Eine sehr, sehr wichtige Frage
„Die Lage ist ernst“, sagte Mitte der 1950er Jahre Bundeskanzler Konrad Adenauer. Später wurde die Lage „sehr ernst“. Heute ist sie „sehr, sehr ernst“. Deutsch hat einen neuen Superlativ: den Super-Superlativ.
Es gibt Sprachen, in denen ein Satz wie „Das ist wunderschön!“ wörtlich übersetzt lautet: Das ist „schönschön“. Die semantische Verstärkung wird hier durch ein einfaches grammatisches Mittel erreicht: die Wortwiederholung oder Reduplikation. Im Deutschen kommt dieses Verfahren nur in Sonderfällen vor. Dazu gehören kurze Befehle wie „Schnell-schnell!“ oder Interjektionen. So drückt ein Kind, das „Au!“ schreit, weniger Schmerz aus als wenn es „Au-au!“ oder gar „Au-au-au!“ schreit.
Rhetorische Wiederholung
Nicht nur Kinder benutzen Wiederholungen, sondern auch erfahrene Redner. Die sogenannten Wiederholungsfiguren gehören zu den klassischen Stilmitteln, um die rhetorische Wirkung zu erhöhen. In Friedrich Schillers „Ode An die Freude“ wird das Schlüsselwort „Freude“ vielfach wiederholt, zum Beispiel:
„Freude heißt die starke Feder
In der ewigen Natur.
Freude, Freude, treibt die Räder
In der großen Weltenuhr.“
Rhetorisch noch stärker als die einfache Wortwiederholung wirkt die doppelte: „Seid einig – einig – einig“ ist noch heute ein geflügeltes Wort aus Schillers Wilhelm Tell (vierter Aufzug, zweite Szene).
Sachlich richtig oder falsch?
Beim Adjektiv hat das Deutsche eine grammatische Steigerung: die Grundform, der Positiv, wird morphologisch überführt in eine Höher- und Höchststufe, den Komparativ und Superlativ: schön, schö-ner, am schön-sten.
Nun setzt die grammatische Komparativ- und Superlativkonstruktion an sich einen Vergleich voraus, und der ist beim Superlativ sachlich oft nicht möglich: Ob jemand die berühmteste Sängerin ist oder der intelligenteste Politiker, lässt sich – im Unterschied zum höchsten Gebäude der Welt – objektiv nicht feststellen.
Einschränken!
Man drückt deshalb die hohe Bewertung durch einen eingeschränkten Superlativ aus. So wird aus der Sängerin, über deren Berühmtheitsgrad man keine genaue Aussage treffen will, eine der berühmtesten Sängerinnen.
Man kann es aber auch weniger umständlich ausdrücken, nämlich durch einen adverbialen Zusatz. So kann ein Politiker, der durch besondere Intelligenz hervorsticht, auch als „sehr intelligent“, „hoch-intelligent“ oder „ungemein“, „äußerst“, „außerordentlich“ intelligent qualifiziert werden.
Umgangssprachliche Superlative
Die Umgangssprache schafft sich ihre eigenen Superlative. Da kann jemand auch „wahnsinnig“ oder „super“-intelligent sein. Das hat weder etwas damit zu tun, dass diese Person vom Wahnsinn befallen oder so klug wie Superman ist. Es soll lediglich ausdrücken, dass er oder sie eben besser ist als der Durchschnitt.
Schließlich gibt es für einige Adjektive auch bildhafte Superlative, die als Worteinheiten festgelegt sind wie „kinderleicht“, „goldrichtig“, „glasklar“, „saudumm“, „erzkonservativ“. Sie verwenden Bilder, um die Beschreibung deutlich zu machen.
Der Super-Superlativ
Mit der Zeit nutzen sich Ausdrücke mit Superlativen durch häufigen Gebrauch semantisch ab. Wenn alle kritisch sind und viele sehr kritisch, bedarf es einer neuen Höchststufe. Und die ist – wer hätte es gedacht – ein Super-Superlativ.
Aus „sehr kritisch“ wird „sehr, sehr kritisch“. Diese neue Superlativbildung kommt hauptsächlich in gesprochener Sprache vor – nicht ohne Grund. Wer eine Bewertung mit „sehr“ beginnt und dann – am besten nach einer Kunstpause – noch ein „sehr“ anfügt, gewinnt Zeit, um ein passendes Adjektiv zu finden.
Bildhübsch oder sehr, sehr hübsch?
In freier Rede erfordert die Formulierung ein „bildhübsches“ Mädchen mehr sprachliche Konzentration und Gewandtheit als ein „sehr … sehr hübsches“ Mädchen. Auch der Satz „Wir haben ein sehr, sehr großes Problem“ formuliert sich leichter und klingt kritisch abwägender als „Wir haben ein Riesenproblem“. Stilistisch elegant ist dieser neue Superlativ nicht, aber sehr, sehr praktisch und viel, viel bequemer!