Nachhaltig leben – warum ist das so schwer?
Hi! Heute ein Beitrag über Nachhaltigkeit und Politik. Was ist Politik, oder:
Worum geht es beim politischen Handeln? Dazu, vorweg, ein Zitat von Hannah Arendt,
die ich hier ja schon das eine oder andere Mal behandelt haben und die ich heute auch noch
das eine oder andere Mal erwähnen werde. Also los!
»[...] im Mittelpunkt der Politik steht immer die Sorge um die Welt [...] – und
zwar die Sorge um eine so oder anders beschaffene Welt, ohne welche diejenigen,
welche sich sorgen und politisch sind, das Leben nicht wert dünkt, gelebt zu werden.«
Politik ist, in diesem weitesten Sinne,
unser Handeln infolge der Sorge um die Welt als gemeinsamer Lebensraum.
Und dabei spielt Nachhaltigkeit eine tragende Rolle. Zu diesem Thema durfte
ich vor einer Weile, bei der Langen Nacht der Politik in Düsseldorf, einen Vortrag halten.
Eingeladen wurde ich von der Konrad-Adenauer-Stiftung wegen
meines Bezugs zur Philosophie, die ja stets ihren Teil zur Politik beizutragen hat – obwohl ich wohlgemerkt kein
»Philosoph« bin, sondern Philosophie-Studierender. Ich studiere seit 2016 in Teilzeit und remote,
also von Zuhause aus, lange bevor das alle gemacht haben,
bevor es »cool« geworden ist (oder: notwendig).
Beruflich bin ich, wie hier bekannt sein dürfte,
im Sachen Content Creation aktiv, das heißt: Ich kreiere digitale Inhalte wie Blogtexte,
YouTube-Videos, Online-Kurse – und über meine Inhalte ist die Konrad-Adenauer-Stiftung
auf mich aufmerksam geworden. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Aber... Als ich
gefragt wurde, ob ich nicht einen Vortrag halten könne zum Thema Nachhaltigkeit, und zu der Frage
»Warum sind nicht alle Menschen einfach nachhaltig?«
– da habe ich mich ertappt gefüllt. Denn einen nachhaltigen Lebensstil zu führen,
das ist bei mir persönlich gerade so 'n bisschen
aus dem Fokus gerückt... thematisch. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Der anthropogene, also menschengemachte Klimawandel ist ein reales, ernstes und
verdammt nochmal drängendes Problem, das wir nicht mit der einen Lösung angehen,
als wenn da noch was auszudiskutieren wäre, mit welcher Lösung wir denn am besten fahren.
Stattdessen müssen wir alles tun, um den Schaden – der ja bereits angerichtet ist
und der nicht mal mehr gering zu halten ist – um diesen Schaden irgendwie abzufedern.
Nochmal: Es gibt keine Entschuldigung, die Klima-Katastrophe, deren Auswirkungen wir ja
gegenwärtig miterleben, nicht als solche anzusehen: Eine Katastrophe, die wir
uns selbst eingebrockt haben und für die wir Verantwortung tragen.
Um die wir uns kümmern müssen.
Aber ich will trotzdem den Versuch einer Erklärung geben, warum ich selbst zurzeit
wohl kein gutes Vorbild bin. Das hängt nämlich, rede ich mir ein, ausgerechnet damit zusammen,
dass ich vergangenes Jahr zum ersten Mal Vater geworden bin. Dabei sollte
doch gerade das Vater-Werden dazu beitragen, Vorbild sein zu wollen.
Aber dann sind wir umgezogen, dann sind wir in diesem Jahr nochmal umgezogen, und dann
bin ich nochmal Vater geworden. Meine Frau und ich, wir sind sehr happy, aber müde.
Apropos, bevor hier irgendwer einschläft, weil ich nicht zum Punkt komme, mal kurz der Fahrplan für
die nächsten paar Minuten. Denn da gibt's nämlich viel mehr als nur einen Punkt, zu dem zu kommen wäre...
Ich will mein Leid klagen, Punkt 1. Damit bin ich fast fertig. Dann werde ich die
Ausgangsfrage ablehnen, Punkt 2, und ein anderes Thema vorschlagen. Dann will ich darüber reden,
weil das – wie ich finde – das eigentliche Problem mit der Nachhaltigkeit ist. Punkt 3.
In Punkt 4 seziere ich dieses Problem und zeige, warum herkömmliche Lösungen nicht
funktionieren. Dann versuche ich, Punkt 5, krampfhaft, der Philosophie eine Lösung zu
entringen. Weil ich ja Philosophie studiere und in den anderen Bereichen noch weniger Ahnung habe.
Und dann will ich euch, Punkt 6, von der Brillanz dieser Lösung überzeugen.
Damit gebe ich nach ein paar Minuten auf – und den Rest
klären wir dann in den Kommentaren. Ich freu' mich auf die Diskussion.
Nochmal zurück zu meiner Frau und mir. Ich weiß gar nicht, ob es zeitgemäß ist, von
»meiner« Frau zu sprechen. Damit will ich keinerlei Besitzansprüche ausdrücken. Wir sind beide »woke«.
Denk' ich.
Jedenfalls haben wir beide durchaus die Ambition, nachhaltiger zu leben.
Aber wir hatten seit jeher Schwierigkeiten damit, auf Worte auch Taten folgen zu lassen. Und in
letzter Zeit reden wir seltener über das Thema Nachhaltigkeit. Vermutlich weil wir beide merken,
dass uns jetzt gerade erst recht die Kraft dazu fehlt, es durchzuziehen.
Verdrängung!
Klarer Fall von Verdrängung!
In der heißesten Umzugsphase, die zufällig in die verschneiteste Winterwoche fiel – wieder
keine Entschuldigung, nur Kontext – da hat das sogar mit der Mülltrennung zuweilen
nicht mehr richtig geklappt.
Dabei war das für mich immer eine tragende Säule meiner deutschen Identität,
Na ja. Seitdem nehme ich Gretas strengen Blick schon sehr persönlich.
Und inzwischen umso mehr, wenn ich die Kinder nicht mit Stoff wickele,
sondern mit irgendwelchen Windeln, von denen ich nicht mal überprüft habe, ob da
wenigstens ein beruhigendes Umwelt-Label drauf ist... ich nehme an: ja, aber was hieße das schon?
Nachhaltigkeit ist bei uns ausgerechnet in diesen krassen
Jahren 2020/21 in den Prioritäten nach unten gerückt. Das darf doch nicht sein. Überhaupt,
wer mehrere »Prioritäten« hat, hat keine richtige Priorität.
Von der Politik, »da oben«, wünsche ich mir eine klare Priorität – die Klimakrise
in den Griff kriegen, was sonst? Ohne Wenn und Aber, ohne Abwägen,
ob die Wirtschaft das denn aushält. Andersherum, also das Klima der Wirtschaft unterordnen,
ha'm wir ja lange gemacht, hat uns den Mist eingebrockt, also bitte, umdenken, da oben.
Aber wälzt das doch bitte nicht auf mich ab, auf uns, die wir uns hier mit Nachhaltigkeit befassen müssen.
Meine Prio sind gerade diese beiden Kiddies.
»Die Kinder am Kacken halten«, wie mein Vadder so schön zu sagen pflegt.
Das eine der beiden ist inzwischen so aktiv,
dass es die chaotische Macht des Universums, diesen »Drang nach Unordnung«, Entropie – oder
wie das heißt – zu uns in die Wohnung holt und Chaos stiftet. Es ist mir unerklärlich,
wie zwei Erwachsene mit dem Ziel, die Wohnung in Ordnung zu halten,
völlig abloosen gegen so 'n kleines Wesen, dass ja nicht mal das erklärte Ziel verfolgt,
die Bude komplett auf den Kopf zu stellen.
Sondern einfach nur den Ideen nachgeht, die in dem Köpfchen so aufplöppen.
Den Schuhschrank ausräumen, mit dem Papiermüll spielen, Müsli verteilen.
Was man so macht. You gotta do what you gotta do.
Das andere Kind liegt noch etwas passiv herum, wie so 'ne Frikadelle,
die sich immerhin selbst meldet, wenn sie gewendet werden will.
Also... ja, wo war ich?
Nachhaltigkeit! Ja.
Ich kann darüber ein Klagelied singen.
Das hab' ich jetzt getan, das war Punkt 1... Aber darüber reden?
Ich kann ja nicht mal in Ruhe darüber nachdenken,
warum Menschen nicht einfach nachhaltig sind? Mein erster Impuls war, die Frage zu googeln.
Tatsächlich keine so schlechte Idee.
Im Internet gibt's Antworten,
auf genau diese Frage, viele sogar. Das ist ja das Schöne an wirklich ambitioniert nachhaltig
lebenden Menschen, dass die so mitteilsam über ihren Lebensstil sind. Geradezu aufdringlich.
Haben scheinbar kein anderes Thema – und schreiben das Internet damit voll.
Ist natürlich nix anderes, als Menschen, die ihren sportlichen Lebensstil kundtun, oder
die lieber über Netflix oder Gaming reden, weil das eben ihr Loifstyle ist. Oder junge Eltern,
die über nix anderes als ihre Blagen klagen. Aber na ja, wenn etwas unser schlechtes
Gewissen triggert, dann fällt uns das einfach mehr auf. Uns Ewig-Gestrigen. Uns Sünder*innen.
Mit Genderstern! Noch so ein Reizthema.
Also habe ich mal reingelesen,
in diese Blogbeiträge, in denen es um die Schwierigkeiten des nachhaltigen Lebens geht.
Hier mal direkt die Top 3 Gründe, warum nicht alle Menschen einfach nachhaltig sind:
Erstens: Es ist anstrengend. Nachhaltiges Zeug recherchieren,
Umwege beim Einkaufen, eigene Behälter mitschleppen,
vielleicht sogar eigene Tomaten züchten. All das kostet viel Zeit und Kraft.
Zweitens: Es ist peinlich. Es fällt einfach auf. Die Leute stellen dann Fragen,
wundern sich, warum denn alles so umständlich gemacht werden muss. Achso, Nachhaltigkeit – ja...
wenn du meinst, da als einzelne Person was reißen zu können, nimm' dich ruhig so wichtig, wa?
Drittens: Es ist teuer. Es kostet nicht nur Zeit und Kraft, sondern auch Geld,
dieser ganze nachhaltige Kram. Der neueste Tesla zum Beispiel
ist bestimmt 'n nachhaltiges Auto. Kostet nur halt ein überdurchschnittliches Jahreseinkommen.
Ungefähr, ich hab' keine belastbaren Zahlen.
Im Supermarkt jedenfalls da sind doch die nachhaltigeren Produkte
immer noch die teurereren. Darum geht's mir. That's my point.
Der Hauptgrund hinter oder über all diesen Gründen ist natürlich der,
dass zu wenige mitmachen; dass nachhaltig lebende Menschen eine Minderheit sind.
Und Minderheiten haben's tendenziell schwerer. Schon der Genderstern wird ja absurderweise gerne
mit dem Argument abgelehnt, dass die Mehrheit ihn für überflüssig hält. Ach was? Überraschung.
Da hätten wir jedenfalls ein paar Antworten auf die Frage, warum nicht alle Menschen
einfach nachhaltig sind, oder nachhaltig leben. Zusammengefasst: Weil es einfach zu wenige sind.
Weil den meisten Menschen die Zeit, die Kraft, der Mut, das Budget dafür fehlt.
So.
Das sind 'n paar Antworten, aber ja noch keine Lösungen zum eigentlichen Problem.
Schon die Frage lenkt ja weg vom eigentlichen Problem, liebe Konrad-Adenauer-Stiftung. Und deshalb
hab' ich die Ausgangsfrage auch abgelehnt – oder: abgelegt, beiseite gestellt, Punkt 2 abgehakt.
…und will endlich auf das eigentliche Problem zu sprechen kommen. Das eigentliche
Problem ist ja: Warum handeln nicht einfach alle Menschen im Sinne der Nachhaltigkeit?
Klingt sehr ähnlich wie die Ausgangsfrage.
Der feine Unterschied wird im Folgenden (hoffentlich) klar.
Die vorläufige These lautet:
Je mehr einzelne Menschen ein Bewusstsein für
und Verständnis von Nachhaltigkeit und dem Erreichen derselben entwickeln,
desto einfacher wird es, nachhaltig zu leben.
Und darum müssten wir uns gegenseitig zu einem solchen Lebensstil motivieren – nicht in erster Linie
dem nachhaltigen Lebensstil selbst, sondern einem Lebensstil,
der nach Bewusstsein und Verständnis rund um das Thema Nachhaltigkeit strebt.
Das ist das eigentliche Problem, die persönliche Herausforderung, die hiermit etabliert sei.
Das war auch schon Punkt 3. Ich hoffe, ihr seid noch dabei, bin zur Hälfte durch.
Ungefähr. Ich verspreche, eine Lösung zu präsentieren, die zumindest mir
eine neue Motivation beschert hat. Aber es ist ja nicht so, als gäbe es noch keine Argumente,
um uns persönlich in die Pflicht zu nehmen.
Schauen wir uns diese Argumente also einmal kurz an
und überlegen, warum diese Argumente offensichtlich nicht hinreichend ziehen.
Im Wesentlichen sind es zwei Argumente, die wir immer wieder bemühen, wenn es um die
Nachhaltigkeit der Einzelnen geht, bzw. um deren übermäßigen Konsum, der eben nicht nachhaltig sei.
An dieser Stelle sollten wir anerkennen, dass unser Kernbegriff,
»Nachhaltigkeit«, alles andere als eindeutig definiert ist und im Spannungsfeld von unzähligen
Aspekten steht. Vermutlich haben wir alle teils sehr unterschiedliche Vorstellungen davon,
was mit »Nachhaltigkeit« gemeint ist, während wir fleißig darüber streiten,
als sei es klar. Das ist Teil des eigentlichen Problems. Zu wenig Verständnis.
Als eine Definition ziehe ich hier die von Brian Barry zurate, der 1999 schrieb,
das Kernkonzept der Nachhaltigkeit bestehe darin, dass es ein X gibt, dessen Wert,
soweit es in unserer Macht stehe, bis in die unendliche Zukunft erhalten werden solle.
Das führt prompt zur Frage: Was ist dieses X? Barrys eigener Vorschlag lautet,
das X als eine »Chancengleichheit zwischen den Generationen« zu verstehen. Demnach
ist Nachhaltigkeit also eine Bewahrung der Chancengleichheit zwischen den Generationen.
Die pointierte Gegenüberstellung der folgenden Argumente habe ich übrigens nicht selbst
ersonnen. Sondern, ich bin beim Recherchieren über einen Fachartikel des US-amerikanischen Philosophen
Paul Voice gestoßen, den ich hier in seinen Kernaussagen mal kurz wiedergeben will. Auch die
Nachhaltigkeitsdefinition von Brian Berry habe ich bei Voice gefunden.
Also, da hätten wir das rationale Argument.
Das rationale Argument appelliert an unser Eigeninteresse und unsere Vernunft.
Es sei doch nur in unserem Sinne und vernünftig, nicht heute verschwenderisch mit Dingen umzugehen,
die wir in absehbarer Zukunft noch brauchen könnten. Ein verschwenderischer Umgang mit
begrenzten Ressourcen kann selbstzerstörerisch sein –
und wer will sich schon den Vorwurf machen, so unvernünftig zu handeln?
Das Problem mit diesem Argument ist, dass der von uns angerichtete Schaden ja meist
gar nicht uns persönlich trifft – sondern irgendwelche armen Seelen außer Sichtweite.
Die Konsequenzen unseres ungezügelten Konsums sind räumlich und zeitlich derart verzerrt,
dass es manchen Menschen durchaus »vernünftig«
erscheint, eben nicht nachhaltig zu leben, sondern aus dem Vollen zu schöpfen.
Wer diese Art von kalter, selbstbezogener Vernunft vertritt, wird auch nicht mit dem
Argument zu überzeugen sein, dass es ja auch eigene Landsleute oder gar die eigenen
Nachkommen treffen könnte. So what?
Von daher reicht das rationale Argument nicht aus. Was haben wir noch?
Das moralische Argument appelliert an unsere Pflicht gegenüber den Mitmenschen,
mit denen wir in einer geregelten Gemeinschaft leben,
in einem Sozial- und Rechtsstaat. Und mit jedem Recht, das uns zugestanden wird,
geht eben auch die Pflicht einher, dasselbe Recht bei anderen Menschen anzuerkennen.
Auch das ist wieder eine sehr rationale Einsicht, die jedoch über die reine Vernunft hinausgeht –
und unser Gefühl anspricht, unser Empfinden für Gerechtigkeit. Damit hat das moralische
Argument aber auch einen Charakter, der sehr viel mehr Imperativ ist, als das rationale Argument.
Und so, wie Vernunft kalt sein kann, können Gefühle aufheizen – immer dann,
wenn der imperative Ton, der im moralischen Argument mitschwingt,
als Aufforderung oder gar Befehl empfunden wird, die eigene Freiheit einzuschränken.
What – the – fuck! ? Ich persönlich will doch nur mein Leben auf die Kette zu kriegen! Was kann ich denn dafür,
wenn mir die Konzerne mir ihren ganzen schädlichen Scheiß aufzwingen?
Soll ich jetzt dafür verantwortlich sein, beim Einkaufen irgendwie jede Packung
dreimal umzudrehen, oder wat! ? Da hab' ich keine Zeit für. Ich muss Geld verdienen, die Miete zahlen, die Kinder versorgen.
Wie soll das bitte gerecht sein, mich jetzt hier so in die Pflicht zu nehmen, he! ? Das moralische Argument ist eine schöne Idee, es stößt im realen Leben aber mehr Debatten an, als es zu Lösungen beiträgt.
Und damit beschließe ich Punkt 4,
die Sezierung des Problems und bisheriger Lösungen bzw. Argumente.
Was braucht unsere Lösung denn? Sie sollte nicht an die Vernunft appellieren,
denn so vernünftig sind wir nicht. Zumindest nicht mit Blick auf die Zukunft
und das Gemeinwohl und so abstrakte Sachen.
Eine gute Lösung muss A) uns selbst betreffen, uns höchstpersönlich,
die wir uns bekanntlich am nächsten stehen.
Eine gute Lösung muss B) fürs Hier und Jetzt relevant sein, und sollte einen möglichst
kurzen Feedback-Loop haben. Wir wollen am besten morgen schon die Früchte unserer
heutigen Maßnahmen ernten. Amazon-Prime-Kunden vielleicht heute Abend schon. Wir wollen am
eigenen Leib und Leben spüren, dass es was bringt, sich mit Nachhaltigkeit zu befassen.
Und eine gute Lösung sollte uns C) bloß nicht in unserer Freiheit einschränken.
Wer will sich schon Verboten beugen? Tun wir in der Praxis zwar den lieben langen Tag,
aber ok. Stark wäre stattdessen doch eine Lösung, die uns in unserer Freiheit sogar fördert,
die uns unser ganzes Potential ausschöpfen lässt. Das wär'... noice. Schauen wir mal…
Damit komme ich zu einer Philosophin, für die Freiheit ein großes Thema war.
Und zwar, natürlich, die eingangs zitierte Hannah Arendt. Ok, eigentlich
war sie gar keine Philosophin oder wollte sich zumindest nicht als solche verstanden wissen,
sondern als politische Theoretikerin. Passt auch besser zur »Langen Nacht der Politik«.
Doch das Werk, das ich jetzt heranziehe, gilt nunmal als philosophische Schrift – und sogar
als Hannah Arendts philosophisches Hauptwerk.
Es trägt den Titel: Vita activa oder Vom tätigen Leben.
Darin beschreibt Arendt die drei Grundtätigkeiten des Menschen;
die drei Arten von Tätigkeiten, die uns als Menschen oder als vollwertige Personen
erst ausmachen. Nicht in dem, »was« wir sind, sondern »wer« wir sind.
Anders gesagt: Ohne die das Menschsein nicht verwirklicht ist.
Wichtig, wenn ich die drei Grundtätigkeiten in ihren Grundzügen gleich ganz grob beschreibe, dann sind damit
keine konkreten Tätigkeiten gemeint, wie Backen, Töpfern, Vorträge halten. Die drei Arten von
Grundtätigkeiten, die Arendt beschreibt, sind Dimensionen, von denen ein und dieselbe
Tätigkeit mehrere innehaben kann. Klingt kompliziert, ist es nicht, sehen wir gleich.
Die drei Grundtätigkeiten des Menschen sind für Arendt das Arbeiten (im Sinne von »labour«),
das Herstellen (im Sinne von »work«) und das Handeln (im Sinne von »act«).
Arbeiten umfasst alle lebensnotwendigen Tätigkeiten. Alles, was dazu dient,
unsere biologischen und existenziellen Bedürfnisse zu erfüllen, fällt unter Arbeit. Ernährung,
Fortpflanzung, Konsum, Arbeiten um der Miete willen, all sowas. Arbeit hat immer etwas
Naturverbundenes, etwas Zyklisches, ein ewiger Kreislauf, der uns durchs Leben begleitet.
Herstellen betrifft den Schritt von der Natur zur Kultur, zum Erschaffen der Welt,
wie sie uns seit Menschengedenken umgibt und kraft unseres Herstellens in einem stetigen Wandel ist,
den wir auch gerne »Fortschritt« nennen. Alles, was nicht lebensnotwendig, aber
»nice to have« ist, alles Verdinglichen, aber auch Sinn-Stiften fällt in diesen Bereich.
Der herstellende Mensch, oder Homo Faber, ordnet alle Natur und Welt seinen Werken
und Zwecken unter – und kann dabei nicht nur erschaffend, sondern auch sehr zerstörerisch sein.
Handeln ist das, was uns hier zusammenbringt.
Sofern du nicht nur diesen Beitrag konsumierst und »Gefällt mir« drückst, sondern auch kommentierst.
Beim Handeln geht es um uns als einzigartige, aber zahlreiche
solcher einzigartigen Individuen, die ihr gemeinschaftliches Miteinander aushandeln.
Nicht ein für allemal, sondern ständig, fortlaufend. Zeit unseres gesellschaftlichen Lebens.
Verhalten ist passiv. Handeln ist aktiv, ist Teilnahme und Mitgestaltung, ein demokratischer
und freiheitlicher Akt – und das, was uns in unserer Menschlichkeit erst vollends entfaltet.
Wer zur falschen Zeit am falschen Ort lebt und das falsche Geschlecht hat – sagen wir:
Dezember 2021, Afghanistan, weiblich – muss damit rechnen, mindestens einer dieser drei
Grundtätigkeiten beraubt zu werden oder effektiv schon darum beraubt zu sein.
Wem das Mitreden im öffentlichen Raum versagt wird, wer sich weder zeigen noch teilnehmen darf,
am gesellschaftlichen Diskurs, kann nicht Handeln und Sprechen im Sinne Arendts;
ist ein um die eigene Menschlichkeit beraubtes Wesen.
Aber auch, wer zwar dem kreativen Schaffen in aller Freiheit frönen kann und Kunst erschafft,
das Herstellen potentiell bedeutsamer Werke zur Perfektion betreibt, bleibt damit ein in seiner
Menschlichkeit nicht voll verwirklichtes Wesen, wenn es nur im Verborgenen geschieht.
Werke gewinnen erst an Bedeutung, indem sie wahrgenommen werden. Herstellen und
Handeln verhalten sich zueinander, wie Werk und Wirkung. Auch wenn Hannah Arendt
auf die Frage nach der eigenen Wirkung eher amüsiert reagiert.
Jetzt fragen Sie über die Wirkung. Es ist, also, wenn wir auf die erste Frage
zurückkommen und wenn ich ironisch reden darf: Es ist eine männliche Frage.
Männer wollen immer furchtbar gern wirken.
Okay. Ich mach' mal... weiter.
Wer, zuletzt, nach zehn Stunden harter Schufterei nach Hause kommt,
nur noch schnell was essen und sich dann vom Fernsehen in den Schlaf lullen lassen kann,
ist komplett in der ersten Art von Tätigkeit gefangen: Arbeit und Konsum. Lebenserhaltende Maßnahmen.
Wer ausschließlich in diesem Modus existierte, wäre laut Arendt ein »animal laborans«, ein Arbeitstier.
Es handelt sich wie gesagt um Dimensionen, von denen wir uns mit gewissen Aktivitäten stets
in mehreren gleizeitig bewegen können.
Wenn sich solche imaginären Arbeitstiere ums Wasserloch versammeln, also...
bei der Kaffeemaschine auf der Arbeit z. B., und dort miteinander ins Gespräch kommen,
dann kann darin schon wieder eine Tätigkeit des Handelns liegen.
Erst recht wenn sie sich bei dieser Gelegenheit gewerkschaftlich organisieren.
In der komplexen Lebenswirklichkeit von uns Menschen sind wir nie nur einer dieser drei
Grundtätigkeiten verschrieben. Sondern, darin liegt die Beobachtung, was uns zu Menschen macht,
ist eben die Kombination aller dieser drei Tätigkeiten – und deren Gewichtung.
So.
Wie kriege ich nun dieses Modell von Arendt,
die dabei nicht die Klimakrise im Sinn hatte, auf unser Thema Nachhaltigkeit angewandt?
Das wäre Punkt 5 von 6 – und jetzt kann's ja zugeben:
Den sechsten Punkt spar' ich mir. Wir sind fast am Ende.
Ich hatte nie vor, irgendwen von der Brillanz dieser Gedanken zu überzeugen. Sie sprechen für sich,
oder eben nicht. Denn das ist manchmal das Ding mit philosophischen Antworten auf lebensbegleitende
Fragen: Sie sind nicht richtig oder falsch, sondern nur gut oder meh...
Wie sehr ein philosophischer Denkansatz zum aktuellen
politischen Diskurs beitragen kann, steht und fällt damit,
ob uns das jeweilige philosophische Konzept – hier: die Grundtätigkeiten
des menschlichen Lebens – einleuchtet und von sich aus überzeugt.
Ich weiß, dass solche Ideen erstmal sacken müssen. Ist immer etwas über-ambitioniert
Arendts Grundtätigkeiten oder Arendts philosophisches Hauptwerk
in dieser Kürze zusammenfassen zu wollen. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich das hier versuche.
Mir jedenfalls erscheint der darin vermittelte Ansatz
alle drei Anforderungen zu erfüllen, die ich an eine gute Lösung habe.
Das Problem bzw. Ziel war, zur Erinnerung, wie wir mehr Menschen dazu bewegen,
mehr Bewusstsein und Verständnis für Nachhaltigkeit zu entwickeln – angefangen
mit uns selbst. Für das rationale Argument bin ich zu unvernünftig. Für das moralische
Argument bin ich zu selbstbezogen. Also, was hat Arendt mir zu bieten?
A) Arendts Ansatz betrifft mich selbst, wie schön! Ich kann auf mich und mein Leben
schauen und mich fragen, ob und inwiefern ich denn in diesen drei Grundtätigkeiten aktiv bin – und ob
ich nicht einen Bereich vernachlässige, oder in einem Bereich über die Strenge schlage.
In der Tätigkeit des Arbeitens zum Beispiel, in die ja auch der Konsum fällt, zumindest soweit
damit das Überleben abgesichert wird. Wenn ich mir meinen tatsächlichen Konsum
so anschaue, von Genussmitteln bis hin zu Zerstreuungsangeboten,
dann schlägt mein Konsum teilweise doch weit über das Lebensnotwendige hinaus.
Ich verbringe schon viel Zeit mit Konsum. Also mit »labour«, mit Arbeit, im Sinne Arendts.
Unverhältnismäßig viel, wenn ich mir im Vergleich
mein Herstellen und mein Handeln anschaue, da ist schon deutlich weniger los.
Wie kann meine Work-Life-Balance verbessern? Oder, nein: Meine Labour-Work-Act-Balance.
B) Arendts Ansatz kann ich im Hier und Jetzt anwenden.
Denn gerade die erste Grundtätigkeit ist doch ein Teufelskreis: Ich arbeite,
um Geld zu verdienen, und geb' das Geld wieder aus, indem ich konsumiere.
Alles, was davon nicht meinem Lebensunterhalt dient (und jetzt dem meiner Kinder)
ist übermäßiger Konsum, sind übermäßige Ausgaben. Wenn ich weniger konsumieren würde,
müsste ich auch weniger Geld verdienen – oder: Weniger Arbeiten um des Geldes willen.
Weniger Arbeiten im Sinne von »labour«.
Stattdessen hätte ich mehr Zeit für Arbeiten im Sinne von »work«, etwas herstellen, was mir persönlich
viel mehr Freude bereitet: Kreatives Schaffen.
Höre dazu auch meinen Podcast auf Spotify:
»Schrott oder Schrein« über kreatives Schaffen und Scheitern.
Beim kreativen Schaffen geht es um die Mitgestaltung der Welt, die uns umgibt.
Jede Stunde, die ich weniger fernsehe, Netflix binge oder durch meinen Facebook-Feed wische,
kann ich herstellend tätig sein – und mich so in meiner Menschlichkeit mehr entfalten.
C) Arendts Ansatz schränkt mich nicht in meiner Freiheit ein,
das ist der beste Part. Arendt öffnet mir im Gegenteil die Augen
für all die positiven Freiheiten meines Lebens, die ich noch ungenutzt lasse.
All die Dinge, zu denen mich niemand zwingt, zu denen ich aber,
kraft meiner Menschlichkeit (und meiner Privilegien),
die Möglichkeit habe – sofern ich sie für gut und richtig halte.
Ich kann mich frei dazu entscheiden, weniger Auto zu fahren, Plastik zu kaufen,
Fleisch zu essen. Niemand zwingt mich dazu – außer diese blöde,
innere Lust aufs Fleisch. Ist doch dämlich: Wir versuchen unsere »Freiheiten« verteidigen,
dabei rührt die größte Unfreiheit oft von uns selbst her, unseren zwanghaften Gewohnheiten,
denen wir macht- und willenlos unterworfen sind. Laber' doch nicht!
Dann versuch' mal, deinen Konsum einzuschränken – und schau', wie dein innerer Schweinehund das mitmacht.
Frei sein hier oben – DAS ist die Herausforderung.
Na, schön und gut, ich habe also die Freiheit, mehr nachhaltige Produkte
zu kaufen, z. B., mehr zu handeln, das heißt: mich mehr in den politischen, gesellschaftlichen
Diskurs einzubringen, mehr mitzureden, mitzudenken – vielleicht das zuerst. Mitdenken. Nachdenken.
Und wenn ich so darüber nachdenke, nachlese, mich mit den Fakten befasse, dann wird klar,
dass ich persönlich noch so sehr nachhaltig leben kann
– es bleibt ein Tropfen auf dem heißen Stein. Oder auf der immer heißer werdenden Erde...
Worauf es ankommt, ist das miteinander Sprechen und das gemeinsame Handeln.
Die Beschäftigung mit Arendts Grundtätigkeiten des Menschen hat
mein Verständnis dafür geschärft, wie wichtig Handeln ist – also die aktive
Teilnahme am globalen, sozialen Miteinander.
Wie winzig mein Beitrag dazu auch sein mag, ist er doch viel größer,
als wenn ich mich nur mit meinem eigenen, privaten, kleinen Leben befasse.
Denn, besinnen wir uns: Es ist nichts damit gewonnen,
wenn alle Menschen von heute auf morgen »einfach« nachhaltig sind,
in ihrem persönlichen Leben. Das bringt uns vielleicht ein paar Jahre mehr.
Die Idee vom persönlichen CO2-Fußabdruck hat uns, wie leicht zu vergessen ist,
der Öl- und Gas-Konzern BP im Jahr 2004 beschert – mit einer PR-Kampagne im Wert
von einer Viertelmilliarde US-Dollar und der Absicht, den Fokus zu verschieben:
Weg von den globalen Playern hin zu den einzelnen Personen. 17 Jahre später ist
der Fokus immer noch verschoben. War also jeden Penny wert, diese Kampagne.
Es geht darum, dass gewisse einzelne Menschen ja nicht nur Verantwortung für ihr eigenes,
persönliches Leben tragen, sondern Verantwortung für viel größere
Bereiche anstreben oder bereits innehaben. Solche Verantwortung fällt den Menschen
selten in den Schoß. Oft arbeiten sie hart dafür, kämpfen, setzen sich durch.
Das verdient Respekt. Solange es nach fairen Mitteln geschieht und solange
sie ihrer Verantwortung dann auch gerecht werden.
Nachhaltigkeit im eigenen Leben ist wichtig. Aber sie ist nicht nur nicht die Lösung zum wirklichen
Problem, sondern ein verschwindend geringer Beitrag, der nicht annähernd reichen würde.
Nicht falsch verstehen. Indem wir uns für einen nachhaltigeren Lebensstil entscheiden,
lösen wir zwar nicht das Problem, aber wir vermitteln unsere Werte.
Auch das hat immer eine öffentliche, eine sozial-wirksame Komponente. Und die ist
extrem wichtig. Vorbild sein ist wichtig – für uns selbst, für unsere Mitmenschen und für unsere Kinder.
Wir sind soziale, vom gesellschaftlichen Druck geformte Wesen. Das ist genauso
wenig gut oder schlecht, wie es mit dem Meer und den Steinen ist,
die in der Strömung rund geschliffen werden. Es ist wie es ist.
Wir ziehen unsere Werte aus Vorbildern, ob bewusst oder unbewusst. Und wir sind,
bewusst oder unbewusst, selbst Vorbilder,
die Werte vermitteln und einfordern – aber bitte nicht nur in Bezug auf die Kinder.
Genauso, wie wir die kleinen Chaos-stiftenden Hosenscheißer*innen erziehen,
so müssen wir auch verantwortliche Menschen in Politik und Wirtschaft erziehen,
die sonst nämlich viel größeres Chaos anrichten.
Wir müssen sie bewusst auf unsere Werte aufmerksam machen – und das
Beachten dieser Werte dann auch einfordern. Beim Missachten
unserer Werte müssen Verantwortliche die Konsequenzen auch zu spüren bekommen.
Idealerweise.
Die winzigen Mittel, die uns dafür zur Verfügung stehen, sind bekanntlich ballot und wallet.
Also: Stimmzettel und Brieftasche. Wie schon im Kommentarbereich unter dem sehr
empfehlenswerten Kurzgesagt-Video zum Thema Klimawandel zu lesen war:
Wenn das so ist, sind wir am Arsch. Das lass' ich mal so stehen...
...und überlasse das Schlußwort Hannah Arendt. Deren Zitat über Politik, vom Anfang
des Vortrags – das war nämlich übrigens mein Vortrag –, hatte ich mir ehrlich gesagt etwas zurechtgestutzt.
Eigentlich schrieb sie darüber, wie wir die Welt verändern können. Und zwar so:
Wie immer man sich zu der Frage stellen mag, ob es der Mensch oder die Welt sei,
die in der heutigen Krise auf dem Spiel steht, eines ist sicher, die Antwort,
welche den Menschen in den Mittelpunkt der gegenwärtigen Sorge rückt und meint,
ihn ändern zu müssen, um Abhilfe zu schaffen, ist im tiefsten unpolitisch;
denn im Mittelpunkt der Politik steht immer die Sorge um die Welt und nicht um
den Menschen – und zwar die Sorge um eine so oder anders beschaffene Welt, ohne welche diejenigen,
welche sich sorgen und politisch sind, das Leben nicht wert dünkt, gelebt zu werden.
Und eine Welt ändert man so wenig dadurch, daß man die Menschen in
ihr ändert – ganz abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens –,
wie man eine Organisation oder einen Verein dadurch ändert, daß man seine Mitglieder anfängt,
so oder anders zu beeinflussen. Will man eine Institution, eine Organisation, irgendeine
weltlich bestehende öffentliche Körperschaft ändern, so kann man nur seine Verfassung,
seine Gesetze, seine Statuten erneuern und hoffen, daß alles andere sich von selbst ergeben werde.
Das war's für heute. Feedback und Fragen wie immer gerne in die Kommentare.
Und wer diesen Kanal unterstützen möchte, kann das ab sofort auch über Patreon tun.
Ich pack' einen Link zu meiner Patreon-Seite direkt unter diesen Beitrag,
und sag' danke für die Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal!
Und guten Rutsch ins neue Jahr! Viel beschissener kann's nicht werden.
Das nehm' ich zurück und sag' stattdessen:Toi, toi, toi.
Seitdem nehme ich Gretas strengen Blick schon sehr persön- [RUMMS!]
Das war für mich eine tragende Säule meiner deutschen Identität.
Meiner DEUTSCHEN Identität!
Seitdem nehme ich Gretas strengen Blick schon sehr persönlich.
Und inzwischen umso mehr... haltet die Fresse, hier, Siri! Tschüss. [Siri plaudert]
Nee. Du suchst nach gar nix. Hau ab. So.