13. Herr Grundeis kriegt eine Ehrengarde
Dreizehntes Kapitel Herr Grundeis kriegt eine Ehrengarde Die Fenster des Zimmers 61 gingen auf den Nollendorfplatz. Und als Herr Grundeis, am nächsten Morgen, während er sich die Haare kämmte, hinuntersah, fiel ihm auf, daß sich zahllose Kinder herumtrieben. Mindestens zwei Dutzend Jungen spielten gegenüber, vor den Anlagen, Fußball. Eine andere Abteilung stand an der Kleiststraße. Am Untergrundbahnhofeingang standen Kinder. "Wahrscheinlich Ferien", knurrte er verärgert und band sich den Schlips um. Inzwischen hielt der Professor im Kinohof eine Funktionärversammlung ab und schimpfte wie ein Rohrspatz: "Da zerbricht man sich Tag und Nacht den Schädel, wie man den Mann erwischen kann, und ihr Hornochsen mobilisiert unterdessen ganz Berlin! Brauchen wir vielleicht Zuschauer? Drehen wir etwa einen Film? Wenn der Kerl uns durch die Lappen geht, seid ihr dran schuld, ihr Klatschtanten!" Die andern standen zwar geduldig im Kreise, schienen aber keineswegs an übertrieben heftigen Gewissensbissen zu leiden. Es zwickte nur ganz wenig, und Gerold meinte: "Reg dich nicht auf, Professor. Wir kriegen den Dieb so und so." "Macht, daß ihr rauskommt, ihr albernen Nußknacker! Und gebt Befehl, daß sich die Bande wenigstens nicht allzu auffällig benimmt, sondern das Hotel überhaupt nicht beachtet. Kapiert? Vorwärts marsch!" Die Jungen zogen ab. Und nur die Detektive blieben im Hofe zurück. "Ich habe mir von dem Portier zehn Mark geborgt", berichtete Emil. "Wenn der Mann ausreißt, haben wir also Geld genug, ihn zu verfolgen." "Schicke doch einfach die Kinder draußen nach Hause", schlug Krummbiegel vor. "Glaubst du denn im Ernst, daß sie gehen? Und wenn der Nollendorfplatz zerspringt, die bleiben", sagte der Professor. "Da hilft nur eins", meinte Emil. "Wir müssen unsern Plan ändern. Wir können den Grundeis nicht mehr mit Spionen umzingeln, sondern wir müssen ihn richtig hetzen. Daß er's merkt. Von allen Seiten und mit allen Kindern." "Das hab ich mir auch schon gedacht", erklärte der Professor. "Wir ändern, am besten, unsere Taktik und treiben ihn in die Enge, bis er sich ergibt." "Wunderbar!" schrie Gerold. "Es wird ihm lieber sein, das Geld rauszugeben, als daß stundenlang zirka hundert Kinder hinter ihm her turnen und schreien, bis die ganze Stadt zusammenläuft und die Polizei ihn hoppnimmt", urteilte Emil. Die andern nickten klug. Da klingelte es im Torbogen! Und Pony Hütchen radelte strahlend in den Hof. "Morgen, ihr Hannaken", rief sie, sprang aus dem Sattel begrüßte Vetter Emil, den Professor und die übrigen und holte dann einen kleinen Korb, den sie an der Kenkstange festgebunden hatte. "Ich bring' euch nämlich Kaffee mit", krähte sie, "und ein paar Buttersemmeln! Sogar eine saubere Tasse habe ich. Auch, der Henkel ist ab! Pech muss der Mensch haben!" Die Jungen hatten zwar samt und sonders gefrühstückt. Auch Emil schon, im Hotel Kreid. Aber keiner wollte dem kleinen Mädchen die gute Laune verderben. Und so tranken sie aus der Tasse ohne Henkel Milchkaffee und aßen Semmeln, als hätten sie vier Wochen nichts gekriegt. "Nein, schmeckt das großartig!" rief Krumbiegel. "Und wie knusprig die Semmeln sind", brummte der Professor kauend. "Nich wahr?" fragte Pony. "Ja, ja, es ist eben doch was anderes, wenn eine Frau im Hause ist!" "Im Hofe", berichtigte Gerold. "Wie steht's in der Schumannstraße?" fragte Emil.
"Es geht ihnen, danke. Und einen besonderen Gruß von der Großmutter. Eu sollst bald kommen, sonst kriegst du zur Strafe jeden Tag Fisch." "Pfui Teufel", murmelte Emil und verzog das Gesicht. "Warum pfui Teufel?" erkundigte sich Mittenzwey der Jüngere. "Fisch ist doch was Feines." Alle sahen ihn erstaunt an, denn es war seine Gewohnheit, niemals zu reden. Er wurde auch sofort rote und verkrümelte sich hinter seinem großen Bruder. "Emil kann keinen Bissen Fisch essen . Und wenn er's wirklich versucht, muss er auf der Stelle raus", erzählte Pony Hütchen. So plauderten sie und waren denkbar guter Laune. Die Jungen benahmen sich äußerst aufmerksam. Der Professor hielt Ponys Rad. Krumbiegel ging, die Thermosflasche und die Tasse auszuspielen. Mittenzwey senior faltete das Brötchenpapier fein säuberlich zusammen. Emil schnallte dem Korb wieder an die Lenkstange. Gerold prüfte, ob noch Luft im Radreifen wäre. Und Pony Hütchen hüpfte im Hof umher, sag sich ein Lied und erzählte zwischendurch alles Mögliche. "Halt!" rief sie plötzlich und blieb auf einem Beine stehen. "Ich wollte doch noch was fragen! Was wollte denn die furchtbar vielen Kinder auf dem Nollendorfplatz draußen? Das sieht ja aus wie eine Ferienkolonie!" "Das sind Neugierige, die von unserer Verbrecherjagd gehört haben. Und nun wollen sie dabei sein," erklärte der Professor. Da kam Gustav durch Tor garant, hupte laut und brüllt: "Los! Er kommt!" Alle wollten davonstürzen. "Achtung! Zuhören!" schrie der Professor. "Wir werden ihn also einkreisen. Hinter ihm Kinder, vor ihm Kinder, links Kinder, rechts Kinder! Ist das klar? Weitere Kommandos geben wir unterwegs. Marsch und raus!" Sie liefen, rannten und stolperten durchs Tor. Pony Hütchen blieb, etwas beleidigt, allein zurück. Dann schwang sie sich auf ihr kleines vernickeltes Rad, murmelte wie ihre eigne Großmutter: "Die Sache gefällt mir nicht. Die Sache gefällt mir nicht!" und fuhr hinter den Jungen her. Der Mann im steifen Hut trat gerade in die Hoteltür, stieg langsam die Treppe herunter und wandte sich nach rechts, der Kleiststraße zu. Der Professor Emil, und Gustav jagten ihre Eilboten zwischen den verschiedenen Kindertrupps hin und her. Und drei Minuten später war Herr Grundeis umzingelt. Er sah sich, höchlichst verwundert, nach allen Seiten um. Die Jungen unterhielten sich, lachten, knufften sich und hielten gleichen Schritt mit ihm. Manche starrten den Mann an, bis er verlegen wurde und wieder geradeaus guckte. Sssst! pfiff ein Ball dict an seinem Kopfe vorbei. Er zuckte zusammen und beschleunigte seinen Gang. Doch nun liefen die Jungen ebenfalls rascher. Er wollte geschwind in eine Seitenstraße abbiegen. Aber da kam auch schon ein Kindertrupp dahergestürmt. "Mensch, der hat ein Gesicht als wollte er dauernd niesen", rief Gustav. "Lauf ein bisschen vor mir", riet Emil, "mich braucht er jetzt noch nicht zu erkennen. Das erlebt noch früh genug." Gustav machte breite Schultern und stieg vor Emil her wie ein Boxkämpfer, der vor Kraft nicht laufen kann. Pony Hütchen fuhr neben dem Umzuge und klingelte vergnügt. Der Mann im steifen Hut wurde sichtlich nervös. Er ahnte dunkel, was ihm bevorstünde, und stiefelte mit Riesenschritten. Aber es war umsonst. Er entgegen seinen Feinden nicht. Plötzlich blieb er wie angenagelt stehen, drehte sich um und lief die Straße, die er gekommen war, wieder zurück. Da machten auch sämtliche Kinder kehrt; und nun ging's in umgekehrter Marschordnung weiter. Da lief ein Junge - es war Krumbiegel - dem Mann in die Quere, dass er stolperte. "Was fällt dir ein, du Lausejunge?" schrie er. "Ich werde gleich einen Polizisten rufen!" "Ach ja, bitte, tun Sie das mal!" rief Krumbiegel. "Darauf lauern wir schon lange. Na, rufen Sie ihn doch!" Herr Grundeis dachte nicht daran zu rufen, im Gegenteil. Ihm wurde die Geschichte immer unheimlicher. Er bekam förmlich Angst und wusste nicht mehr, wohin. Schon sahen Leute aus allen Fenstern. Schon rannten die Ladenfräuleins mit ihren Kunden vor die Geschäfte und fragten, was los wäre. Wenn jetzt ein Polizist kam, war's aus. Da hatte der Dieb einen Einfall. Er erblickte eine Filiale der Commerz- und Privatbank. Er durchbrach die Kette der Kinder, eilte auf die Tür zu und verschwand. Der Professor sprang vor die Tür und brüllte: "Gustav und ich gehen hinterher! Emil bleibt vorläufig noch hier, bis es so weit ist! Denn Gustav hupt, kann's losgehen! Dann kommt Emil mit zehn Jungen hinein. Sucht dir inzwischen die Richtigen aus, Emil. Es wird eine kitzlige Sache!" Dann verschwanden auch Gustav und der Professor hinter der Tür. Emil summten vor Herzklopfen die Ohren. Jetzt musste sich's entscheiden! Er rief Krumbiegel , Gerold, die Brüder Mittenzwey und noch ein paar andere zu sich und ordnete an, dass die übrigen der große Trupp, sich zerstreuten. Die Kinder gingen ein paar Schritte von dem Bankgebäude fort, aber nicht weit. Was nun geschah, konnten sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen. Pony Hütchen bat einen Knaben, ihr Rad zu halten, und trat zu Emil. "Da bin ich", sagte sie. "Kopf hoch. Jetzt wird's ernst. O Gott, o Gott, ich bin gespannt. Wie ein Regenschirm." "Denkst du etwa, ich nicht?" fragte Emil.