Wie App-Bewertungen manipuliert werden
In meinem Video zu “Raid: Shadow Legends” gab es einen verworfenen Absatz, der sich
mit der Aussage “Über 300.000 Bewertungen können nicht lügen” auseinandergesetzt
hat.
Dann hab ich gemerkt, dass das ganze Ding eigentlich schon ein eigenes Thema wert ist,
denn warum diese Aussage so problematisch ist, ist tatsächlich etwas komplexer.
Es ist jetzt zugegeben keine Meisterleistung in Medienkompetenz, wenn man bei den Bewertungen
im App- und Google Play Store etwas skeptisch wird.
Und, dass da tatsächlich einiges nicht mit Rechten Dingen zugeht, dürfte auch niemanden
mehr verwundern, der schon mal die absurden Dinge gelesen hat, die dort zum Teil stehen.
Die AppStores sind ein wenig wie ein YouTube für Software.
Mit super erfolgreichen Deppen, deren Mittel an den Erfolg zu kommen, durchaus fragwürdig
sind und kleinen Perlen, die aufgrund ihrer moralischen Überzeugung nicht derartige Mittel
gebrauchen wollen und deswegen den Anschluss verlieren.
Aber ich muss gestehen, die Mittel, die teilweise genutzt werden, um die eigene Appbewertung
künstlich in die Höhe zu treiben, ohne etwas an der tatsächlichen App und ihrer Qualität
zu ändern, haben mich dann doch überrascht.
Klar, die naheliegendste Variante davon ist sich einfach Bewertungen zu kaufen.
Auf Freelance-Seiten wie Fiverr aber auch auf eigens dafür angelegten Domains findet
man haufenweise Angebote für Installationen und Reviews.
Im Schnitt kostet so eine Installation & Bewertungs-Kombo 1,60-1,80€. Natürlich ist das ganze von Apple und Google verboten, aber Google Maps hat beispielsweise
seit über 15 Jahren Probleme mit Fake-Bewertungen.
Die Chance, dass dieses Problem also irgendwann demnächst behoben wird, ist doch recht gering.
Und man muss ja nicht zwangsläufig positive Bewertungen für einen selbst kaufen.
Man könnte ja auch zum Beispiel negative Reviews für den Konkurrenten kaufen.
Die Wortwahl der Bewertungen kann man häufig auch selbst festlegen.
So könnte eine negative Bewertung einfach “Find' ich scheiße” lauten, man könnte
aber auch direkt auf die eigene App verweisen, weil die wär ja viel besser.
Aber das ist natürlich noch nicht alles.
Das eben war ganz simpler Betrug.
Jetzt, kommt Psychologie.
Es ist mir damals schon bei Harry Potter - Hogwarts Mystery aufgefallen.
Die Bewertungsaufforderung, die einem unweigerlich in jeder App irgendwann mal angezeigt wird,
weil AppStore-Bewertungen eben so elementar wichtig sind, ist in diesem Spiel extrem taktisch
platziert.
Und zwar genau an dem Moment, wo das Spiel kurz davor ist, sein bis zu diesem Zeitpunkt
unsichtbares Monetarisierungsmodell zu enthüllen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat man eine flüssige, 20-minütige Spielerfahrung genossen, die
man ohne Geldeinwurf im Anschluss nie wieder bekommen wird und wird nun darum gebeten,
diese Erfahrung zu bewerten, obwohl sie überhaupt nicht repräsentativ für das eigentliche
Spiel ist.
Ein kurzzeitiger Belohnungsmoment wie ein neuer Highscore kann mit dem darauf folgenden
emotionalen Momentum dafür sorgen, dass Leute eine höhere Bewertung abgeben, als wenn die
Aufforderung einfach irgendwann platziert wäre.
Das ist natürlich schon recht arschig und manipulativ und Hogwarts Misery ist bei weitem
nicht die einzige App mit dieser Taktik, aber es wird noch viel hinterlistiger.
Manche Apps bieten für das Bewerten der App auch Belohnungen an.
Das müssen keine mobile Games sein, auch ganz normale Apps nutzen diese Taktik.
Zwar ist es streng untersagt, Belohnungen an konkrete Bewertungen wie “5-Sterne”
zu koppeln, aber generell Belohnungen für das Bewerten auszuschütten ist dann schon
etwas mehr in der Grau-Zone.
Natürlich könnte man dann die Belohnung einsacken und der App trotzdem nur einen Stern
geben, aber wer macht das schon?
In der Regel werden die Leute eine Gegenleistung bringen wollen, weil sie etwas vermeintlich
gratis bekommen haben.
Außerdem sind die Belohnungen meist App-relevante virtuelle Güter, die denjenigen, die von
der App sowieso nicht so begeistert sind, kaum Anreize geben, die App überhaupt zu
bewerten.
Aber Moment mal, wer hat überhaupt gesagt, dass man all seinen Nutzern eine Bewertungsaufforderung
senden sollte?
Die Daten, die man durch das Verhalten eines Nutzers in der App erheben kann, könnten
doch auch dafür sorgen, dass man im Vorfeld erahnen kann, wie jemand eine App findet.
Man könnte zum Beispiel entscheiden, die Aufforderung nur denjenigen zu senden, die
noch nie im Echtgeldshop waren, die die Pushbenachrichtigungen angelassen haben oder die App schon seit 20
Minuten am Stück nutzen?
Vielleicht weiß man auch von Performance-Problemen auf bestimmten Geräten und … überspringt
die Bewertungsaufforderung bei den Problemkindern.
Und jetzt kommt mein absoluter Favorit in Sachen Arschigkeit.
Viele Apps nutzen in etwa dieses Interface, “Gefällt dir unsere App?”
inklusive einer Auswahlmöglichkeit zwischen einem und 5 Sternen.
Das Ding ist: Diese Auswahl ist in keinster Weise mit dem dahinterstehenden AppStore verknüpft.
Sie ist nur ein Test.
Ein Test, um herauszufinden, was man nun mit dem Nutzer macht.
5 Sterne?
Mega, ich leite dich direkt automatisch zu unserer AppStore-Seite weiter, damit du da
deine Euphorie mit den anderen teilen kannst.
Mach uns stolz, Jimmy!
Oh, 3 Sterne?
Hmmh, dann scheint ja etwas nicht in Ordnung zu sein.
Hier, ich leite dich mal auf unsere unresponsive Entwicklerseite weiter, wo du dein Feedback
hinterlassen kannst.
Das… schau ich mir dann… später an.
ABER GEH NICHT IN DEN APP STORE.
Jap.
Das ist ein Filter, der dafür sorgen soll, dass diejenigen, die von einer App begeistert
sind, diese auch bewerten und diejenigen, die nicht so Feuer und Flamme sind, davon
überzeugt werden sollen, dass die Bewertungsfunktion einer App nicht der richtige Platz für Kritik
ist.
Oh, und einen hab ich noch.
In mehreren Fällen tritt es auf, dass diese Aufforderung wesentlich positivere Bewertungen
zur Folge hat, als diese hier.
Genau wie das Phänomen, dass wenn man in YouTube-Videos übers Liken spricht, auch
im Durchschnitt mehr davon bekommt.
Der Mensch ist eben doch nicht immer so komplex.
Und natürlich wissen die Betreiber der AppStores davon.
Apple hat zum Beispiel mittlerweile eine Funktion implementiert, mit der man auch echte mit
dem AppStore verknüpfte Bewertungsaufforderungen in die eigene App integrieren kann, was für
32x mehr Bewertungen gesorgt hat als davor.
Zwar sind die alle ohne Text, den man besonders bei niedrigen Bewertungen häufig gebrauchen
könnte, aber immerhin.
Und hier stellt sich wieder die Frage: Wenn alle betrügen und manipulieren, gleicht sich
das alles dann nicht irgendwann aus?
Auch wenn das zur Folge hätte, dass die Bewertungen einer App nichts mehr wert sind.
So oder so, “300.000 Bewertungen” können sehr wohl lügen..
...und das ist furchtbar schade.
ENDCARD