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Das Haidedorf, Das Haidedorf (4)

Und was war es denn, was ihnen an Felix zurückgebracht worden war, und warum ist er denn so lange nicht gekommen, und wo ist er denn gewesen?

Sie wußten es nicht.

In der Kirche war er mit gewesen;--fast so kindlich andächtig, wie einst, hatte er auf die Worte des Priesters gehorcht, sanftmüthig war er neben der Mutter nach Hause gekehrt, und wenn dann bei Tische der Vater das Wort nahm, so brach Felix das seine aufmerksam ab, und hörte zu--und gegen Abend saß er mit der Großmutter im Schatten des Hollunderbusches, und redete mit ihr, die ihm ganz sonderbare und unverständliche Geschichten vorlallte [83]---und wenn dann so den Tag über die Neugier der Mutter in sein Auge blickte, halb selig, halb schmerzenreich, wenn sie nach den einstigen weichen Zügen forschte--ihren ehemaligen heitern, treuherzigen, schönen Haideknaben suchte sie----und siehe, sie fand ihn auch: in leisen Spuren war das Bild des gutherzigen Knaben geprägt in dem Antlitze des Mannes, aber unendlich schöner--so schön, daß sie oft einen Augenblick dachte, sie könne nicht seine Mutter sein;--wenn er den ruhigen Spiegel seiner Augen gegen sie richtete, so verständig und so gütig--oder wenn sie die Wangen ansah, fast so jung, wie einst, nur noch viel dunkler gebräunt, daß dagegen die Zähne wie Perlen leuchteten, dieselben Zähne, die schon an dem Haidebuben so unschuldig und gesund geglänzt--und um sie herum noch dieselben lieblichen Lippen, die aber jetzt reif und männlich waren, und so schön, als sollte sogleich ein süßes Wort daraus hervorgehen, sei's der Liebe, sei's der Belehrung----

"Er ist gut geblieben," jauchzte in ihr dann das Mutterherz; "er ist gut geblieben, wenn er auch viel vornehmer ist, als wir."

Und in der That, es war ein solcher Glanz keuscher Reinheit um den Mann, daß er selbst von dem rohen Herzen des Haideweibes erkannt und geehrt wurde.

Was lebte denn in ihm, das ihn unangerührt durch die Welt getragen, daß er seinen Körper als einen Tempel wiederbrachte, wie er ihn einst aus der Einsamkeit fortgenommen?----

Sie wußten es nicht; nur immer heiterer und fast einfältiger legte sich sein Herz dar, [84]so wie die Stunden des ruhigen Festtages nach und nach verflossen.

Spät Abends erzählte er ihnen, da alle um den weißen buchenen Tisch saßen, und auch Marthe mit ihrem Kinde da war, und Benedikt und andere Nachbarn-- er erzählte ihnen von dem gelobten Lande, wie er dort gewesen, wie er Jerusalem und Bethlehem gesehen habe, wie er auf dem Tabor gesessen, sich in dem Jordan gewaschen;----den Sinai habe er gesehen, den furchtbar zerklüfteten Berg, und in der Wüste sei er gewandelt.--Er sagte ihnen, wie seine gezimmerten Truhen mit dem Postboten kommen würden; dann werde er ihnen Erde zeigen, die er aus den heiligen Ländern mitgebracht--auch getrocknete Blumen habe er, und Kräuter, aus jenem Lande und Fußtritte des Herrn, und was nur immer dort das Erdreich erzeuge und bringe--und viel heiliger, viel heißer und viel einsamer seien je [85] Haiden und Wüsten, als die hiesige, die eher ein Garten zu nennen----und wie er so redete, sahen alle auf ihn, und horchten--und sie vergaßen, daß es Schlafenszeit vorüber, daß die Abendröthe längst verglommen, daß die Sterne emporgezogen, und in dichter Schaar über den Dächern glänzten.

Von Städten, den Menschen und ihrem Treiben hatte er nichts gesagt, und sie hatten nicht gefragt. Die Worte seines Mundes thaten so wohl, daß ihnen gerade das, was er sagte, das Rechte däuchte, und sie nicht nach Anderem fragten.

Marthe trug endlich das schlafende Kind fort, Benedikt ging auch, die Nachbarn entfernten sich--und noch seliger und noch freudenreicher, als gestern gingen die Eltern zu Bette, und selbst der Vater dachte, Felix sei ja fast wie ein Prediger und Priester des Herrn.

Auch auf die Haide war er gleich nach den Feiertagen gegangen, auf seiner Rednerbühne war er gesessen; die Käfer, die Fliegen, die Falter, die Stimme der Haidelerche und die Augen der Feldmäuschen waren die nämlichen. Er schweifte herum, die Sonnenstrahlen spannen,--dort dämmerte das Moor, und ein Zittern und Zirpen und Singen----und wie der Vater ihn so wandeln sah, mußte er sich über die dünnen grauen Haare fahren, und mit der schwielenvollen Hand über die Runzeln des Angesichts streichen, damit er nicht glaube, sein K n a b e gehe noch dort, und es fehlen nur die Ziegen und Schafe, daß es sei wie einst, und daß die lange, lange Zeit nur ein Traum gewesen sei. Auch die Nachbarn, wie er so Tag nach Tag unter ihnen wandelte, wie ihn schon alle Kinder kannten, wie er jedem derselben, auch mit dem häßlichen, so freundlich redete, und wie er so im Linnenkleide durch die neuen Felder ging--glaubten ganz deutlich, er sei einer von ihnen, und doch war es auch wieder ganz deutlich, wie er ein weit anderer sei, als sie.

Eine That müssen wir erzählen, ehe wir weiter gehen, und von seinem Leben noch entwickeln, was vorliegt--eine That, die eigentlich geheim bleiben sollte, aber ausgebreitet wurde, und ihm mit eins alle Herzen der Haidebewohner gewann.

Als endlich die gezimmerten Truhen mit dem Postboten in die Stadt, und von da durch Getreidewagen auf die Haide gekommen waren, als er daraus die Geschenke hervorgesucht und ausgetheilt, als er tausenderlei Merkwürdiges gezeigt, Blumen, Federn, Steine, Waffen--und alles genug bewundert worden war,--trat er desselben Tages Abends zu dem Vater in die hintere Kammer, als er gesehen hatte, daß derselbe hineingegangen, und, wie er gern that, sich in den hineinfallenden Fliederschatten gesetzt hatte--er trat beklommen hinein und sagte fast mit bebender Stimme: "Vater, Ihr habt mich auferzogen, und mir Liebes gethan, seit ich lebe--ich aber habe es schlecht vergolten; denn ich bin fortgegangen, daß Ihr keinen Gehülfen Eurer Arbeit hattet, und Eurer Sorge für Mutter und Großmutter--und als ich gekommen, warfet Ihr mir nichts vor, sondern waret nur freundlich und lieb; ich kann es nicht vergelten, als daß ich Euch nicht mehr verlassen und Euch noch mehr verehren und lieben will, als sonst. So viel Jahre mußtet Ihr sein, ohne in mein Auge schauen zu können, wie es Eurem Herzen wohlgethan hätte;--aber ich bleibe jetzt immer, immer bei Euch.--Allein weil mich Euch Gott auch zur Hülfe geboren werden ließ, so lernte ich draußen allerlei Wissenschaft, wodurch ich mir mein Brot verdiente, und da ich wenig brauchte, so blieb Manches für Euch übrig. Ich bringe es nun, daß Ihr es auf Euer Haus wendet, [86] und im Alter zu Gute bekommet, [87] und ich bitte Euch, Vater, nehmt es mit Freundlichkeit an."

Der Alte aber, hochroth, zitternd vor Scham und vor Freude, war aufgesprungen und wies mit beiden Händen die dargebotenen Papiere von sich, indem er sagte: "Was kommt Dir bei, [88] Felix? Ich bin so erschrocken,--da sei Gott vor, [89] daß ich die Arbeit und Mühe meines Kindes nehme--ach, mein Gott, ich habe Dir ja nichts geben können, nicht einmal eine andere Erziehung, als die Dir der Herr auf der Haide gab, nicht einmal das fromme Herz, das Dir von selber gekommen.--Du bist mir nichts schuldig--die Kinder sind eine Gottesgabe, daß wir sie erziehen, wie es ihnen frommt, nicht wie es uns nützt;--verzeihe mir nur, ich habe Dich nicht erziehen können, und doch scheint es mir, bist Du so gut geworden, so gut, daß ich vor Freuden weinen möchte." ----

Und kaum hatte er das Wort heraus, so brach er in lautes Weinen aus, und tastete ungeschickt nach Felix Hand--Dieser reichte sie; er konnte sich nicht helfen, er mußte sein Antlitz gegen die Schulter des Vaters drücken, und das grobe Tuch des Rockes mit seinen heißesten Thränen netzen. Der Vater war gleich wieder still, und sich gleichsam schämend und beruhigend sagte er die Worte: "Du bist verständiger als wir, Felix. Wenn Du bei uns bleibst, arbeite, was Du willst; ich verlange nicht, daß Du mir hilfst--da ist ja Benedikt und seine Knechte, wenn es noth thäte; auch habe ich schon ein Erspartes, daß ich mir im Alter einen Knecht nehmen kann.--Du aber wirst etwas arbeiten, wie es Gott gefällig und wie es recht ist."

Felix aber dachte in seinem Herzen, er werde doch in Zukunft, wenn es nötig sei, lieber in der That selbst, und durch Leistung des eben Mangelnden beistehen, damit ihm das Herz nicht so weh thäte, wenn er dem Vater gar nichts Gutes bringen könnte. Ach, das Beste hat er ja schon gebracht, und wußte es nicht, das gute, das überquellende Herz, das jedem, selbst dem gehärtetsten Vater ein freudigeres Kleinod ist, als alle Güter der Erde, weil es nicht Lohn nach außen ist, sondern Lohn in der tiefsten, innersten Seele.

Der Vater that nun gleichgültig [90] und machte sich mit diesem und jenem im Zimmer zu thun [91]; kaum aber war Felix hinaus, so lief er eiligst zur Mutter und erzählte ihr, was der Sohn hatte thun wollen--sie aber faltete die Hände, lief vor die Heiligenbilder der Stube und that ein Gebet, das halb ein Frevel stürmenden Stolzes, halb ein Dank der tiefsten Demuth war.

Dann aber ging sie hin und breitete es aus.

Das war nun klar, daß er gut war, daß er sanft, treu und weich war, und das sahen sie auch, daß er schön und herrlich war;--des Weiteren forschten sie nicht, was es sei, und was es sein werde.

Er aber ging her, und ließ sich weit draußen von dem Dorfe entlegen, auf der Haide ein Stück Landes zumessen, und begann mit vielen Arbeitern ein steinernes Haus zu errichten.--Daß es größer werde, als er a l l e i n brauche, fiel Allen auf; aber als es im Herbste fertig war, als es eingerichtet und geschmückt war, bezog er es gleichwohl allein, und so verging der Winter. Es kam der blüthenreiche Frühling--und Felix saß in seinem Hause auf der Haide, und herrschte, wie einst, über alle ihre Geschöpfe, und über all die hohen stillen Gestalten, die sie jetzt bevölkerten.

Was war es denn aber, was den Eltern und Nachbarn an ihm zurückgebracht worden ist?

Sie wußten es nicht.

Ich aber weiß es. Ein Geschenk ist ihm geworden, das den Menschen hoch stellt, und ihn doch verkannt macht unter seinen Brüdern--das einzige Geschenk auf dieser Erde, das kein Mensch von sich weisen kann. Auf der Haide hatte es begonnen, auf die Haide mußte er es zurücktragen. Bei wem eine Göttin eingekehrt ist, lächelnden Antlitzes, schöner als alles Irdische, der kann nichts anders thun, als ihr in Demuth dienen.

Damals war er fortgegangen, er wußte nicht, was er werden würde--eine Fülle von Wissen hatte er in sich gesogen: es war der n ä c h s t e Durst gewesen, aber er war nicht gestillt; er ging unter Menschen, er suchte sie völkerweise--er hatte Freunde--er strebte fort, er hoffte, wünschte und arbeitete für ein unbekanntes Ziel--selbst nach Gütern der Welt und nach Besitz trachtete er: aber durch alles Erlangte,--durch Wissen, Arbeiten, Menschen, Eigenthum war es immer, als schimmere weit zurückliegend etwas, wie eine glänzende Ruhe, wie eine sanfte Einsamkeit----hatte sein Herz die Haide, die unschuldsvolle, liebe Kindheitshaide mitgenommen? oder war es selber eine solche liebe, stille, glänzende Haide?----Er suchte die Wüsten und die Einöden des Orients, nicht brütend, nicht trauernd, sondern einsam, ruhig, heiter, dichtend.--Und so trug ihn dieses sanfte, stille Meer zurück in die Einsamkeit, und auf die Haide seiner Kindheit----und wenn er nun so saß auf der Rednerbühne, wie einst, wenn die Sonnenfläche der Haide vor ihm zitterte und sich füllte mit einem Gewimmel von Gestalten, wie einst, und manche daraus ihn anschauten mit den stillen Augen der Geschichte, andere mit den seligen der Liebe, andere den weiten Mantel großer Thaten über die Haide schleifend--und wenn sie erzählten von der Seele und ihrem Glücke, von dem Sterben und was nachher sei, und von Anderem, was die Worte nicht sagen können--und wenn es ihm tief im Innersten so fromm wurde, daß er oft meinte, als sehe er weit in der Oede draußen Gott selbst stehen, eine ruhige silberne Gestalt: dann wurde es ihm unendlich groß im Herzen, er wurde selig, daß er denken könne, was er dachte--und es war ihm, [92] daß es nun so gut sei, wie es sei.


Und was war es denn, was ihnen an Felix zurückgebracht worden war, und warum ist er denn so lange nicht gekommen, und wo ist er denn gewesen?

Sie wußten es nicht.

In der Kirche war er mit gewesen;--fast so kindlich andächtig, wie einst, hatte er auf die Worte des Priesters gehorcht, sanftmüthig war er neben der Mutter nach Hause gekehrt, und wenn dann bei Tische der Vater das Wort nahm, so brach Felix das seine aufmerksam ab, und hörte zu--und gegen Abend saß er mit der Großmutter im Schatten des Hollunderbusches, und redete mit ihr, die ihm ganz sonderbare und unverständliche Geschichten vorlallte [83]---und wenn dann so den Tag über die Neugier der Mutter in sein Auge blickte, halb selig, halb schmerzenreich, wenn sie nach den einstigen weichen Zügen forschte--ihren ehemaligen heitern, treuherzigen, schönen Haideknaben suchte sie----und siehe, sie fand ihn auch: in leisen Spuren war das Bild des gutherzigen Knaben geprägt in dem Antlitze des Mannes, aber unendlich schöner--so schön, daß sie oft einen Augenblick dachte, sie könne nicht seine Mutter sein;--wenn er den ruhigen Spiegel seiner Augen gegen sie richtete, so verständig und so gütig--oder wenn sie die Wangen ansah, fast so jung, wie einst, nur noch viel dunkler gebräunt, daß dagegen die Zähne wie Perlen leuchteten, dieselben Zähne, die schon an dem Haidebuben so unschuldig und gesund geglänzt--und um sie herum noch dieselben lieblichen Lippen, die aber jetzt reif und männlich waren, und so schön, als sollte sogleich ein süßes Wort daraus hervorgehen, sei's der Liebe, sei's der Belehrung----

"Er ist gut geblieben," jauchzte in ihr dann das Mutterherz; "er ist gut geblieben, wenn er auch viel vornehmer ist, als wir."

Und in der That, es war ein solcher Glanz keuscher Reinheit um den Mann, daß er selbst von dem rohen Herzen des Haideweibes erkannt und geehrt wurde.

Was lebte denn in ihm, das ihn unangerührt durch die Welt getragen, daß er seinen Körper als einen Tempel wiederbrachte, wie er ihn einst aus der Einsamkeit fortgenommen?----

Sie wußten es nicht; nur immer heiterer und fast einfältiger legte sich sein Herz dar, [84]so wie die Stunden des ruhigen Festtages nach und nach verflossen.

Spät Abends erzählte er ihnen, da alle um den weißen buchenen Tisch saßen, und auch Marthe mit ihrem Kinde da war, und Benedikt und andere Nachbarn-- er erzählte ihnen von dem gelobten Lande, wie er dort gewesen, wie er Jerusalem und Bethlehem gesehen habe, wie er auf dem Tabor gesessen, sich in dem Jordan gewaschen;----den Sinai habe er gesehen, den furchtbar zerklüfteten Berg, und in der Wüste sei er gewandelt.--Er sagte ihnen, wie seine gezimmerten Truhen mit dem Postboten kommen würden; dann werde er ihnen Erde zeigen, die er aus den heiligen Ländern mitgebracht--auch getrocknete Blumen habe er, und Kräuter, aus jenem Lande und Fußtritte des Herrn, und was nur immer dort das Erdreich erzeuge und bringe--und viel heiliger, viel heißer und viel einsamer seien je [85] Haiden und Wüsten, als die hiesige, die eher ein Garten zu nennen----und wie er so redete, sahen alle auf ihn, und horchten--und sie vergaßen, daß es Schlafenszeit vorüber, daß die Abendröthe längst verglommen, daß die Sterne emporgezogen, und in dichter Schaar über den Dächern glänzten.

Von Städten, den Menschen und ihrem Treiben hatte er nichts gesagt, und sie hatten nicht gefragt. Die Worte seines Mundes thaten so wohl, daß ihnen gerade das, was er sagte, das Rechte däuchte, und sie nicht nach Anderem fragten.

Marthe trug endlich das schlafende Kind fort, Benedikt ging auch, die Nachbarn entfernten sich--und noch seliger und noch freudenreicher, als gestern gingen die Eltern zu Bette, und selbst der Vater dachte, Felix sei ja fast wie ein Prediger und Priester des Herrn.

Auch auf die Haide war er gleich nach den Feiertagen gegangen, auf seiner Rednerbühne war er gesessen; die Käfer, die Fliegen, die Falter, die Stimme der Haidelerche und die Augen der Feldmäuschen waren die nämlichen. Er schweifte herum, die Sonnenstrahlen spannen,--dort dämmerte das Moor, und ein Zittern und Zirpen und Singen----und wie der Vater ihn so wandeln sah, mußte er sich über die dünnen grauen Haare fahren, und mit der schwielenvollen Hand über die Runzeln des Angesichts streichen, damit er nicht glaube, sein K n a b e gehe noch dort, und es fehlen nur die Ziegen und Schafe, daß es sei wie einst, und daß die lange, lange Zeit nur ein Traum gewesen sei. Auch die Nachbarn, wie er so Tag nach Tag unter ihnen wandelte, wie ihn schon alle Kinder kannten, wie er jedem derselben, auch mit dem häßlichen, so freundlich redete, und wie er so im Linnenkleide durch die neuen Felder ging--glaubten ganz deutlich, er sei einer von ihnen, und doch war es auch wieder ganz deutlich, wie er ein weit anderer sei, als sie.

Eine That müssen wir erzählen, ehe wir weiter gehen, und von seinem Leben noch entwickeln, was vorliegt--eine That, die eigentlich geheim bleiben sollte, aber ausgebreitet wurde, und ihm mit eins alle Herzen der Haidebewohner gewann.

Als endlich die gezimmerten Truhen mit dem Postboten in die Stadt, und von da durch Getreidewagen auf die Haide gekommen waren, als er daraus die Geschenke hervorgesucht und ausgetheilt, als er tausenderlei Merkwürdiges gezeigt, Blumen, Federn, Steine, Waffen--und alles genug bewundert worden war,--trat er desselben Tages Abends zu dem Vater in die hintere Kammer, als er gesehen hatte, daß derselbe hineingegangen, und, wie er gern that, sich in den hineinfallenden Fliederschatten gesetzt hatte--er trat beklommen hinein und sagte fast mit bebender Stimme: "Vater, Ihr habt mich auferzogen, und mir Liebes gethan, seit ich lebe--ich aber habe es schlecht vergolten; denn ich bin fortgegangen, daß Ihr keinen Gehülfen Eurer Arbeit hattet, und Eurer Sorge für Mutter und Großmutter--und als ich gekommen, warfet Ihr mir nichts vor, sondern waret nur freundlich und lieb; ich kann es nicht vergelten, als daß ich Euch nicht mehr verlassen und Euch noch mehr verehren und lieben will, als sonst. So viel Jahre mußtet Ihr sein, ohne in mein Auge schauen zu können, wie es Eurem Herzen wohlgethan hätte;--aber ich bleibe jetzt immer, immer bei Euch.--Allein weil mich Euch Gott auch zur Hülfe geboren werden ließ, so lernte ich draußen allerlei Wissenschaft, wodurch ich mir mein Brot verdiente, und da ich wenig brauchte, so blieb Manches für Euch übrig. Ich bringe es nun, daß Ihr es auf Euer Haus wendet, [86] und im Alter zu Gute bekommet, [87] und ich bitte Euch, Vater, nehmt es mit Freundlichkeit an."

Der Alte aber, hochroth, zitternd vor Scham und vor Freude, war aufgesprungen und wies mit beiden Händen die dargebotenen Papiere von sich, indem er sagte: "Was kommt Dir bei, [88] Felix? Ich bin so erschrocken,--da sei Gott vor, [89] daß ich die Arbeit und Mühe meines Kindes nehme--ach, mein Gott, ich habe Dir ja nichts geben können, nicht einmal eine andere Erziehung, als die Dir der Herr auf der Haide gab, nicht einmal das fromme Herz, das Dir von selber gekommen.--Du bist mir nichts schuldig--die Kinder sind eine Gottesgabe, daß wir sie erziehen, wie es ihnen frommt, nicht wie es uns nützt;--verzeihe mir nur, ich habe Dich nicht erziehen können, und doch scheint es mir, bist Du so gut geworden, so gut, daß ich vor Freuden weinen möchte." ----

Und kaum hatte er das Wort heraus, so brach er in lautes Weinen aus, und tastete ungeschickt nach Felix Hand--Dieser reichte sie; er konnte sich nicht helfen, er mußte sein Antlitz gegen die Schulter des Vaters drücken, und das grobe Tuch des Rockes mit seinen heißesten Thränen netzen. Der Vater war gleich wieder still, und sich gleichsam schämend und beruhigend sagte er die Worte: "Du bist verständiger als wir, Felix. Wenn Du bei uns bleibst, arbeite, was Du willst; ich verlange nicht, daß Du mir hilfst--da ist ja Benedikt und seine Knechte, wenn es noth thäte; auch habe ich schon ein Erspartes, daß ich mir im Alter einen Knecht nehmen kann.--Du aber wirst etwas arbeiten, wie es Gott gefällig und wie es recht ist."

Felix aber dachte in seinem Herzen, er werde doch in Zukunft, wenn es nötig sei, lieber in der That selbst, und durch Leistung des eben Mangelnden beistehen, damit ihm das Herz nicht so weh thäte, wenn er dem Vater gar nichts Gutes bringen könnte. Ach, das Beste hat er ja schon gebracht, und wußte es nicht, das gute, das überquellende Herz, das jedem, selbst dem gehärtetsten Vater ein freudigeres Kleinod ist, als alle Güter der Erde, weil es nicht Lohn nach außen ist, sondern Lohn in der tiefsten, innersten Seele.

Der Vater that nun gleichgültig [90] und machte sich mit diesem und jenem im Zimmer zu thun [91]; kaum aber war Felix hinaus, so lief er eiligst zur Mutter und erzählte ihr, was der Sohn hatte thun wollen--sie aber faltete die Hände, lief vor die Heiligenbilder der Stube und that ein Gebet, das halb ein Frevel stürmenden Stolzes, halb ein Dank der tiefsten Demuth war.

Dann aber ging sie hin und breitete es aus.

Das war nun klar, daß er gut war, daß er sanft, treu und weich war, und das sahen sie auch, daß er schön und herrlich war;--des Weiteren forschten sie nicht, was es sei, und was es sein werde.

Er aber ging her, und ließ sich weit draußen von dem Dorfe entlegen, auf der Haide ein Stück Landes zumessen, und begann mit vielen Arbeitern ein steinernes Haus zu errichten.--Daß es größer werde, als er a l l e i n brauche, fiel Allen auf; aber als es im Herbste fertig war, als es eingerichtet und geschmückt war, bezog er es gleichwohl allein, und so verging der Winter. Es kam der blüthenreiche Frühling--und Felix saß in seinem Hause auf der Haide, und herrschte, wie einst, über alle ihre Geschöpfe, und über all die hohen stillen Gestalten, die sie jetzt bevölkerten.

Was war es denn aber, was den Eltern und Nachbarn an ihm zurückgebracht worden ist?

Sie wußten es nicht.

Ich aber weiß es. Ein Geschenk ist ihm geworden, das den Menschen hoch stellt, und ihn doch verkannt macht unter seinen Brüdern--das einzige Geschenk auf dieser Erde, das kein Mensch von sich weisen kann. Auf der Haide hatte es begonnen, auf die Haide mußte er es zurücktragen. Bei wem eine Göttin eingekehrt ist, lächelnden Antlitzes, schöner als alles Irdische, der kann nichts anders thun, als ihr in Demuth dienen.

Damals war er fortgegangen, er wußte nicht, was er werden würde--eine Fülle von Wissen hatte er in sich gesogen: es war der n ä c h s t e Durst gewesen, aber er war nicht gestillt; er ging unter Menschen, er suchte sie völkerweise--er hatte Freunde--er strebte fort, er hoffte, wünschte und arbeitete für ein unbekanntes Ziel--selbst nach Gütern der Welt und nach Besitz trachtete er: aber durch alles Erlangte,--durch Wissen, Arbeiten, Menschen, Eigenthum war es immer, als schimmere weit zurückliegend etwas, wie eine glänzende Ruhe, wie eine sanfte Einsamkeit----hatte sein Herz die Haide, die unschuldsvolle, liebe Kindheitshaide mitgenommen? oder war es selber eine solche liebe, stille, glänzende Haide?----Er suchte die Wüsten und die Einöden des Orients, nicht brütend, nicht trauernd, sondern einsam, ruhig, heiter, dichtend.--Und so trug ihn dieses sanfte, stille Meer zurück in die Einsamkeit, und auf die Haide seiner Kindheit----und wenn er nun so saß auf der Rednerbühne, wie einst, wenn die Sonnenfläche der Haide vor ihm zitterte und sich füllte mit einem Gewimmel von Gestalten, wie einst, und manche daraus ihn anschauten mit den stillen Augen der Geschichte, andere mit den seligen der Liebe, andere den weiten Mantel großer Thaten über die Haide schleifend--und wenn sie erzählten von der Seele und ihrem Glücke, von dem Sterben und was nachher sei, und von Anderem, was die Worte nicht sagen können--und wenn es ihm tief im Innersten so fromm wurde, daß er oft meinte, als sehe er weit in der Oede draußen Gott selbst stehen, eine ruhige silberne Gestalt: dann wurde es ihm unendlich groß im Herzen, er wurde selig, daß er denken könne, was er dachte--und es war ihm, [92] daß es nun so gut sei, wie es sei.