Das Goethe-Institut auf Sinnsuche
MANUSKRIPT
Moderator:
157 Institute in 98 Ländern. Rund 3650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Jahresbudget von 408 Millionen Euro. Das Goethe-Institut gilt als eine der wichtigsten deutschen Kultureinrichtungen. Im Inland berühmt für seine Sprachkurse, im Ausland für seine Kulturarbeit. In den vergangenen Jahren ist das Goethe-Institut allerdings immer stärker unter Druck geraten – zu teuer, zu ineffizient. Die Konkurrenz der Sprachkursanbieter ist groß. Die Corona-Krise hat weitere finanzielle Löcher geschlagen. Und an einem reinen Kulturexport deutscher Dichter und Denker ist das Ausland längst nicht mehr interessiert.
Ansage: Das Goethe-Institut auf Sinnsuche? Von Antje Diekhans, Edda Schlager und Lukas Meyer-Blankenburg.
Moderator: Was genau leisten die Goethe-Institute im In- und Ausland? Was ist künftig ihre Aufgabe – gerade auch in Ländern wie Belarus, wie Myanmar oder in China, wo die Regierungen nichts von einer offenen Zivilgesellschaft halten? Diesen Fragen wollen wir nachgehen in diesem SWR2 Wissen – mit Beiträgen aus Kenia, aus China, aus Kasachstan – und zwar mit Unterstützung von Johannes Ebert, er ist Generalsekretär des Goethe-Instituts. Hallo, Herr Ebert.
OT Ebert: Hallo, Herr Meyer-Blankenburg.
Moderator: 2021 wird das Goethe-Institut 70 Jahre alt. Die Corona-Pandemie war auch für Sie eine globale Zäsur. Was sagen Sie denn zum Titel unserer Sendung – suchen die Goethe-Institute nach einem neuen Sinn für Ihre Arbeit?
OT Ebert: Ich sehe den Titel, den Sie gewählt haben, kritisch, weil der Sinn des Goethe-Instituts ist es durch Begegnungen, durch Austausch, das Zusammenkommen von Menschen einen Beitrag dazu zu leisten, dass es ein gedeihliches Miteinander gibt auf der Welt. Und wenn ich auf die letzten zehn, fünfzehn Jahre gucke, ist die Welt viel, viel unruhiger geworden. Wir haben populistische Strömungen, es gibt autoritäre Regime, die immer stärker werden, es gibt neue Machtzentren mit unterschiedlichen Werten; auf der anderen Seite wachsen in vielen Ländern die Mittelschichten, sie sind bildungshungrig. Wir sehen Themen wie Klima, wie Migration, die man wirklich nur über die Grenzen hinweg gemeinsam bewältigen kann und so ist der Sinn eher noch wichtiger und noch offensichtlicher geworden als in der Vergangenheit.
Collage Teil 1 (Sie) Hallo, ich bin Ayten, ich komme aus der Türkei. (Er) Hallo, mein Name ist Said Murtaza Moosavi, ich komme aus Afghanistan und seit fünf Jahren bin ich in Deutschland. (Sie) Mein Name ist Gültan, ich bin 35 Jahre alt und komme aus der Türkei.
Moderator: Deutsch als Fremdsprache zu vermitteln gehört zu den Grundaufgaben des Goethe- Instituts. Eines Ihrer wichtigsten Institute steht in der schwäbischen Provinz, in Schwäbisch Hall. Ich habe mir per Online-Schalte mal einen Sprachkurs des Goethe- Instituts dort anschauen können. Ein paar Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben mir außerdem Aufnahmen geschickt und mir erklärt, warum sie Deutsch lernen wollen.
Collage Teil 2 (Sie) Seit ich nach Deutschland kam, will ich immer Deutsch lernen. (Er) Ich mache Ausbildung bei der Firma SBM als Maschine- und Anlageführer. (Sie) Ich bin Ärztin von Beruf, ich bin verheiratet und habe zwei Töchter. Ich möchte in Deutschland leben und als Ärztin meinen Beruf ausüben. Den Deutschunterricht halte ich für sehr nützlich und ich hatte die hohe Qualität im ersten Unterricht im Goethe-Institut bemerkt. Ich war überrascht, dass deutsche Menschen freundlicher sind als ich erwartete. (Er) Deutschunterricht im Goethe-Institut ist sehr gut und ich finde, sie sind modern und die Lehrerinnen sind Profis. Ihre Qualität ist top. (Sie) Andererseits habe ich viele Freunde kennengelernt und viele Information über deutsche Kultur erhalten. Ich bedanke mich für alles, Goethe-Institut, Tschüß.
Moderator: Die drei waren jetzt sehr positiv. Das war ein Deutschkurs für Menschen, die schon etwas älter sind, Mitte Dreißig, und hier arbeiten möchten. Ist das Ihre typische Klientel?
OT Ebert: In der Tat ist das Thema Bildungsmigration, also Studentinnen und Studenten und, für Deutschland überlebenswichtig, Fachkräftemigration natürlich ein großes Thema. Das Goethe-Institut gibt Sprachunterricht, aber nicht nur Sprachunterricht per se, sondern es gibt auch – und das unterscheidet uns auch von anderen Anbietern – man darf Sprache nicht nur als Instrument sehen. Sprache ist der Schlüssel, um Anteil zu haben im Berufsleben und an der deutschen Gesellschaft. Aber man muss auch ein bisschen verstehen, in welche Art von Gesellschaft kommt man.
Moderator: Es gibt im Ausland auch heute noch eine Vielzahl von historischen Verbindungen zur deutschen Sprache und Kultur. Ein besonders spannendes Beispiel sind die Länder Zentralasiens. Als Nachbar Europas, sozusagen an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien, eine geopolitisch immer wichtigere Region. In Ländern wie Turkmenistan, Usbekistan oder Kasachstan leben insgesamt immer noch rund 250.000 ethnische Deutsche. Also Menschen, die Deutsch als Muttersprache haben. Welche Bedeutung hat das Goethe-Institut für sie? Edda Schlager hat sich das für SWR2 Wissen angeschaut in Almaty, der Hauptstadt Kasachstans.
Atmo: Dorf
Sprecherin: Ein ländlicher Vorort von Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Die Schlaglöcher in der Straße sind unter einer dicken Schicht Schneematsch und Eis verborgen. Es riecht nach Heu und Kühen, Meisen singen.
Hier, direkt neben einem verwaisten Fußballfeld und der Dorfschule, wohnt Jekaterina Kirschmann mit ihrer Familie – mit Mann Vitja, Tochter und Sohn, 14 und fünf Jahre alt, und Hündchen Olik. Das Haus haben sie vor wenigen Jahren gebaut, ganz fertig ist es immer noch nicht.
Atmo: im Haus
Sprecherin: Jetzt am Abend läuft im großen Wohnzimmer der Fernseher, die Kinder streiten, Hund Olik rennt allen zwischen den Füßen herum – dabei braucht Jekaterina gerade Ruhe. Ihr Deutschkurs beginnt in wenigen Minuten.
O-Ton Jekaterina Kirschmann: Vitja, Nikita, macht den Fernseher aus, geht doch bitte in die Küche und schaut euch da etwas gemeinsam an. Bitte, macht heute mal etwas leiser.
Sprecherin: Pünktlich um 18.30 Uhr beginnt der Deutschkurs des Goethe-Instituts Almaty – wegen Corona online, per Zoom-Sitzung.
Atmo: Deutschkurs
Guten Tag, hallo, wie geht es?
Sprecherin: Jekaterina ist eine von rund 2.000 Kurs-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern am Goethe-Institut Almaty – und eine von rund 120.000 ethnischen Deutschen in Kasachstan.
Ein Teil von Jekaterinas Familie war Anfang der 1940er Jahre wie rund 800.000 weitere Deutsche aus Russland nach Zentralasien deportiert worden. Die Nachkommen jener Deutschen, die im 18. Jahrhundert von Zarin Katharina der Großen nach Russland geholt worden waren, wurden durch Josef Stalin im Krieg der Kollaboration verdächtigt und massenweise zwangsumgesiedelt.
Jekaterinas Muttersprache ist Russisch, doch als Kind konnte sie Deutsch, denn das war die Sprache ihrer Großmutter.
O-Ton Jekaterina Kirschmann: Als ich in die Schule gekommen bin, habe ich den deutschen Dialekt gesprochen, den ich von zuhause kannte. Meine Oma beispielsweise hatte einen anderen Begriff für „Hahn“ und solche Sachen. Und die Kinder in der Schule haben mich dafür ausgelacht. Da habe ich mir das selbst verboten und hab alles Deutsche komplett abgelehnt, habe aufgehört, Deutsch zu sprechen.
Sprecherin: Jetzt will Jekaterina doch wieder Deutsch lernen, denn sie würde gerne nach Deutschland auswandern – so wie ein Großteil ihrer Familie und wie rund eine Million deutschstämmiger Aussiedler, die bereits in den 90er Jahren Kasachstan verlassen haben.
O-Ton Jekaterina Kirschmann: Jetzt ist keiner mehr hier. Ja, unsere Eltern sind noch da und halten uns noch, aber der Vorteil, wenn wir auswandern, wäre eben, dass die Kinder sich entwickeln können. Die Eltern kommen schon klar ohne uns. Aber für die Kinder sieht es nicht rosig aus, eine Zukunft sehe ich für sie hier nicht.
Sprecherin: Wie in vielen Ländern weltweit, ist das Goethe-Institut in Kasachstan erste Adresse, wenn es um die Vermittlung der deutschen Sprache geht.
Atmo: Goethe-Institut
Sprecherin: Das Institut belegt die 5. Etage in einem Geschäftshaus im Zentrum von Almaty. Modern ausgestattete Klassenzimmer, die Bibliothek, Büros, eine Cafeteria – alles im typischen hellgrün des Goethe-Instituts gehalten. Saltanat Atysheva ist Beauftragte für die Organisation der Sprachkurse, sie erklärt, dass der Anteil Deutschstämmiger wie Jekaterina in den Sprachkursen gegenüber den 90er Jahren deutlich gesunken sei. Das Interesse aber wachse wieder, nur aus anderen Gründen.
O-Ton Saltanat Atysheva: Ja, vor fünf, sechs Jahren war die Situation nicht so gut. Hier waren Chinesisch, Koreanisch, Türkisch, Englisch populärer als Deutsch. Aber jetzt ist die Situation verändert. Deutsch wird immer wieder populär. Viele Studenten möchten die Ausbildung in Deutschland machen, daher bleibt Deutsch hundertprozentig populär.
Sprecherin: Viele Menschen in Zentralasien lernen Deutsch für bessere wirtschaftliche Perspektiven. Doch das Goethe-Institut ist ebenso Vermittler für die deutsche Kultur und das Deutschland-Bild im Ausland. Das Goethe-Institut in Almaty übernimmt diese Rolle nicht nur in Kasachstan, sondern auch im benachbarten Kirgistan und in Turkmenistan.
Eva Schmitt hat das Goethe-Institut Kasachstan drei Jahre lang bis Ende 2020 geleitet – ihre Nachfolge ist wegen der Coronakrise noch offen. Schmitts Erfahrungen in ganz Zentralasien sind ausgesprochen wertvoll, auch wenn die Arbeit nicht immer so planbar ist, wie in Deutschland. In Turkmenistan beispielsweise, dem nach Nordkorea am meisten abgeschotteten Land der Welt, müsse jeder Schritt durch turkmenische Behörden genehmigt werden.
O-Ton Eva Schmitt: Das braucht sehr viel Zeit, sehr viel Vorlauf, auch Erklärungen, und ist kein einfacher Prozess, weil oft auch nicht klar ist, ob das funktionieren wird, was an Planungen ansteht oder möglicherweise dann kurzfristig doch nicht mehr klappt.
Wenn es dann aber funktioniert, sind das Interesse, die Motivation und auch die Auswirkungen oder der Erfolg vor Ort sehr sichtbar für die Arbeit des Goethe- Instituts.
Sprecherin: Die Länder Zentralasiens sehen sich mit Deutschland eng verbunden – aufgrund der historischen Verbindungen durch die Russlanddeutschen, aber auch durch seine große Akzeptanz in Europa und weltweit.
Deutschland wiederum hat über das Goethe-Institut einen positiv besetzten Zugang in die kaum bekannte, politisch schwierige Region Zentralasien. Diesen Zugang zu bewahren, so Eva Schmitt, werde die Aufgabe des Goethe-Instituts bleiben – auch wenn das politische Umfeld unberechenbarer werde.
O-Ton Eva Schmitt: Es wird auch von Seiten Zentralasiens, vor allem von Kasachstan nach Russland geschaut, wie sich dort die politische Entwicklung macht in Bezug auf NGOs. Und auch da kann es sein, dass das Goethe-Institut in einen Bereich kommt, wo dann Entscheidungen anstehen, was kann man noch machen als externe Institution, welche Möglichkeiten hat man, vor Ort zu arbeiten, wo wird es schwieriger oder wo wird es sich ändern. Das sind Perspektiven, die man berücksichtigen muss.
Moderator: Die Frage würde ich gerne aufgreifen, Herr Ebert. Wie sind die Perspektiven, beobachten Sie, dass international Ihre Arbeit schwieriger wird?
OT Ebert: Wir beobachten, dass in einzelnen Ländern in der Tat autoritäre Systeme sehr stark werden und vor allem versuchen, zivilgesellschaftliche Akteure, mit denen wir natürlich auch sehr eng zusammen arbeiten im Bereich Bildung und Kultur, einzugrenzen. Wir selbst als Goethe-Institut sind meistens über Kulturabkommen geschützt. Unser Status ist geregelt, aber natürlich bemerken wir in einzelnen Ländern, dass Partner verunsichert sind, dass sie auf der einen Seite sehr gern mit uns zusammen arbeiten, weil sie in der Zusammenarbeit mit einer deutschen, einer ausländischen Organisation Schutz finden. Aber auf der anderen Seite dann auch manchmal sagen, ich muss mich zurückhalten, weil beispielsweise der Geldfluss von einer ausländischen Organisation mir Schwierigkeiten bereiten kann.
Moderator: Nehmen wir ein großes Beispiel, das uns in Europa zurzeit sehr beschäftigt. Wie umgehen mit China. Ich habe mich mit Clemens Treter unterhalten, dem Institutsleiter des Goethe-Instituts in Peking.
OT 02 Clemens Treter: Ja, das Goethe-Institut ist jetzt seit über 30 Jahren, 32 Jahren hier in China – war damals das allererste ausländische Kulturinstitut; und wir widmen uns in Peking – und zugleich auch im weitgehenden Rest von China – sozusagen eigentlich allen Aufgaben des Goethe-Instituts, das heißt Förderung der deutschen Sprache, Förderung des internationalen Kulturaustausches und dann Informationen über Deutschland, Europa und Förderung von Wissensaustausch.
Moderator: Clemens Treter hat mir von einem ganz spannenden Beispiel erzählt, wie sich Kunst und Gesellschaftskritik elegant vereinen, von einem queeren Chor, der Beethovens Ode an die Freude nicht gesungen hat, sondern gesummt hat.
OT 03 Clemens Treter: Die summen nur und die summen auch, und da geht es sehr stark darum, auf die anderen zu hören, teilweise mussten die einzelnen Sängerinnen und Sänger um Vierteltöne verschoben miteinander reden. Das heißt, man musste sehr genau hören und den Fokus und die Aufmerksamkeit auf diese Differenz zu legen, schafft einen großartigen Freiraum, der vielleicht im ganz Kleinen liegt, aber darin trotzdem ein großartiges Moment drin hat.
Moderator: Es kommt auf die Zwischentöne an, das hat Clemens Treter betont – nicht nur bei dem Beispiel, auch im übertragenen Sinne. Er sagt: wir könnten es uns nicht leisten, nicht mit China, mit der chinesischen Gesellschaft in Austausch zu sein. Das Land ist bunter, verrückter und vielfältiger, als wir von außen vielleicht oft den Eindruck haben. Aber er hat eben auch gesagt: die Umstände werden immer schwieriger.
OT 04 Clemens Treter: Wir gehen sicher davon aus, dass unsere Arbeit beobachtet wird. Aber das ist nichts, was uns erschreckt in unserer Arbeit. (…) Aber es gibt auch Fälle, wo es eben Künstlern dann nahegelegt wird, dass sie besser nicht bei uns auftreten sollen.
Moderator: Herr Ebert, wir hören es: Bestimmte Veranstaltungen sind nicht möglich, das wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institute, das wissen die Künstlerinnen und Künstler. Eine gewissen Vorab-Zensur findet schon statt. Ab wann sagen Sie denn: Unter den Bedingungen können wir hier keine anständige Kulturarbeit machen?
OT Ebert: Wenn Gefahr für Leib und Leben unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besteht durch unsere Arbeit – es ist zum Glück fast nie der Fall. Die Goethe-Institute sind anerkannt in den Ländern und können unter einer genauen Abwägung der Rahmenbedingungen sehr viel Austausch, sehr viel zivilgesellschaftliches Miteinander ermöglichen. Aber natürlich in der Situation vor Ort auch durchaus auf Einschränkungen reagieren.
Moderator: Es gibt auch Goethe-Institute in aktuellen Krisenregionen, etwa in Belarus oder in Myanmar. Sehen Sie sich da vor allem als Plattform für regierungskritische Stimmen?
OT Ebert: Also per se sind wir keine Widerstandsorganisation. Als Goethe-Institut sind wir eine Kulturmittler-Organisation. Aber natürlich ist Kultur in vielen Ländern progressiv, sind kulturelle Akteure progressiv. Ich möchte aus meiner eigenen Geschichte erzählen, dass viele Partner vom Goethe-Institut Ägypten, das ich damals geleitet habe, sehr aktiv waren in der 2011er Revolution in Ägypten. Weil die Kultur natürlich für Freiheit ist und weil die Kultur natürlich viele Menschen anzieht, die dann in solchen Prozessen durchaus sich auf die Seite der Freiheit stellen und sich dann durchaus auch gegen offizielle Regierungspolitik positionieren.
Moderator: Carola Lentz ist seit November 2020 die neue Präsidentin des Goethe-Instituts, sie ist Ethnologin und Professorin an der Universität in Mainz, hat sehr viel vor allem in Ghana geforscht und gearbeitet. In den SWR2 Zeitgenossen hat sie zu ihrem Amtsantritt die Grundsatz-Fragen umrissen, mit denen sich das Goethe-Institut künftig besonders beschäftigen soll:
OT 06 Carola Lentz: Wie kann eigentlich ein deutsches Kulturinstitut in einer postkolonialen Welt beitragen zu einem menschlicheren Umgang, zu gerechteren Lebensverhältnissen, zu gerechteren Beziehungen? Welche Rolle spielt Kultur dabei? Welche Rolle kann das Goethe-Institut spielen?
Moderator: Auch Außenminister Heiko Maas sieht in Afrika ein Schwerpunktgebiet für die Arbeit des Goethe-Instituts. Carola Lentz passt also gut ins Anforderungsprofil. Warum, Herr Ebert, wollen Sie international den Fokus vor allem auf den afrikanischen Kontinent legen?
OT Ebert: Ja, ich glaube das Goethe-Institut muss man schon sagen ist eine Organisation, die in 90 Ländern präsent ist. Der afrikanische Kontinent hat fünfundfünfzig Länder, 1,3 Milliarden Einwohner, das Durchschnittsalter sind 18 Jahre. Was wir dort strategisch wollen, ist über in Afrika Kulturakteure mit unterschiedlichen Formaten über Grenzen der Länder hinweg zusammen zu führen. Beispielsweise hatten wir zum großen Jubiläum ein Projekt Inter Afrika mit vierzehn afrikanischen Ländern, die sich ohne die vermittelnde Rolle des Goethe-Instituts gar nicht zusammengefunden hätten. Wir unterstützen gemeinsam mit der Siemens Stiftung eine Plattform Music in Africa, die quasi afrikanische Musikgruppen bekannt machen soll, ihnen auch zu Auftritten verhelfen soll. Dann geht es wirklich um das Thema koloniale Vergangenheit reflektieren und bearbeiten und ein weiterer Punkt ist das Thema Kreativwirtschaft. Und da gibts natürlich ungeheures Potenzial in den Bereichen Design, Fotografie, Musik – also wir sehen Afrika schon als Kontinent, der in die Zukunft geht, und das wollen wir natürlich unterstützen.
Moderator: Lassen Sie uns einmal reinhören, wie die Arbeit vor Ort aussieht. Viele Länder Afrikas haben eine sehr junge, bildungshungrige Gesellschaft. Eines dieser Länder ist Kenia. Unsere Korrespondentin Antje Diekhans hat für SWR2 Wissen das Goethe-Institut in der kenianischen Hauptstadt besucht, in Nairobi.
Atmo: Traffic/ Verkehr/ Innenstadt
Sprecherin: Nairobi Downtown. Viele Hochhäuser, viel Asphalt, viele Baustellen. Ein Stadtzentrum, das kalt und farblos wirken könnte. Wenn es nicht überall auch die Stände von Straßenhändlern, alte Bauten aus Kolonialzeiten mit leicht abblätternden Fassaden und kleine Parks geben würde. Vor allem aber ist es hier immer belebt.
Über die Bürgersteige schieben sich Trauben von Menschen. Mitten in diesem Treiben liegt das Goethe-Institut.
O-Ton Hossfeld: Nairobi ist eine relativ internationale Stadt. Aber das Zentrum ist sehr kenianisch. Es ist das politische Zentrum. Wir sind hier in der Nähe des Parlaments, viele Ministerien sind hier und viele Unis. Wenn man Nairobi kennenlernen will, dann muss man hierherkommen.
Sprecherin: Institutsleiter Johannes Hossfeld ist ein Wiederholungstäter. Vor einigen Jahren hat er das Goethe-Institut schon einmal geleitet. Jetzt ist er zurück im alten Job und kann davon profitieren, dass er die Entwicklungen in Kenia schon lange verfolgt.
O-Ton Hossfeld: Die kenianische Kulturszene ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren stärker geworden, hat sich stark entwickelt. Das hat auch zu tun mit der Liberalisierung und Demokratisierung des Landes. Und die Kulturszene ist relativ jung. Sehr talentiert. Zugleich aber sind die Organisationen im Land, mit denen die Akteure der Kulturszene arbeiten können, im Vergleich wenige.
Sprecherin: Genau diese Lücken will das Goethe-Institut schließen. Es ist untergebracht in einem Hochhaus aus den siebziger Jahren. Direkt unten an der Straße liegt ein Veranstaltungssaal. Sonst finden hier regelmäßig Konzerte, Ausstellungen oder Filmevents statt. In Corona-Zeiten ist der Saal geschlossen. Veranstaltungen gibt es trotzdem.
Musik: Fadhilee – Jam Session – Anfang
„Whats up everbody. My name is Fadhilee …“
Sprecherin: Jetzt werden sie online abgehalten, erzählt Institutsmitarbeiterin Anisha Soff. Zum Beispiel eine besondere Konzertreihe.
O-Ton Anisha Soff: Da hatten wir etwas Glück mit unserem Nairobi-Jam. Als sie noch öffentlich hier stattgefunden hat, hatten wir die schon live gestreamt, um das mal auszuprobieren. Da wussten wir natürlich nicht, was dann 2020 passiert.
Sprecherin: Die Konzerte kommen jetzt live aus den Wohnzimmern der Künstler in das Zuhause der Musikfans. Ein Erfolg. Genau wie ein Filmfestival, das regelmäßig ein Publikumsmagnet ist. Hier laufen Produktionen, die sich mit Themen wie Homosexualität oder Transsexualität beschäftigen.
O-Ton Hossfeld: Das haben wir 2011 gegründet. Das war natürlich ein mutiger Schritt für die Community in Kenia und auch für uns und unsere Partner. Es ist immer eine Gratwanderung.
Sprecherin: Homosexualität auszuleben ist in Kenia verboten. Das Goethe-Institut will den Austausch über Themen anregen, die sonst in der öffentlichen Diskussion keinen Platz haben, sagt Johannes Hossfeld.
O-Ton Hossfeld: Viele Akteure der Zivilgesellschaft brauchen Freiräume. Brauchen einen Raum, in dem sie vielleicht freier sprechen können und freier zusammenkommen können, als in anderen Institutionen, in anderen Räumen.
Sprecherin: Neben den kulturellen Veranstaltungen ist der Sprachkurs-Bereich im Goethe-Institut sehr wichtig. Etwa 3.000 Prüfungen wurden hier zuletzt im Jahr abgelegt, sagt die Leiterin der Abteilung Irene Bibi. Viele bereiten sich so auf ein Studium in Deutschland vor.
O-Ton Irene Bibi: Deutschland ist als ein wissenschaftlich führendes Land bekannt. Das ist wirklich das Allerwichtigste. Und die Studenten oder die jungen Menschen wissen, dass sie Qualität in Deutschland finden.
Sprecherin: Die Kenianerin hat selbst einst als Schülerin im Goethe-Institut angefangen. Inzwischen leitet sie den Sprachkursbereich schon seit 17 Jahren. Eine von mehreren Erfolgsgeschichten.
O-Ton Irene Bibi: Ich würde sagen, die prominenteste Person wäre vielleicht Doktor Auma Obama. Und die war eigentlich auch die erste Kenianerin, die in Germanistik promoviert hat.
Sprecherin: Ihr fließendes Deutsch lernte die Schwester des früheren US-Präsidenten im Goethe- Institut in Nairobi.
Atmo: Büro, Schubladen, Papier
Sprecherin: Die Räume haben über die Jahre schon einige Änderungen durchgemacht, aber jetzt steht eine Gesamtüberholung an. Umzugskartons türmen sich in den Gängen, denn alles wird ausgeräumt und renoviert. Da ist es ausnahmsweise sogar von Vorteil, dass es während der Pandemie leerer im Institut ist. Vor allem die Bibliothek soll umgebaut werden. Bücher werden aussortiert, dafür gibt es künftig mehr digitale Medien, sagt Bereichsleiterin Elizabeth Mairura.
O-Ton Elizabeth Mairura: Alles. Musik, Filme. Man kann auch nicht nur Sprachbücher ausleihen, sondern wirklich Bücher zu allen Themen. Geschichte. Alles, alles. Man findet wirklich alles, was man in einer physischen Bibliothek finden würde.
Sprecherin: Die Bibliothek hat eine große Fensterfront nach draußen. Dahinter soll künftig eine große Dachterrasse entstehen. Das liebste Projekt des Institutsleiters.
Atmo: Dachterrasse
Sprecherin: Bisher ist hier nur ein graues Flachdach. Vom Rand aus blickt man direkt auf die darunter liegende Straße. Eine Lage, die Johannes Hossfeld begeistert.
O-Ton Hossfeld: In der Mitte von Nairobi. Man hört die Betriebsamkeit der Straße. Es ist ein intensives pulsierendes Leben hier. Und das ist natürlich wie ne richtige afrikanische Metropole. Hochhäuser. Richtiger Urban Jungle. Und in der Mitte dieses Urban Jungle möchten wir eine grüne Dachterrasse mit Urban Gardening bauen, auf der wir dann auch Veranstaltungen machen können.
Sprecherin: Lounge-Sessel mit Pflanzen dazwischen. Sitzecken zum gemütlichen Plaudern oder auch Diskutieren. Nach der Corona-Zeit will das Goethe-Institut noch mehr als vorher ein Treffpunkt für die jungen und kulturinteressierten Kenianerinnen und Kenianer werden. Wenn die Sonne untergeht, können hier dann auch wieder die Konzerte stattfinden, die zurzeit nur gestreamt werden können.
Musik: Nairobi Jam Locked – Kivuli Sessions – Sunny (fadet aus)
Moderator: Das Goethe-Institut ist längst nicht mehr die einzige internationale Kulturinstitution. Es gibt das British Council, das Institut Francais, das spanische Instituto Cervantes. Dazu kommen mittlerweile weltweit hunderte chinesische Konfuzius-Institute, Russland und die Türkei bauen ihre Kulturvertretungen massiv aus. Gibt es etwas, das das Goethe-Institut von diesen Einrichtungen unterscheidet?
OT Ebert: Erstens mal sieht man an dem, was Sie aufgezählt haben, dass viele Länder Kultur und Bildung als wichtige Politikfelder sehen, um international aktiv zu werden. Was das Goethe-Institut, glaube ich, bisschen unterscheidet, ist, dass wir weniger Kultur aus Deutschland repräsentieren, sondern dass wir mit unseren Partnern versuchen, echte Kooperationen einzugehen, Koproduktionen zu entwickeln und dass wir versuchen zuzuhören, was ist die Herausforderung für die Kulturszene in einem gewissen Land. Und dann versuchen, aus Deutschland einen Beitrag zu leisten oder die Akteure mit Akteuren anderer Länder in einem weltweiten oder regionalen Netzwerk zu verbinden. Mit einer gewissen Demut zuzuhören, was eigentlich die Herausforderungen sind und weniger das deutsche Interesse per se und die deutsche Kultur per se in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Menschen zusammenzubringen und Institutionen zusammen bringen – ich glaube, das ist eine besondere Eigenschaft des Goethe-Instituts.
Moderator: Das haben wir in den Beiträgen für dieses SWR2 Wissen gehört. Und das haben wir auch von Ihnen gehört, vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts in München.
OT Ebert: Vielen Dank, Herr Meyer-Blankenburg.
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