Die Party ist vorbei: Neue Armut auf Mallorca
Corona hat Mallorca zum Krisengebiet gemacht.
Der Ballermann. Verlassen von denen, die nicht mehr feiern dürfen.
Ein Geister Ort voller Verlierer.
"Ja, ich komme mir so ein bisschen überflüssig vor gerade, denn ich stehe
inzwischen seit einem Jahr in einer leeren verwaisten Schinkenstraße."
Deutsche Auswanderer, die sich hier eine Existenz aufgebaut haben, stehen
vor dem Ruin.
"Ich kann nicht mehr. Ich habe das jetzt ein Jahr durch.
Wir haben keine Rücklagen."
Vor den Essensausgabe bilden sich Schlangen.
Dem Massentourismus folgt das flächendeckende Elend.
Jeder dritte Mallorquiner gilt als arm.
"Es geht uns schlecht, denn von dem, was man verdient, zahlt man noch eine
hohe Miete. Dann bleibt einem nichts mehr fürs Essen."
Wer seine Miete nicht mehr zahlen kann, landet auf der Straße.
Obdachlos auf Deutschlands beliebtester Ferieninsel.
In El Arenal, dem ehemaligen Eldorado der Party-Touristen,
herrscht heute Totenstille.
Saufgelage und Teutonengrill gehören der Vergangenheit an.
Bilder aus jener Zeit wirken wie Relikte aus einer Promille-Steinzeit.
Menschen ohne Abstand, bespaßt von deutschen Schlagersängern wie
Peter Wackel.
"Auf geht's, ab geht's!"
Doch dann kam das Virus und die Party war vorbei.
Ob sie wieder losgeht? Ungewiss.
Ob die Verluste wettgemacht werden können?
Unmöglich. Dafür ist die Katastrophe zu weit fortgeschritten.
"Ganz vielen Künstlern geht es wirklich auch schlecht. Und es ist nicht
nur unsere Künstlerriege, die immer vorne dran auf der Bühne stehen.
Die ganzen Theaterschauspieler, auch die kleinen Musiker bei mir,
Bandmitglieder. Die sind jetzt am Bau oder haben irgendwelche normalen
festen Jobs wieder angenommen."
Obwohl Deutschland seine Reisewarnungen aufgehoben hat, ist die Promenade
noch immer leergefegt.
"Das ist mein alter Partykeller, da war ich jetzt seit über 17 Jahren.
Und ach ja, das...
Ob das wieder aufgeht, das steht natürlich auch wieder auf einem ganz
anderen Buch."
Ein paar unerschrockene Teutonen finden sich dann doch noch.
"Gustl!"
Der einsame Rheinländer hat eine Ferienwohnung auf der Insel und hofft auf
Gesellschaft. Allein macht der Ballermann keinen Spaß.
"Ich erwarte ganz einfach, dass über Ostern die ersten Leute kommen.
Und im Mai, da haben wir Vatertag.
Das sind wir ja auch immer wieder da.
Dass da auch mal ein Schwung mehr Leute kommt, sicherlich
es wird schwierig. Wir werden nicht feiern können wie das früher war.
Das muss auch nicht sein. Hier sechs da sechs, ist alles gut.
Hauptsache, es passiert wieder was."
Früher haben die Touristen hier jährlich 15 Milliarden Euro gelassen.
Letztes Jahr waren es weniger als zwei.
Und die reichen nicht für alle.
Die Essensausgabe einer deutschen Hilfsorganisation.
Die Bittsteller: Fast alles Menschen, die früher im Gastgewerbe
gearbeitet haben.
"Mir geht es so wie fast allen hier.
Letztes Jahr haben wir überhaupt nicht gearbeitet.
Die wenigen geöffneten Hotels haben nur die festangestellten Mitarbeiter
beschäftigt. Ich bekomme jetzt nur 400 Euro im Monat.
Das reicht gerade für die Miete.
Also entweder zahle ich Miete oder ich habe was zu essen."
Viele Saisonkräfte haben ohne Vertrag gearbeitet.
Vom Staat bekommen sie keine Hilfe.
Für die Schwächsten der Schwachen gibt es nur Almosen.
Dankbar sind sie trotzdem.
"Das ist eine große Hilfe für mich, weil ich keine Unterstützung bekomme.
Ich habe im Moment keine Arbeit und da ist es schwer, an solche Sachen zu
kommen. Das hilft vielen Menschen."
Die Organisation "Hope Mallorca" wurde von zwei deutschen Frauen
gegründet, die hier wohnen und hautnah miterlebten, wie der Insel
die Wirtschaftskraft ausging.
"Letztes Jahr, als der erste Lockdown kam, waren wir direkt vor
Saisonbeginn. Alle haben sich gefreut auf den Tourismus, waren vorbereitet
auf den ersten wieder großen Ansturm nach Winter und haben ihr ganzes
Erspartes ausgegeben.
Das ist ja das, was uns dann so hart getroffen hat.
Es waren die Investitionen weg, das Ersparte war weg.
Man hat es wieder in sein Geschäft gegeben, um im Prinzip den Tourismus
willkommen zu heißen. Und es kam kein Tourismus."
Stattdessen kamen die Arbeitslosigkeit und die neue Armut.
Auf Mallorca gilt nach wie vor eine Ausgangssperre.
Nach 22 Uhr dürfen Bürger nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung auf die Straße.
Im Marratxi kontrolliert das die Polizei.
"Haben Sie Ihren Ausweis dabei?" "Wir kommen vom Training."
"Na und?" "Wir dürfen dort nicht duschen
und haben keine Taschen dabei."
"Führerschein?" "Ich habe nichts dabei."
"Führerschein auch nicht?"
"Ich habe kein Portemonnaie, gar nichts."
"Das müssen wir prüfen, okay?" "Ja, natürlich."
Kein Führerschein, keine
Genehmigung und keine gute Ausrede.
Für die Polizisten ein eher kniffliger Fall.
"Das Problem ist, dass er sagt, sie kommen vom Fußballtraining.
Aber sie sind keine Profispieler, sodass sie gegen die Auflagen verstoßen.
Und sie haben gesagt, dass sie immer um diese Zeit fertig sind.
Wir werden eine Anzeige schreiben, weil sie die Ausgangssperre missachtet
haben."
Seit einer Woche steigen die Corona-Zahlen wieder an.
Der nächtliche Lockdown soll sie aufhalten.
Wer sich nicht daran hält oder andere Regeln bricht, muss zahlen.
Wie viel, entscheidet die Gesundheitsbehörde.
"Normalerweise kosten Verstöße zwischen 100 und 3.000 Euro.
Wenn es sich um Betriebe handelt, sind es zwischen 3.000 und 30.000 Euro.
Und für schwere Verstöße sind es sogar bis zu 60.000 Euro."
Kurz vor der Sperrstunde kommt Josefa Goméz nach Hause.
Die alleinerziehende Mutter hatte vor der Pandemie einen Job in einer
Tapas-Bar. Jetzt hat sie fast nichts mehr.
Die 400 Euro staatliche Hilfe, die sie bekommt, reichen kaum, um ihre
Kinder zu ernähren, geschweige denn für die Miete.
"Seit August kann ich keine Miete mehr bezahlen.
Ich habe auch schon meinen Räumungsbescheid bekommen.
Das Gericht hat mir jetzt also mitgeteilt, dass ich bis allerspätestens
Juni hier ausziehen muss."
Auch das kleine Baby ihres ältesten Sohnes lebt mit in der viel
zu engen Wohnung. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal.
Trotzdem hat Josefa Goméz für das heruntergekommene Apartment jeden
Monat 650 Euro bezahlt.
Geld, das sie nicht mehr hat.
Ein Teufelskreis.
"Ich habe Angst, dass man mir wieder meine Kinder wegnimmt, wenn ich keine
Wohnung mehr habe und ihnen nicht einmal ein bescheidenes Leben
ermöglichen kann.
Das ist meine größte Sorge.
Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich ständig daran denken muss."
Es gibt viele Deutsche, für die Mallorca zum Sehnsuchtsort wurde.
In der Nähe von Moscari erfüllten sich zwei Auswanderer den Traum
von einem veganen Hotel.
Ihr Tier- und umweltfreundliches Konzept kam gut an bei den Gästen.
Erforderte aber auch viele Investitionen.
"Wir haben hier komplett renoviert.
Wir haben die ganzen Wände gestrichen.
Wir haben oben die alten Kacheln gestrichen, die Türen,
die ganzen Möbel restauriert.
Das war ein ganz, ganz dunkles und trauriges
Gefühl eigentlich in den Zimmern."
Doch das vergangene Jahr hat die beiden Auswanderer schwer getroffen.
Ihr Wirtschaftsplan von der Pandemie auf den Kopf gestellt.
Ohne Gäste, ohne Einnahmen sind die Pächter finanziell am Ende.
"Die Situation ist so, dass wir seit fast einem Jahr immer nur sporadisch
öffnen durften, parallel aber alle Kosten weiterlaufen.
Also eine hohe Miete, die Kredite, die man zurückzahlen muss, die
Angestellten, die auch ihr Gehalt haben möchten.
Die Miete ist das Schlimmste gewesen eigentlich, dass unser Vermieter auch
gar nicht runtergeht und auch kein Gesetz erlassen wurde.
Das hat uns auch sehr frustriert, weil man ist so unverschuldet in
eine Krise geraten und hat eigentlich immer alles richtig gemacht.
Das ist das Traurige."
Obwohl zu Ostern wieder Gäste auf die Insel kommen dürfen, suchen die
Hotelbetreiber nun einen Nachfolger.
Ihr Schuldenberg ist einfach zu groß.
Abgestürzt beim Auswandern.
Ein bitteres Fazit.
"Das tut am meisten weh, dass man auch so viele Leute enttäuschen muss und
sagen muss 'Ich kann nicht mehr'. Ich habe das jetzt ein Jahr durch.
Wir haben keine Rücklagen. Wir haben von der Bank eben Geld bekommen
und irgendwann sagen die auch 'Nee, gibt's kein Geld mehr'.
Und ohne Geld kann man halt auch nicht mehr weitermachen."
Diejenigen, die schon alles verloren haben, landen hier.
In einer Obdachlosensiedlung mitten in Palma, Mallorcas Hauptstadt.
Diese junge Frau kam aus Barcelona auf die Insel, um als Kellnerin zu
arbeiten. Ein paar Jahre ging das gut.
Doch dann musste sie ihr Zuhause gegen diesen selbst gezimmerten Verschlag
tauschen. Spätestens seit Corona eine Sackgasse.
"Ich habe schon sechs oder
sieben Jahre hier auf dem Feld gelebt.
Jetzt bin ich wieder hier, weil ich meine Arbeit verloren habe.
Ich habe sehr viel verloren.
Jetzt gibt es auch keine neue Arbeit und wir haben keinerlei finanzielle
Unterstützung. Ich habe überall Hilfe beantragt.
Alles wurde mir verweigert."
In der Siedlung leben auch zahlreiche Migranten.
Dieser Marokkaner kam, um in Europa neu anzufangen.
Heute ist er Müllsammler.
"Du siehst schon, hier gibt es nichts. Das sind 10 Cent.
Wenn ich das hier nehme, 10 Cent pro Kilo für Eisen.
Das kaufen die Schrotthandlungen.
Es gibt hier ein paar Schrotthändler im Gewerbegebiet."
Doch mit der Pandemie sind sogar die letzten Erwerbsquelle weggebrochen.
"Wir verkaufen den Schrott oder die Kabel,
alles was wir im Müll finden.
Wir gehen damit eigentlich zum Flohmarkt.
Aber jetzt in der Pandemie wurden alle Märkte geschlossen, sodass
wir die Sachen, die wir finden, gar nicht verkaufen können."
Mittlerweile leben immer mehr Menschen auf der Straße, weil sie sich keine
Wohnung mehr leisten können.
So wie Belèn und ihr Mann.
In Palma am Rande der Plaza Espania haben sie seit einigen Monaten
ihr Lager aufgeschlagen.
"Das ist mein Haus. Das ist es.
Hier habe ich zwei Matratzen, dort etwas zu essen, da Hygieneartikel.
Da oben haben wir zugemacht, um uns vor den Blicken der Leute zu schützen."
Ihre Lebensmittel bekommen sie vom Roten Kreuz oder von privaten Spendern
aus der Nachbarschaft. Belèns Ehemann
sucht den ganzen Tag im Schrott nach Kupfer, das er verkaufen kann.
"Ich schäle das Kabel und hole das Kupfer raus, denn für Kupfer bekommt
man zurzeit 4,60€ pro Kilo.
Das hier ist mehr oder weniger ein Kilo Kupfer.
Das ist schon fertig aus den Kabeln gelöst.
Viele Leute sammeln Schrott und verkaufen ihn, um über die Runden zu
kommen."
Angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Not will Mallorca so schnell
es geht, raus aus dem touristischen Abseits.
Die Urlauber sollen und müssen zurückkehren.
Momentan liegt der Inzidenzwert auf der Insel bei unter 30.
Und alle wissen: Einen Anstieg kann sich Mallorca nicht mehr leisten.