„Wir brauchen eine deutliche Verteuerung von Kunststoff“
Stephanie Rohde: Wenn's mal schnell gehen muss, dann geht der Kaffee und der Salat auch to go, alles natürlich schön in Plastik verpackt. Die Tüte, den Becher und das Besteck kann man dann nachher einfach wegschmeißen. Einwegplastik ist praktisch, ist günstig, und genau das ist das Problem. Die EU hat Plastik nun den Krieg erklärt, sie will nämlich Wegwerfprodukte wie Strohhalme oder auch Besteck verbieten, auch um die Massen von Müll in den Weltmeeren etwas einzudämmen. Aber schwimmt in Zukunft tatsächlich weniger Plastik im Meer herum, wenn die EU einzelne Wegwerfartikel verbietet, und wie sinnvoll wäre eine sogenannte Plastiksteuer, wie die Stadt Tübingen sie nun ins Gespräch gebracht hat. Darüber hab ich mit Thomas Fischer gesprochen, der den Bereich Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe leitet, und ich wollte von ihm wissen, wird die Welt sauberer, wenn die EU Wattestäbchen verbietet.
Thomas Fischer: Ein bisschen. Ein bisschen, muss man sagen. Es ist gut, dass die Europäische Union etwas gegen Plastikmüll, der ja tatsächlich auch sehr häufig in der Umwelt landet, tut, und es wird sicherlich auch keiner damit ein Problem haben, dass in Zukunft ein Wattestäbchen nicht mehr aus Plastik besteht, sondern beispielsweise aus Pappe. Man muss aber natürlich wissen, indem man Strohhalme verbietet aus Plastik, Besteck aus Plastik, das ist alles durchaus sinnvoll, aber das Gesamtproblem von deutlich zu viel Plastik und von über 500.000 Tonnen Kunststoff, die pro Jahr an der europäischen Küste in die Meere gespült werden, wird dieses Verbot natürlich in der Breite nichts ändern. Deshalb kann das nur ein erster Schritt sein in die richtige Richtung, und jetzt müssen wir natürlich noch nachlegen.
„EU-Regelung hat für Deutschland keine großen Auswirkungen“
Rohde: Also Sie sagen, das hilft ein bisschen, was ändert sich denn in konkret in Deutschland?
Fischer: Die EU-Regelung führt zunächst mal dazu, dass Strohhalme, Besteck, Wattestäbchen, Einwegbecher, Lebensmittelbehälter aus aufgeschäumtem Polystyrol in Deutschland verboten werden, das wird es also ab 2021 in Deutschland nicht mehr geben. Ansonsten hat diese EU-Regelung kaum eine Auswirkung auf Deutschland. Es wird eine Sammelquote vorgegeben von mindestens 77 Prozent für Einwegplastikflaschen, durch das Einwegpfand haben wir das schon in Deutschland. In Deutschland werden 98,5 Prozent der pfandpflichtigen Getränkeverpackungen in den Supermärkten an den Automaten wieder zurückgegeben. Und auch was die verbindliche Recyclingmaterial-Einsatzquote angeht, das heißt also Recyclingmaterial, was verwendet werden muss, um neue Einwegplastikflaschen herzustellen, auch diese Quote, die die EU beschlossen hat um die 30 Prozent, auch das wird heute schon erfüllt. Über diese Verbote von Einzelprodukten hinaus hat diese EU-Regelung für Deutschland jetzt keine großen Auswirkungen.
Rohde: Das heißt, es ist eher für andere Länder wichtig, und Deutschland ist da schon auf einem guten Weg.
Fischer: Na ja, Deutschland ist besser als andere, was die Erfassung von Abfällen angeht, allerdings fehlen dieser europäischen Richtlinie doch ganz entscheidende Maßnahmen, um die Abfallberge wirklich kleiner werden zu lassen, weil die Abfallberge werden ja nicht kleiner, indem man Besteck oder Wattestäbchen verbietet. Das wird möglicherweise durch andere Einwegprodukte aus anderen Materialien ersetzt. Das Entscheidende muss wirklich sein, wir brauchen in Europa, in Deutschland ein Abfallvermeidungsziel, wir brauchen verbindliche Wiederverwendungsquoten für Verpackungen, und wir brauchen eine deutliche Verteuerung von Kunststoff.
Rohde: Tübingen plant ja als erste deutsche Gemeinde eine Steuer auf Einwegverpackungen, also damit sollen genau solche To-go-Kaffeebecher unattraktiver werden oder mehrfach verwendbar werden. Ist das sinnvoll Ihrer Meinung nach?
Fischer: Ja, das ist absolut richtig und zielführend, weil es gibt ja insbesondere bei den Coffee-to-go-Bechern Mehrwegalternativen und umweltfreundliche Mehrwegsysteme. Es gibt in vielen Städten inzwischen schon viele Coffee-to-go-Ketten, die ein und denselben Mehrwegbecher benutzen. Da kriegt man seinen Coffee to go rausgegeben in einem Mehrwegbecher, zahlt ein Pfand drauf, trinkt den Becher leer, gibt den in einer teilnehmenden Filiale wieder ab und bekommt sein Pfand wieder. Im Grunde genommen funktionieren diese Pfandsysteme so wie bei den Mineralwasserflaschen auch, nur mit Coffee-to-go-Bechern. Je teurer diese Einwegpappbecher werden, desto attraktiver werden natürlich Mehrwegsysteme, weil man kann das vielleicht ein- bis zweimal im Monat mitmachen, aber regelmäßige Coffee-to-go-Trinker werden sehr schnell so eine Abgabe im Portemonnaie merken und dann auch auf Mehrweg umsteigen.
„Bioplastik ist keine Alternative zu normalem Kunststoff“
Rohde: Und was ist mit denjenigen, die nicht umsteigen wollen, also die den Becher möglicherweise auch immer zu Hause vergessen – kann ja mal passieren. Könnte man sich vorstellen, dass da andere Stoffe verwendet werden, also Bioplastik beispielsweise, wäre das eine gute Alternative?
Fischer: Bioplastik ist überhaupt keine Alternative zu normalem Kunststoff, weil man muss wissen, es ist ja nicht sinnvoll, Einwegplastikprodukte eins zu eins durch solche zu ersetzen, die eben genauso ressourcenintensiv sind in der Herstellung. Man muss eben sehen, Bioplastikbecher beispielsweise müssen ja auch hergestellt werden. Dafür wird in der Regel Mais angebaut unter dem Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Düngemitteln. Die Düngemittel führen zu Lachgasemissionen in der Landwirtschaft, hochgradig klimaschädlich, und der ökologische Rucksack von so einem Bioplastikbecher oder einer Bioplastikschale oder Bioplastiktüte, die ist nicht besser als ein normales Einwegprodukt aus fossilem Rohöl. Deshalb sagen wir, es ist nicht sinnvoll, Produkte, die in der Umwelt häufig entsorgt werden und sich dort wiederfinden, eins zu eins durch andere Wegwerfprodukte auszutauschen. Das hilft nicht der Umwelt, und deshalb muss der Ansatz wirklich sein, Abfälle von vornherein zu vermeiden, Verpackungen, die einmal hergestellt sind, wiederzuverwenden, und das gelingt mit Mehrwegbechern gerade für Coffee to go heute eigentlich auch schon ganz gut.
Rohde: Und dieses Wiederverwenden, das können die Deutschen ja offenbar relativ gut, beim Recycling läuft das ja einigermaßen. Sind wir da nicht schon auf einem guten Weg?
Fischer: Na ja, in Deutschland kann man vieles besser machen. Es ist so, dass wir mehr Mehrweg und mehr Wiederverwendung brauchen, und Recycling ist gut, das heißt also, Verpackungen in den gelben Sack tun, und es wird stofflich genutzt. Das ist schön und gut, aber Abfälle von vornherein zu vermeiden und Verpackungen mehrmals zu verwenden, wie beispielsweise Mehrwegflaschen, die bis zu 50-mal gereinigt und wiederverwendet werden, das muss das Ziel sein. Wir brauchen Wiederverwendungsquoten für Verpackungen, dass Mehrwegsysteme auch außerhalb von Getränkeflaschen aufgebaut werden. Das ist möglich, und dafür brauchen wir eben politische Regelungen, das heißt Wiederverwendungsquoten, das haben wir nicht in Deutschland, bis auf den Getränkeverpackungsbereich, und das würde uns in jedem Fall weiterbringen.
Rohde: Die Industrie sagt da ja, das liegt in der Hand der Verbraucher, warum sollen wir das machen, wenn die Verbraucher das weiter kaufen.
Fischer: Ja, das Problem – bei Mehrwegflaschen sieht man es ja, die Mehrwegquote für Getränkeverpackungen liegt momentan nur noch bei rund 43 Prozent, da wird dann auch immer gesagt, ja, die Verbraucher wollen das nicht. Das Problem ist aber sehr, sehr häufig, dass wenn Verbraucher beispielsweise gerade einen Aldi oder einen Lidl in der Nähe haben und die gehen da rein, dann stehen sie vor der Getränkeverpackungswand, und da gibt es nur noch Mineralwasser in Einwegplastikflaschen, Mehrweg wird dort gar nicht angeboten. Wenn Verbraucher also eine umweltfreundliche, nachhaltige Kaufentscheidung treffen wollen, und es gibt diese nachhaltigen beispielsweise Mehrwegflaschen oder Obst und Gemüse ohne Plastik – das wird gar nicht angeboten im Supermarkt –, na ja, dann kann der Verbraucher sich ja auch nicht umweltfreundlich entscheiden und wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Und deshalb ist es extrem wichtig, dass der Handel dem Verbraucher auch umweltfreundliche Kaufentscheidungen ermöglicht und nachhaltige Produkte und Verpackungen anbietet. Der Handel und auch die Verpackungshersteller natürlich machen sich das viel zu einfach, die gesamte Verantwortung auf den Verbraucher abzuwälzen. Am Ende kann der Verbraucher natürlich auch nur das kaufen, was in den Supermarktregalen steht, und niemand von den Verbrauchern hat das gewollt, dass beispielsweise Bananen im Foliensack verkauft werden. Das ist, glaube ich, zielführend, das hat keiner gewollt, und das sollte die Industrie auch schnellstmöglich wieder abschaffen.
Rohde: So die Forderung von Thomas Fischer, Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Dieses Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.