Das Gefühl, etwas Bewegen zu können The feeling of being able to move something

Herr Stehr als Kulturwissenschaftler beschätigen Sie sich it dem Übergang von der Industriegesellschaft in eine Wissensgesellschaft. Mr Stehr, as a cultural scientist, you are concerned with the transition from an industrial society to a knowledge society. Was zeichnet diese Transformation aus? What characterizes this transformation?

Die Grundlagen der sich am Horizont abzeichnenden Gesellschaftsordnung basieren auf Wissen. The foundations of the social order looming on the horizon are based on knowledge. Als wir Anfang der 1980er-Jahre erstmals den Begriff der Wissensgesellschaft in die wissenchaftliche Diskussion einbrachten, fragten wir uns, auf welchen Quellen wirtschaftliches Wachstum in Zukunft basiert und wie die Wertschöpfung in der modernen Gesellschaft aussieht. When we first brought the concept of the knowledge society into the scientific discussion at the beginning of the 1980s, we asked ourselves what sources economic growth would be based on in the future and what value creation would look like in modern society.

Der Begriff konnte sich in den vergangenen Jahren gegenüber konkurrierenden Bezeichnungen wie dem der postindustriellen Gesellschaft durchsetzten, weil er ungewöhnlich viele interessante Fragen über Zustände und Entwicklungslinien moderner Gesellschaften eröffnet. In recent years, the term has prevailed over competing designations such as post-industrial society because it opens up an unusually large number of interesting questions about the status and development of modern societies. Man kann den Begriff der Wissensgesellschaft nicht nur auf die Besonderheiten der Gesamtgesellschaft, sonder auch auf die Probleme aller grossen modernen gesellschaftlichen Institutionen wie Staat, Wirtschaft, Kirche, Familie und Wissenchaft anwenden.

Die Bezeichnung postindustrielle Gesellschaft weist hingegen in eine falsche Richtung. Denn die Industrie, der sogenannte Herstellungssektor, in dem Autos, Kühlschränke, Fernsehapparate und Ähnliches hergestellt werden, verliert nicht an Bedeutung. Nur arbeiten immer weniger Menschen in der Industrie.

Wen betrifft dieser Wandel?

Im Grunde alle Menschen. In der Welt der Arbeit, in der Industrie, in den Dienstleistungen, aber auch in der Landwirtschaft, in allen Sektoren der Ökonomie verändern sich entscheidende Dinge, die alle darauf hindeuten, dass wir zunehmend in einer Wissensgesellschaft leben. Auch der Landwirt muss heute über einen hohen Grad an Bildung und Ausbildung verfügen und mit komplizierten Vorgängen und techbnischen Geräten umgehen können.

Was treibt diese Entwicklung an?

Neu an der Entwicklung zur Wissensgesellschaft ist nicht das Entstehen von wissensfundierter Arbeit, denn Experten hat es immer schon gegeben. What is new about the development of the knowledge society is not the emergence of knowledge-based work, because there have always been experts. Aber die hohe Zahl solcher Arbeitspläze, die wissensfundierte Arbeit erfordern, ist neu, ebenso wie ihr relativer Anteil an der Gesamtbeschäftigung und der rapide Rückgang von Arbeitsplätzen, die geringe kognitive Fertigkeiten verlangen beziehungsweise Arbeitnehmer, die damit beschäftigt sind, Dinge zu fertigen oder zu bewegen Ausserdem gehen die Menschen, die jetzt mit erheblich grösseren Bildungsqualifikationen als früher in die Arbeitswelt drängen, mit ganz anderen Erwartungen und mit mehr Eigenständigkeit zu Werke. Das wird zu weiteren radikalen Veränderungen in der Welt der Arbeit führen.

Wie bedeutend sind soziale Kompetenzen in der Wissensgesellschaft?

Eine der wichtigsten Qualifikationen in dieser Arbeitswelt sind natürlich nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch soziale Kompetenzen wie die Überzeugung, sich anpassen und sich verändern zu können. One of the most important qualifications in this working world is of course not only cognitive skills, but also social skills such as the belief in being able to adapt and change. Kurz gesagt: ein neues Selbstverständnis. Die jungen gut ausgebildeten Menschen werden heute initiativ, sie haben das Gefühl, etwas bewegen zu können. Today, young, well-trained people are taking the initiative, they have the feeling that they can make a difference.

Welche Auswirkungen haben die Veränderungen in der Arbeitswelt auf die soziale Ordnung? What effects do the changes in the world of work have on the social order?

Die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft ist gleichzeitig die Entwicklung hin zu einer zerbrechlichen Gesellschaft, also einer Gesellschaft, in der die grossen Institutionen Staat, Kirche und die Konzerne an Einfluss verlieren. The development towards the knowledge society is at the same time the development towards a fragile society, i.e. a society in which the large institutions of state, church and corporations are losing influence. Sie verlieren nichts von der herkömmlichen Macht und Autorität, aber sie verlieren in Relation zum Einzelnen, zu kleinen Gruppen die zunehmend in der Lage sind, die Macht der grossen Institutionen zu unterminieren. They lose nothing of traditional power and authority, but they lose in relation to individuals, small groups increasingly able to undermine the power of large institutions.

Es entstehen neue Beziehungen zwischen Konsumenten und Konzernen, Arbeitern und Managern, Studierenden und der Hochschule. Das ist eine der wichtigsten Veränderungen der Wissensgesellschaft. This is one of the most important changes in the knowledge society. Das heisst aber wiederum nicht, dass diese Entwicklung gleichzeitig alle Individuen erfasst. This does not mean, however, that this development affects all individuals at the same time. Es wird immer Meinungsführer immer Pioniere für bestimmte Entwicklungen geben, die dan später von vielen geteilt werden. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, sich einzumischen spielen in Zukunft eine sehr wichtige Rolle.

Woher kommen denn die Kreativen?

In der Geschichte Europas und Nordamerikas gibt es keine Entwicklung, die sich mit den Erfahrungen der Menschen in den vergangenen Jahrzehten, insbesondere der Zeit zwischen 1950 und 2000, vergleichen lässt. Am Ende dieses Zeitabschnitts galt die permanente Bedrohung wirtschaftlicher Unsicherheit, von der voher hast drei Vierteil der Gesamtbevölkerung betroffen waren, allenfalls noch für etwas ein Fünfteil der Bevölkerung.

Obwohl es selbst in den wohlhabendsten Gesellschaften weiter absolute Armut gibt, verbesserte sich nicht nur der materielle Lebensstandard der meisten Menschen fast ohne Unterbrechung und oft sehr schnell fast 40 Jahre lang, sondern auch ihre Bildungsmöglichkeiten.

Es ist vor allem die Tatsache des generell gestiegenen Bildungsstands und des allgemeinen Wohlstands, die die Besonderheit oder Einmaligkeit der Erfahrungen der heutigen Generationen ausmacht. Es sind diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die die Grundlage für das Entstehen sowohl eines sehr viel umfassenderen Anspruchs an Kreativität als auch ein historisch einmaliges Anwachsen kreativer Menschen bildet.

In der Tat, in Wissensgesellschaften machen Kreativität, kognitive Faktoren, Wissen, und Information in zunehmendem Masse den Grossteil des Wohlstands eines Unternehmens aus. Mit anderen Worten, die Produktion wird mit Ausnahme der besonders standardisierten Waren und Dienstleistungen immer weniger durch den Umfang des herkömmlichen Arbeitseinsatzes und des physischen Kapitals bestimmt. Ob und in welchem Umfang existierende Arbeitsplätze und Arbeitskontexte schon in der Lage sind, Arbeitnehmer mit wachsenden kognitiven Fähigkeiten und Anforderungen zu beschäftigen, ist eine zu diesem Zeitpunkt nur sehr schwer zu beurteilende Frage.

Allerdings kann man davon ausgehen, dass solche Arbeitsmöglichkeiten zunehmend notwendig und möglich sein werden, und zwar in dem Mass, in dem Unternehmen realisieren, dass Arbeitsplätze mit grosser Autonomie, Handlungschancen und Verantwortlichkeiten Bedingung für nachhaltige Unternehmenserfolge werden. Unternehmen werden sich infolgedessen gezwungen sehen, Arbeitsmöglichkeiten dieser Art bereitzustellen und nicht zu unterbinden.

Ein wichtiges Gesetz der gesellschaftlichen Entwicklung gilt auch weiter in der Wissenschaft. Und zwar ist dies die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit. Die Gesetzmässigkeit von einem zeitlichen und räumlichen Nebeneinander von gesellschaftlichen Entwicklungen – auch in der Wissensgesellschaft gibt es noch industrielle Produktionsformen oder Glaubensvorstellungen, die eigentlich aus tradionellen Gesellschaften stammen – stellt sicher, dass verschiedene Städte oder Regionen dieser Welt auf ganz unterschiedliche Weise von der Entwicklung zur Wissesgesellschaft beeinflusst sind.

Und das heisst am Beispiel einer Region?

Nehmen wir das nächstliegende Beispiel, nämlich Friedrichshafen. Die Stadt liegt zwar am südlichen Rand Deutschlands, hat aber alles, was eine kreative Stadt ausmacht. Zum einen eine gewachsene Industrie, die Schiffsmotoren Autoteile und Satelliten herstellt und hochqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt. Zum anderen ein attraktives Umfeld mit vielen Freizeitmöglichkeiten am Bodensee. Und nun eine Universität, die sich eines hohen Zurpruchs erfreut. Die Arbeitslosenquote gehört zu den niedrigsten in Deutschland, und der Zuzug von Akademikern und jungen Menschen ist sehr viel grösser als anderswo. Die Menschen sind kreativ und fühlen sich wohl.