Ängste, Druck, Zweifel: Läuferin Jackie Baumann beendet Karriere | SWR Sport
Es sieht alles aus wie immer. Jackie Baumann auf ihrer Trainingsbahn in
Tübingen. Aber es ist nicht wie immer. An diesem
Tag läuft sie nur für sich. Einfach so, aus Spaß an der Bewegung.
Sie genießt das. Sie muss keinem mehr etwas beweisen.
Sie muss keine Wettkampf-Normen erfüllen.
"Was ich hier im Training auf dieser Bahn abrufen kann, ist immer besser als das, was ich im Wettkampf abrufen kann. Ich bin nie wirklich zufrieden mit dem, was
ich im Wettkampf abrufe, und das hat ganz oft was damit zu tun, dass mir mein
Körper ein Signal gibt oder ein Zeichen gibt, dass es nicht so richtig läuft
und dass man sich natürlich dann auf dieses Gefühl verlässt. Und jedes Mal,
wenn ich hier stehe, denke ich eigentlich, ich könnte Bäume ausreißen. Und das ist
leider ganz oft bei mir in Wettkämpfen nicht mehr der Fall. Wenn ich immer
das Gefühl habe, ich leiste nur 80 Prozent von dem, was ich eigentlich
trainiert habe, dann macht es auch nicht so wirklich Spaß." Nach ihrem Karriereende taucht sie erst mal ab, sie will Abstand gewinnen.
Für manche kommt ihr Entschluss überraschend. Baumann ist zuletzt in
Topform gewesen. Was nur wenige wissen: Schon seit drei Jahren hat sie immer
wieder daran gedacht, mit dem Leistungssport aufzuhören.
"Wir hatten eigentlich jedes Jahr mindestens einmal die Situation, dass wir darüber gesprochen haben, ob es Sinn macht, das noch weiterzumachen,
das auf dem Niveau weiterzumachen. Und ich glaube, ich hatte einfach...wir
hatten die Diskussion auch nach Leipzig jetzt in der Halle. Und ich glaube, dass
ich damals einfach noch zu viel Angst hatte zu sagen: Ich ziehe mich darauf
zurück. Weil ich eben nicht wusste, was dann kommt. Aber man kann nur eine
gewisse Zeit lang gegen eine Wand laufen, die einem immer dicker erscheint, bevor
man dann irgendwann sagen muss: Okay, ich möchte das nicht mehr. Ich will das nicht mehr." Jahrelang ist Jackie Baumann die beste deutsche Läuferin über 400 Meter Hürden.
Doch 2016 beginnt ein schleichender Prozess.
Sie verliert ihre Leichtigkeit. Der permanente Druck macht sie krank, oft
schon Tage vor den Wettkämpfen
"Also schlafen war nicht mehr wirklich. Ich hatte Herzklopf-Attacken.
Dann hatte ich so abwechselnd Hitzewallungen und Schüttelfrost.
Habe dann ganz oft Spannungskopfschmerzen bekommen und Übelkeit.
Es geht darum, was man am Ende wieder raus bekommt. Und wenn das Positive nicht
überwiegt, sondern man eigentlich immer in diesen Ängsten, in dieser Nervosität
gefangen ist, dann gibt einem der Sport nicht mehr genug zurück, als dass
man sagen könnte, man tut sich das jedes Mal wieder an und jede Woche von neuem.
Es ist nicht nur einmal, sondern es ist ja im Sommer jedes Wochenende ein Rennen.
Jackie Baumann sucht sich professionelle Hilfe.
Sie arbeitet mit zwei Sportpsychologinnen zusammen,
doch auch hier kommt sie letzten Endes nicht weiter.
"Ja, ich hatte zunächst mit einer Sportpsychologin zusammengearbeitet, die auch für den DLV tätig war,
mit der ich auch immer noch in Kontakt bin. Ich bin mit beiden eigentlich
noch in Kontakt, weil wir noch ein bisschen versuchen das Ganze so aufzuarbeiten.
Die hat lustigerweise immer zu mir
gesagt, sie glaubt, dass ich ihr was verheimliche. Wahrscheinlich habe ich
ihr was verheimlicht. Mir ging es gar nicht so sehr darum, wie ich die
Ängste in den Griff bekomme, sondern ob ich das wirklich will, die Ängste in den Griff zu
bekommen. Oder ob ich einfach sagen will: So, ich weiß gar nicht, ob ich das noch
will, den Wettkampfsport. Ich fand es ganz interessant, weil im Nachhinein muss
man halt sagen: Vielleicht habe ich es ihr verheimlicht, vielleicht habe ich das
ein oder andere Mal daran gedacht. Und das einfach nicht ausgesprochen.
Es hätte die gleiche Konsequenz ergeben.
Ich hätte dann einfach vielleicht nicht dieses Jahr, sondern letztes Jahr aufgehört." Hinzu kommt: Ihr wird immer mehr bewusst,
in welchem System sie als Athletin gefangen ist. Verbände, Sponsoren, Medien -
alle zerren an ihr herum.
"Natürlich fängt es irgendwie im Bundesland an und dann ist es der DLV, dann ist es der Weltverband und so geht
es immer weiter und weiter. Und die hängen natürlich alle irgendwie zusammen.
Und die haben alle einen gewissen Anspruch an einen als Athleten.
Man soll bitte noch das machen und man sollte noch da hinfahren, man soll bitte
noch hierhin kommen. Und wenn du Geld haben willst, dann musst du aber dorthin
kommen. Was ja alles legitimierbar ist. Aber es gibt einem als Athleten natürlich
ganz klar Grenzen vor, in denen man sich bewegen kann." Jackie Baumann ist das älteste Kind von Dieter Baumann,
dem 5000-Meter-Olympiasieger von 1992.
Baumann war auch in eine Doping-Affäre verwickelt. Der
Familienname als Bürde?
"Mein Name hat nun mal in der Leichtathletik eine Geschichte. Nicht nur eine helle Geschichte, sondern auch eine sehr dunkle
Geschichte. Ich glaube auch, dass das mit ein Grund ist, warum ich
kein überzeugter Vertreter des Systems bin. Meine Eltern stehen zu 100 Prozent
hinter der Entscheidung. Wenn ich sage, das ist für mich das
Richtige - und ich bin mir auch zu 100 Prozent sicher, dass meine Mutter weiß,
dass es das Richtige für mich ist. Weil wir eben so nah waren und weil, wie
gesagt, ich jedes Jahr nochmal gesagt habe: Ich probier es. Und nochmal
gesagt habe: Ich probiere es. Wir waren jedes Jahr an dem Punkt,
wo wir darüber gesprochen haben." Jetzt will Jackie Baumann erstmal ihr
Lehramtsstudium in den Fächern Sport und Geschichte zu Ende bringen. Welche Pläne
hat sie sonst noch?
"Ich glaube, das muss man so ein bisschen auf sich zukommen lassen. Ich glaube, das ist wie nach einer langen Beziehung,
wo man nicht so genau weiß, wo der nächste wartet, was als nächstes wartet.
Und ja, ich weiß es auch nicht so genau.
Und ich bin prinzipiell nicht so
ein Probierer. Ich bin nicht so 'in die Welt laufen und mal schauen was kommt'. Ich bin eigentlich immer eher so ein Plan-Typ. Mein Bruder hat zu mir gesagt,
ich solle es einfach mal ausprobieren, wie es ist, keinen Plan zu haben.
Ich bin schon gespannt, ob es mir gelingt. Ich werde sicherlich das
ein oder andere jetzt machen, wofür ich keine Zeit hatte." Jetzt aber hat sie erst mal gefeiert. Ihren 25. Geburtstag und - ihren Start in
ein anderes Leben.