Wie hat die Pille Deutschland verändert? Das 20. Jahrhundert 1960-1969 | Terra X
Hi und herzlich Willkommen zu unserem nächsten Video zum 20. Jahrhundert.
Dieses Mal geht es um die 1960er Jahre, um Jahre der Umbrüche und der Revolutionen. Die Gesellschaft verändert sich.
Was beispielsweise unter deutschen Bettdecken passiert ist plötzlich nicht länger Privatsache.
Die sexuelle Revolution bricht ein Tabu - und was das mit unserem heutigen Leben zu tun hat, genau das erfahrt ihr in diesem Video.
In der Nachkriegszeit sind die Moralvorstellungen noch echt prüde. Der kleinbürgerliche Mief ist in dieser Zeit überall zu spüren.
Das Leben soll unauffällig und in geregelten Bahnen verlaufen.
Geregelte Bahnen bedeuten damals: eine klare Verteilung der Geschlechterrollen.
Der Mann verdient das Geld, und die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder Häuslichkeit wird als romantisches Idyll dargestellt.
Die Gesellschaft ist durch und durch konservativ – und zwar in sozialer und auch in sexueller Hinsicht.
Und genau in diese Zeit platzt die Zulassung von einem wirklich weltbewegenden Medikament.
Ein hormonelles Verhütungspräparat, das bald zum Symbol der sexuellen Revolution werden soll. Nämlich, ihr werdet es euch schon gedacht haben, die Pille. Oder auch die Antibabypille.
In der Bundesrepublik Deutschland kommt sie am 1. Juni 1961 auf den Markt. „Anovlar“ heißt das Wundermittel der Wissenschaft.
Schnell stößt sie Debatten über Sexualmoral und das Verhältnis der Geschlechter an.
Über kaum ein anderes Medikament wird so viel diskutiert, wie über die Pille in den 60ern.
Dabei wird sie zunächst nur verheirateten Frauen verschrieben, die bereits Kinder haben. Und das vor allem bei Menstruationsbeschwerden und Akne.
Dass die Pille auch vor ungewollten Schwangerschaften schützen kann – das steht nur klein auf dem Beipackzettel.
Bis dahin mussten Frauen einiges auf sich nehmen, um nicht schwanger zu werden.
Eine ungewollte Schwangerschaft war ein echtes Problem. Abtreibungen aber sind gesellschaftlich geächtet und werden strafrechtlich verfolgt.
Daher sind viele Frauen gezwungen illegal abzutreiben. Mit der Einführung der Pille ändert sich das. Frauen haben jetzt erstmals die Möglichkeit einer zuverlässigen Verhütung.
Trotzdem ist die Pille anfangs ein tabuisiertes Verhütungsmittel.
Sex ist in dieser Zeit noch etwas Unaussprechliches, Aufklärung Fehlanzeige. Stattdessen werden Sexualität und Lust verteufelt.
Mit Sprüchen wie: „Wer sich selbst anfasst, dem fallen die Hände ab“, oder „Sex außerhalb der Ehe ist eine Sünde“ wird besonders jungen Menschen Angst gemacht.
In der prüden Gesellschaft der Nachkriegszeit haben solche Drohungen wirklich viel Gewicht.
Wir können uns das heute gar nicht mehr vorstellen, aber die Sorge vom Verfall der Sitten ist damals richtig groß.
Die verklemmte Gesellschaft sorgt sich um die Institution Ehe.
Daher wird die Pille trotz ihrer revolutionären Wirkung in Deutschland Anfang der 1960er Jahre nur zurückhaltend verkauft.
Auch Ärzten ist die Pille nicht ganz geheuer, denn die Pille ist nicht nur gesellschaftlich umstritten, sie enthält damals auch mehr als doppelt so viele Hormone, wie heute.
Zusätzlich verhilft das westdeutsche Marketing dem Hormonpräparat nicht grade zum Erfolg.
Wer will schon eine Anti-Babypille? Also eine Pille gegen Babys? Mehr Negativ-Marketing geht eigentlich gar nicht.
Denn das eigentliche Ziel soll doch eine planbare Schwangerschaft sein, ein Wunschkind.
Vier Jahre nach der BRD - 1965 - lässt die DDR dann das neue Präparat zu.
Bald heißt die Pille dort - in Abgrenzung zur Anti-Baby-Pille - „Wunsch-Kind-Pille“. Ein Begriff, der positiv besetzt ist.
Man muss aber dazusagen: Im Osten steht weniger das private Liebesleben im Vordergrund, sondern eher die sozialistische Familienpolitik.
Mit einer Geburtenkontrolle lassen sich berufliche und familiäre Pflichten miteinander vereinbaren – und der Arbeitsprozess kann letztendlich am Laufen gehalten werden.
Staatliche Betreuungsangebote ermöglichen es Frauen, arbeiten zu gehen und finanziell unabhängig zu sein.
Die Elternschaft wird durch die Pille planbar. So können sie Kind und Karriere problemlos unter einen Hut bringen, zumindest in der Theorie.
Auch die Zahl der illegalen Abtreibungen sinkt. Ende der 1960er Jahre sind in der DDR rund 80% der Frauen berufstätig in der Bundesrepublik sind es nicht mal die Hälfte.
Auch beim Thema Aufklärung ist der Osten dem Westen voraus. Schon Ende der 1950er Jahre steht Sexualkunde auf dem Lehrplan.
Der Leitspruch: „Sexuelle Aufgeklärtheit ist ein Bestandteil der sozialistischen Persönlichkeit“.
Im Westen ändert sich das erst ein Jahrzehnt später, dann muss man sagen - aber richtig.
In den 60ern wird ein ganzer Markt zur sexuellen Aufklärung aus dem Boden gestampft.
Zeitschriften, Bücher und auch Filme klären die Deutschen im Laufe der sexuellen Revolution immer mehr auf.
Dabei geht es aber nicht nur um Sex, sondern um Aufklärung. Und ER macht sich als „Erster Aufklärer der Nation“ einen Namen: Oswalt Kolle.
Der Journalist ist in den 60er Jahren für viele Aufklärungsfilme verantwortlich, die nur knapp von der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“, kurz FSK, durchgewunken werden.
Er trifft den Nerv der Zeit. Die 68er diskutieren damals nicht nur über Politik, sondern auch über Sex und freie Liebe.
Die Kinos freut es, denn schon damals gilt: „Sex Sells“. Filme wie „Das Wunder der Liebe“ lassen die Besucherzahlen in die Höhe schießen.
Der Nachholbedarf in deutschen Schlafzimmern ist groß.
Auch Beate Uhse erkennt die Wichtigkeit des Themas und avanciert mit ihren Sexshops schnell zur „Aufklärerin der Nation“.
Offiziell vertreibt sie natürlich keine Sex-Artikel, sondern Hygieneartikel für Eheleute.
Die sexuelle Revolution ist zu diesem Zeitpunkt im vollen Gang.
Dem Papst und einigen seiner Bischöfe passt diese Entwicklung aber gar nicht.
1968 verbietet Paul VI. in seiner „Humanae Vitae“ deshalb die künstliche Empfängnisverhütung.
Jeder Sexualakt müsse offen für eine mögliche Fortpflanzung sein - sprich eine Schwangerschaft. Und das auch nur unter Eheleuten.
Ein Paukenschlag auch für die katholische Welt. Viele Gläubige wollen der Linie Roms nicht mehr folgen – sie treten aus der Kirche aus.
Denn die Realität, die sieht anders aus. Natürlich haben nicht nur verheiratete Paare Sex.
Die konservativen Moralvorstellungen passen nicht mehr in die Zeit.
Und da ist es nicht verwunderlich, dass die konservative Haltung der Katholischen Kirche für Polemik sorgt.
Die Humanae Vitae ist heute als „Pillen-Enzyklika“ bekannt, Papst Paul VI. als „Pillen-Paule“.
Und wen wundert's, dass die westdeutsche Jugend deshalb auch ganz anderen Idolen folgt. Den Beatles, die den eigentlichen Soundtrack der 60er liefern.
Die Anti-Baby- Pille? Ist doch klar, dass die gut ist. Jeder sollte sie benutzen.
Die junge Generation rebelliert in diesen Jahren aber nicht nur gegen alt hergebrachte Moralvorstellungen, sondern auch gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen.
Die Eltern der jungen Erwachsenen der 60er Jahre haben den Zweiten Weltkrieg voll miterlebt.
Eine Zeit, über die sich die Elterngeneration am liebsten ausschweigt. Eine Auseinandersetzung über deren mögliche Nazi-Vergangenheit - häufig Fehlanzeige.
Viele sprechen damals von einem Generationenkonflikt. Zu den Diskussionen rund um die Vergangenheitsbewältigung, kommen dann auch noch die Studentenproteste.
Das verstaubte Hochschulwesen treibt die jungen Menschen auf die Barrikaden.
Studierende fordern zeitgemäße Lerninhalte, soziale Chancengleichheit im Bildungswesen, bessere Lernbedingungen und einen Austausch mit den Lehrkräften über die NS-Vergangenheit.
Gegen Ende des Jahrzehnts verebben die Proteste zwar, ihre Auswirkungen aber sind bis heute zu spüren.
Als Folge der Studentenunruhen wird beispielsweise das Sexualstrafrecht neu geordnet.
Die Revolte der 68er: eine rebellische Jugend bricht mit Traditionen.
Das Ende des Jahrzehnts steht für Freiheit und Aufbegehren, Veränderung und Protest.
Die Einführung der Anti-Baby-Pille gilt als Meilenstein: Frauen wurden später Mütter und so blieb mehr Zeit für Schule, für Ausbildung und Beruf.
Die Zahl der Abiturientinnen und Akademikerinnen stieg noch in den 1960ern Jahren sprunghaft an.
Und die Pille beeinflusste auch die sexuelle Selbstbestimmung der Frau - trotz aller Nebenwirkungen.
Denn einerseits ist die Pille eine echte Hormonbombe. Deshalb steht sie weiter im Diskurs.
Mit ihrer Einnahme kann sich zum Beispiel das Risiko von Thrombose, Gewichtszunahme, Depressionen und sexueller Unlust erhöhen.
Andererseits wird von Frauen damals auch eine permanente sexuelle Verfügbarkeit erwartet. Männer hatten ja keine Konsequenzen mehr zu tragen.
Die sexuelle Befreiung befördert deshalb auch bald einen neuen Konflikt - den Konflikt der Geschlechter.
Frauen sind zwar Teil der gesellschaftlichen Umbrüche, meist aber eher Staffage. Das wollen die Frauen nicht länger hinnehmen.
Sie beginnen sich zu organisieren - und sich gegen überkommene Geschlechterrollen aufzulehnen.
Vieles was damals gefordert wird, ist heute selbstverständlich. In den 1960er Jahren ist es aber revolutionär.
Ein Tomatenwurf gilt heute als Initialzündung der Frauenbewegung in der alten Bundesrepublik.
Auf einer Veranstaltung des Sozialistischen Studentenbundes im September 1968 wollen Frauen über „Frauenfragen“ diskutieren.
Kindererziehung und Hausarbeit sollen nicht länger nicht nur Privatsache der Frauen sein. Als ihre Genossen darauf aber nicht eingehen, fliegen Tomaten.
Mit der Kritik an der konservativen Familienideologie der 1950er und 1960er Jahre beginnt für viele Frauen eine Zeit des hoffnungsvollen Aufbruchs und der Veränderung.
Einig waren sich die Frauenbewegungen in ihrem radikalen Einspruch gegen die wenigen, engen, für Frauen bis dahin vorgesehenen Lebenswege.
Und man muss sagen auch heute ist das Verhältnis der Geschlechter noch Thema.
Was meint ihr: Leben wir inzwischen in einer geschlechtergerechten Gesellschaft? Was muss für dieses Ziel getan werden?
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Auch da gerne mal reinschauen. Danke euch fürs Zuschauen und bis zum nächsten mal.