWR.
Wer denkt, die AfD bietet eine Alternative,
der irrt.
Das kann sie gar nicht.
Auch, weil die Partei viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.
Streit auf allen Ebenen.
Die Bundessprecher sprechen nicht mehr miteinander,
widersprechen, bekämpfen sich.
Auch die neue Fraktion: kaum angetreten, schon zerstritten.
Heute scheitert der Aufstand
gegen die alte und neue Chefin Alice Weidel.
Die Frontlinien aber bleiben unübersichtlich:
Weniger der große Flügelstreit.
Es geht um Befindlichkeiten, Geltungsdrang, Seilschaften.
Was in der AfD gern Basisdemokratie heißt, bedeutet in Wirklichkeit:
Jeder gegen jeden – aber vor allem für sich.
Wer denkt, die AfD bietet eine Alternative –
der irrt.
Auch weil sie sich
in der Maximal-Fundamental-Opposition eingerichtet hat.
Einfach nur dagegen sein, mag bei der Migration funktioniert haben –
aber bei keinem anderen Thema.
Die Mehrheit des Volkes, das die Partei so gerne vertreten würde,
will nicht aus der EU austreten.
Sie weiß, dass Corona gefährlich sein kann
und zweifelt nicht am menschengemachten Klimawandel.
Gegen wissenschaftliche Fakten Wahlkämpfe gewinnen,
wird der AfD nicht gelingen.
Das Problem der Partei ist grundsätzlicher:
Sie weiß nicht, was sie sein will: marktliberal oder sozialnational.
Nur destruktiv oder auch mal konstruktiv.
Rechtspopulistisch oder rechtsextrem.
Wer denkt, diese AfD bietet eine Alternative -
der irrt.
Die Meinung von Martin Schmidt.
Es ist zweieinhalb Monate her, da zerstörte die Flut
auch große Teile von Altenburg, einem Ortsteil von Altenahr.
Vier Wochen später waren die meisten Trümmer
von den Straßen und aus den Häusern beseitigt.
Doch der Ort war immer noch eine riesige Baustelle.
Jetzt sind die Straßen schlamm- und schuttfrei,
doch allein die Baufahrzeuge und Container machen deutlich:
Von Normalität kann keine Rede sein.
Viele fragen sich:
Lohnt der Wiederaufbau dort, wo das Hochwasser alles zerstörte?
Diese Frage will eine Zukunftskonferenz beantworten.
Heute Abend fand sie statt.
Bevor ich mit der Bürgermeisterin von Altenahr spreche,
zeigt Axel John, wie schwierig der Neuaufbau ist:
In Insul, südlich von Altenahr.
In einem Nachbarort ist Flutopfer Jürgen Nehring untergekommen.
Sein Haus in Insul wurde zerstört.
Er und seine Freundin konnten sich gerade noch retten.
Ihr Hab und Gut ist verloren.
Eine Freundin hat uns vorübergehend aufgenommen.
Aber wir wollen so schnell wie möglich zurück nach Insul,
ein neues Haus bauen und in unserer Heimat sein.
Der Immobilienmakler fährt oft nach Insul.
Wo früher sein Traumhaus stand, ist jetzt eine Brache.
Das Gebäude wurde abgerissen.
Nehring bangt seit Wochen.
Noch weiß er nicht, ob hier im Ortskern neu gebaut werden darf -
wegen der neuen Auflagen zum Hochwasserschutz.
Am Anfang war ich optimistisch.
Aber je länger sich das zieht, umso mehr verliere ich die Hoffnung,
dass wir hier noch mal 'ne Baugenehmigung bekommen.
Und wir würden gerne im Dorf bleiben,
aber es gibt keine freien Baugrundstücke.
Eventuell entsteht ein neues Baugebiet mit elf Grundstücken.
Das wurde aber auch noch nicht bestätigt.
Falls das nicht zustande kommt, müssen wir das Dorf verlassen.
Am Abend, ein paar Ortschaften weiter,
in Grafschaft, der Moment der Entscheidung:
Die Landesregierung gibt bekannt,
wo im Flutgebiet wieder aufgebaut werden darf.
Nur 34 Gebäude liegen in der Gefahrenzone,
dürfen nicht wieder errichtet werden.
Das von Jürgen Nehring ist nicht dabei.
Er und viele andere dürfen ihre Häuser wieder aufbauen.
Anders sieht es bei ihm aus:
Auch Walter Krahe hat fast alles verloren.
Sein Haus in Insul stand direkt an der Ahr.
Was die Wassermassen nicht zerstört hatten,
beseitigte der Abrissbagger.
Der Rentner zeigt Fotos, wie es hier bis vor Kurzem aussah -
und nie wieder sein wird.
Die Landesregierung hat Krahe vor Tagen informiert:
Er darf sein Haus hier nicht wieder aufbauen.
Das will er auch nicht mehr.
Ich wäre verantwortungslos, wenn ich hier wieder bauen wollte.
Wie müsste ein Stelzenbunker aussehen,
damit man da so eine Flut noch mal überlebt?
Für meine Kinder - und das tut mir weh -
sie haben ihr Elternhaus verloren, was sie mal übernehmen sollten.
Das ist schmerzlich.
Nach Ärger mit seiner Versicherung
soll Walter Krahe bald sein Geld für das Haus bekommen.
Aber das Grundstück war wenig wert.
Das erschwert die Suche, denn neues Bauland ist teuer.
Aber Krahe will weg - dahin, wo kein Wasser ist.
Das ist eine Lehre.
Die Ahr hat sich zurückgenommen, was irgendwann mal zugebaut wurde.
Wo kämen wir hin, wenn wir jetzt dem Fluss nicht helfen,
dass er so eine Katastrophe nicht mehr anrichten kann?
Nach der Entscheidung der Landesregierung
setzen viele wieder auf eine Zukunft im Ahrtal.
Walter Krahe aber hat diese Hoffnung verloren.
Darüber habe ich vor der Sendung mit einer Frau gesprochen,
mit der wir immer wieder Kontakt hatten, seit der Flutkatastrophe.
Zuletzt Anfang August:
Der Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr,
Cornelia Weigand.
Guten Abend, Frau Weigand.
Guten Abend, Herr Zamperoni.
Wie ist es Ihnen seit Anfang August ergangen?
Es hat einige Fortschritte gegeben.
Hinter uns allen liegen schwere Wochen.
Einiges ist aufgeräumt, viele Häuser sind entkernt
und die großen Fragen kommen in den Vordergrund.
Seit Montag können Anträge zum Wiederaufbau gestellt werden.
Viele Fragen, die offen sind und Erklärung bedürfen.
Heute wurden uns die neuen Hochwasserlinien mitgeteilt:
Der Überschwemmungsbereich, für den es besondere Vorgaben gibt.
Hinter Ihnen sehen wir noch - die Konferenz ist gerade beendet.
Was ist bei den neuen Richtlinien rausgekommen?
Unter anderem die neue HQ-100-Linie.
Das ist eine vorläufige Sicherstellung.
Es gibt besonders gefährdete Zonen, wo nicht mehr gebaut werden darf.
Es gibt viele Fragen
und erste Initiativen für ein Hochwasserschutzkonzept.
Wir haben auf Nachfrage gehört, dass NRW mit uns Boot kommt -
ist es aber noch nicht.
Wir sind auf dem Weg, aber lange nicht da, wo wir sein müssen.
Der Marathon hat erst gestartet.
Was sagen die Menschen, die erfahren haben,
dass sie nicht mehr aufbauen können, wo sie gelebt haben?
Erst wurden die Flutopfer -
nun müssen sie sich enteignet fühlen.
Jeder fühlt sich da anders.
Das betrifft mehrheitlich die Menschen,
deren Häuser zerstört sind.
Die schon zusammengebrochen oder nicht mehr standfest sind.
Die wenigsten dieser Häuser stehen noch.
Diese Zone ist so gefährdet,
dass viele dort auch nicht mehr aufbauen möchten.
Sie hätten lieber Hilfe bei einer Alternative.
Gibt es die?
Das Land hat besondere Hilfe zugesagt.
Das ist aktuell aber noch nicht greifbar.
Wir brauchen neue Wohngebiete, die auszuweisen sind.
Das ist von der Topografie wie auch dem Schutz nicht einfach.
Da muss noch einiges geregelt werden
in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren.
Ein Wissenschaftler der Uni Bonn stellte fest:
Wenn man Hochwasserschäden verhindern will,
dürfte man den gesamten Talboden im Ahrtal nicht bebauen.
Was heißt das für den Wiederaufbau?
Müssen nun alle auf die Hügel?
So ist es zum Glück nicht.
Es bleibt ein Restrisiko.
Dafür braucht es Evakuierungspläne.
Es sollte einen guten Hochwasserschutz geben,
der es ermöglicht, mit einem normalen Risiko leben zu können.
Das muss jeder für sich abwägen.
Auch als Gesellschaft müssen wir uns überlegen, wie es weitergeht.
Wir wollen nicht überall komplett auf die Hügel.
Da würde uns Wohnraum fehlen.
Wir müssen lernen, mit diesem Risiko besser umzugehen.
Es auch besser steuern zu lernen.
In welcher Verfassung befinden sich die Menschen?
Überwiegt der Optimismus, das Gefühl, es geht voran?
Oder ist es eher der Schock der Katastrophe?
Wahrscheinlich noch eine Mischung aus beidem.
Die Menschen sind in unterschiedlichen Tagesverfassungen.
Mehr und mehr kommt:
Wir wollen das schaffen!
Wir wollen die Zukunft einläuten, aufbauen und zusammen leben.
Natürlich mit mehr Sicherheit und vielleicht schöner und moderner.
Sie hatten vor unserem letzten Gespräch
einen Brandbrief geschrieben.
Da haben Sie u.a. einen Sonderbeauftragten gefordert.
Haben Sie den Eindruck, der Brief hat was gebracht?
Mit Sicherheit sind nicht alle Punkte adressiert worden.
Einiges ist auf den Weg gekommen.
Bei manchen sind wir auf gutem Weg.
Bei anderem sind wir am Anfang der Diskussionen.
Der Wille, miteinander zu reden, ist da.
Wir haben heute gehört:
Die Traumatisierung soll aufgegriffen werden.
Man überlegt, ein Traumazentrum einzugliedern.
Hier soll Hochwasserschutz für das gesamte Gebiet geleistet werden.
Wir haben die Unterstützung der nicht Versicherten.
Das ist ein großes Thema.
Da versucht auch das Land, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen.
Eine Elementarschäden-Versicherung als Pflichtversicherung.
Vielen Dank.
Vielen Dank.
Ein eherner Grundsatz unseres Rechtsstaats lautet:
Mord verjährt nicht.
Dabei darf nicht übersehen werden: Beihilfe zum Mord auch nicht.
So sollte heute einer der möglicherweise letzten NS-Prozesse
am Landgericht Itzehoe beginnen.
Gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof bei Danzig.
Sie soll den Lager-Verantwortlichen zwischen 1943 und '45
bei der Tötung von über 11.000 Gefangenen geholfen haben.
Der Prozess konnte nicht wie geplant losgehen:
Die Angeklagte fehlte.
Sie war auch nicht in ihrem Seniorenheim aufzufinden.
Erst nach Stunden konnte die Polizei den Fluchtversuch beenden
und die 96-Jährige festnehmen.
Einzelheiten von Corinna Below.
Großer Andrang heute
vor einem leerstehenden Logistikzentrum in Itzehoe.
Das Landgericht: zu klein.
Hier soll der Prozess gegen Irmgard F. beginnen.
Aber sie ist nicht da.
Die Angeklagte hat sich heute Morgen von ihrem Wohnsitz aus
in einem Taxi an einen unbekannten Ort begeben.
Die Kammer hat Haftbefehl erlassen.
2017 hatte sie zum ersten Mal Besuch von der Staatsanwaltschaft.
Damals sagte sie,
sie habe nichts von dem Massenmord im KZ Stutthof gewusst.
Erst in der vergangenen Woche hatte sie dem Richter angekündigt,
dass sie zum Prozess nicht erscheinen wird.
Als Polizisten sie heute Morgen
im Pflegeheim in Quickborn abholen wollten, war sie nicht da.
Irmgard F. – hier 18 oder 19 Jahre alt.
Stenotypistin und Schreibkraft im KZ Stutthof bei Danzig.
Zwischen Juni 1943 und April 1945 arbeitet sie in der Kommandantur.
Über ihren Tisch gehen vermutlich
auch Deportationslisten und Exekutionsbefehle.
Zwischen 1939 und 1945 sind hier 110.000 Menschen eingepfercht.
65.000 überleben die Lagerbedingungen nicht.
Wir legen ihr in über 10.000 Fällen Beihilfe zum Mord
und in weiteren Fällen Beihilfe zum versuchten Mord zur Last.
Sie soll als Sekretärin in dem KZ den Verantwortlichen des Lagers
Hilfe geleistet haben bei den systematischen Tötungen.
Bei den Gefangenen handelte es sich um jüdische Gefangene,
polnische Partisanen und sowjetrussische Kriegsgefangene.
Sie vertreten einige der mehr als 30 Nebenkläger
im Prozess gegen die 96-Jährige.
Die Angeklagte ist clever.
Sie ist verhandlungsfähig und entscheidungsfähig.
Sie wird sich dem Prozess jetzt leichter stellen müssen,
denn wer so eine Flucht organisiert, ist eigentlich ganz gut drauf.
Der Fall Irmgard F. ist von Bedeutung,
weil zum ersten Mal eine Sekretärin angeklagt ist.
Als Teil der NS-Vernichtungsmaschinerie.
Die zentrale Ermittlungsstelle der Landesjustizverwaltungen
in Ludwigsburg sammelt Material zu NS-Täterinnen und -Tätern.
Erst seit zehn Jahren ermitteln sie auch gegen "einfaches Personal".
Durch das Urteil gegen Oskar Gröning, Wachmann im KZ Auschwitz
gibt es eine Rechtsprechung, die vom BGH gebilligt worden ist:
Dass die Dienstausübung in einem KZ, in dem Tötungen stattgefunden haben,
Beihilfe zum vielfachen Mord sein kann.
Am frühen Nachmittag wurde Irmgard F. an einer Straße in Norderstedt
von der Polizei gefasst und nach Itzehoe gebracht.
Hier führten die Polizisten sie dem Haftrichter vor.
Sie sitzt jetzt in Untersuchungshaft.
Am 19. Oktober wird der Prozess fortgesetzt.
Bei den Autobauern dürfte das Band nie stillstehen.
Die Nachfrage ist groß.
Doch in den Werken wird die Produktion heruntergefahren,
in Eisenach gar für die nächste Zeit ganz eingestellt.
Der Grund: Es gibt kaum noch Chips.
Und ohne Spezial-Chips lassen sich heute keine Pkw mehr bauen,
schon gar keine E-Autos mit komplexer Steuerungselektronik.
Der Mangel hat mehrere Ursachen.
Eine ist,
dass Corona-bedingt die Lieferketten ins Stocken geraten sind.
Eine andere, dass manche Firmen Chips im großen Stil hamsterten.
Für die Autobauer eine düstere Prognose,
und für die, die jetzt Autos kaufen wollen, ein teures Geschäft.
Susan Minard und Peter Gerhardt.
Eine kleine Macke.
Macht nichts, sagt Maged Saad.
Dieses Luxusmodell wird der Autohändler aus Frankfurt am Main
wohl trotzdem relativ leicht los.
Und das vermutlich für einen höheren Preis
als er noch vor ein paar Monaten erzielt hätte.
3 % wurden Gebrauchtwagen im letzten Monat im Schnitt teurer.
Viele Kunden suchen händeringend einen jungen Gebrauchten.
Die meisten wollten schon Neuwagen kaufen, aber sehen:
Sechs Monate bis ein Jahr.
Die können nicht warten.
Was machen die? Die nehmen ein Auto vorrübergehend.
Des einen Freud, der anderen Leid.
1300 Mitarbeiter hat Opel in Eisenach heute in Kurzarbeit geschickt.
Drei Monate lang Produktionsstopp.
Weil der Konzern nicht genügend Mikrochips bekommt,
die in Autos die Elektronik regeln.
In der Belegschaft geht die Angst um.
Muss ja weitergehen.
Drei Monate - das ist schon viel.
Schwieriges Thema.
Das macht Angst vor der Zukunft.
Die Opel-Chefs versuchen zu beruhigen:
Falls es 2022 genügend Mikrochips gebe,
werde die Produktion wieder anlaufen.
Die IG Metall fürchtet:
Der französische Mutterkonzern nutze die Chip-Krise
für eine Produktionsverlagerung des Modells Grandland nach Frankreich.
Sie kritisiert die heutige Entscheidung.
Wir können das nicht akzeptieren.
Ohne Gespräche mit dem Betriebsrat oder Sozialpartner
wurde so eine Entscheidung über Nacht vom Zaun gebrochen.
Das ist unerträglich.
Auch andere Hersteller leiden unter dem Chip-Mangel.
VW etwa fährt die Golf-Produktion in Wolfsburg
bis Mitte Oktober drastisch herunter.
Der Autoindustrie entgehen mehr als 100 Mrd. Euro Umsatz weltweit.
Es gibt viele Gründe für die Halbleiterkrise.
Produktionsengpässe in China etwa wegen Strommangel.
Zu wenig Transportkapazitäten.
Doch Experten sagen, die Autoindustrie
sei auch selbst Schuld, dass sie nicht genug Chips bekomme.
Durch die Pandemie
hat die Automobilindustrie 2020 zu spät Chips nachbestellt.
Zu einem Zeitpunkt,
als der gesamte Halbleitermarkt schon ausgelastet war.
Die Nachfrage im IT-Bereich stieg durch Homeschooling, Homeoffice.
Jeder brauchte ein Laptop oder ein Tablet.
Der Frankfurter Autohändler sucht weitere Gebrauchtwagen.
Denn die Produktionsschwierigkeiten bei Neufahrzeugen
werden noch ein paar Monate anhalten, meint er.
Selbstverständlich freut es uns.
Denn die Alternative sind wir als Gebrauchtwagenhändler.
Die Kunden müssen aber auch bei ihm tiefer in die Tasche greifen.
An der Tankstelle, im Baumarkt oder im Lebensmittelladen -
die Preise steigen weiter.
Das hat wohl jeder bemerkt.
Weitere Nachrichten mit Julia-Niharika Sen.
Die Inflation in Deutschland ist auch im September gestiegen.
Die Teuerungsrate beträgt voraussichtlich 4,1 % -
so hoch wie seit 28 Jahren nicht mehr.
Ob Energie oder Produktions-Teile -
Deutschland hängt von anderen Länder ab.
Vieles muss teuer eingeführt werden.
Letztmals stiegen die Preise für Importgüter wie Öl und Gas
1981 so stark an.
Vor allem die Kosten für Energieträger wie Öl, Gas und Strom
treiben die Inflation weiter.
Im Mai stieg die Teuerung
über die von der EZB gewünschten 2 % auf inzwischen 4,1 % an.
Steigende Preise bringen Kaufkraftverluste
und lassen den Wert von Erspartem schmelzen.
Nullzinsen und hohe Inflation helfen vor allem dem Staat.
Der kann sich billig Geld besorgen
und einen Teil seiner Schulden über die Inflation abtragen.
Es hilft auch allen, die sich Geld leihen.
Am Arbeitsmarkt macht sich eine Herbstbelebung bemerkbar.
Die Erwerbslosigkeit sank im September stärker
als in den Vorjahren - trotz Corona-Krise.
Arbeitsminister Heil sprach von einer vielversprechenden Tendenz.
Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy
wurde zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt:
Wegen illegaler Wahlkampffinanzierung.
Die Strafe darf er in Form
eines elektronisch überwachten Hausarrests absitzen.
Laut Gericht hat Sarkozy bewusst darauf verzichtet,
die Kosten unter Kontrolle zu halten.
Sein Wahlkampf 2012 soll mehr als 40 Mio. Euro gekostet haben.
Knapp doppelt so viel wie erlaubt.
Bereits im März wurde Sarkozy wegen Bestechung
zu einer Haftstrafe verurteilt.
Die Verteidigung kündigte Berufung an.
Nach fast sechsjähriger Sanierung
hat die deutsche Marine ihr Segelschulschiff Gorch Fock zurück.
Die Bremer Lürssen Werft, die die letzten zwei Jahre
an dem Großsegler gebaut hatte, übergab ihn in Wilhelmshaven.
Die Instandsetzung hatte Ende 2015 begonnen.
Die geplanten Kosten von 10 Mio. Euro wurden schnell überschritten.
Am Ende kostete die Sanierung 135 Mio. Euro.
Am Montag soll die Gorch Fock in Kiel eintreffen.
Dies ist kein besonderes Kunststück eines Seepferdchens, sondern zeigt,
wie sehr wir Menschen die Meere vermüllen.
So ein Wattestäbchen treibt jahrzehntelang durchs Wasser,
ehe es abgebaut wird.
Das Bild ist eines von fast 200 im Gasometer in Oberhausen.
Sie zeigt ab morgen die Zerbrechlichkeit des Paradieses:
So der Titel der Ausstellung über unsere Erde.
Eine Schau, die in Naturfotos
auch die Schönheiten des Planeten präsentiert.
Wie eine Mahnung, was uns verloren gehen kann.
Ingrid Bertram.
Mal offenbaren sie Witz, mal eine Überraschung.
Wer beherrscht wen?
Das Handy das Äffchen oder umgekehrt?
Die Fotos im Gasometer in Oberhausen
zeigen Schönheit und Verletzlichkeit unserer Erde.
Jedes Bild erzählt eine kleine Geschichte:
Das Murmeltier,
das gerade seinen letzten Moment erlebt.
Oder ein Trophäenjäger aus Texas - schamlose Ausrottung im Kolonialstil.
Aber auch das:
Helfer aus Borneo bringen Orang-Utan-Waisen
in die Dschungelschule, um das Leben in der Wildnis wieder zu lernen.
Es kam uns darauf an, dass das Bild außergewöhnlich ist,
auch von außergewöhnlicher Qualität.
Es soll berühren.
Entweder ist man begeistert von dieser Landschaft,
oder man ist berührt:
Wenn ich auf den Eisbär stoße,
der Hunger leidet und wankend durch die Gegend läuft.
Aus der Ferne betrachtet scheint die Erde vollkommen:
Mit 20 Metern Durchmesser hängt sie im Turm des Gasometers
und wechselt in den Jahreszeiten von Winter zu Sommer, von Nacht zu Tag.
Projiziert wird das auf einen aufgeblasenen Ballonstoff,
der im 100 Meter hohen Turm hängt.
Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum
hat aus Datensätzen von Satelliten die Projektionen erstellt.
Wir sehen die Erde, wie sie kein Astronaut sieht.
Wir zeigen die Komplexität des Ökosystems Erde.
Wir können mit unseren Satelliten
Meeresströmungen und Windströmungen sichtbar machen.
Das kann man im Gasometer erleben.
Die Erde in Bewegung:
Wie ein feines Netz spinnen sich Fluglinien und Schiffe
rund um den Erdball.
Der Mensch beherrscht den Planeten.
Aus Datensätzen werden Wolkenbilder und Windströmungen -
Wissenschaft will die Betrachter berühren.
Wissenschaft muss emotionaler werden,
um durch den Wahrnehmungsfilter der Betrachter zu dringen.
Wir sind so vielen Botschaften, so viel Werbebotschaften ausgesetzt.
Wenn wir als Wissenschaft wahrgenommen werden wollen,
brauchen wir Emotionen, um gesehen zu werden.
Ansonsten sind wir nicht relevant.
Die Ausstellungmacher wollen nicht belehren.
Trotzdem ist nicht zu übersehen: das Paradies ist zerbrechlich.
"Das zerbrechliche Paradies" ist bis zum 22. Dezember zu sehen.
Welches Bild morgen der Himmel abgibt,
verrät uns Sven Plöger:
Ein unterschiedliches.
Nach Süden und Osten erleben wir viel Sonne.
Von Westen kommt die nächste Front.
Warum rede ich lange, schauen uns das an:
Hier ist Deutschland und hier sehen Sie ein Tiefdruckgebiet.
Das ist noch ohne Struktur.
Daher haben wir mal diese Fronten drüber gelegt.
Das hier ist die Mischfront.
Da hat die Kaltfront die Warmfront schon eingeholt.
Die Kaltfront ist derzeit über den britischen Inseln.
Im Zusammenhang mit dieser warmen Front haben wir Regen im Norden.
Außerdem haben wir viel Wind.
Auf Helgoland kennt man das.
In der zweiten Nachthälfte wird der Wind wieder intensiver.
Das ist der Regen der Warmfront.
Im Norden fällt einiger Regen.
Im Wetterfilm sehen wir im Norden den Windsack.
Außerdem den Niederschlag, der sich nach Süden auflöst.
Im weiteren Tagesverlauf formiert sich hier die Kaltfront.
Im Westen gibt es mehr Wolken als im Osten und Süden.
Entsprechend sind die Temperaturen.
Die Nächte sind länger und werden kälter.
Höhere Täler haben null oder sogar weniger Grad.
Die Aussichten:
Am Samstag das Ganze noch mal.
Am Sonntag mehr Regen im Westen aber im Osten und Süden Sonne.
Das waren die tagesthemen.
Jetzt geht es im Ersten weiter mit Comedy und politischem Kabarett
und Dieter Nuhr.
Wir sind morgen wieder da.
Bis dahin.
Bleiben Sie zuversichtlich.
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