Cannabis-Legalisierung kommt: Wie steht es um das deutsche Gras?
Wenn man ehrlich ist, dann bin ich schon ein Kiffer.
Ich installiere mir eine versteckte Kamera.
Wir wollen mal schauen, was kriegen wir da eigentlich?
Es gibt jedes Jahr so ein Dutzend oder mehr Todesfälle,
die auf das Konto dieser Stoffe gehen.
Noch nie schien die Cannabis-Legalisierung so nah wie in diesem
Herbst.
Wir können ja nicht so weitermachen wie jetzt.
Immer mehr Menschen in Deutschland kiffen.
Die Droge ist mitten in der Gesellschaft angekommen.
Wir begeben uns auf eine Reise durch die deutsche
Cannabis-Realität.
Wir wollen herausfinden, wo die Pflanze schon längst ihren Platz
gefunden hat – und was sich durch eine Legalisierung ändern
könnte.
Was machst du da jetzt?
Ich installiere mir eine versteckte Kamera.
Wir sind hier auf Hamburg-Sankt Pauli und wollen gleich auf
dem Schwarzmarkt Cannabis kaufen.
Das ist so einer der bekanntesten Umschlagplätze für Cannabis
hier in Hamburg, die Hafenstraße.
Und wir wollen mal schauen, ja, was kriegen wir da eigentlich?
Also ich habe keine Ahnung was mich erwartet und
ob ich im Endeffekt Basilikum bekommen oder wirklich Cannabis.
Es dauert nicht lange, bis uns mehrere Dealer ansprechen, mit
einem kommen wir ins Gespräch.
Aus rechtlichen Gründen dürfen wir den Ton nicht aufzeichnen.
Es folgt ein Gedächtnisprotokoll.
Alles klar?
Ja. Hast du Weed?
Ich habe Koks.
Nein, ich will Gras.
OK, ich habe Silver Haze. 50 Gramm für 50. Das ist richtig gut, gutes Haze.
Ich will aber nur drei Gramm.
Ol, dann gib mir 30 für drei.
Der Dealer nimmt das Geld und verschwindet.
Ob und womit er zurückkommt, wissen wir nicht.
Jetzt heißt es erst mal abwarten.
Fernab des illegalen Schwarzmarktes agiert das Unternehmen
Aphria bei Neumünster.
Hinter dickem Stahlbeton und mit über 400 Kameras überwacht
baut die Tochterfirma des kanadischen Cannabis-Produzenten
Tilray die wohl am besten gesicherten Pflanzen der Republik an –
Werksleiter Thorsten Kolisch gewährt uns heute zutritt.
Jetzt geht der Tanz ums Waschbecken los.
Ganz wichtig ist auch, dass wir unsere Alltagskleidung abgelegt
haben, damit wir keine Sporen, keine Kalamitäten, keine –
man könnte sich vorstellen – Blattläuse oder sowas mit
reinbringt. Jetzt betreten wir die Luftschleuse.
Jeder, der in den Produktionsbereich will, muss sich mit
gefilterte Luft abpusten lassen.
Auch wir und unser Equipment.
Dann zeigt Kolisch uns, was und wie hier mit Hightech angebaut
wird.
Wir schauen jetzt einmal in den Mutterpflanzebereich.
Wir haben extra, damit wir diesen Raum nicht betreten müssen,
die Möglichkeit, uns das von außen einmal anzuschauen.
Und jetzt kommt ein relativ überraschender Effekt.
Für das menschliche Auge ist es so, dass uns das jetzt
extrem rot erscheint.
Das ist unsere spezielle Lichtrezeptur, die wir so designt
haben, dass die Mutterpflanzen genau die Lichtrezeptur
bekommen, die sie für ihr Wachstum brauchen.
Im Staatsauftrag wird hier Hanf großgezogen – derzeit
allerdings nur für den medizinischen Markt.
Unter anderem bei Schmerzpatienten und an Multipler Sklerose
Erkrankten lindert der Cannabis-Wirkstoff THC erfolgreich
Symptome.
Das sind jetzt unsere Lütten.
Drei Sorten mit klangvollen Namen werden hier angebaut:
Bienville, Great Bear und Churchill, mit jeweils
unterschiedlichen THC-Gehalten, je nach Anwendungsfall –
zu den ganz Großen geht es gleich.
Dort will Kolisch den Zustand der Pflanzen prüfen.
Doch bevor wir zu den Großen dürfen, heißt es: noch mehr
Schutzkleidung.
Und dann gehen wir mal zu Besuch zur Churchill.
Gut eine Tonne Cannabis darf hier im Jahr produziert werden – in
ganz Deutschland wären 2,6 zulässig, aber die Konkurrenz
ist noch nicht am Markt.
Dabei ist die Nachfrage von Medizinalhanf im Land deutlich
höher: Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
wurden 2020 9,4 Tonnen importiert.
Könnten sich Patienten denn im Notfall nicht auch mit Gras von
der Straße behelfen?
Wenn ein Patient, der gerade eine Chemotherapie bekommt, als
Beispiel, und das Immunsystem runtergefahren ist und es gibt
eine Verunreinigung, mit schwachem Immunsystem könnte so was
letal, also tödlich sein.
Und wir versuchen natürlich hier ein reines Produkt zu geben und
das kann auf der Straße niemals gewährleistet sein.
Alleine durch wie viele Hände es gegangen ist, also wirklich
faktisch mit Handschweiß und mit allem, was in der Umgebung
tatsächlich existiert. Wo wird es aufgezogen?
Die haben ja nie solche gefilterte Luft, niemals solche sterile
Bedingungen wie wir.
Tilray produziert weltweit nicht nur medizinisches
Cannabis, sondern beispielsweise in Portugal und Kanada auch
für den deutlich größeren Freizeitmarkt.
Den könnten sie auch in Deutschland bedienen, die Kapazitäten
sind da, nur die Gesetze fehlen noch.
Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie die leere Halle hier sehen?
Na klar, sicherlich.
Betriebswirtschaftlich betrachtet ist das, was wir hier
abliefern, versuchen wir so effizient wie möglich hinzukriegen.
Aber da die Kapazitäten natürlich wesentlich höher ausgeprägt
sein könnten. Nun sind ein betriebswirtschaftlich
Beflissenen natürlich das Herz, weil es wäre ja viel mehr
möglich, viel mehr Output möglich.
Profit mit Gras. Das haben auch alle Ampelparteien für sich
reklamiert. So hofft die FDP auf milliardenhohe Steuereinnahmen,
die dann wiederum in die Suchtprävention gesteckt werden
könnten. Ökonomen schätzen die Einkünfte sowie
Einsparungen zum Beispiel durch Polizei- und Justizkosten
auf bis zu 4,7 Milliarden Euro.
Wo Cannabis langfristig legal ist, schrumpft der Schwarzmarkt –
so auch in Kanada: 2020 wurde in den offiziellen
Cannabisshops erstmals mehr verkauft als auf der Straße.
Zurück in Hamburg. Mittlerweile scheint sich etwas zu tun.
Der Straßendealer kommt nach ein paar Minuten zurück und drückt
uns etwas in die Hand.
Dann trennen sich unsere Wege
Und? Wie war's?
Erfolgreich. Ich habe drei kleine Beutelchen
mit einer grünen Substanz bekommen, das riecht wie Cannabis,
das sieht auch aus wie Cannabis.
Was da wirklich drin ist, das weiß ich nicht.
Und da schauen wir mal, ob wir rausfinden, was da eigentlich
drin sein kann.
Und um das rauszufinden, schicken wir unsere Probe ins Institut
für Rechtsmedizin der Uni Freiburg.
Dort werden beschlagnahmte Drogenlieferungen auf ihre
Inhaltsstoffe analysiert.
Doch bis unser Brief ankommt, dauert es etwas.
In der Zwischenzeit besuchen wir Bastian auf dem Land.
Der heißt eigentlich anders und möchte nicht erkannt werden.
Aus gutem Grund, denn Bastian baut selbst Cannabis an.
Die sind auch schon richtig schön groß die Buds.
Also, ich finde, das sieht doch unglaublich ästhetisch aus,
oder?
Seit Jahren baut Bastian sein Gras mit Leidenschaft selbst an –
auch wenn er damit eine empfindliche Strafe riskiert.
Für seine beiden Pflanzen auf dem Balkon der WG könnten ihm je
nach THC-Gehalt eine Geldstrafe oder sogar Haft drohen.
Schiss hatte ich eigentlich nie, weil wir meistens nie
so hoch waren, dass niemand auf unseren Balkon schauen konnte,
oder wenn Leute darauf schauen konnten, dann waren es Leute, bei
denen ich nicht gedacht hätte, dass sie uns verpfeifen würden.
Ja, ich glaube, ich habe die Gefahr, die damit einhergeht,
einfach irgendwie auch so ein bisschen ausgeblendet.
Das Wissen hat sich Bastian über die Jahre im Internet
angelesen. Heute steht nach monatelanger Pflege die Ernte
der Buds, also der Blüten an.
Heute ernten wir, weil ich mithilfe eines
kleinen Mikroskops den Erntezeitpunkt festlege.
Man kann hier auf den Blüten so weiße Kristalle drauf erkennen,
in denen sich das THC sammelt.
Und in diesen milchigen Trichomen ist die THC-Konzentration
am höchsten.
Weil er bei der langen Prozedur nicht auffallen will, wuchtet
Bastian die Pflanzen erst einmal vom Balkon in die Wohnung und.
Ich glaube, das allererste Mal gekifft habe ich mit 16
wahrscheinlich. Und dann, dass ich so ein ganz bisschen
regelmäßiger angefangen habe zu kiffen, war vielleicht mit 22,
23. Und erst dann so Anfang 30,
das würde ich selber sagen, ja, ok, wenn
man mal ehrlich ist, dann bin ich schon ein Kiffer.
Laut eigener Aussage hat Bastian immer selbst angebaut oder Gras
von Freunden bekommen.
Ich war noch nie beim Dealer. Ich weiß nicht, was ich bekomme
und ich weiß nicht, wo es herkommt.
Und es gibt natürlich
die Gefahr, dass das Gras halt manipuliert wurde.
Ich würde mir wünschen, dass mit einer
Legalisierung Produkte auf den Markt
kommen würden, wo ich ganz genau weiß, was drin
ist. Ich meine, ich gehe ja auch in den Laden und
kaufe ein Bier, weil ich weiß, das hat 4,6
Prozent Alkohol und ich kaufe nicht den Schnaps,
der irgendwie 32 prozent hat.
Selbst wenn Cannabis-Konsum nun erlaubt wird, für Bastian
ändert sich wohl wenig.
Die Legalisierung des privaten Anbaus strebt keine der drei
Ampelparteien an, sondern eine kontrollierte Abgabe in
lizenzierten Geschäften.
Fakt ist: Die Zahl der Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten
steigt trotz Illegalität in ganz Europa und in allen
Altersschichten kontinuierlich an, wie Suchtforscher Jakob
Manthey herausgefunden hat.
Laut Experten ist ein gelegentlicher Konsum für die meisten
erwachsenen Menschen weitgehend unproblematisch, für junge
Menschen im Teenageralter ist regelmäßiges Kiffen allerdings
gefährlich. Aber was würde sich denn nun am Konsumverhalten
ändern, wenn Cannabis legalisiert wird?
Die Erfahrungen aus Nordamerika zeigen,
dass wir sehr wahrscheinlich keinen Anstieg bei
den jüngeren Altersgruppen zu befürchten haben.
Und die Personen, die tendenziell eher neu anfangen
zu konsumieren, nach einer Legalisierung, sind diejenigen,
die fest im Leben stehen und die sagen: Ok,
jetzt ist es legal, jetzt möchte ich das mal ausprobieren, wo
ich mir nicht den Risiken aussetzen muss, dass auf der
Straße zu kaufen.
Mittlerweile ist unser Gras von der Straße am Uniklinikum
Freiburg bei Volker Aufwärter angekommen.
Der Toxikologe analysiert für Polizei und Zoll sichergestellte
Drogen, auch auf gefährliche Streckstoffe.
Per Videocall erkundigen wir uns nach dem Ergebnis.
Was wir hier rausbekommen haben ist, dass es ganz normales
Cannabis ist, insofern als der Wirkstoff THC
enthalten ist. Wir haben praktisch kein Cannabidiol gesehen.
Also wenn da welches drin ist, dann nur sehr wenig.
Und vor allem waren eben keine synthetischen Cannabinoide drin.
Das ist ja ein Phänomen, das in letzter Zeit häufiger auftritt
und insofern war für diese Probe
hier Entwarnung.
Aber war das für Sie erwartbar?
Wenn man jetzt auf die größere Skala schaut
und wie groß der Anteil ist, das Cannabis was entsprechend
manipuliert wurde, dann dürfte das in der Größenordnung von zehn
Prozent plus minus liegen, mit regionalen Unterschieden
natürlich. Aber das ist natürlich schon ein erheblicher Anteil,
wenn jede zehnte Probe im Prinzip
entsprechend belastet ist mit schwer gesundheitsschädlichen
Stoffen. Es gibt ja jedes Jahr
inzwischen so ein Dutzend oder mehr Todesfälle, die auf
das Konto dieser Stoffe gehen.
Und das ist halt ein entscheidender Unterschied zu Cannabis,
weil THC als Wirkstoff eben bei Weitem
nicht diese Giftigkeit aufweist.
Trotz aller Risiken, die Droge ist etabliert.
Der Markt ist da und auch die Produzenten stehen bereit.
Eine Legalisierung würde den Konsum sicherer machen und den
Schwarzmarkt bekämpfen.
Was uns die Experten aber auch alle gesagt haben: So billig und
einfach wie Alkohol darf Cannabis nicht zu bekommen sein,
denn die Gesundheitsrisiken bei jüngeren Menschen oder
regelmäßigem Konsum sind unbestreitbar vorhanden.
Wie die Gesetze konkret aussehen, weiß noch niemand.
Aber die Legalisierung wird wohl kommen.
Nach vier Jahren wollen SPD, FDP und Grüne die Erfahrungen
dann auswerten.