079 – Diogenes, oder der OB Kauf
Was ich so an Zeit verplempere um mein Portemonnaie zu füllen, ist schon echt nicht mehr schön. Aber als ich dann auch noch merkte, dass sich andere schämen, wenn ich das Geld wieder ausgebe, da war ich mal wieder - ganz am Boden (Gans am Boden).
[Musik: Gans am Boden]
Was es nicht so alles gibt. Da rennt ein Typ nackig durch die City und wedelt sich den Rost von der Kartoffel, stört sich nicht an all den Leuten und lebt eigentlich auch sonst immer auf der Straße. Was heute die Ordnungshüter auf den Plan ruft war vor 2.400 Jahren gerade so viel wert als das man über ihn redete: Diogenes.
Aus heutiger Sicht war er ein Freigeist, ein Vordenker, ein Philosoph und eine unabhängige Seele. Tatsächlich verdanken wir ihm die Entstehung des Zynismus, welcher gerade für mich wie geschaffen ist. Diogenes war also nüchtern betrachtet eine ... ein echter Wichser, der im übrigen nie in einer Tonne gelebt hat, was einfach nur ein Übersetzungsfehler war, aber egal: Klugscheißer-Modus aus! Genug gelernt, Kinder.
Abgesehen davon würden wir uns heute ja auch nur ein bisschen schämen, wenn wir so einen nackigen Schüttelheini in der Stadt sehen würden. Fremdschämen nennt man das. Um diesen Zustand hervorzurufen in heutigen Zeiten muss man aber nicht extra Hand an sich anlegen. Da reicht es schlicht und einfach einzukaufen. Was denn? Glaubt Ihr nicht? Kennt Ihr nicht mehr die alte Werbung mit Hella von Sinnen als Kassiererin im Supermarkt? Wie sie durch den halben Laden schreit: "Helga, was kosten die Kondome?" Das wäre mir eigentlich viel zu einfach, denn neulich musste ich mal wieder den Einkaufszettel abarbeiten und unsere Schränke füllen, doch was sahen meine Äuglein da? Ganz unten auf der Liste stand: eine Packung OBs. Ihr wisst schon – die kleinen Blutsauger aus Watte, die mit der Reißleine. Die Dinger, die sich als Bindenalternative die Brötchen verdienen müssen, damit die Mädels nicht während ihrer Periode in ihrem eigenen Saft sitzen müssen.
Viele Männer tun sich da echt schwer. So ganz locker und unverkrampft in den Laden zu gehen und die Dinger dann auch noch einzukaufen. Selbst beim Bezahlen werden sie unter der Zeitung versteckt. OB, was eigentlich nur "ohne Binde" heißt, ist ein bisschen Watte und ein Bändel. Was bitte schön daran ist peinlich? Waren meine Gedanken. Also rein in den Laden und ... wo waren die Dinger doch gleich?
Nach einer gefühlten Ewigkeit des erfolglosen Suchens schnappte ich mir dann eine Verkäuferin. "Moin, sorry, wo stehen denn hier die OBs? ", worauf ich angeblickt wurde als hätte ich draußen die angeleinten Hunde vergewaltigt. "Wie bitte?" "OBs! Die teebeutelähnlichen Dinger für die innere Anwendung!" Ein nervöses Zucken machte sich in ihren Augen breit. Aber dann die profihafte Antwort: "Da!" Ein Finger deutete verschämt in die Ecke des Ladens. "Okay, danke!" Nun schnell ein Griff und äh, was bitte schön ist das? Nicht das dort keine standen – da standen sogar 'ne ganze Menge. Dummerweise in verschiedenen Größen und Formaten und ... Was nimmt man da? Mini? Maxi? Was dazwischen? Mit und ohne Einführungshilfe? Mit und ohne Seidenüberzug? Meine Gedanken kreisten. Was dazwischen – ja da kommt's hin. Aber welche Größe? Die Minidinger sind vermutlich für kleine Mädchen und die Maxiteile was für olle Omas, bei denen es eventuell so aussieht, als ob man eine Fleischwurst in den Hausflur wirft. Aber was nimmt man Mitte 30? Und welche genau? Mit Einführhilfe, mit Seidenüberzug, normal? Womöglich gibt's die Dinger hinterher noch mit Noppen und Widerhaken, was weiß ich!
Eine kleine Gruppe junger Schülerinnen im Laden schaut mich tuschelnd an. "Wollt Ihr auch?" frage ich. Sie schauen verschämt auf den Boden. "Nehmt reichlich! Ich habe noch keine Ahnung, welche da die besten sind." Rote Bäckchen zeigen sich auf ihren Gesichtern. Eine von ihnen stammelt "Äh", aber da kommt mir schon eine Idee. "He, Ihr seid doch alles Profis in Sachen Wattestäbchen. Meine Freundin ist ungefähr so groß wie Ihr und will, dass ich die Dinger hier besorge. Was bitte schön braucht man da für welche? Ich meine, muss das passgenau verstopft werden oder gibt's da einen Trick? Die sind doch alle viel zu dünn. Also ein Penis ist da dicker. Meist zumindest." Hm, komisch. Die Mädels stehen mit hochrotem Kopf vor mir und schauen mich schweigend an, als ob ich ein perverser Spanner bin und selbst die angeleinten Hunde vorne am Eingangsbereich fangen wieder an zu zittern.
Eine Omi mit Krückstock drängelt sich zwischen uns. "Nehmen Sie einfach die Maxis junger Mann. Die können wenigstens was. Bei den kleinen Dingern ist das immer so 'ne Fummelarbeit und die nehmen auch nicht viel auf." Etwas irritiert frage ich nach Einführhilfe und Seidenoberfläche und was es da somit auf sich hat. Omilein lächelt und sagt: "Also Einführhilfe – ich hoffe Ihre Freundin weiß auch so, wo die kleinen Freunde hingehören - und das mit der glatten Oberfläche ist mehr was für die Werbung. Wenn wir Mädels uns entsaften ist egal, ob die Dinger glatt sind oder nicht. Und nehmen Sie gleich mindestens zwei Pakete mit. Der Rest wird garantiert nicht schlecht." Und siehe da, zuhause waren es sogar die Richtigen!
Warum sich jetzt die jungen Dinger so angestellt haben will ich gar nicht erst wissen. Als Kerl kann ich doch so was nicht auf Anhieb kennen. Da muss man doch mal irgendwie jemand fragen können und ich schätze einfach mal, dass die Mädels sich da wohl für mich fremdgeschämt haben.
Doch als ich neulich mit meiner Freundin in der Stadt war trafen wir die alte liebe Omi wieder. Sie sah mich an und rief winkend über den vollen Marktplatz: "Ah, der Tamponkäufer. Und? Haben die Maxis gepasst? Ich selbst brauche die Dinger ja nicht mehr, aber als ich noch jünger war habe ich immer geblutet wie ein abgestochenes Schwein. "Nicht nur meine Freundin wurde rot, sondern auch die Leute um uns rum sahen aus als hätte hier ein Rotlichtviertel sein neues Zuhause gefunden. So fühlt es sich also an – das Fremdschämen. Komische Erfahrung.
Doch nun zu einer Kurzmeldung. Alle Wichser aufgepasst. In der Zeitung habe ich neulich etwas erfahren. Da hat ein angeblicher Wissenschaftler eine lebensechte Gummifrau entwickelt. Mit Mikrochip und Gefühlen und 'ner Batterie im Arsch. Das Ding kann sogar reden. Na toll. Jetzt haben sie es geschafft. Die abwaschbaren Wichshilfen können jetzt nicht nur quasseln, sondern auch fühlen. Die einzigen beiden Gründe, sich 'ne Plastiktante zum Vögeln zu kaufen sind damit auch futsch. Und was nun? Bald sagen wohl selbst die gummierten Freudenspender, dass sie Migräne haben. Nur damit sie lebensecht werden. Wenn das so weiter geht, streiten sie sich bald noch hinterher wegen der Zigarette danach von wegen Passivrauchen und so. Und schnarch nicht so laut! Wer bitte schön braucht eine lebensechte Kunstfrau? Und wenn es die schon gibt, bekommen die dann etwa auch ihre Tage? Wenn ja, dann dauert es wohl nicht mehr lange, bis die OB-Regale in den Läden immer mehr Männerbesuch haben. Diogenes zumindest hätte bestimmt seine Freude an dieser Entwicklung gehabt.
Zum Schluss noch etwas über Entwicklung. Vor einiger Zeit habe ich mal eine Folge über Vornamen gemacht. Ich dachte schon, damit sei alles gesagt, aber die legen einen nach dem anderen drauf. Und ich komme nicht umher, die Akte mit den Vornamen noch einmal umzuwälzen. In den nächsten Folgen geht es also um Vornamen. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass ich nach der Recherche schon vor Lachen am Boden lag. Also nicht nur so halb vom Stuhl gerutscht, nee, so richtig unten nämlich ... ganz am Boden.
Transkription : Vera Ihrig für www.LingQ.com
Herzlichen Dank an Firefly für die freundliche Genehmigung, den Beitrag hier zu verwenden.