Was beim Kopfball mit deinem Gehirn passiert | SWR Sport
Fußball ohne Kopfball, das ist wie Pommes ohne Ketchup.
Legendäre Tore, großartige Abwehrschlachten,
Kopfball: unverzichtbar im Fußballsport.
Aber: Kopfball kann gefährlich sein!
Wie stark wird das Gehirn erschüttert?
Führt zu viel Kopfball zu Demenz?
Sport erklärt: Nebenwirkungen und Risiken des Kopfballspiels.
England – seit Anfang 2020 ist das Kopfballspielen im Training für Kinder zwischen sechs und
elf Jahren verboten, für Jugendliche bis 18 Jahren nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Grundlage dieser Entscheidung: eine Studie aus Schottland, in Auftrag gegeben von der
Football Association und der Spielergewerkschaft.
Dabei wurden die Todesumstände von mehr als 7.000 ehemaligen schottischen Fußballprofis
im Vergleich zu 23.000 Menschen aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. das Ergebnis: das Risiko für
Fußballprofis, an Demenz zu erkranken, ist dreieinhalbfach erhöht.
Doch über die Gründe wurde nur spekuliert.
Deswegen sind etwa die Ärzte beim DFB skeptisch.
Die Studie zeige beispielsweise keine Unterschiede für Feldspieler und Torhüter.
Die untersuchten Personen hätten vor langer Zeit gespielt.
Nicht berücksichtigt wurden Umwelteinflüsse, möglicher Missbrauch von Alkohol oder anderer hirnschädigender Substanzen.
Wie auch immer: Kopfball ist kein Spaß für das Gehirn.
Der Ball, 450 Gramm schwer, kann mit bis zu 100 Stundenkilometern auf den Kopf treffen.
Idealerweise trifft der Spieler den Ball mit der Stirn am Haaransatz.
Er köpft möglichst waagerecht und gibt dabei die Kraft zurück.
Mit dem Aufprall des Balls gerät das im Nervenwasser schwimmende Gehirn ruckartig in Bewegung.
In diesem Moment werden vor allem die langen Faserverbindungen der Nervenzellen, die Axone,
gestaucht und gedehnt und können dabei verletzt werden.
Man redet hier von der weißen Substanz. Besonders sensibel ist der Grenzbereich zwischen weißer
und grauer Substanz im Gehirn – in der grauen Substanz sitzen die Gehirnzellen.
Bei den bisherigen Studien wurde in diesem Grenzbereich noch nie gemessen.
Grundsätzlich gilt: es fehlen noch immer genügend aussagekräftige Daten, um wissenschaftlich
relevant von einer Gefahr durch Kopfballspielen zu sprechen.
Bisher gab es vor allem sogenannte „Pilotstudien“ – zumeist mit geringen Forschungsmitteln
ausgestattet, mit wenig Probanden, sodass die gewonnene Datenbasis nur ausreicht, Indizien
statt schon Ergebnisse zu liefern.
In Sachen Kopfballstudien war Professor Inga Koerte maßgebend beteiligt, in den USA und
in Deutschland. 2012: eine Studie mit jugendlichen Fußballern
im Vergleich zu Schwimmern, die keine regelmäßigen Kopferschütterungen erleiden – Ergebnis:
signifikante Unterschiede in der weißen Hirnsubstanz, die Informationen weiterleitet.
2016: eine Studie mit 16 ehemaligen deutschen Fußballprofis, alle über 50.
Im Vergleich zu ähnlich alten Schwimmern und Tischtennisspielern zeigte sich eine Abnahme
der grauen Substanz im Gehirn, allerdings nicht bei zwei ehemaligen Torhütern .
2017: eine Studie mit 16 Fußballern im Alter von 15 und 16 Jahren; im Vergleich zu gleich
alten Schwimmern und Tischtennisspielern lernen die Fußballer nach dem Training langsamer.
Das alles aber nur: Pilotstudien.
Dennoch: Die Sensibilität für das Thema ist gewachsen.
Gehirnerschütterungen und Schädel-Hirnverletzungen: in den USA seit vielen Jahren ein Thema.
Hier ist belegt, wie viele Spätfolgen es im American Football, im Boxen oder im Eishockey
gibt, unter anderem häufige Fälle von CTE, der demenzähnlichen chronisch traumatischen
Enzephalopathie, auch „Boxersyndrom“ genannt.
In einer Studie der Boston University wurde bei 110 von 111 untersuchten Gehirnen von
verstorbenen Ex-Profis CTE nachgewiesen.
Die National Football League NFL zahlte im Sommer 2017 eine Milliarde Dollar Entschädigung
an Ex-Spieler, die wegen auftretender Symptome geklagt hatten.
Zwar setzt die NFL pro Spiel zwei Spotter ein, die Spieler auf mögliche Gehirnerschütterungen
hin beobachten.
Auch die Helme sollen mehr Schutz bieten.
Aber verschaffen diese nicht eine trügerische Sicherheit und verleiten zu riskanterem Spiel?
Mittlerweile gibt es Erkenntnisse, dass die direkten Schläge von Kopf auf Kopf weniger
für Langzeitschäden sorgen als viele kleine Erschütterungen.
So gibt es Forderungen, sich beim Tackling am Rugby zu orientieren, mit der Schulter
voran statt mit dem Kopf.
Und den Helm wegzunehmen.
Revolutionäre Ideen für den American Football, der Charakter des Spiels bliebe dennoch erhalten.
Im Fußball sind Gehirnerschütterungen seltener, dennoch ein Thema.
WM 2014 – im Finale hat Christoph Kramer nach einem Zusammenstoß mit dem Argentinier
Garay einen Blackout, spielt noch 15 Minuten weiter, ehe er ausgewechselt wird.
Nach der WM führten FIFA und UEFA die „Drei-Minuten-Regel“ ein; solange muss der Mannschaftsarzt nach
einem Zusammenstoß den Spieler untersuchen.
Nur wenn eine Gehirnerschütterung ausgeschlossen werden kann, darf der Spieler auf dem Feld bleiben.
Gehirnerschütterungen - die gibt es vor allem, wenn Köpfe zusammenstoßen.
Hier stellen Forscher eher die Frage, ob die vielen Mini-Erschütterungen durch viele Kopfbälle
langfristig schädliche Folgen haben können.
Würde dann der Begriff „Kopfball-Ungeheuer“ eine neue Dimension bekommen?
So wurde Horst Hrubesch genannt, ein Mittelstürmer-Hüne, der mit seinen Kopfballtoren in den 70er und
80er Jahren Furore machte: von seinen 136 Bundesligatoren erzielte er 81 per Kopf.
Berühmt sein entscheidender Kopfball im EM-Finale 1980 zum 2:1-Sieg gegen Belgien.
Dieter Hoeneß, auch ein Mittelstürmer mit Kopfballtalent; legendär sein Einsatz mit
Platzwunde und Turban im Pokalfinale 1982 auf Seiten der Bayern.
Spätfolgen bei beiden: bislang unbekannt.
Ob der „Bomber der Nation“, Gerd Müller, seine Demenzerkrankung zu vielen Kopfbällen
im Laufe seiner Karriere schuldet, das ist mehr als spekulativ.
Mehr und bessere Studien – das ist das Gebot der Stunde.
2011 nannte eine Studie aus New York die Zahl von 1.000 bis 1.500 Kopfbällen pro Jahr als
schädlich für das Gehirn.
32 Amateurfußballer waren befragt und mit Kernspintomographie, untersucht worden.
Auch hier: zu wenig Datenmaterial, um klare Schlüsse zu ziehen.
In Deutschland, so heißt es aus der Wissenschaft,
ist die Bereitschaft der Profivereine eher gering, solche Studien zu unterstützen.
Sie wollen eher nicht wissen, dass Kopfball womöglich nicht gut ist für die eigenen Spieler.
Die EU unterstützt eine großangelegte Untersuchung unter Leitung von
Prof. Inga Koerte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
130 Jugendfußballer zwischen 14 und 16 Jahren, aus Norwegen, Belgien und Deutschland werden
getestet – in diesem Alter beginnt in den Vereinen das professionelle Kopfballtraining.
Die Kontrollgruppe zum Vergleich: Kajakfahrer, Volleyballer, Schwimmer – hier spielen Kopferschütterungen
keine Rolle.
Die Bandbreite der Untersuchung ist weit: gemessen werden Gedächtnis, Reaktionsfähigkeit,
Flexibilität, die Balancefähigkeit, die Motorik, das Blut, das Gehirn mittels Kernspintomographie,
dazu: eine umfangreiche Statistik über die Zahl der Kopfbälle.
Es dauert noch, bis die Daten ausgewertet sind.
Teil einer Großstudie des Bundesinstituts für Sportwissenschaft ist die Arbeit mit
Fußballerinnen aus Bayern, unter Leitung von Professor Hermsdörfer. Insgesamt 25 Spielerinnen
der zweiten und dritten Liga nehmen teil, getestet wurde über zwei Spielzeiten beim
Training, mit Sensoren hinter dem Ohr – per Videokamera lassen sich die Kopfbälle genau zuordnen.
Es geht vor allem um motorische Koordination.
Ein erstes Ergebnis: Durch das Kopfballspiel hat sich die Balancefähigkeit einiger Spielerinnen
verschlechtert.
Frauenfußball – das liegt für die Forscher zwischen Profimänner- und Jugendfußball.
Beispiel: die Nackenmuskulatur ist bei Frauen um bis zu 30 Prozent geringer ausgeprägt
als bei Männern, bei Jugendlichen noch nicht vollständig entwickelt.
Eine gut ausgebildete Nackenmuskulatur verringert die Belastung beim Kopfball.
Andererseits ist die Anzahl der Kopfbälle bei Frauen und Jugendlichen auch deutlich
geringer.
Wie gefährlich ist also Kopfballspielen, vor allem für Kinder und Jugendliche?
Es sei eine Sache des Augenmaßes, sagt Professor Tim Meyer, Mannschaftsarzt der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Und: die Dosis mache das Gift.
Ein Verbot des Kopfballtrainings wie in England und den USA bis zum Alter von elf Jahren – das
ist in Deutschland nicht vorgesehen.
Ohnehin gelten die Gefahren auch für ältere Jugendliche.
Die Empfehlungen des Deutschen Fußball-Bundes sehen so aus:
Richtige Dosierung, keine unsinnigen Übungen mehr wie Kopfballpendel oder Trainingsschwerpunkte
Flanken oder Hohe Bälle – langsames Heranführen ans Kopfballspiel.
Zu Risiken und Nebenwirkungen durch Kopfball kann man also weder seinen Arzt noch Apotheker
fragen – denn noch gibt es nicht ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse, um
etwa Verbote abzuleiten.
Es deutet aber vieles darauf hin, dass das Kopfballspiel auf Dauer dem Gehirn schadet.
Deswegen gilt schon heute die Empfehlung: Wenn Kopfball, dann mit Köpfchen. Nicht zu oft
nicht zu feste - und besser nicht in der Umkleide