Mord an „Kranken" – „Euthanasie" im Nationalsozialismus
Vorab ein Hinweis:
In diesem Video beschäftigen wir uns mit den Krankenmorden in der NS-Zeit.
Eines der finstersten Kapitel der Geschichte,
das uns Grausamkeiten und erschütternde Tatsachen aufzeigt.
Es führt uns schonungslos und mahnend vor Augen,
wozu Menschen fähig sind, wenn die Unmenschlichkeit regiert.
Kennt ihr dieses Denkmal?
Es steht seit 2014 in Berlin
und erinnert an Opfer der Euthanasie- Morde der Nationalsozialisten.
Hinter dem verharmlosenden Ausdruck "Euthanasie"
steht das grausame Schicksal Zehntausender Menschen
mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen,
die zwischen 1939 und 1945 ermordet werden.
Denn die nationalsozialistische Ideologie
sieht ihr Leben als nicht lebenswert an.
Als unwert, so die zynische und perfide Bezeichnung der Nazis.
Dieses Denkmal wirft bereits Fragen auf.
Ist es der richtige Weg der Aufarbeitung?
Ist es ein Teil der Aufarbeitung? Ein wichtiger?
Angehörige von Opfern kritisieren,
dass es bis heute keinen eigenen Gedenktag gibt
und keine Entschädigungen im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes.
Schwierige Fragen.
Unmöglich für uns, die in diesem Video zu beantworten.
Aber vielleicht können wir dazu beitragen,
dass über diese Fragen weiter nachgedacht wird.
In diesem Video gehen wir in der Geschichte zurück.
Die Aktion T4:
Hinter diesem harmlosen Namen steht ein Verbrechen
mit unfassbaren Ausmaßen.
Die organisierte Ermordung von 70.000 Menschen.
Was ist da geschehen?
Wie konnte es dazu kommen?
Gab es Widerstand?
Wie wurde dieses Verbrechen nach 1945 aufgearbeitet?
Alles das in diesem Video.
Das Video ist Teil des Funk-Schwerpunkts
"Leben mit Behinderung".
Wir beginnen Anfang Oktober 1939.
Adolf Hitler verfasst einen Brief an seinen Arzt Dr. Karl Brandt
und den Reichsleiter Philipp Bouhler.
Hitler spricht darin davon,
unheilbar Kranken einen Gnadentod zu gewähren.
Er gibt im Brief den Männern einen Auftrag:
Sie sollen die Tötung von Menschen mit Behinderung
oder psychischen Erkrankungen planen und organisieren.
Die geplante Ermordung wird also von Hitler
zum Gnadentod umgemünzt.
Rückwirkend datiert Hitler das Privatschreiben
auf den 1. September 1939.
Damit fällt der Brief mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammen.
Der Mordbefehl soll im Kriegskontext stehen.
Die befohlene systematische Ermordung
wird bekannt unter dem Namen Aktion T4.
Benannt nach dem Sitz der dafür zuständigen Zentraldienststelle
in Berlin, Tiergartenstraße 4.
Die Nationalsozialisten verwenden nun nicht mehr das Wort Gnadentod,
sondern den harmlos klingenden Begriff "Euthanasie".
Er kommt ursprünglich aus dem Griechischen
und bedeutet "schöner Tod" oder auch "guter, leichter Tod".
Im deutschen Sprachraum ist dieser Begriff
aber untrennbar mit der Ermordung von Menschen mit Behinderung
oder psychischen Erkrankungen durch die Nazis verbunden.
Er ist damit, obwohl er eine über 2.000 Jahre währende Geschichte hat,
nicht wertneutral in einem anderen Kontext zu verwenden.
Wie auch andere Begriffe, die die Nazis gebraucht haben
und sie damit für immer mit einem bestimmten Kontext belegt haben.
Bereits im Oktober 1939 werden als Folge dieses Befehls
die Direktoren von Heil- und Pflegeanstalten aufgefordert,
Meldebögen auszufüllen.
Darin sollen sie Patienten melden,
die schon lange in den Anstalten leben,
und diejenigen, die an Krankheiten wie Epilepsie, Demenz
oder Schizophrenie leiden.
Diese Bögen entscheiden über Leben und Tod von unschuldigen Menschen.
Stellt euch das mal vor.
Ein "Gutachter" entscheidet über das Leben eines Menschen,
indem er ein Kreuzchen auf einem Papier macht.
Und das, ohne den Menschen jemals gesehen zu haben.
Kriterien dabei sind,
ob die Krankheit als heilbar gilt
und ob Menschen noch arbeiten können.
Diejenigen, für die das nicht gilt, werden zunächst verlegt.
So heißt es zumindest.
Die Betroffenen werden in Zwischenanstalten gebracht
in der Nähe der späteren Tötungsanstalten.
Angehörige können die Deportierten
nur bis zu diesen Zwischenanstalten begleiten.
Dieses grausame Konzept findet sich bei den Nazis immer wieder.
Die Konzentrations- und Vernichtungslager
hatten die gleiche unmenschliche Logik.
Ihr seht, alles ist perfide durchdacht
und organisiert.
Von den Zwischenanstalten bringen Züge der Reichsbahn
oder Busse die Menschen zu den Tötungsanstalten.
Busse sind zunächst rote Wagen der deutschen Reichspost.
Ja, nicht wundern, die Post war immer gelb,
nur während der Nazizeit nicht.
Später werden die Busse zur Tarnung grau angestrichen.
Die sogenannten grauen Busse sind bis heute ein Synonym
für die Deportation der Kranken.
Insgesamt gibt es sechs Tötungsanstalten.
Verteilt auf dem Reichsgebiet.
Vor Ort werden die Menschen direkt aus den grauen Bussen
in einen Raum mit Brauseköpfen an der Decke geführt.
Dort werden sie mit Kohlenmonoxid vergast.
Die Leichen anschließend verbrannt.
Familien der Opfer erfahren die wahre Todesursache nicht.
In sogenannten Trostbriefen heißt es,
der oder die Angehörige sei an einer Krankheit oder Infektion,
an einer Lungenentzündung oder Ähnlichem gestorben.
Ausgestellt sind diese Schreiben
vom Verwaltungspersonal der Tötungsanstalt,
die in dem Schreiben natürlich so nicht genannt wird.
Die Reaktionen der Angehörigen sind gemischt.
Natürlich dominieren Trauer und Unverständnis,
dass sie nicht Abschied nehmen konnten.
Manche aber sind auch erleichtert,
dass die vermeintlichen Leiden des Toten ein Ende haben.
Das klingt nach einer verstörenden Aussage,
einer unmenschlichen sogar.
Ihr müsst das aber im Kontext der Geschichte sehen.
Es herrschte Krieg, die Zukunft war ungewiss.
Auf den Schlachtfeldern starb man in Massen.
Der Tod war zu dieser Zeit allgegenwärtig.
Sarkastisch gesagt: Man hatte sich an ihn gewöhnt.
Aber vereinzelt gibt es auch Beschwerden über die Verlegung.
Was ich auch wichtig finde:
Der Aktion T4 geht bereits eine jahrzehntelange Diskussion voraus,
was lebenswertes Leben sei und was nicht.
1895 ist der Philosoph Adolf Jost der Erste,
der ein Recht auf den Tod fordert.
Er argumentiert, dass Schwerkranke das Recht haben sollten,
zu entscheiden, ob sie weiterleben oder sterben wollen.
Seit der Jahrhundertwende damals diskutieren
Ärzte, Psychiater und Juristen die von Jost aufgeworfene Frage
mit unterschiedlichen Ansichten.
Die Debatte radikalisiert sich,
als 1920 der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche
in ihrer Schrift "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens"
behaupten, dass es menschliches Leben gebe,
das weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft von Wert sei,
und sie sprechen sich für die Tötung
der von ihnen sogenannten "Ballastexistenzen" aus.
Hoches und Bindings Veröffentlichung
führt zu teilweise heftigen und kontroversen Debatten
in der Weimarer Republik.
Der Großteil der Ärzte in der Republik lehnt die Forderung ab.
Die Nationalsozialisten nutzen deren Argumente aber
zur wissenschaftlichen und moralischen Rechtfertigung
ihrer Gräueltaten: die Ermordung
von Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen.
Die Verfolgungen bis zur Ermordung dieser Menschen
nehmen ihre Anfänge schon 1933.
Es wird das Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" erlassen.
Dieses Gesetz erlaubt die Zwangssterilisation
von Menschen mit vermeintlichen Erbkrankheiten
oder schweren körperlichen und geistigen Behinderungen.
400.000 Menschen fallen der Umsetzung des Gesetzes zum Opfer.
Schon 1933 werden auch die finanziellen Mittel
für Heime und Anstalten gekürzt.
Die Patienten schlafen anstatt auf Matratzen auf Strohsäcken
und bekommen weniger zu essen.
Das Morden beginnt an den Hilflosesten und Schutzlosesten.
Den neugeborenen Kindern.
Schnell kommen Kleinkinder und Jugendliche bis 16 Jahre dazu.
Ob körperliche Fehlbildungen,
Down-Syndrom oder Lähmungen,
ab August 1939 sterben mindestens 5.000 Kinder.
Welches Ziel verfolgen die Nationalsozialisten?
Was bringt sie dazu, so zu handeln?
Zum einen wollen sie - das ist unmenschlich, aber pragmatisch -
Kosten für Pflege und Unterbringung der Patienten einsparen.
Zum anderen verfolgen die Nazis das Ziel,
unheilbare Erbkrankheiten zu besiegen.
Sie wollen einen gesunden deutschen Volkskörper, wie sie sagen.
Und um diese fanatische, vermeintliche Idealvorstellung
zu erreichen, ist ihnen Mord ein legitimes Mittel.
Trotzdem wissen die Nazis,
dass ihre Vorgehensweise in der Bevölkerung
keine breite Akzeptanz haben würde.
Sie verschleiern ihr Handeln. Denkt an die Trostbriefe.
Aber die Verschleierungen der Nazis reichen nicht aus,
es keimt der Verdacht auf, dass Menschen getötet werden.
Die einen wollen nicht dran glauben und verschließen die Augen davor.
Aus Angst oder anderen Gründen.
Aber es gibt auch andere.
Vormundschaftsrichter Lothar Kreyssig hat diesen Verdacht und handelt.
Im Sommer 1940 fällt ihm auf,
dass einige seiner Mündel nach der Verlegung sterben.
Er wendet sich nicht an die lokale Polizeidienststelle.
Der gläubige Brandenburger hat Beziehungen in die Ministerien.
So wendet er sich direkt an den Justizminister.
Kreyssig erstattet Anzeige wegen Mordes.
Kreyssig versucht außerdem,
so gut es geht, seine Betreuten zu schützen.
Er verbietet kurzerhand deren Deportation
und leistet so Widerstand.
Aber viel kann er nicht bewirken.
Er selbst wird von den Behörden in den Ruhestand geschickt.
Anders geht es bei folgendem Kritiker aus:
der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen.
Auch er vermutet, dass Kranke systematisch ermordet werden.
Er will sich dazu in seiner Sonntagspredigt
am 3. August 1941 äußern.
Der in der Bevölkerung beliebte Bischof
verurteilt in seiner Predigt die Tötung von Menschen
mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen.
Er spricht von Ermordung,
prangert die wirtschaftlichen Gründe hinter den Tötungen an
und fragt: Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben,
solange wir produktiv sind?
Solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden?
Von Galen findet deutliche Worte.
Er ist mehrfach als Kritiker des NS-Regimes in Erscheinung getreten.
Es bleibt nicht bei dieser Predigt.
Sie verbreitet sich im ganzen deutschen Reich.
Die Unruhen sind so groß und der Bischof so beliebt,
dass Hitler einknickt - zumindest scheinbar.
Hitler gibt den Befehl, die Mordaktion T4 zu beenden.
Im September 1941 wird die Aktion T4 eingestellt.
Aber letztendlich ist es nur ein scheinbares Ende
und wieder eine Verschleierung.
Die Menschen werden nicht mehr in den Tötungsanstalten vergast,
aber das Morden in Anstalten, Heimen und Psychiatrien geht weiter.
Bis zum Kriegsende.
Patienten werden durch Medikamentenüberdosis,
Nahrungsentzug oder Vernachlässigung getötet.
Diese Phase ist auch als "dezentrale Phase" bekannt.
Das bedeutet,
dass nicht mehr die Verantwortlichen am Berliner Tiergarten entscheiden,
sondern Ärzte und Pfleger vor Ort.
Zu den Patienten kommen ab 1941
jüdische oder nicht arbeitsfähige KZ-Häftlinge.
Ab 1943 kranke, osteuropäische Zwangsarbeiter.
Mit dem Kriegsende 1945 endet die systematische Ermordung
von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen.
Zehntausende starben.
Allein während der Aktion T4 wurden 70.000 Menschen umgebracht.
Insgesamt fallen den verschiedenen Mordprogrammen
im nationalsozialistischen Machtbereich
circa 300.000 Menschen zum Opfer.
Und T4 wird eine Art Vorbild für die Massenvernichtung an den Juden.
Was geschieht nach dem Krieg?
Den Tätern, den handelnden Ärzten, Schwestern und Krankenpflegern,
den Verantwortlichen in der Verwaltung
wird teilweise der juristische Prozess gemacht.
Im Herbst 1945 werden zwei Ärzte und ein Pfleger
der Tötungsanstalt Hadamar von einem US-Militärtribunal
zum Tode verurteilt.
Im Nürnberger Ärzteprozess werden sieben Angeklagte
zum Tode verurteilt,
neun zu langen Haftstrafen.
In Nebenprozessen weitere Personen,
die vor Ort oder in der Verwaltung daran beteiligt waren.
Und was bleibt von den ermordeten Menschen?
Massengräber, Erinnerungen und quälende Ungewissheit
bei Angehörigen über das genaue Schicksal der Opfer.
Angehörige kämpfen vor allem in den 50er- und 60er-Jahren
dafür, Mahnmale zu errichten.
Kleine Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung an die Opfer.
Allerdings noch ohne Erklärungen,
welche unfassbaren Gräueltaten und Verbrechen
in diesen Tagen geschehen sind.
In den 1980er-Jahren fangen Forscher an,
die Krankenmorde systematisch aufzuarbeiten.
Orte des Verbrechens wie Hadamar oder Grafeneck
werden zu Gedenkstätten.
Deutlich mehr Initiativen setzen sich jetzt für das Gedenken
an die Krankenmorde ein.
In der Bundesrepublik erklärt der deutsche Bundestag erst 1994
das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zu NS-Unrecht.
In der sowjetischen Besatzungszone, also dem Gebiet der späteren DDR,
wird dieses Gesetz schon 1946 aufgehoben.
2014 eröffnet die Stadt Berlin schließlich
den Gedenk- und Informationsort
für die Opfer der national- sozialistischen Euthanasiemorde.
Es tut sich also etwas.
Auch mehren sich immer noch die Mahnmale, Stelen und Plaketten
an Orten, an denen die Krankenmorde stattgefunden haben.
Allerdings immer noch längst nicht an allen.
Reicht es, ein Mahnmal aufzustellen?
Oder muss mehr getan werden?
2019 fordert die Gedenkinitiative für die Euthanasieopfer
ein öffentliches Erinnern.
Unter anderem auch einen bundesweiten Gedenktag.
Den 18. Januar.
Denn am 18. Januar 1940 ist der erste Transport
im oberösterreichischen Hartheim angekommen.
Wie seht ihr das?
Braucht es so einen eigenen Gedenktag?
Oder haben wir genug?
Müssen wir noch mehr oder sogar anders erinnern?
Was sollte noch getan werden?
Seid ihr schon mal in Gedenkstätten oder am Berliner Mahnmal gewesen?
Schreibt es in die Kommentare.
Und was ich noch wichtig finde:
Wir sprechen über etwas, das in der Geschichte passiert ist.
Aber schaut mal auf die Debatte zu den Impfungen gegen Corona.
Da gibt es Leute, die sagen:
Warum sollte man jemanden mit Demenz impfen?
Warum sollte man jemanden impfen, der sowieso bald stirbt?
Das ist ein Gedanke, den es vor einiger Zeit schon mal gab.
Finde ich zumindest.
Neben mir findet ihr ein Video der Kolleg*innen von Bubbles,
die auch ein Video zum Schwerpunkt Leben mit Behinderung gemacht haben.
Klickt da gerne mal rein.
Direkt darunter findet ihr die Playlist zu dieser Funk-Aktion.
Danke euch fürs Zuschauen und bis zum nächsten Mal.