Die Fledermaus (Akt I, Auftritte 7–13)
SIEBENTER AUFTRITT
Rosalinde. Eisenstein. Später Adele.
EISENSTEIN
Ist das ein Vertreter! Solch blühender Unsinn hat noch in keinem Gerichtssaal gewuchert!
ROSALINDE
Mein armer Gabriel! Acht lange Tage - und heute noch!
EISENSTEIN
Heute noch!
singt
Es muss geschieden sein!
ROSALINDE
Und mit so einem Tenor haben sie dich verurteilen können, die Barbaren!
EISENSTEIN
Sie haben mich mit meinem Tenor gleich dort behalten wollen, und ich habe verflucht zu Kreuze kriechen müssen, bis man mir noch ein paar Stunden Freiheit bewilligt hat, um mit dir speisen zu können
klingelt
Verdenken kann ich's ihnen nicht: dreimal haben sie mich eingeladen; wer aber nicht kam, war ich!
ADELE
mit verweinten Augen, gepresster Stimme
Befehlen?
EISENSTEIN
Was bedeutet das? Du hast geweint? Doch nicht um mich, Adele?
ADELE
schluchzt
Meine arme Tante!
ROSALINDE
Die arme Frau ist sterbenskrank!
EISENSTEIN
Sterbenskrank? Ich habe sie ja soeben hoch zu Esel in die Weinberge reiten sehen.
ADELE
für sich
O verwünscht!
ROSALINDE
blickt auf Adele
So krank ist sie?
ADELE
Wer weiß, ob ihr der Doktor nicht den Esel verordnet hat?
EISENSTEIN
Eile jetzt in den "Goldenen Löwen" und bestelle ein delikates Souper. Was gut und teuer ist, soll man uns liefern.
Adele will fort
Noch eins! Wenn du zurückkehrst, suchst du mir aus meinen alten Kleidern den ältesten, schmutzigsten, zerrissensten und miserabelsten Anzug heraus.
ADELE
Wollen Euer Gnaden betteln gehen?
EISENSTEIN
Nein, aber ich will nicht angebettelt werden in der Gesellschaft, deren Mitglied ich heute nacht sein werde. Vor allem das Souper! Ich will mir heute noch bene tun an meinem Familientische.
ADELE
meldet im Abgehen
Herr Dr. Falke!
ACHTER AUFTRITT
Rosalinde. Eisenstein. Dr. Falke.
FALKE
sehr heiter
Ah, da ist er noch!
küsst Rosalinde die Hand
Mein Kompliment, schönste aller Frauen! Ich gratuliere von Herzen, dass Sie den Tyrannen auf acht Tage loswerden.
reicht Eisenstein die Hand
Aber auch dir wünsche ich Glück, denn die Zugabe von drei Tagen ist immerhin eine Errungenschaft, für die du dem Gerichtshofe eine Dankadresse schuldig bist!
ROSALINDE
Aber Herr Doktor!
EISENSTEIN
Lass ihn nur. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Schicke in den Keller, liebe Frau; die böse Zunge muss genetzt werden, wenn sie nicht zu spitz werden soll.
ROSALINDE
Keine schlechten Witze mehr, lieber Doktor! Wir müssen ja unseren armen Arrestanten ein wenig aufzuheitern suchen.
ab
NEUNTER AUFTRITT
Eisenstein. Falke.
FALKE
Rosalinde nachrufend
Freilich, ihn zu zerstreuen und aufzuheitern bin ich ja da, schöne Frau!
leiser zu Eisenstein
Ich komme, dich zu einem fürstlichen Souper mit den reizenden Koryphäen der Oper einzuladen.
EISENSTEIN
Bist du toll? Ich muss ja binnen einer Stunde meine Strafe antreten.
FALKE
Den Arrest kannst du morgen in aller Frühe antreten. Heute gehst du mit mir in die Villa Orlofskys, des jungen russischen Fürsten, der hier im Bade fabelhafte Summen verschwendet. Damen findest du dort, Damen, sag ich dir, ein wahrer Blütenflor, von der Kamelie bis zum Veilchen!
EISENSTEIN
Sind die Damen etwa die alte Garde der Oper?
FALKE
Wo denkst du hin?
zungenschnalzend
Die Eliteder ersten Quadrille und dann einige von dem jugendlichen Nachwuchs, die sogenannten Ratten.
EISENSTEIN
Teufel, mir wässert der Mund! Aber der Prinz ...
FALKE
... hat mich dringend ersucht, einige junge Lebemänner meiner Bekanntschaft einzuladen.
EISENSTEIN
Man schmeichelt mir allerdings, dass ich ein liebenswürdiger Gesellschafter bin!
FALKE
Und dabei immer mit den tollsten Einfällen bei der Hand, zum Beispiel vor drei Jahren, als wir den Scheelendorfer Maskenball besuchten ...
EISENSTEIN
Ich als Papillon, du als Fledermaus. Haha! Erinnerst du dich noch?
FALKE
bedeutungsvoll
Oh, so etwas vergisst man nicht so leicht!
EISENSTEIN
Es war ein kapitaler Spaß!
FALKE.
O ja, für den Papillon, aber nicht für die Fledermaus!
EISENSTEIN
Dr. Häring, der heute präsidierte, war auch dabei. Hielt sich den Bauch vor Lachen und konnte mir nicht oft genug zurufen: "Das ist dir gelungen, Bruder!" - Und heute trug er mich: "Wie heißen Sie?" Und diktierte mir acht Tage. Oh, dieser schlechte gute Freund!
zieht seine Uhr aus der Tasche, lässt sie repetieren.
FALKE.
Ah, da ist ja der gewisse Rattenfänger!
EISENSTEIN
Was meinst du?
FALKE
Man behauptet, dass du mit dieser niedlichen Repetieruhr alle Kameliendamen köderst, wenn du ihnen den Hof machst. Du versprichst sie einer jeden ...
EISENSTEIN
... aber gegeben habe ich sie noch keiner!
lacht
FALKE
Spitzbube, du wirst heute nacht abermals diesen Köder auswerfen können, denn ich rechne damit, dass du von der Partie bist?
Nr. 3 - Duett
FALKE
Komm mit mir zum Souper,
Es ist ganz in der Näh.
Eh du in der stillen Kammer
Laborierst am Katzenjammer,
Musst du dich des Lebens freun,
Ein fideler Bruder sein!
Ballerinen, leicht beschwingt,
In den blendendsten Toiletten,
Fesseln dich mit Rosenketten,
Wenn die Polka lockend klingt.
Freundchen, glaub mir, das verjüngt!
Bei rauschenden Tönen im blendenden Saal
Mit holden Sirenen beim Göttermahl,
Da fliehen die Stunden in Lust und Scherz,
Da wirst du gesunden von allem Schmerz.
Soll dir das Gefängnis nicht schädlich sein,
Musst du etwas tun, dich zu zerstreun.
Siehst du das ein?
EISENSTEIN
Das seh ich ein. -
Doch meine Frau, die darf nichts wissen.
FALKE
Du wirst zum Abschied zärtlich sie küssen,
Sagst: Lebewohl, mein süßes Kätzchen!
EISENSTEIN
Nein, nein! Mein Mauserl, sage ich,
Denn als Katze schleich ich selbst
Aus dem Hause mich.
FALKE
Denn als Katze schleichst du selbst
Aus dem Hause dich. -
Und während sie schläft ganz fest,
Gehst du statt in deinen Arrest
Mit mir zu dem himmlischen Fest!
EISENSTEIN
Mit dir zu dem himmlischen Fest!
FALKE
Ich führe dich als Fremden ein,
"Marquis Renard" sollst dort du sein.
So wird man nichts erfahren können.
Willst du?
EISENSTEIN
Ach, ich wäre schon erbötig ...
FALKE
Du musst!
EISENSTEIN
Wenn nur ...
FALKE
Du musst dir's vergönnen,
Zur Gesundheit ist's ja nötig!
EISENSTEIN
Ja, ich glaub, du hast recht.
Die Ausred' ist nicht schlecht!
FALKE
Soll dir das Gefängnis nicht schädlich sein ...
EISENSTEIN
Soll mir das Gefängnis nicht schädlich sein ...
BEIDE
.... Musst du (Muss ich) etwas tun, dich (mich) zu zerstreun!
FALKE
So kommst du?
EISENSTEIN
Wer kann widerstehn? Ja, ich bin dabei.
FALKE
Zum Teufel mit deiner Leimsiederei!
BEIDE
Ein Souper uns heute winkt,
Wie noch gar keins dagewesen:
Schöne Mädchen, auserlesen,
Zwanglos man dort lacht und singt.
Lalalala ...
Beide tanzen lustig durchs Zimmer, während Rosalinde eintritt.
ZEHNTER AUFTRITT
Eisenstein. Falke. Rosalinde.
ROSALINDE
mit einem zerrissenen Rock und alten Hut blickt erstaunt auf die Tanzenden
Was ist denn das?
EISENSTEIN, FALKE
unterbrechen den Tanz
ROSALINDE
Was treibt ihr denn, meine Herrn?
FALKE
etwas verlegen
Nicht wahr, das ist mir gelungen?
EISENSTEIN
Er hat mich getröstet.
FALKE
Eine schwierige Aufgabe, aber ich habe sie glücklich gelöst.
EISENSTEIN
Jawohl, ich gehe jetzt in meinen Arrest, als ob ich zu einem Lustgelage ginge!
FALKE
Was bringen Sie uns denn da, gnädige Frau?
ROSALINDE
Die Toilette für unseren Arrestanten.
drückt Eisenstein den Hut auf den Kopf
Ist dir der Hut recht?
EISENSTEIN
schleudert den Hut fort
Warum nicht gar! Willst du denn einen Räuber aus mir machen?
ROSALINDE
Aber du befahlst ja Adele ...
FALKE
nimmt den Rock
Und dieser Kittel! Wenn du den anlegst, lässt dich der Gefängnisdirektor gleich mit 25 bewillkommnen!
ROSALINDE
erschrocken
Himmel!
FALKE
greift nach seinem Hute
Gnädige Frau ...
ROSALINDE
Sie wollen uns schon verlassen?
FALKE
Es ist schon spät, und ich will dem Gefängnisdirektor, Herrn Frank, seinen neuen Hausgenossen anmelden. Ich werde dich dort erwarten, Freund Eisenstein!
ab
EISENSTEIN
ruft ihm nach
Meine Empfehlung an die Ratten!
ELFTER AUFTRITT
Rosalinde. Eisenstein.
ROSALINDE
An die Ratten!?
EISENSTEIN
Natürlich an die Ratten! Die Ratten illustrieren die Poesie des Kerkers.
ROSALINDE
Gerechter Gott, bei den Ratten wirst du einquartiert!
EISENSTEIN
Warum denn nicht? Es sind ja ganz possierliche Tierchen. Ich werde mich gut mit ihnen unterhalten.
singt
Juchheissa, hopsassa, trallala!
ROSALINDE
Aber jetzt ist doch nicht Zeit, juchheissa, hopsassa zu singen!
EISENSTEIN
Nein, denn es ist Zeit, an meine Toilette zu denken.
ROSALINDE
Toilette fürs Strafhaus?
EISENSTEIN
Natürlich! Falke meint, es sei leicht möglich, dass ich dort eine geschlossene Gesellschaft finde.
küsst Rosalinde auf die Stirn
Ich weiß, wie ich mich kleide:
In schwarzen Samt und Seide
Mit einem Chapeau bas -
Gleich bin ich wieder da!
ab
ZWÖLFTER AUFTRITT
Rosalinde. Später Adele.
ROSALINDE
allein
Der Mann ist ja wie ausgewechselt! Mir scheint, er freut sich ordentlich, eingesperrt zu werden. Wenn ich nur wüsste, was ich mit dem da unten anfangen soll? Ich habe geschworen, ihn zu empfangen, und wenn man einmal einen solchen schweren Schwur schwört, muss man diesen Schwur halten, sei es noch so schwer!
ADELE
bringt auf einer Platte einen Wildschweinkopf mit einem Rosenbukett im Rüssel
Der "Löwe" schickt diesen wilden Schweinskopf.
ROSALINDE
Und du hast das Ungeheuer angenommen?
ADELE
Er hat sonst nichts vorrätig gehabt.
ROSALINDE
sinnend vor dem Schweinskopf
So muss ich ihn denn annehmen?
ADELE
Freilich, ich habe ihn ja schon bezahlt!
ROSALINDE
ohne auf Adele zu achten
Meinen Schwur muss ich halten. Empfangen werde ich ihn, aber nur, um ihn gleich wieder zu entlassen. Aber Adele muss ich mir aus dem Wege schaffen.
laut zu Adele
Nun, wie befindet sich denn deine alte kranke Tante nach der Eselspartie?
ADELE
I nu ... so so! Den Umständen angemessen ...
ROSALINDE
Sollte diese alte kranke Tante nicht ein junger, gesunder Vetter sein?
ADELE
Gnädige Frau, ich bitte recht sehr ...
ROSALINDE
Aber gleichviel, Tante oder Vetter, ich gebe dir den Urlaub ohne Fragezeichen.
ADELE
Wahrhaftig, gnädige Frau? Aber früher haben Sie mir ihn rundweg abgeschlagen?
ROSALINDE
Weil ich früher verdrießlich war, jetzt bin ich bei besserer Laune.
ADELE
Weil der gnädige Herr eingesperrt wird?
ROSALINDE
Mamsell Naseweis!
ADELE
Bitte um Verzeihung, gnädige Frau!
DREIZEHNTER AUFTRITT
Rosalinde. Adele. Eisenstein.
EISENSTEIN
in eleganter Balltoilette, parfümiert sich
So: die Haare Violet de Mars, die Wäsche Fleur d'Orange! Jetzt habe ich nur noch den Frack zu wässern mit Eau de Cologne. Hast du nicht gehört, Adele? Eau de Cologne habe ich befohlen.
ADELE
holt einen Flakon
EISENSTEIN
sich bespritzend
So, jetzt dufte ich anständig!
ROSALINDE
Und diese strenge Balltoilette hast du für die Gefangenen gemacht?
EISENSTEIN
Damit sie sehen, dass ich ihrer würdig bin! Diese Herren Spitzbuben pflegen uns gleich über die Achsel anzuschauen. Habt ihr nicht eine Rose, Kamelie oder ...
bemerkt das Bukett im Rüssel des Schweinskopfes
erlauben schon, Baron Wildschwein!
befestigt die Rosen in seinem Knopfloch.
ROSALINDE
Unbegreiflich!
EISENSTEIN
Aber es ist Zeit. Leb wohl!
ROSALINDE
Wie? Ohne zu soupieren?
EISENSTEIN
Ich werde mit den Ratten soupieren.
ADELE
Und was geschieht mit dem Schweinskopf?
ROSALINDE
Bring ihn deiner armen kranken Tante!
ADELE
Tausend Dank, gnädige Frau! Das wird die arme Frau mit dem schwachen Magen recht erquicken!
EISENSTEIN
affektiert die Arme ausbreitend
Rosalinde, meine teure Rosalinde!
ROSALINDE
bewegt in seine Arme stürzend
Mein armer Gabriel?
EISENSTEIN
Süße Träume mögen dich umgaukeln, während ich die ganze Nacht ruhelos durchwachen werde.
macht Tanzschritte
ADELE
seufzt
Wie traurig!
EISENSTEIN
In solcher Situation hat man nur die Wahl, entweder in Schmerz zu vergehen oder sich rasch voneinander loszureißen. Reißen wir uns los!
ROSALINDE
schluchzt
Unmöglich!
ADELE
Probieren Sie es nur; vielleicht geht's doch!
EISENSTEIN
Ermanne dich, Weib, ermanne dich!
Nr. 4 - Terzett
ROSALINDE
So muss allein ich bleiben
Acht Tage ohne dich?
Wie soll ich dir beschreiben
Mein Leid so fürchterlich?
Wie werd ich es ertragen,
Dass mich mein Mann verließ?
Wem soll mein Leid ich klagen?
O Gott, wie rührt mich dies!
Ich werde dein gedenken
Des Morgens beim Kaffee,
Wenn ich dir ein will schenken,
Die leere Tasse seh.
Kann keinen Gruß dir winken.
Aus Jammer werd ich g'wiss
Ihn schwarz und bitter trinken! - Ach!
EISENSTEIN
O Gott, wie rührt mich dies!
ALLE DREI
O Gott, wie rührt mich dies!
O je, o je, wie rührt mich dies!
ROSALINDE
Wo bleibt die traute Gruppe,
Kommt Mittag dann heran?
Beim Rindfleisch wie zur Suppe,
Zum Braten - keinen Mann!
Und sinkt der nächt'ge Schleier,
Gibt's wieder mir 'nen Riss,
Mein Schmerz wird ungeheuer!
ALLE DREI
O Gott, wie rührt mich dies!
O je, o je, wie rührt mich dies!
EISENSTEIN
Was soll das Klagen frommen,
Den Kopf verlier ich schier,
ROSALINDE
Mein Kopf ist ganz benommen.
ADELE
den Schweinskopf nehmend
Den meinen hab ich hier!
EISENSTEIN
Leb wohl, ich muss nun gehen.
ROSALINDE
Leb wohl, du musst nun gehen.
ADELE
Leb wohl, er muss nun gehen.
ALLE DREI
Doch bleibt ein Trost so süß:
ADELE
Es gibt ein Wiedersehen, es gibt ein Wiedersehen!
ALLE DREI
O Gott, o je, wie rührt mich dies!
Eisenstein tanzt ab. Adele folgt, während Rosalinde zurückbleibt.