Übereilter Atomausstieg? Fukushimas Erbe | Harald Lesch
10 Jahre Fukushima. War das eigentlich wirklich so schlimm?
Oder war vieles davon überdramatisiert und hat in Deutschland zu einem überstürzten Ausstieg
aus der Kernenergie geführt. Wir wollen mal genauer hinschauen.
[Intro]
Kein Land ist so erfahren in der Anpassung an schwere Erdbeben wie Japan.
Der Bau von Hochhäusern, der Schienenverkehr in Japan,
alles angepasst daran, dass es eben immer mal zu schweren Erdbeben kommen kann.
Und auch der Bau von Kernkraftwerken, da sind die Japaner richtig gut,
wenn es um die Anpassung an mögliche Risiken, wie von solchen großen Erdbeben, geht.
Und dann, ja, dann kam der 11. März 2011. Kurz nach halb 4 Ortszeit kommt es zu
einem der schwersten Erdbeben, die je gemessen wurden.
9,0. 100 Kilometer entfernt von der japanischen Ostküste, im Pazifischen Ozean.
Und solche Erdbeben können natürlich, und in dem Fall haben sie das auch,
Tsunamis auslösen. Die Wellen, die da kommen werden,
auf die japanische Küste, werden bis zu 40 Meter hoch sein. Aber vor allen Dingen
bewegt sich eine Tsunamiwelle auf dem offenen Pazifik mit bis zu 800 km/h.
Also quasi so schnell wie eine Boeing 747. Und rast auf die japanische Ostküste und
an dieser Ostküste stehen natürlich in Japan Kernkraftwerk.
[Musik]
An der japanischen Ostküste stand das Kraftwerk Fukushima Daiichi.
Das sind sechs Siedewasserreaktoren. Und die waren eigentlich angepasst,
also die waren darauf vorbereitet auf ein schweres Erdbeben.
So wie man in Japan auf schwere Erdbeben eben vorbereitet ist.
Man hatte schon gesagt: Baut Mauern vor die Kraftwerke, damit also dann so
eine Tsunamiwelle eben diese Kraftwerke nicht erreicht. Die sollten 3 m hoch sein,
in Fukushima Daiichi waren sie 6 m hoch, also schon mal super.
Dann hat man die Kraftwerke sogar höher gelegt - 10 m hoch die einen, die anderen 13 m hoch.
Und trotzdem es kamen 14 m hohe Wellen. Also diese Tsunamiwelle kam mit 14 Metern
praktisch Höhe da an. Also mit anderen Worten vier von den Reaktoren waren schon mit 4 Metern
unter, standen die unter Wasser und zwei davon immer noch mit einem Meter unter Wasser.
Und die Meerwasserpumpen sind zusammengebrochen. Was ist passiert? Durch Erdbeben und den
anschließenden Tsunami sind die Kühlwasser- systeme komplett zusammengebrochen.
Dann kommt es zur Kernschmelze. Und zwar in dem Fall, in den Reaktoren,
die in Betrieb waren, das waren die Reaktoren 1 bis 4. Bei der Kernschmelze, wenn die läuft,
dann wird es natürlich immer heißer und irgendwann so auf 800 Grad beginnt
das Zirkonium in den Hüllrohren, in denen die Brennelemente drin sind,
mit dem ungebenden Wasser zu reagieren. Und dann entsteht Wasserstoff.
Und deswegen kam es zur Knallgasexplosion in den Reaktoren 1 bis 3.
[Musik]
Wie ist denn die Situation heute in Japan? Also für die Erwachsenen hat sich durch
die schnelle Evakuierung und durch die günstigen Winde keine nennenswerte
Strahlenbelastung ergeben. Das heißt die Forscher gegen heute von
einer Anzahl an zusätzlichen Krebstoten aus, die in der Statistik verschwindet.
Und bei den Arbeitern in Fukushima hat sich sogar während des Supergaus,
also anders als in Tschernobyl, kein einziger akuter Fall von Strahlenkrankheit ergeben
und es ist auch keine nennenswerte Erhöhung der Krebstoten unter den Arbeitern bekannt geworden.
Anders sieht es aus bei dem kindlichen Schilddrüsenkrebs. Da war es so,
dass der normale Erwartungswert wären 10 Fälle in der Region Fukushima.
Jetzt hat man 167 Fälle entdeckt, die operiert werden mussten.
10 Jahre nach dem Unfall müssen die Kernreaktoren immer noch gekühlt werden,
weil die Kernreaktionen ja nicht aufhören. Das heißt da wird Energie freigesetzt
und das muss irgendwie gekühlt werden. Dieses Kühlwasser, das wird natürlich
immer mehr und mehr. Inzwischen sind die Speicher so voll,
dass die japanische Regierung darüber nachdenkt, wieder radioaktiv verseuchtes Wasser
in den Pazifik zu entlassen. Sie sagen: Mit Filteranlagen würde man
dafür sorgen, dass nur noch Jod und Tritium in dem Wasser drin ist. Und das würde ja
realtiv schnell zerfallen und deswegen wäre das kein Problem.
Aber man muss sich das überlegen. 10 Jahre danach muss man immer noch
diese Dinger kühlen und kein Wunder, dass da natürlich unglaubliche Mengen an
radioaktiv verseuchtem Kühlwasser anfallen.
[Musik]
Ja und dann ist ja die Bundesrepublik Deutschland 2011 aus der Nutzung
der Kernenergie ausgestiegen. Innerhalb von 11 Jahren, also 2022 soll
der letzte Kernreaktor in Deutschland abgeschaltet werden. Warum?
Warum ist man in Deutschland zu dem Ergebnis gekommen jetzt: wir steigen aus
der Krenkraft komplett aus? Was war denn der Grund dafür?
Ich meine in Deutschland gibt es keine nennenswerten Erdbebenregionen.
Wir haben keine Tsunamiwellen. Die Leichtwasserreaktoren in Deutschland
sind ziemlich gut gelaufen. Also warum fing man damit an?
Außerdem gab es auch ökonomische Gründe, nicht aus der Kernenergie auszusteigen.
Hier, fehlende Steuereinnahmen. Ja wenn die Betreibergesellschaften
Gewinne machen, dann werden die besteuert. Oder noch mehr die natürlich,
die zu befürchtenden Schadensersatzforderungen in zweistelliger Milliarden Höhe.
Außerdem hatte man doch im Okt. 2010 gerade erst eine Laufzeitverlängerung beschlossen.
[Musik]
Gucken wir uns die Argumente mal genauer an. Laut den Schätzungen des Bundesumweltministeriums
haben wir es nur mit Schadensersatzforderungen von ungefähr einer Milliarde Euro zu tun.
Das ist angesichts der Kosten, die wir beim Rückbau zu bezahlen haben,
Rückbau der Atomkraftwerke von 20 bis 25 Milliarden, ist das eigentlich gar nichts.
Dann haben wir das Argument mit der Erhöhung des Strompreises.
In der Tat steigen die Strompreise. Wie wir hier sehen können von 2010 bis 2019
die Strompreise steigen. Aber ist der Ausstieg aus der Kernenergie daran Schuld,
dass zwischen 2010 hier und 2019 der Strompreis gestiegen ist?
Nein. Es liegt zur Hälfte an dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz,
das übrigens schon vor Fukushima beschlossen wurden. Und die andere Hälfte
der Strompreiserhöhung liegt an Netzentgelten und an Steuern. Also der Ausstieg aus
der Kernenergie ist für die Erhöhung des Strompreises also gar nicht entscheidend.
Wichtig ist allerdings, dass die Erzeugerpreise in diesen 10 Jahren um 10 % gesunken sind.
Musste jetzt Deutschland nach dem Ausstieg aus der Kernkraft auf einmal Atomstrom
von woanders einkaufen? Zum Beispiel aus Frankreich. Die Antwort ist: Nein.
Seit 2002 verkaufen wir nur noch Strom. Wir importieren gar nichts mehr.
Also hier in dieser Grafik sieht man diese horizontale Linie,
alles was drüber ist, das ist eingekaufter Strom,
alles was drunter ist, ist verkaufter Strom. Und dann sieht man hier,
dass wir praktisch seit 2002 überhaupt keinen Strom mehr einkaufen.
Und wurde jetzt durch den Atomausstieg nur Kohlestrom gefördert?
Das kann man sich auch angucken in der Statistik.
Hier wieder von 2002 bis 2018. Man sieht erstmal, der Rückgang der Atomkraft
wird durch die Erneuerbaren überkompensiert. Schauen wir uns jetzt mal die Entwicklung
der Gestellungskosten für Energie an. Also wie viel kostet es denn,
eine bestimmte Menge an Energie überhaupt zu erzeugen? Also nicht erzeugen,
darf ich ja nicht sagen als Physiker, sondern freizusetzen.
Und jetzt gucken wir uns mal nicht an ein abgeschriebenes Kernkraftwerk.
Also das läuft, das ist natürlich unschlagbar billig, sondern schauen wir
uns mal eine Vollkostenrechnung an, nämlich den Neubau einer Anlage,
den Betrieb einer Anlage, die Rohstoffkosten und den Abbau einer Anlage.
Das tun wir nicht nur für die Kernenergie, sondern auch für Kohle, Öl und Gas,
aber auch für Windkraft und für die Sonne. Und das sieht dann so aus.
Vom Jahr 2009 an bis 2019 die Preisentwicklung bei dieser Vollkostenrechnung.
Dann sieht man hier zum Beispiel, dann in den letzten 10 Jahren
die Kosten für Solarstrom um 89 % gesunken sind. Die Kosten für Windstrom
um 70 % gesunken sind. Und jetzt schauen wir uns dazu im Vergleich
einfach mal an die Kostenentwicklung für den Nuklearstrom. Also hier unten
das ist die Linie für die Kernkraft. Fängt hier an 2009 und steigt an.
Also das heißt die sind auf jeden Fall, wenn wir jetzt Kernkraftwerke neu bauen,
betreiben, Rohstoffkosten zusammen und abbauen ist diese Art der Energiefreisetzung
unökonomisch. Also trotz jahrzehntelanger Entwicklung und Verbesserung
der Kraftwerkstechnologie ist die Kernkraft heute ökonomisch
tot, weil sie zu teuer ist. Ja und dann können wir uns ja nochmal
die Sicherheit von Kraftwerken angucken und auch da sieht es für die Kernkraft
nicht wirklich gut aus. Denn diese Anlagen, wenn sie älter werden,
haben natürlich immer mehr Störfälle. Das gilt ja für alle technischen Anlagen
Aber für Kernkraftwerke ist es ganz besonders deutlich und natürlich
im Ernstfall auch sehr drastisch. Das sieht man hier in diesem Diagramm.
Wir haben also hier unten das Alter der Anlagen. Und hier, auf dieser Achse
aufgetragen, die Anzahl der meldepflichtigen Störfälle. Und man sieht ganz klar
und deutlich, je älter die Anlage ist, umso mehr meldepflichtige Störfälle
haben wir da. Das heißt also, je älter der Kernkraftwerke werden,
umso risikobehafteter werden sie.
[Musik]
Wie soll man das jetzt bewerten, diese Pro und Kontra Situation?
Ich glaub man darf nicht vergessen, es waren Menschen betroffen.
Zwischen 100.000, 150.000 Menschen wurden evakuiert wegen des Vorfalls
in Fukushima und die haben wirklich fast alles verloren.
Ihr Eigentum verloren, ihr Vermögen verloren, viele davon haben ihre Bauernhöfe verloren,
Hunderttausende von Tieren sind verendet. Die Strahlenbelastung war nicht so sehr
das Problem. Laut einer Studie des Magazins The Lancet sind es vor allen Dingen
die psychischen Folgen dieses Vorfalls, die gar nicht eingerechnet worden sind.
Und dann haben wir noch die tatsächlichen Kosten für den Rückbau.
Die Schätzungen gehen da auf 180 Mrd. Euro. Das wird der Rückbau der Anlage von
Fukushima Kosten, wobei die wirklichen Eigentums und Vermögensverluste
all der beteiligten sind ja gar nicht mitgerechnet. Wenn man das tut,
dann landet man schnell im Bereich von Billionen, also von Tausenden von
Milliarden Euro. Das Ganze ist ein wirkliches Desaster.
Und wie war das jetzt in Deutschland? Im Oktober 2010 war eine Laufzeitverlängerung
beschlossen worden. Und im Sommer 2011 wird es eine ziemlich große Mehrheit
im Parlament geben, endlich aus der Kernenergie final auszusteigen bis 2022.
Was ist da passiert inzwischen? Ja, im April 2011 ist eine Ethikkommission
eingesetzt worden. Diese Ethikkommission hat sich mit dem Begriff der Berechenbarkeit
von Risiken beschäftigt und hat festgestellt, dass uns klar geworden sein muss,
dass durch den Vorfall in Fukushima sich die Berechenbarkeit
eines solchen Risikos völlig geändert hat. Wenn es einem Hochtechnologieland wie Japan
nicht gelingt, mit all seiner staatlichen und unternehmerischen Ressourcen,
einen solchen Vorfall so berechenbar zu halten, dass es darauf entsprechend
reagieren kann in seiner Vorsorge, dann können wir auch nicht davon ausgehen,
dass wir es können. Das heißt, wir sollten grundsätzlich das Risiko,
das mit der Kernenergie verbunden ist, das unberechenbare Risiko,
das mit der Kernenergie verbunden ist, so schnell wie möglich abschalten.
Mit anderen Worten, so schnell wie möglich die Kernreaktoren in Deutschland
abschalten. Zumal es eben ja auch günstigere Alternativen gibt.
Und mit günstiger meinte die Ethikkommission nicht notwendigerweise etwas
im ökonomischen Sinne billiger, sondern Risiko-günstiger.
Also eine Technologie, die viel viel weniger Risiken hat.
Und so kam es zu einer wirklich deutlichen Veränderung, nicht nur in der öffentlichen
Meinung, sondern auch in der politischen Meinung: wir steigen aus der Kernenergie
in Deutschland aus. Und wenn 2022 der letzte Kernreaktor
in Deutschland abgeschaltet ist, dann verabschieden wir uns nicht nur
von einer scheinbar unbeherrschbaren Technologie, sondern auch von einem
schlimmen Konfliktherd, der über 50 Jahre die deutsche Gesellschaft gespalten hat.
Es wird mehr Frieden sein in Deutschland dann. Und vielleicht wird dann auch genau der Titel
der Ethikkommission von 2011 nämlich die Energiewende als ein Gemeinschaftswerk
in die Tat umgesetzt. Dann wird uns klar werden,
dass die Frage woher wir in Zukunft unsere Energie holen eben keine Frage
ist an irgendwelche Betreibergesellschaften, sondern dass wir alle daran beteiligt sein müssen.